DURAN – ein Pferd unterwegs

duran1duran… im Weltkrieg Nummer Zwei. Gustav Otto Dix, ex-Oberveterinär der Wehrmacht; in den 50ern Tierarzt in der DDR; schreibt sich seine Kriegserlebnisse vom Hals. Ein lakonischer Landser-Bericht über die mitleidende Kreatur: gemustert, verwendet, verbraucht; geschunden, umsorgt, erneut geschunden, … marschier oder krepier! … von einem Schlachtfeld zum andern und schließlich noch der lange, lange Rückzug unter Feuer und ohne Futter… und dann?

Zwischen 1952 und 56 erschien das Büchlein dreimal in 30 000er Auflage. 90 000 Exemplare also. In den 70ern von Kennern gesucht wie Goldstaub.

Für Veterinärmedizinstudenten war es 1952 DIE Sensation schlechthin.

Der Leidensweg des Duran ergriff sie, die alle noch selbst den Krieg im Blut hatten, auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen. Der lakonische Landser-Slang, der Gefühlsschilderungen nicht kennt, nicht kennen will, erweckt zunächst ihre „gelobt sei, was hart macht Prägung“ aus der Zeit der braunen Halstücher. Aber die dargestellten Elendsetappen des Pferdes holten auch ihre eigenen „Hose voll“-Situationen aus der Verdrängung herauf; jetzt, im Zeitalter des „danach“: Egal, ob man Halbe, Bad Kreuznach, Landsberg/Warthe oder Komotau gerade so entkommen war. Die Deja vues müssen heftig gewesen sein.

Spätestens, wenn der Oberveterinär sich nach überstandenem Tiefflieger-Beschuss erhebt, mit der 08 in der Hand von Fuhrwerk zu Fuhrwerk geht und Gnadenschüsse verteilt, wo Pferde liegen, aufzustehen versuchen, sich in ihrem Gedärm verheddern, zusammenbrechen … In Sekunden wird entschieden, wo noch ausspannen und zusammenflicken lohnt und wann er einem Zossen die Pistole ans Ohr setzt. Der Küchenbulle übernimmt den Rest. Das Fleisch kommt in die Gulaschkanone. Für die nächsten Tage. Dem Tierarzt reicht Kommissbrot.

Dabei hatte alles so idyllisch begonnen. Damals – 1931. Die Geburt des Duran – in einem Dorf bei Hannover.duran4duran

„Es klingt, als habe jemand einen Eimer Wasser in den Stall-Gang gekippt, wenn die Fruchtblase platzt – und ein Fohlen das Licht der Welt erblickt.“

So begann Vaters Nacherzählung auf den Praxisfahrten immer. Er schien den Text auswendig zu können, wie ich meine Kindermärchenplatten. Beim späteren Selberlesen merkte ich, dass sich da manches zwecks Ausschmückung und Abwandlung – und als Ersatz für Szenen wie oben – in den mündlichen Vortrag eingeschlichen hatte. Ich bekam eine kindgerechte Version erzählt.

Es beginnt vor dem letzten Kriege, auf einem Dorf im heutigen Westen; wo ein Knecht Arbeit suchte, der einen Sprachfehler hatte.

Deutschland hatte mal Landbesitz in Afrika, und die Soldaten, die dort auf Wache standen, hatten es mit Aufständen der Neger zu tun. Unser Knecht, war dort auf Wacht und bekam einen Speer in den Hals, weil er eben kein Kara Ben Nemsi war, denn dann hätte er das rechtzeitig gemerkt. Er überlebte, aber sprechen konnte er nicht mehr richtig. Nun kam er in das Dorf, wie Krischan Klammbüdel in den „Heiden von Kummerow“, als abgerissener Habenichts und wurde von einem Bauern eingestellt.

Als nun die Pferdegeburt anstand, hatte zwar der Bauer den Tierarzt angerufen, alles Weitere im Stall aber dem Knecht überlassen.

Es wird ein Hengst-Fohlen. Die Geburt läuft ohne Probleme ab. Der Bauer begutachtet die nächtliche Arbeit von Knecht und Tierarzt am nächsten Morgen. Er tauft das Fohlen Johann.

Alle Wallache auf dem Hof hießen so und auch Johann wird bald schon kastriert, um ein williges Arbeitspferd zu werden. Johann verdient sich sein Futter brav 7 oder 8 Jahre lang – dann kommt der Herbst‘39.

Pferdemusterung! Alle Bauern mussten ihre Pferde auf dem Dorfplatz vorzeigen. Der Johann-Besitzer schickt sich in das notwendige Übel, aber er geht nicht selber hin, weil er ahnt, was kommt:

Mehrere seiner Nachbarn haben Glück. Ihre Pferde sind zu jung, zu alt, zu schwächlich oder von Macken geplagt – Johann jedoch wird für „kv“ befunden.

