Fjuhschn (I)

Natürlich schreibt sich der Begriff „Fusion“. Da dies aber kein reiner Musik-Blog ist, hab ich musikalisch nicht so bewanderten Mitlesern erleichtern wollen, sich an einen Satzbau zu gewöhnen, der im Folgenden wie „nix ganz deitsch“ klingt:

Im Fusion, der Fusion, für den Fusion gilt…

Gemeint ist der Fusion-Jazz, der sich interessanter anhört, als es der Name erahnen lässt.

Fusion ist die Vermählung von Jazz und Rock. Jazz hat Vorrang, klingt aber gefällig, melodiös oder rhythmisch leicht verdaulich. Weitgehend ohne Getute.

Jazz-Rock machen Chicago, Colosseum, Blood Sweat and Tears. Kein Fusion.

Rock-Jazz/Fusion machen George Benson, John McLaughlin(Mahavishnu), Stanley Clarke, SBB usw.

Und dann gibt es noch so Ausnahmen: Rockmusiker, die sich zu Jazzern wandelten und die mit einigen Alben ebenfalls ins Fusion-Fach zählen: Ginger Baker, Joni Mitchell.

Andrew Edwards betreibt einen sehr interessanten juhtuub-Kanal, mit unterhaltsamen Rankings zu allen möglichen Stilen der Musik.

Er war Drummer bei Robert Plant, IQ, Magenta, Frost und ist heute Musiklehrmeister, der Prog und Fusion mag, und die heutige Musikentwertung zum Spotify-Geräusch (wie ich) mit Trauer und bissigem Humor sieht.

Seine Beiträge animierten mich, mal die 10 besten Fusion-Alben meiner Sammlung abzufeiern.

Für Proggies war Fusion die logische Weiterentwicklung des Musikgeschmacks. Und die Rettung, als Prog in den 80ern stark zu schwächeln begann, weil New Wave zählte, und unglücklicherweise Prog-Bands mehr oder weniger am Ende mit ihrem Latein-, entweder ungeschickt kommerziell wurden oder gleich ganz von der Bühne verschwanden.

Was also macht der Proggie, dem der Yes und Gentle Giant Nachschub fehlt ab 1980? Er erschließt sich Weather Report-, Stanley Clarke-, George Benson-Alben der 70er in den 80ern. Die Fusionblüte der 80er ist also ein verzögerter Boom von 70er Großtaten. Denn leider zeigten sich die Fusion-Heroen der 70er in den 80ern ähnlich angekränkelt, wie die ehemaligen Giganten des Prog.

Mich brachte meine Philly-Liebe in den Fusion. Ich kam per Philadelphia-Sound anno’73 herum in die Popmusik, mithin Rockmusik, mithin Prog, mithin Punk, mithin auch in Randbereiche des Jazz. Barry White’s Bombast, die Melodien-Seligkeit der Three Degrees und O‘Jays, das Lauschgift solcher One-Hit-Wonder-Dealer mit Ewigkeitsanspruch wie George McCrae und Shirley & Company ließen mich Junkie werden, erzeugten die Welle, die mich davontrug in den Musikozean. fusion1Mein Fusion-Einstiegsalbum ist somit ganz klar George Bensons „Living inside your love“ von 1979. Es klingt wie ein Barry White Album ohne dessen Brummbär-Ton. Es enthält Easy Listening Gitarren- und Piano-Fantasien auf Geigenbackground. Keine nervigen Bläsersätze. Dahinfließender Soundtrack „zu einem nicht existierenden Film“, den du dir deshalb selber erschaffen musst. Und das gelingt umso leichter, je weiter 1979 von dir weg ist: Die ersten Schnipsel im Radio in einer Fusionsendung voller Benson, Clarke, Deodato, Tune-Fish; das volle Album 1980 in Prora in der Bude der Regiments-Band, die vergebliche Suche, es selbst aufzutreiben, Wilson&Vogt(Tegel‘89), endlich in Vinyl selbst besessen, in CD nachgekauft (ca ‘99); seither wartend, dass ich eventuell doch noch ein Remastering erlebe mit entwattiertem Schlagzeug. Aber wer weiß…

Edwards erklärt, dass es im Rock auf Songwriting ankommt, dass gute Rockmusik Klänge und Poetry zusammenbringt – und dass somit gute Stories im Kopf des Hörers entstehen. Und eben auch im überwiegend instrumentalen Fusion-Bereich sei das essenziell. Eine Herausforderungsei es, den Hörer zum Denken zu animieren, wenn doch die Platte an sich ohne Worte auskommt.

