André – der unvollendete Rebell

Aufbau-Verlag 2021.

Mir voriges Jahr völlig „durchgerutscht“: André Herzberg „Keine Stars“.

Oder einfacher: DAS Pankow-Buch!

rebelrebelManchmal kommt mir auch mal was Neuzeitlicheres in die Finger – ja und mit Pankow verband mich ein Jahrzehnt lang ein besonders enges Band. Da lass ich sowas natürlich nicht im Laden stehen!

Herzberg wär‘ gerne Johnny Rotten, Ian Dury oder wenigstens der Jagger gewesen und ich wäre gerne wie Herzberg gewesen. Damals.

Der schrie es raus!

Die Dumpfheit, die Idiotie der Mauerjahre!

Der litt an der Gängelung wie ich!

Und wir beide waren damals nicht allein! Gleichgesinnte gab es zuhauf! Daher der Zustrom in die Pankow-Konzerte: „Alles Scheiße! Ob in Nord, Ost, Süd oder West!“

„Plötzlich rockt es und rollt es in mir: Ey Alter! Komm aus’m Arsch!“

Als ich „Paule Panke“, das Rockspektakel zum ersten Mal live erlebte, ging die Sonne auf!

Allen Überdruck der Jahre, die EOS-Gängelei, die „Aschezeit“ in Prora konntste da rauslassen!

Pogo in Togo im „Jörgen Schmidtchen“ in Leipzig, in der Messehalle, in der BaHu … Paule Panke rocks!

„Heute ist Freitag! Heute passssiiiiierts!“

Ja, was eigentlich? Sex. Okay. Und sonst?

Heiser gegrölt, Muskelkater im Nacken, sitzt du am nächsten Tag wieder im Hörsaal – oder auch nicht. Zum Studentenleben gehört auch mal ein Entspannungsvormittag im Antiquariat. Der Staat wird’s verschmerzen…

„Doch das ist uns egal! Wir wollten endlich mal! Egal-egal!“

Und nun gibt’s das alles auch als Buch:

Das Zeitkolorit, die Songzitate, die Gängelei und die Wut…die Wut…die Wut!

„Es führt doch zu nichts, mit ihnen (Kulturfunktionären) zu diskutieren. Jürgen übernimm doch mal, dachte ich. Bloß meine Wut nicht zeigen, Nebel steige auf in mir. Ich konnte froh sein, dass wir überhaupt am Paule Panke arbeiteten. Immer wieder kam die lähmende Diskussion, wie optimistisch der Paule zu sein hätte.“

und

„Die Kunst, das Unmögliche, das Brutale, das Ungeheuerliche als menschlichen Witz zu zeigen, als Poesie, das war das Maß. Es war auch meine Geschichte, ich hatte auch Schule, Lehre, Armee erlebt. All das steckte in unserem Paule Panke. Es war nicht nur Wut darin, auch Hoffnung auf Größe, Stolz, den Kopf heben, Liebe zum Leben. Freundlichkeit. PANKOW hatte lange daran gearbeitet.“

In „Keine Stars“, dem Buch, erstehen die 80er wieder so auf, wie ich sie erlebt habe: Um dich rum ist alles Murks. Du suchst dir deine kleinen Freiheiten: Er auf der Bühne und im Applaus. Betäubung im Unterwegssein und sich feiern lassen. Ich in Plauen, beim Kauf von „Dröhnstoff“ (Westvinyl) auf dem Schwarzmarkt.

Die meisten Sitzungen nimmst du hin, weil in dir freiheitliche Klänge wabern, während vorn am Katheder mal wieder irgend so ein Nachtwächter vom „jesetzmäß’chn Siech des Sodsjalismus“ schwafelt.

„Das Zauberwort heißt Rock and Roll! Vom Blablabla hab ich die Schnauze voll!“

Er versenkt sich in seinen Phantasie-Nebel, den ihm die lebenslange Depression beschert, denn er hat auch noch einen komplizierten Packen Familiengeschichte zu schleppen und seine Eltern waren „eins mit dem Staat“ und konnten ihm somit keinen Schutzschild einbläuen, den wir andern millionenfach mit der Muttermilch vermittelt bekamen: „Das sagste aber nicht in der Schule! Hörste!“

„Nebel, Nebel, wann! Gehstdu! Endlich weg?! Wann komm ich endlich wieder aus’m Drääääääck!“

Ihm verboten „se“, dass „Paule Panke“ auf Platte kommt und unserer Studentenbühne verboten „se“, dass sie ihre Fassung von „Warten auf Godot“ nach der Uraufführung weiterspielen durfte.

Aus Sicht der Entscheider: „Zu negativ.“; in unserer Sprache: Zu ehrlich! Zu wahr!

Hansi Biebl ging in den Westen, Neumi vom Rockzirkus ging in den Westen, Holger Biege ging in den Westen, Diestelmann ging in den Westen -!-!-! PANKOW BLIEBEN!

Rock it and fuck it!

„Letztlich war es egal, ob es, wie der Chef von Amiga, ein seelenloser Bürokrat war, der das Nein (zur Platte) mitleidlos übermittelte, oder ein um Solidarität bettelnder Funktionär, der meine Freundschaft, mein Einsehen in das Verbot erschleichen wollte,(…) dahinter stand doch nur das gesichtslose Verbot, die Grenze, die aus dem Apparat kam, die Funktionäre.“

Bis zum Mauerfall ist das Buch herrlich geschrieben! Dann bröckelt’s.