Der Knecht wird nach dem Namen des Pferdes gefragt und sagt irgendwas, das wie „Huohaaaan“ klingt. Der Spießschreiber versteht nicht und fragt 2-oder 3mal nach. Schließlich mault er „Wegtreten, du Arsch!“ und schreibt DURAN in die Papiere.

DURAN also muss in den Krieg und der Knecht nicht, weil die zu Anfang nur die jungen Kerle losgeschickt haben zum Kämpfen. Es heißt also Abschied nehmen von seinem treuen Arbeitskollegen und Stallmitbewohner der letzten 8 Jahre.“

Neben mir sitzt wie immer unser Foxl und ich stelle mir prompt so eine „Hundemusterung“ vor.

„Da kann einfach jemand kommen und dir deine Haustiere klauen?“

„Klauen war das ja nicht so ganz. Wenn wir gewonnen hätten, dann hätte man ja das Pferd zurückbekommen und wenn es draufgegangen – also gefallen – wäre, dann hätte es Beutepferde gegeben.“

Ich war nicht getröstet:

„Stell dir vor, uns nimmt einer unseren Tiger von Eschnapur hier weg und paar Wochen später bekommen wir Satowskis blöden Rottweiler?!“ Wie der jedes Mal am Zaun auf wilde Bestie markierte, wenn wir auf Gassirunde vorbeikamen, hatte nu prompt auch Vater vor Augen.

„Ach. Hunde holen se ja nich zur Fahne“, lenkte Vater genervt ab und erzählte weiter:

„Das Pferd zog nun Verpflegungswagen, Sani-Transporte, „leichte“ Geschütze; in Polen, Frankreich und Russland, im ewigen Winter da…

Es erging ihm schlecht. Hunger und Verwundungen zehrten die Gesundheit auf.

Auf dem laaaangen Rückzug aus Russland war es Zugpferd eines Oberveterinärs der bespannten Truppe. Schließlich landen sie in Rumänien. Und dort kommt der Befehl:300 Pferde zurück nach Deutschland zu verlegen. Acht Mann – 300 Stück. Unlösbarer Quatsch. Aber so is’ das immer beim Barras. 300! Das schaffen auch deine Indianer nicht. Nicht in der Prärie, wo wenigstens Platz wäre und schon gar nicht im Gebirge, wo damals gerade alle Wege überfüllt waren! Mit etwa 30 kommen sie nach Bayern durch. Darunter auch DURAN. Abgekämpft und fertig. Der Krieg ist aus. Die Achte geh‘n nach Hause. Die letzten Pferde werden auf einer Weide stehen gelassen. Soll sie sich holen, wer will…

Da kommt ein zerlumpter Soldat des Weges. Alt. Letztes Aufgebot eben. Zunn Schlusse hamse ja alles geholt. Verhungert, verlaust und unrasiert.

Kennste ja ausm Fernsehen, wie wir damals nach’m Kriege eben alle aussahn.

Er verschnauft am Rand der Weide. Dann will er weiterziehen. Er hüstelt – und einer der abgehalfterten Klepper spitzt die Ohren. Der Alte merkt’s und ruft probeweise „Huohaaaan?!“ Duran stakst auf ihn zu und sie reiben ihre Köpfe aneinander –“DSC02465-007blogbild (2)

Clevere Unterbrechung und Blick zu mir: Ich starrte vor mich hin durch die Windschutzscheibe und streichelte in Gedanken einen strubbligen mümmelnden Pferdekopf, dann trat ich bereits den Weidezaun herunter, bevor der Schlusssatz kam:

Dann gingen se beide gemeinsam weiter – nach Hause.

Hätte ich später je ein Pferd haben wollen, so hätte es zwingend DURAN heißen müssen.

Als ich das Buch zum ersten Mal las, war ich 16. Ich glaubte, die Pferdefabel seit Kindergartenzeiten drauf zu haben, wollte aber nun die ungeschönte Version.

Das Phänomen für den jugendlichen 70er Jahre Leser bestand darin, dass hier alles das vermieden wird, was man dank inflationärer Dauerbeschallung nicht mehr hören konnte: Am Ende wird keine LPG gegründet, kein KZ-Überlebender spielt den großen Retter, kein Oberveterinär tritt in die KPD ein, und nirgends steht eine sowjetische Gulaschkanone zur Notversorgung …statt dessen spielt die Handlung komplett außerhalb des Territoriums der Sowjetischen Besatzungszone und war doch trotzdem hier druckbar gewesen!

Als ich es in den 80ern zum zweiten Mal las, war ich Mitte 20, Student; und hatte Prora intus. Ich las es somit aus einer ganz anderen, wesentlich reiferen Perspektive. Unfähige Offiziere und hanebüchene Organisationsfehler hatte ich nun selbst erlebt, wenngleich auch ohne Pferd und nicht an irgendeiner Front. Wo der 16jährige staunend den Kopf geschüttelt hatte, konnte der 24jährige nun grimmig wissend nicken.

