Die Hedwig und ich

Navalny ist tot. Seine Frau sprach auf der Sicherheitskonferenz anlässlich dieses Ereignisses. Die Frau von Assange war dort nicht zu Gast. Schön, dass es den Medien dieser Tage auffällt, dass es diesen „Fall“ ja auch noch gibt. – Lassen wir das. Es kümmert keinen. Leider.

Ich floh vor derlei Themen in den Kitsch und – Bauchlandung.

Tja, also heute mal was ganz anderes.

Eine Rezi zu einem Buch, dass ich nicht zuende gelesen habe.

Passiert sicherlich nicht allzu oft. Aber ich muss nun auch diesen Ballast aus dem Haus und aus dem Kopf kriegen! Und da gibt es einiges aufzuräumen.

Es handelt sich um „Das Drama von Glossow“ (1919) von Hedwig Courths-Mahler. (Nachkriegsausgabe Engel-Verlag München; ohne Jahrgang. Vermute so späte 60er.)

Eigentlich wollte ich die Dame feiern. Sie kommt aus Nebra, also aus der Heimat; und Berühmtheiten aus der eigenen Region sind nun mal als „verehrungswürdig“ gesetzt! Punkt!

Aber neeeee. Es ging nicht auf.

Die Frau hat aus materieller Not um 1900 herum das Schreiben angefangen, Erfolg gehabt, mehr geschrieben, wieder Erfolg gehabt, noch mehr geschrieben.

Aber es bleibt, wie alle Literaturpäpste verlautbaren, die Lieschen Müller Perspektive auf ein Leben, wie es so nicht ist.

Zahllose Mägde mögen sich mit diesen Bänden am Ende ihrer langen Arbeitstage getröstet haben, wenn sie erschöpft ihre Dachkammern oder Schlafverschläge in der Küche aufsuchten und nicht einschlafen konnten, weil vielleicht noch ein zudringlicher Hausherr abzuwehren wäre. Aber vielleicht wurde dieser ganz naiv und unerfahren sogar herbeigesehnt – um selber die „Gnädige“ werden zu können.

Ein paar Sprechstundenhilfen von Zahnärzten geht es heute noch so.

Ich stieß auf den Namen Courths-Mahler mit 14, als die Verfilmungen in der ARD die Sonntage versüßten. Die waren rundweg gelungen! Ich gestehe sogar, das DVD Set gekauft zu haben, soviel Begeisterung hat sich erhalten! Und das Wiedersehen nach rund 50 Jahren zeigte, was deutsche Filmkunst an zeitgemäßer Ausstattung einst draufhatte. Der verfilmte Kitsch der Hedwig Courths-Mahler wirkt gegenüber heutigem Klischeefernsehen wie wohltuender Realismus. Einzig die Haarpracht der männlichen Schauspieler gälte es zu kritisieren.

Die sehen durch die Bank aus, wie Sparkassenangestellte der Ära Brandt. Die haben Piefkeschnitt und Katerbart gescheut. Was wiederum im Nachhinein kein Fehler ist, denn es würde auch heute noch schwerfallen, Barone mit gezwirbeltem Horst-Lichter-Schnauzer als durchsetzungsstarke „Herren des Hauses“ ernstzunehmen, obwohl skalptechnisch der kahle Preußen-Piefke leider wieder Renaissance erfuhr. So rum betrachtet wirken nun jene „Sparkassenangestellten“ von 1974 nahezu „hippiesk“! Alles dreht sich.

Früher, in den 70ern, fragten Radiomoderatoren bisweilen: „Mögen Sie Kitsch?“ Und dann sendeten sie gewöhnlich eine anheimelnde Sendung musikalischer Kuriositäten. Bert Kaempfert schmeichelt sich ins Ohr, die Tokens trällern „Wimmoweh“, Charles Asnavour lästert „Du lässt dich geh’n!“, die Winnetou-Melodie erklingt, Satchmos „Brave Husar“ usw. Easy Listening. Gemütlichkeit erzeugend. Ich mochte Kitsch. Der „röhrende Hirsch“ in Tante Hedis Room war eben dauerhaft geschmacksbildend eingeschlagen. Ich mag Kitsch immer noch. Mir ist bewusst, dass der King in seiner Las-Vegas-Phase hochgradig „Kitsch“ ist. Marty Robbins nicht zu vergessen! Na und?

Aber Courths-Mahler lesen?

Hab mich jetzt wochenlang geplagt, um bis auf Seite 80 vorzudringen. Bis Seite 350 würde mein Exemplar eigentlich gehen.