He took the words right out of my (Kopf). Denn für mich ist beim Fusionhören nicht entscheidend, ob da in dreieinhalb Sekunden 25 Akkorde geschafft werden, oder eine 6saitige speschell Bassguitar verwendet wird. – Ist das Slap-Bass oder Normal-Bass? Ist das Thelonius-Monk-Schule oder Cole-Porter- Einfluss? WURSCHD!

Für mich gilt: Kann ich dabei meine Tagträume pflegen? Malt mir die Musik Landschaften, Burgruinen, schöne Frauen, gepflegte Oldtimer an den Horizont, die real gar selten anzutreffen sind? Dann ist es gute Musik für mich.

fusion2Bei Mahavishnu’s „Birds of Fire“ funktioniert sowas nicht. Bei „Visions of Emerald beyond“ funzt es jedoch wie von selbst; womit wir wiedermal beim Mahavishnu Orchestra wären. Die „Emerald“-Platte hat einen tollen Flow. Wie ein spannender Abenteuerroman. Denken wir an „Schloss Rodriganda“ von Karl May oder Schreckenbachs „König von Rothenburg“. All diese up and downs, diese sich verwirrenden Intrigen und die Schwertstreiche, die die gordischen Knoten durchtrennen; kurz: Dieses „durch Nacht zum Licht“-Feeling: Großartig! (Witzig auch das Andrew Edwards auf seinem Kanal die Mahavishnu-Alben ranked und auf dem letzten Platz steht für ihn „Adventures in Radioland“ und auf Platz 2 die „Emerald“! So weit von einander die beiden Alben, die mich aus dem Hause Mahavishnu am meisten begeistern. Tja. Die Geschmäker eben.)

Da wir gerade beim Flow sind: Einen sehr schönen haben auch die meisten der Metheny-Alben. Pat Metheny ist sowas wie der James Last der Fusion-Jazzer. Sehr bekömmliche, leicht verdauliche Musik. Nicht zu überhörender Selbstbeklau, wenn man mehrere Alben von ihm kennt, also könnte man auch sagen: Er ist der Mike Oldfield des Jazz.

Metheny nutzt u.a. Gitarrensynthesizer und entlockt diesen Geräten jene Schwebeklänge, die dich auf weite leere Autobahnen schicken, auf den Weg in die Sehnsucht, in die Gutsherrenparks von Mecklenburg-Vorpommern, wo Spielhagens Melittas und Ediths in grün umrankten Pavillons darauf warten, dass sich mal einer mit ihnen über Heyse und Felix Dahn unterhält, bevor es zum Kuss kommt… Ja klappt immer wieder, dass dich Metheny entführt aus all dem Alltags-Driss beruflicher Zumutungen und eng getakteter Termine. (Komisch. Seit ich Rentner bin, zeigen die Metheny-Alben die Tendenz zum Staubansetzen.) Und so setze ich mal einem Album das Wertschätzungskrönchen auf, das oft übersehen wird, wenn es um den großen Pat geht. fusion3Ein Album, das sich über die Jahre nach vorn arbeiten musste, da ich es ursprünglich dringend haben wollte, weil auch MEIN David Bowie darauf Spuren hinterließ; das ich tatsächlich zeitnah kurz nach Erscheinen -trotz Mauerzeit- auftreiben konnte – und von dem ich aber zunächst doch sehr enttäuscht war, da sich gleich drei Tracks wie „This is not America“(instrumental) anhörten, während der Rest nichts zu bieten schien. Die Rede ist vom Soundtrack-Album „The falcon and the snowman“ von 1983. Ein Scheißfilm. Völlig enttäuschend in den 90ern im Fernsehen. Aber die Musik arbeitete über die Jahre in mir und wurde bei jedem der seltenen Hörvorgänge immer besser. Der Platte nützt definitiv das CD-Stadium, da man nun vor „This is not America“ nicht mehr die Platte umdrehen muss, bzw. eh gleich immer nur die B-Seite hört. Denn auf die Ganzheitlichkeit kommt es hier durchaus an: Die klassische Eröffnung mit jenem „The Lord is my Keeper“ Choral, das Dahingleiten auf dem Highway der Erinnerungen bis zum Bowie Song als Pik, dann die Heimfahrt, das Wiederaufgreifen des Chorals – und aus. Herrlich.

