(oder Prora-Klaps 4)
Rügen.
Sommer für Sommer, weil Brüderlein dort wieder Urlaub macht.
Ich fahre unter der Woche und frühzeitig.
Klar. Yes sind wie in den Jahren zuvor dabei. „Heaven and earth“, die viel gescholtene. Passt aber in unsere Zeit. Gibt keinen besseren Soundtrack für eine Ferienfahrt gen Norden. Die Piste ist, wie sie sein muss, wenn Götter reisen, leer.

as a free bird flies from the hand
Statt NDW ist dies’Jahr noch Joan Armatrading an Bord. Taking my Baby up town, sozusagen. Hat alles seinen Army-Bezug. Joan Armatrading bei der NVA? Wie das zusammengeht, willste wissen? Wart‘s ab. Ich geh auf Brother to Brother Tour. Music is the best! Und alte Spielhagen-Literatur.
Schon seltsam irgendwie, dass sich der eine Bruder eine Weltecke als Dauerurlaubsort aussucht, in der der andere einst Erfahrungen erfuhr, die ihm den EK-Spruch einbrannten:
„Drei Worte genügen – nie wieder Rügen!“
Eigentlich sollte der Armee-Scheiß dieses Jahr draußen bleiben, wenn ich über Rügen schreibe. Der Prora-Klaps schien geheilt, nachdem sich „mein Trakt“ letztes Jahr in der Entkernung befand und dieses Jahr wohl sicher Steuersparappartmentsilo für Herrn und Frau Irgendwasmitgeld geworden ist. Aber dann überkommt es dich eben doch wieder: Du fährst über diesen neuen Golden Gate Brückenabklatsch auf die Insel und fühlst dich automatisch komisch. Es ist nicht so, dass ich ununterbrochen an SPW und Spieß-Ural denke, aber blitzlichtartig sind diese Eingebungen mit von der Partie, obwohl ich mich doch eher mit vorbeifliegendem Farn am Wegesrand ganz still über Baronessen in Gutshäusern unterhalte, wie sie mein literarischer Hausgott erschuf. Das alte Forsthaus Prora saust vorbei. Seine burgenartige Protzarchitektur zeugt von der untergegangenen Herrschaftlichkeit des ostelbischen Landadels. Rügen ist irgendwie auch wie Ostpreußen. Man kennt all diese Wehmut-Dokus, die im Laufe der Jahre so über die Bildschirme flimmerten. Alleen, Äcker, (Ur-)Wälder, Bunker- und Schlossruinen. Manche zwischendrin auch mal wieder restauriert. All das hat Rügen auch zu bieten. Und viel hätte nicht gefehlt, als Stalin in Jalta seine Grenzvorstellungen durchdrückte und immerhin schon Usedom sein polnisches Schwänzchen bekam.
Andererseits: Das Förster-Schlösschen lag zu Mauerzeiten im Nichts. Ich sah es zum ersten Mal, als ich auf der LO-Ladefläche ohne Plane mit anderen Glatten im Frühjahr 80 am Sonntagmorgen zu einem Schießplatz gekarrt wurde, um dort das Wegenetz für die „Sommerausbildung“ neu abzustechen. Die Spatensoldaten gab es damals in Prora noch nicht. Glatte haben keinen Anspruch auf Wochenende. Aber es war Frühjahr. Bald ist Mai und die neuen Glatten würden kommen. Das erste Diensthalbjahr war fast überstanden! Das Wetter war prima. Wir Glatten waren, von ein paar Kapos abgesehen, unter uns. Auch die Unteroffiziere schickten zu solchen Anschissdiensten am Wochenende nur ihre Glatten raus. Also die, die noch volle 2 von 3 Jahren vor sich hatten. Die waren glatter als wir, deshalb legten wir unsere Pausen selber fest und die Kapos setzten sich dazu. Keine störenden „Zwischenkotzkeime“ von der Waterkant, die uns in den Unterkünften schurigeln durften. Trotz Schaufeldienst ein Wonnemoment. Es duftete nach Frühling. Die Sonne schien. Glockengeläut von irgendwoher. In Ruhe gelassen werden. Das Schloss von eben fiel mir wieder ein. Rudelsburg und Schönburg „klopfen an“. Von fern bellt ein Hund. Im darauffolgenden VKU (verlängerter Kurzurlaub) werde ich Besitzer der „Heroes“ von Bowie. Die zweite Seite ist fast komplett instrumental. Düster. Dräuend. Irgendwo ganz hinten im Mix bellt plötzlich ein Hund. Woran denke ich, wenn ich sie heute höre? Die Insel „ist ein Teil von meinem Leben“. Wie in dem Song von Transit, nur anders.