Aber es geht einfach zuviel daneben. Ich halte das Buch Jahrzehnte zu spät in der Hand. Mit 18-19 Jahren hätt‘ ich es eventuell geschafft. Mit Mitte 20 auch noch. Der (spät)pubertäre Widerstandsleser in mir, hätte es mit der geballten Literaturkritik aufnehmen wollen!

Wie bei Karl May! Rufmord! Nehmt das:

„Kritiker sind Eunuchen, die wollen – aber nicht können.“ (IC Falkenberg)

Recht hat er irgendwie.

Aber Karl Krauss hat eben auch recht:

„Das ungewisseste Urteil ist das des Snobs! Das Buch, das er empfiehlt, könnte gut sein!“

Und Literaturprofessoren sind in der Regel Snobs wie aus dem Bilderbuch! Jedenfalls solange sie am Katheder stehen.

Wenn bornierte Hochschulgermanisten über Trivialliteratur die Nase rümpfen, dann wirkt das mitunter provozierend lächerlich, weil sie so tun, als seien sie von Kindesbeinen an mit Trakl, Böll und Goethe aufgewachsen.

Borniertheit macht Schule – Musikrezensenten meiner Generation ahmen derlei Vorbilder nach; gerieren sich bisweilen ebenfalls, als hätten sie in der Sandkiste bereits „Lucky Man“ von Emerson Lake and Palmer gesungen und das faschistoide „Alle meine Entchen“ strikt abgelehnt!

Und da in mir noch allerhand vom alten Widerspruchsgeist übrig ist, hätt‘ ich nun gern eine Courths-Mahler-Laudatio verfasst: Die Poetin von der Unstrut! Die Fontanessa! So ungefähr.

Aber ach – schon auf den ersten Seiten: Baron von Gerlach auf Gerlachsheim… reitet mit seinem Begleiter einen halsbrecherischen Hochgebirgspass hinab, um schneller „ans Meer“ zu gelangen als die übrige Jagdgesellschaft. Mädchen und Kartographie! Ein totsicherer Spaß im Geo-Unterricht aller Generationen!

Gerlach auf Gerlachsheim. Das ist so scheiße erfunden, dass es wehtut. Warum nicht „von Lehmann“, Erbauer des St. Lehmann-Palais von Knistermeckelfingen (am Meer). Ächz!

Das Gut Glossow neben Gerlachsheim liegt in einer Art Dornröschenschlaf. Das Herrenhaus ist verriegelt und verrammelt. Der Park wächst langsam zu. Aber ein treuer, uneigennütziger Gutsverwalter überwacht die Mehrung der Gutseinkünfte für eine entfernt beim Vormund lebende Vollwaise. Ob da Ackerbau oder Viehzucht unter seiner Reitpeitsche gedeihen, wird nicht erläutert.

Die von Glossows sind tot. Baron von Glossow ertappte einst seine holde, schöne Frau in den Armen eines anderen. Er schoss prompt, glaubte beide tot und erschoss nun sich. Allerdings hatte er nur seine Frau wirklich getroffen. Der Nebenbuhler hingegen genas von schwerer Wunde und schwieg seit her über die Umstände der Missetat.

Verwalter und alle sonstigen Untergebenen stellten der toten Gnädigen tadellosen Leumund aus – aber „diese Leute“ fragt ja keiner.

Alles, was interessant gewesen wäre, wird nicht erklärt. Alle Figuren verhalten sich wie Kinder, die „Erwachsen sein“ spielen, also märchenhaft schlau oder dumm, damit die nächste Verwicklungsstufe reibungslos und überraschungsarm gezündet werden kann.

Die 10jährige Tochter Sanna von Glossow durchleidet nun ein Rapunzel-, Aschenbrödel-, Schneewittchen-Schicksal in Personalunion bei ihrem Vormund in Franken und geht schließlich als Frau von Gerlach aus allzu simpel gestrickten Wirren siegreich hervor. Jedenfalls sag ich das voraus.

Damit das aufgeht, ist Sanna, die abgeschirmte, bös bewachte, freudlos und freundlos aufwachsende, dann mit 21 umsichtig und klug. Dazu anmutig und brav. – Eine schöne, widerstandsfähige Kampfhenne oder aber ein naives Mälei wären wesentlich wahrscheinlicher gewesen. Und auch interessanter für den weiteren Ablauf.