Der kleine weiche André, als der er sich zu Beginn des Buches darstellt, der ohne Nestwärme aufwuchs, macht’s später so wie alle, denen es so ging: Wenn alle nur immer an dir herumzerren, dann verweigerst du dich total, das ist überlebensnotwendig: Du erkennst messerscharf die Fehler deiner Umwelt, du empfindest die Alltagsungerechtigkeiten tiefer als deine Freunde, aber du erkennst NIE die eigenen und kannst somit auch nicht reflektieren, weshalb es dir hier so und da so erging. All die Misserfolge seiner Solo-„Karriere“ in den 90ern werden mies bemäntelt, die Vermarktungsmängel nicht erkannt.

(Immermal wieder „passiert“ ihm ein Supersong. Aber leider macht er drum herum dann eine ganze Platte mit 4 Durchschnittsnummern und 5 Graupen.)

Das Stasi-Thema wird löchrig wiedergegeben. Ehle „verzeiht“ er. Ja – was eigentlich? Dass er ihn gerettet hat? „André ist ein Hitzkopf. Der meint das nicht so. Der ist einer von uns.“

Schubert, dem Manager, verzeiht er nicht. Ja – was eigentlich, auch hier: Welchen Schaden hat der angerichtet, wenn er mit der Stasi sprach? Sprechen musste! Als Manager einer provokanten Band, die immerhin Devisen durch Westkonzerte einspielte? Herzberg schwurbelt sich hier ganz und gar unangenehm aus der Textpassage im Buch. Was will er verbergen? Dass auch da nichts war, was sich aufrechnen ließe?

Herzberg gibt sich hier den Anschein eines „Verfolgten“ – aber die „Schadensbilanz“ fällt dürftig aus. Für die Nachwendejahre möchte er sich eine Bedeutung herbeischreiben, die nicht da ist.

Was bleibt? Na „pankow-pankow-pankow-killekille-pankow! Yeahh!“ for ever! Und Nachwendesongs wie „Neuer Tag in Pankow“, „Allein“, „Verkäufer“ und das „Kiefernlied“:

Ich bin eine Kiefer
im märkischen Land
ich hab Durst auf Wasser
im trockenen Sand
nach`m großen Krieg
da wurd` ich gepflanzt
die Wurzeln sind flach
Stamm und Krone verkrampft

Und es bleiben seine Bücher, von denen dieses das bisher beste ist. Hier schreibt einer, der innerlich aufräumt und der dabei in immer mehr Hirnkammern vordringt, angefüllt mit unsortierten Überbleibseln alter Erlebnisse; (Wie Peter Gabriels Rael in „Lamb lies down on Broadway“) – und der Klartext spricht im Gegensatz zu diversen Kollegen von früher.

Leseempfehlung?

UNBEDINGT!

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7 Gedanken zu “André – der unvollendete Rebell

  1. Was für ein freies Land die DDR doch war! Heute wagt kaum ein Künstler mehr, eine Meinung – zu Corona, zur Geschlechtsidentität oder erst recht zum Krieg – öffentlich zu äußern.

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    • Ziemlich genau wie damals.
      Gestern auf ARD: “Nuhr wir sinds.“ Dieter Nuhr karikierte treffend diese alberne ARD Maßnahme dieser WIR-Woche.
      Wie einst Pankow. Und ganz am Ende dann das “ideologische Schwänzchen“ um sich vor dem Adamek der ARD abzusichern.
      Wie einst Pankow. Es isnumalso.
      Warum der “Gloassnfeind“ sich in der Trickkiste der Ehemaligen so sehr bedient, das muss mit der chinesischen Erfolgsgeschichte zusammenhängen. Oder mit dem wachsendem Einfluss dieser seltsam kommunistisch klingenden Rhetoriker amerikanischer Universitäten.
      Eine wirre Welt am Ende aller Konzepte.
      Turmbau zu Babel. Sozialismusversuch.
      Einsturz des Bauwerkes und anschließende Sprachwirrnis.
      Mauerfall.
      Passt scho.

      Gefällt 1 Person

  2. Nein, es ist heute viel schlimmer. Damals wurden die Andersdenkenden von irgendwelchen Stasiclowns beobachtet, und das war eher komisch („Die Stasi war mein Eckermann, sang Biermann“ (damals wusste man noch, wer Eckermann war, heute kennen selbst Lehrer nichtmalmehr Goethe)); damals waren vielleicht 1% der Bevölkerung bei der Stasi – Heute werden Denkende von einen Mob verächtlich gemacht, der vielleicht 90% der Bevölkerung umfasst und zu denen meine Kollegen und meine jüngeren Bekannten gehören. Das macht einsam.

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    • “Das ist das schöne an diesem neuen deutschen Volksstaat: Die Dummheit hat das Maul zu halten.“ Thomas Mann anläßlich seines Staatsempfanges in Weimar 1949. In Lübeck war er ausgebuht und beschimpft worden.
      Deine Stasiclowns sind eine üble Verniedlichung. Die Schergen von Horch und Guck waren zwar keine Gestapo, aber auch nicht weit davon entfernt.
      “Zersetzung feindlicher Subjekte“ lief zwar anders ab als die plumpe Gewalt in braunen oder roten KZs, aber gewöhnlich reicht eine Führung im Hohenschönhausener Knast, um die Ähnlichkeiten von braun und rot zu begreifen.

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  3. Und ich seh auch nicht, was das mit Linken an amerikanischen Unis zu tun hat. Die werden heute erst recht gejagt, weil sie das Unglück haben, weiß, männlich und alt zu sein.

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    • Falsch. Denk an Billy Saunders oder Obama. Sich links geben, aber alles beim Alten lassen. (Steinmeier redet heute auch wie mein Stabülehrer. Aber trotzdem ist die BRD (noch) keine DDR II.) Und dann gibt es da noch so eine ganze Kohorte, die sich diesen Wokeness Unfug ertüfteln, der dann wieder von der Medienindustrie aufgegriffen wird, weil das zu tausenden Artikeln gut ist, für die man nichtmalmehr recherchieren muss.

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