Spielhagens Romane haben das aufgefangen. Er wuchs bürgerlich auf in Stralsund und war als Oberschüler oft auf den Gütern seiner Klassenkameraden zu Besuch. Rügen war sein Ausrittparadies. Er wurde zum Chronisten des 19. Jahrhunderts und all der Auswüchse jener Möchtegern-Klassensymbiose zwischen borniertem Landadel und größenwahnsinnigen Gewinnern der Industrialisierung. Seine Werke schaffen die Gratwanderung zwischen intelligenter Gesellschaftskritik und Gutshausromantik. Genau das willst du lesen, wenn du in einer der schönsten Ecken der Täterätätä Ungemach erdulden musstest und dir trotzdem die Gegend an sich nicht miesmachen willst.
Du wolltest nie wieder nach Rügen! 1981. 17 Jahre hats gehalten. Seit 1998 bist du nun aber 6 oder 7x dagewesen. Mit 4 ausgedehnten Stippvisiten nach Prora. Masochistischer Trieb des Unterbewusstseins irgendwie. Nein falsch: Eher Genugtuungssucht! „1-2-3- die Scheiße ist vorbei!“ Sieger der Geschichte sein! Deine Kaserne verfällt! Die Nachfahren der Längerdienenden wackeln hier und da in braunen ASV-Trainingsanzügen in den Vorgärten der Barackenbungalows herum, wohnen da noch, verschneiden Hecken, jäten Unkraut. Jedenfalls 1999. Als ich in einer solchen Einfahrt wenden will, weil ich mich auf der Suche nach „meinem Trakt“ verfahren hatte, steht da so einer mit Gesten des Vertreibenwollens und macht auf dicke Trainingshose. Scheinbar will er mir mitteilen: Mein Touristen-Auto, gebaut vom Klassenfeind, hat in seiner Einfahrt nichts zu suchen! Kuppeln, schalten, Gas geben, lenken. Dann den Finger hoch! „Leck mich, Sacki-Brut!“ Yeahr! Die Wunden von 79-81 gingen da gerade nochmal auf. Aber was für ein Gefühl, wenige Minuten später genau an dem Strandabschnitt zu stehen,
– an dem ich einst Welskopf-Henrichs Spätwerk „Nacht über der Prärie“ las und den „Schnauzer“ und die „Früchte des Zorns“. Beute aus der MHO, die es „draußen“ vermutlich wiedermal nur unterm Ladentisch gegeben hätte;
– an dem ich sonntags mit meinem Plattendealer im Sand lag und Vereinbarungen traf: „Du, besorg mir ma bitte noch die Joan Armatrading.“ (Der einzige Deal, der damals nicht gelang.) Die „to the limit“ ist eine verhexte Platte. Zu Mauerzeiten nicht beschaffbar, danach vergriffen, vor 2 Jahren immerhin in Amazonien downloadbar und nun endlich-endlich erhältlich. (Lach nich‘, Spotyfeixer! DIE musste noch sein! Collecting Records ist eine Kulturtechnik! Das wirst du nie begreifen.)