Ihr Vormund, der weltfremde Professor Sanau, der ihr auf Geheiß seiner bösartigen Schwester die Jugend zur Hölle machte, wird von ihr nach zehnjähriger Pein freundlich zur Rede gestellt, erkennt seinen Fehler, entschuldigt sich und vertraut ihr sofort. Und sie nimmt die Entschuldigung an. Das Schaf! Die böse Tante kann ihn sofort wieder umdrehen.

Er widmet seine Zeit und einen Großteil seines Geldes einer „wissenschaftlichen Sammlung“. Knochen? Fossile? Völkerkundliche Relikte aus den Kolonien? Orden? Münzen? Man erfährt es nicht. Er hat auch nie Vorlesungen zu halten oder Studentenbesuch.

Sanna wird schließlich Frau von Gerlach. Gerlachsheim und Glossow werden zusammengeschmissen, also ist der Reichtum für kommende Generationen gesichert. Zuvor wird der Ruf ihrer Eltern posthum wiederhergestellt, denn jener ehemals schwerverletzte Strolch beichtet alt geworden auf dem Sterbebett, dass er Frau von Glossow gegen ihren Willen verführen wollte, als Herr von Glossow hinzutrat und keine Erklärung abwartete. Peng! Amen. Jedenfalls scheint es mir darauf hinauszulaufen.

Im Stillen hatte ich gehofft, Frau Courths-Mahler möge sich irgendwie zwischen Spielhagen, Heyse, Wolzogen einreihen lassen – aber nein. Die Unterschiede sind zu gewaltig. Jedenfalls, wenn ich allein von diesem Werk ausgehe. Aber eventuell ist „Das Drama von Glossow“ ja ihr „Open your eyes- Album“? Yes-Fans wissen, wovon ich spreche. Dann hieße es also ihr „Close to the edge“ noch zu finden?!

Mildernde Umstände möchte ich im Angedenken an die gelungenen Verfilmungen nämlich trotz aller Lesepein walten lassen: „Das Drama von Glossow“ stammt aus dem Krisenjahr 1919; als Frau Courths-Mahler stattliche elf 300-Seiter hervorbrachte. Sie schrieb wie am Fließband, weil schon da die Verelendung und die beginnende Inflation zuschlugen. Vermutlich hat auch sie durch das Zeichnen von Kriegsanleihen seit 1914 eigene Ersparnisse „in den Sand“ gesetzt und sah sich gezwungen – auszugleichen.

Von den 5 verfilmten Romanen stammen 4 aus früherer Zeit, als sie pro Jahr höchstens 5 Romane schrieb. Eventuell versuche ich es in ein paar Jahren nochmal mit „Bettelprinzess“ oder „Griseldis“, den beeindruckendsten beiden. Es heißt nicht umsonst: Das Buch ist IMMER besser als der Film! Also pfleg‘ ich treu ein Hoffnungspflänzchen. Sie ist schließlich aus Nebra!

9 Gedanken zu “Die Hedwig und ich

  1. Ich las vor ein paar Jahren ohne Reue ihr „Durch Liebe erlöst“, und ebenfalls ohne Reue von der Marlitt „Das Geheimnis der alten Mamsell“ und „Die zweite Frau“. Ach ja. Wahrscheinlich erwartete ich Schlimmes – und dann war es so schlimm nicht.

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    • Da fällt mir ein, dass ich mit so 16 oder 17 auch schon mal an irgendwas von der Marlitt gescheitert bin. Titel vergessen. Nur wenige Seiten geschafft. Ich weiß noch, dass ich es gleich nach Karl Mays „Ölprinz“ lesen wollte, weil es eine Borgung vom gleichen Spender war. Das ging damals schon nicht und ich gab auf. Die „Bettelprinzess“ liegt auch als Buch hier. Aber ich werd den Teufel tun und die jetzt lesen! Nee, erstmal muss wieder was Brauchbareres her. Mal seh’n.

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      • Versuch’s mal mit der neuen Ulbricht-Biografie von Kowalczuk. Da arbeite ich mich Stück für Stück seit einigen Wochen durch und lese zwischendurch immer mal was Anderes.

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      • Ui. Härtetest! Hach, nee danke. Dachte ja eher dran, es mal mit was vom Houellebecq
        zu versuchen. (Wie einer mit DEM Namen berühmt werden konnte, ist auch ein Rätsel.) Aber ich vermute mal, das könnte der nächste Reinfall werden. Vermutlich wirds bei ner Zweitlektüre enden: Spielhagen, Storm, Hesse…Männer, die das Schreiben verstanden. Ne Heysepause is’nu auch mal fällig.

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