Jedes Mal, wenn zu jener Zeit „the reflex is a lonely Child“ oder „Wild boys, wild Boys“ im Radio ertönte, registrierte ich amüsiert, dass ich dieser geschminkten Schnösel-Combo dankbar war, für die immer wiederkehrende Assoziation: DURAN (DURAN).

Zum dritten Mal las ich es 2015. Diesmal erschien mir das Kapitel über den Sommer’41 verstörend aktuell. Deutsche Truppen lungern in Bereitstellungsräumen an der noch jungen deutsch-russischen Grenze herum. Drüben ist Ukraine. Auf der Gegenseite ist alles ruhig, die ganze Zeit keinerlei Grenzstreife zu sehen. Schütterer Wald. Menschenleerer Raum. Am 22. Juni wird „Feuer“ befohlen: Aber auf was? Wohin? Egal. Befehl ist Befehl! Die Idylle dort drüben bekommt Krater, die dann beim Vorrücken stören. Munitionsverschwendung. Als der Befehl zum Vormarsch erfolgt, behindern auch die gerade zusammengeschossenen Bäume den „Raumgewinn“.  Kilometerweites Vorrücken ohne auf eine Menschenseele zu treffen … im Rundfunk die Meldung, dass man im Osten in eine unvorstellbare Truppenkonzentration des Feindes hineinmarschiere, um einem Angriff auf Deutschland zuvorzukommen…

Gleichzeitig in den „Tagesthemen“ Jazenjuk auf Staatsbesuch; mit seiner ungeheuerlichen Verdrehung des 2. Weltkrieges. Niemand weißt ihn zurecht. Ein medialer Aufschrei bleibt aus. Gabriele Krone-Schmalz findet bei Maischberger unter den übrigen Polit-Claqueuren kein Gehör. Platzeck ergehts bei Illner ähnlich.

Ich aber sehe ein müdes Pferd durch die Schneewehen am Dnjestr staksen…

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(P.S.: Da war doch noch was! 2016 sah ich im Arno von Rosen Blog DIESES BILD; und prompt dachte ich, es könnte vielleicht der Illustrator aus „Duran“ gewesen sein!)

 

10 Gedanken zu “DURAN – ein Pferd unterwegs

    • Weiß zwar gerade nicht, worauf sich die Sinnfrage bezieht. Aber Jethro Tull passen hier wunderbar. Die Musik, das Video und Andersons romantische leider ruinöse Idee, diese treuen Giganten erhalten zu wollen.

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    • Steig ich in meine Kinderzeit hinab,
      steigt neben Vater, Mutter auch ein (Pferd) aus seinem Grab…

      Ich kenne leider nur die Verballhornung von Schobert&Black; aber es soll sich im Original wohl um ein Volkslied handeln.
      Die, die später überhaupt ins Erzählen kamen, über die Zeit, bevor sie „weg mussten“, waren eher die jüngeren Jahrgänge, die ihre Jugenderlebnisse pflegten. Und jung ist man ja doch näher am vierbeinigen Familienmitglied dran, als ein Erwachsener, der nur noch die Arbeitskraft/den Nutzen registriert.

      Gefällt 2 Personen

  1. Mein Grossvater kam mit seinem Pferd zurück aus Russland, als einer der letzten 1955 , als Schütze 14 im Rang eines Gefreiten und es war schwer einzuschätzen wer mehr zusammengeschossen war, das Pferd oder mein Opa…was sie gerettet hat war das man sie zusammen als Arbeitskraft in der Landwirtschaft brauchte, einer allein hätte das nicht geschafft…ich hatte dann später nur ein Stoffpferd von Steiff….war eindeutig besser so…und die Platten von Jethro Tull stehen hier im Regal…Thick as a brick…wurde sogar im Englischunterricht besprochen und ich durfte die Platte ausserhalb meines Taschengeldes aus schulischen Gründen mit dem Geld der Mutter kaufen 🙂

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  2. Lieber Bludgeon, die Geschichte über Duran liest sich wie ein Stück aus Großvaters Erzählungen, wie er als Trossführer mit 70 Pferden und ausgehungerten Soldaten auf dem Rückzug aus Russland war und Pferde hat er damals dauernd gezeichnet, denn es war oft das einzig Schöne, was es zu Zeichnen gelohnt hat. Danke für den schönen Beitrag und einen feinen Sonntag!

    Gefällt 3 Personen

  3. Sehr geehrter Bludgeon,
    herzlichen Dank für den Beitrag zum Buch meines Vaters Gustav Otto Dix.
    Ich bin zufällig auf Ihre Zeilen gestoßen und Ich wollte Ihnen noch einen Zeitungsartikel anlässlich seinens 100. Geburtstages anfügen – es ging aber nicht-.
    Ihnen noch einen schönes Wochenende.
    Ihr sehr dankbarer
    Andreas Dix
    Berlin

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  4. Pingback: Der Sohn des Autors | toka-ihto-tales

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