– an dem es eines Nachts hieß: „Posten 3 hat durchgerissen!“ Rattatatat! Vorkommnis! An der Ostküste von Rügen! Seeseite! Fichten, Farn und Sand. Welche Sorte Feind haucht dort nu‘ sein Leben aus? Die Wachdienstbereitschaft der Kompanie bekommt Alarm. Ein Leutnant mit 6 Mann eilt zum Ort des mutmaßlichen Anschlags auf die Sicherheit der Republik und findet -? – – – Soldat H. auf dem Turm; die Kalaschnikow noch im Arm, fasziniert auf die Büsche neben sich starrend. „Soldat H.! Meldung!“, brüllt der Lolli durch die Nacht. Der Ex-Hilfsschüler mit dem Kinski-Blick, und nunmehriger Angehörige der bewaffneten Organe oben auf dem Turm lehnt sich unmilitärisch über die Brüstung und zeigt ins Farnkraut und gibt strahlend Antwort: „Genosse Leutnant! Ka‘nickels!“ Anderntags sprang der Spieß im Dreieck: (Wachvorkommnis, Kopp voll! Der Spieß muss ein Protokoll schreiben und kann’s nicht; 8 Schuss weniger in der Waffenkammer; Meldung an OvD) „SCHREIBEEEEEE! Mach dat!“ —„Hat der Idiot auch noch mit Feuerstoß geschossen, du!“ „Dat gibt nich! Du! Dieser Idiot!“ „Und ich kann mir die Prügel vom OvD abholn, du!“ „Alles Arschlöcher! Die Wehrpflichtigen! Alle! Du auch, Schreibeeee, du bist auch’n Arsch solange du nich‘ aufkohlst!“ „Schreib Meldung!“ „Aber schreib ja nich von den Ka‘nickeln, du!“ „OvD macht mich zur Schnecke! Was für Idioten bei uns auf Wache ziehn!“ „Lass dir was einfalln, du! Als Protokoll! Und lass das den H. unterschreim, du! Du Soldat du! Oder die Balken* kannste dir nächstn Monat abschmatzn!“
Ich: „Das ist mir -“
„Halt dein Maul, du! Bist genauso‘n Arschloch wie der H.! Sachsen!“
„Der H. is aus der Prignitz, Hauptfeld‘, der is‘ dein Landsmann.“
„Ich hau dir gleich in die Fresse, du! Du redest, wenn du gefragt wirst!“
Ehrendienst. Für’s Leben lernen.
Und nun zivil am selben Strand!
40 Jahre später. Du bist nicht mehr der Spießschreiber eines Vollhonks! Der Block deines Bataillons … Dort gibt’s nichts mehr zu sehen. Da musst du nicht mehr hin!
Rügen ist jetzt nur noch Spielhagen-Eiländ!
Dieses Jahr auf besondere Art und Weise: Ich habe Herschelmanns Burgruine gefunden!
Er präsentierte sie hier. Ich wollte dahin! Selber-Knips!

Die Zehren-Burg?
Auf seinen Tipp hin, fuhr ich nach Dranske. Da, wo die Insel ihr Ende hat und Hiddensee fotografiert werden kann. An einem Tag mit KEINEM Badewetter. Also alle Touris nicht am Strand, sondern on the Road. Kollaps in beiden Richtungen. Bin dem Schicksal doppelt dankbar, dass ich kein gebürtiger Rüganer bin. Du kannst vor Touristen nicht treten – und schon gar nicht fahren. Und manche versuchen‘s dann noch in konstanter Boshaftigkeit als Radfahrer! Auf’ner Insel ohne Radwege! Leitplanken beidseitig. Alleenschutz. Bummelei somit Notwendigkeit. Tatütata von hinten? Nix Rettungsgasse. Biste ernstlich krank, haste verlor‘n. In Dranske such ich nach Einheimischen und gerate an Schweden, Wessis und Holländer und schließlich an eine freundliche tschechische Kellnerin. Ich zeige ihr das Herschelmannsuchbild. Nix Auskunft. „Wenn Sie das gefunden. Schreiben Sie mir Mail bitte? Mich interessiert das auch.“ Sie räumt ab und kehrt zurück mit ihrer Mailadresse auf’nem Zettel. Wow! Sachen gibt’s! Ich hielt Wort.
Dann gehe ich ins Gemeindeamt und dort endlich – ein Eingeborener! Zivilisiert. Kein Fischbein in der Nasenscheidewand, kein Sachsen-Knochen im Haardutt, keine Anker-Ohrgehänge, einfach ein End50er in Zivil. Freundlich und mitteilsam. Der erkennt das Bild sofort und erklärt, dass ich die ganze Hammeltour von Binz hierher umsonst gefahren bin, denn die Ruine steht – ganz woanders. (Danke Jürgen! Grummel-grummel!)
Also zurückfahren und dann rechts weg. Komisch freie Straße plötzlich. Zweimal an der waldigen Abfahrt vorbei gerauscht deshalb; dann doch gefunden.
SA-GEN-HAFT!