Hingegen sofort gefallen, schon bei den Hörproben im Laden und seit dem in einem fort hat mir die nächste Fusion-Meisterleistung: „Going back home“ vom Ginger Baker Trio 1994. Ungefähr um 2000 herum gekauft. Das ist für mich das Cream-Album, das nie zustande kam. Bill Frisell, Charlie Hadden und Ginger Baker grooven dich hier weg. So richtig relaxed aus dem Handgelenk. fusion4Man sieht die drei richtig auf ihren Hockern sitzen, ihre Instrumente bedienen; das Bier immer in Reichweite. Immer wenn einer soliert und der zweite umrahmt, hat der dritte Pause für nen Griff zum Glas – oder für nen Wink zum Tontechniker, der auf Strümpfen heranschleicht, um eine angerauchte Zigarette in einen Musikermundwinkel zu schieben. Arbeiten – wie andere Urlaub machen. Der Opener ist ein Ohrwurm, den du -einmal gehört- lebenslang „drinne hast“ und er zieht dich rein in diesen singenden Schlagzeugsound, den das Album beibehält, obwohl die Tempi wechseln; mäandern geradezu – bis zum Schlusstrack, der sogar sowas wie Text hat. Plötzlich grummelt Ginger was von einem kleinen Land, dessen Bevölkerung man ausrottete, in dem ein Fernsehteam ums Leben kam, weil es der Presse-Flagge vertraute: „They say: There was no war on East-Timor. – There was a bloody war on East Timor!“ Insel Timor? Nie gehört. Also googelst du. Fusion bildet. Die Lage da ist so verfahren – man könnte glatt die nächste Fußball-WM dorthin vergeben.

Manchmal gibt es Alben. Die wollen „erschlossen werden“. Die zünden nicht auf Anhieb. Aber irgendwann fällt der Groschen der Erkenntnis – und es ist DOCH gut. Kurz bevor man es bereits aussortieren wollte. Der fünfte und letzte Fall hier und heute ist so einer.

In den 90ern kaufte ich allerhand Musikzeitschriften und war begierig nach neuen Namen und neuen musikalischen Abenteuern. Auch im Jazz. Ich versuchte es mit Carla Bley, mit Thelonius Monk. Fehlgriff of the year war das gepriesene Benny-Wallace-Trio. Vieles ging da also schief vor meinen Ohren. Aber ein Name, der immer hoch besternt wurde, wenn ein neues Album erschien, war John Scofield. In seinem Fall ging ich vorsichtiger zu Werke; hörte im WOM seinerzeit in allerhand Alben rein – und konnte mich für keins entscheiden. Da begann das Buhei um die Zusammenarbeit Metheny/Scofield 1994. Und wenn Metheny dabei ist, dann müsste das doch gehen, oder? Das Testergebnis an der Reinhörbar klang zwar nur so „mittelprächtig“, ich glaubte aber an langsame Erschließung und kaufte um 96/97 herum „I can see your house from here“. Und was soll ich sagen: fusion5Ähnlich wie Mahavishnus „Birds of fire“ machte es mir das Album schwer. In ausgeruhtem Zustand angehört, schien es zünden zu wollen, dann aber wieder nervte es nur. Welcher Track läuft grade? Keine Ahnung – eh alles ein Gewurschtel. Hinzugerechnet noch eheliche Kommentare der Art „Was hörst du denn da für Zeug? Ham’wa nichts an’dres?“ führten zu häufigem Erschließungsabbruch. Die Lust auf „reine“ Scofield-Alben war somit verraucht.

Aber während die „Birds of Fire“-Genussmomente so selten blieben wie gelungene DEFA-Filme, wurden die Scofield-Metheny-Feier-Phasen länger. Und so kam es, wie es kommen musste: Bei der letzten Entrümpelung machten die „Birds of fire“ Platz für Kommendes. Die Scopheny durfte bleiben. Wenn die „I can see your house from here“ läuft, dann kann ich mich inzwischen durchaus in mancher amerikanischen Blockhüte am Fuße der Rocky’s entrümpeln und seltene Doowop-Platten retten sehen, während draußen Roy Buchanan auf der Ladeklappe seines Pickup sitzt und Paul Stanley ‘ne Gitarrenstunde gibt. Dan Fogelbergh entfacht den Grill, während die junge Gloria Gaynor und die Tanya Tucker der T’n‘T-Zeiten die Salatschüsseln anrühren, damit wenn nachher Elvis und Rod eintreffen die Party steigen kann. Also gilt seit geraumer Zeit: Erschließung erfolgreich abgeschlossen. Film läuft.

Ende von Teil 1.

3 Gedanken zu “Fjuhschn (I)

  1. Konnte nicht so viel damit anfangen, bis ich vor einigen Jahren mal Mezzoforte (-> „Garden Party“) live gesehen habe. Eine Wucht! Auf Konserve: es gibt eben immer (für mich) gefälligere Alternativen.
    Grüße!

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