out of the tunnels mouth
Und fast keine Leute da! Deshalb bleib ich mit genauerer Ortsangabe mal sicherheitshalber auch im Ungefähren. Kann ruhig noch ein paar Jahre Geheimtipp bleiben. Kannst ja auch nach Dranske fahren, wennde hinwillst!
Ich steige aus dem Auto, gehe ein paar Schritte ins Grüne und stehe mit eins vor der Burgruine, die ursprünglich ein Wasserturm gewesen ist, der bis in die DDR-Zeiten funktioniert hat. Bei Herschelmann steht, dass ein Eisenbahnmagnat das Ding kurz vor 1900 finanziert haben soll. Das brachte mich auf die Spielhagenfährte, weil dessen Halbbruder in preußischem Auftrag Schienen durch Thüringen verlegte und reich wurde. Der hatte mit Sicherheit ebenfalls diesen Stralsund-Bezug wie der große Poet, und somit die Verbindung zu den Junkerfamilien der Insel.
Noch besser aber ist, dass der Turm praktisch der Eingang zu einem wildromantischen, versteckten Park ist, indem eine Baumgruppe existiert, die krüppelig verwachsen ein natürliches Laubzelt bildet, unter dem gepicknickt oder gefeiert werden könnte. Spielhagen beschreibt in seinen Romanen des Öfteren solche Soireen von Adelsfamilien an lauschigen Plätzen; an Hünengräbern oder unter Urwaldriesen. Meist ist dann ein Gewitter im Anzug und die Katastrophennachricht, die wie der Blitz einschlägt und einen Teil des Figurenensembles in den Ruin stürzt. Spielhagen muss hier gewesen sein! Hier hat er zu Abi-Zeiten um 1847 herum als Feriengast des „jungen Herrn“ gefeiert, getanzt, begehrlich in den Nackendutt der ein- oder anderen Komtesse gestarrt und sich standesbewusst die Annäherung verkniffen! Vielleicht aber saß man auch in späteren Jahren hier zusammen, als die Nachricht von der Lasker-Rede eintraf, die 1873 die Gründerkrise auslöste?! Brauerei- und Eisenbahnpleiten massenhaft!

…seine Schritte führten ihn zum Ort der alten Geschehnisse…
Wüsste man nicht, dass der Wasserturm von 1895 ist, dann könnte man die Ruine für die Zehren-Burg halten, in der der letzte Raubritter Rügens um 1833 als Pascher-König zur Strecke gebracht wird. „Hammer und Amboss“ erzählt davon.
Eventuell wollte jener Eisenbahngeldhai, als er vom Gastgeber einst unter das Laubzeltdach geführt wurde, auf eben jene Von-Zehren-Episode Bezug nehmen, seinen nun schon angefeindeten Dichter-Bruder ehren? Unterhalb des Hügels liegen Gebäude verstreut, deren einheitliche Gestaltung die Reste eines Muster-Gutes ahnen lassen. Das war 1895 sicher noch intakt!
Wieder beim Auto bemerkt Bruderherz den vielen Rhododendron in der Buschanei am Wegesrand. Kulturpflanze in der Wildnis! Das muss eine Geschichte haben! Wie kommt der hier her? In dieser Zahl! Wer kam auf die ursprüngliche Idee? Wann? Aus welchem Grund? Welche Baroness tröstete sich so über verordnete Gattenwahl hinweg? Eine Melitta-Pflanzung? Oder eine Happyend-Feier a la Edith? Bruder und ich folgen dem Pfad zu Fuß ein Stück. Nächste Überraschung: Ein Gutshof in der Wildnis. Top restauriert. Neues Tor. Privat. Kein Zutritt. Kein Namensschild.
Ich weiß trotzdem, wer da wohnt. Der Geist Spielhagens. Alles, was er schrieb, ist hier zum Greifen nahe! Sehe ich nicht schemenhaft seinen weißen Bart dort oben am Fenster? Sonnenstich.
(Gottlob hab ich nicht gegoogelt, denn dann erfährt man, dass das ganze Phänomen dort angeblich erst aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt. Zerplatzt wäre der Tagtraum.)
Wir fahren zurück. Der Tag geht zur Neige. Brüderlein fühlt sich nicht und zieht sich bald nach dem Abendbrot zurück. So absolviere ich den abschließenden Strandspaziergang allein. Schiffe am Horizont. Dämmerlicht. Ian Hunter Stimmung:
„We walked to the sea, just my
fatherbrother ’n‘ me
And the dogs played around on the sand…We’re two ships that pass in the night
We both smile and we say it’s alright
We’re still here, it’s just that we’re out of sight
Like those ships that pass in the night“
Am Horizont dräut der Küstenstreifen von Prora herüber. Nur, wenn man’s weiß. Alle andern sehen ein schwarzes Ufer-Band. Die Fichten verbergen den Koloss. Gut so.
Zurück zu, auf der totschicken Uferpromenade vermischen sich mir erneut die Zeiten:
…sah früher nicht so aus… 1980 waren das dieselben Häuser mit denselben Balustraden, aber das saubere Weiß war grau und schmuddelig… streifenweise lösten sich alte Farbanstriche von den Veranden… Klar, Meerseite eben… aber warum hat man das jetzt im Griff? Ich höre im Vorbeigehen babylonische Sprachenvielfalt, italienisches Gelächter, englisches Palaver, ein Alleinunterhalter plärrt „Jugendliebe bringt…“, scheinbar gar nichts, denn ein Teenieweibchen bockt auf Schwedisch „Pö!“, ihre Eltern winken genervt ab, als die ca. 15jährige plötzlich wieder wie mit drei die Arme vor der Brust verschränkt und stehen bleibt; anderen Passanten zum Hindernis. Schoßhunde beschnüffeln sich trotz Leine. Kleinkinder bekommen ein spätes Eis spendiert. Ich sehe Gestalten, die wie Rapper aus der Bronx der 90er wirken wollen: Wampe, Lumpenlook und Basecap; eine Flosse am Handy, die andere am Dosenbier – und sich beim Näherkommen als Russen entpuppen. Ich biege in Seitenwege ab und meine mich prompt selber wieder in Uniform zu sehen. Auf Ausgang im Frühjahr 1980. Den Nuttensattel* auf dem Kopp, die Hände in den Taschen, die linke am Schlüsselbund mit der Zwio-Spange*, die rechte hält das Koppelende. Die Schnalle schleift im Dreck. Irgendwie musste man ja seine Verachtung für den ganzen erduldeten Scheiß mal rauslassen. Hätten das die Falschen gesehen und mich verpetzt – o Mannomann, da hätte der Spieß seine Freude gehabt… Glück gehabt!
Kann ich wirklich in Binz keine 3 Schritte gehen, ohne dass mir wieder Schulterstücke wachsen? Cut! Ich zwinge mich an den Ausflug vom Nachmittag zu denken. Die Ruine! Das Laub-Zelt! Es gelingt! Friedrich, alter Retter! Zauberst mir im Handumdrehen angenehmere Erinnerungen her – an Eleonore Ritter, das schiefe Klärchen, die arrogante Konstanze, die liebe Hermine, die kluge Paula, die schöne Edith, die tapfere Hedwig und sie – Melitta von Berkow. Ob Aschenbecherfrisur oder gezopfte Kunstwerke – weiße lange Gewänder schweben unter Sonnenstrahlenbalken zwischen Rododendronbüschen herum, tanzen Walzer unterm Blätterdach, während ich in einer Art Romantik-Trance wieder in Strandnähe ankomme und Prora hinter mir in Dunkelheit vergeht.

far far away
Worterklärungen – Landser-Jargon:
– Balken abschmatzen = die Gefreitenbalken für Schulterstücke gibt’s nicht; du bleibst Soldat
– Nuttensattel = Teller-Schirmmütze der Ausgangsuniform wurde einmal quer geknickt, bzw. die Seiten mehrmals nach unten gebogen, damit der vordere Teil mit dem Eichenlaub-Emblem hochstand und im Seitenprofil annähernd eine Sattelform entstand, ähnlich den Generalsmützen der Wehrmacht.
– Zwio-Spange =eine Plastekralle(eigentlich für Gartenschläuche oder Heizrohre) die man ab 7.Monat besitzen durfte und in die zu Beginn des 13.Monats das zusammengerollte Bandmaß zum Tage zählen eingequetscht wurde; Zwio = Kurzform von Zwischenhund.
– Glatter = 1.Diensthalbjahr
– Zwio/Zwischenhund/Zwischenkotzkeim = 2. Diensthalbjahr
– EK/Resi = Entlassungskandidat/Reservist = 3.Diensthalbjahr