Robbie Robertson (1943-2023)

In letzter Zeit ließ ich einige rockgeschichtliche Abgänge unkommentiert. Bei diesem hier geht das nicht. Seit 1987 gehört er zu meinen musikalischen Hausgöttern. Während Bowie verblasste und Neil Young sich Stück für Stück erst nach vorn rocken musste, blieben Ian Hunter und er meine Konstanten.

Die Medien feiern ihn für die falsche Etappe seines Schaffens. The Band.

Na gut. Die erfanden immerhin „Americana“, jenen immer irgendwie angesoffen wirkenden Musikstil der Hobos. Erfrischend unperfekt, so als könne das jeder spielen. Natürlich nicht! Es steckt schon ein enormes Maß an Intuitionstraining dahinter, seine Einsätze immer so improvisiert richtig zu erahnen. Klar. Aber mal der Reihe nach:

Robbie Robertson, der letzte der Mohikaner, 1943-2023, wurde in Toronto geboren, heißt es. Mutter Mohikanerin. Zum Vater keine Angaben. Aufgewachsen im 6 Nations Reservat, Kanada. Dort Gitarre gelernt. – Zeitsprung – „The Band“ gegründet, die Dylan auf „blonde on blonde“ begleitet und auf der Rolling-Thunder-Tour. Von 1968 -1978 auch ohne Dylan als The Band Platten gemacht. Und 1978 das „Last Waltz“ Filmprojekt durchgezogen. Ein Welterfolg – unter falscher Prämisse, deucht mir heute.

Film und Album wurden gefeiert: Stafettenlauf amerikanischer Superstars! Großartig!

So ging es auch mir. Seinerzeit das Album fast komplett im Radio „erbeutet“. 1983 den Film nun auch im DDR-Kino sehen können! Applausintervalle vom Kinopublikum. Das Filmplakat im nächtlichen Leipzig von einer Holzfaser-Bretterwand klauen. Denn seit der Fahne Taschenmesser mit Korkenzieher und Holzsäge „immer am Mann“. Raumteilerlein friemelt in tagelanger Feinarbeit Span für Span von der Rückseite ab, damit es wieder Poster wird – und von Stund an in unserer Studentenbude von der Wand glotzt.

Aber ist das ein Film der Heldenverehrung?

Robertson macht 1978 kein Hehl aus seiner Meinung: Es ist genug! Genug des Kiffens und Koksens und nervtötender Dauerwiederholung!

Und das zeigt auch der Film! Wir hatten anno 83 noch nicht „Sehen gelernt“.

Der Last Waltz ist ein Abgesang auf Woodstock. Was da einst so freudvoll mit Schlammrutsche und „New Dawn! Revolution!“-Gedöns begonnen hatte, war 1978 ein Alptraum aus Alk&Koks.

Rick Danko stolpert glasigen Blickes auf die Bühne, dort muss er die Bierpulle erst mal abstellen, um zur Gitarre greifen zu können; was relativ taumelnd und unsicher geschieht. Neil Young wird in einem Zustand gezeigt, der Westpublikum 1978 zweifeln ließ, ob er 1980 noch erleben würde. Der Auftritt von Van Morrison entpuppt sich seltsam kasprig. Als Rhythmosleptiker macht er da den Herbert Dreilich. Nicht ganz Jagger, nicht ganz Waalkes. Vermutlich verdanken wir der nachträglichen Betrachtung dieses Auftrittes und einer gewissen Fähigkeit zu Selbstkritik seine spätere Bühnen-Starre.

RP DYLAN

Robertson lud auch Neil Diamond dazu, dessen „Beautiful Noise“ Album er produziert hatte – und der kommt als personifizierter Stilbruch im Edelzwirn mit dreistufig getönter Elvis-Brille zu dieser Hippie-Reste-Messe. Der Gipfel aber ist die Bobness – mit ihrem weißen Glockenhut, der auch zu jenen Poster-Ehren von Leipzig gelangte. Sowas trug meine Großmutter anno’61!

Routiniert wickeln sie alle ihre Kurzauftritte ab, um final dann gemeinsam ihre letztendliche Erlösung herbeizurumpeln: Aaaaaaah Shell bi – reliiii-hi-hi-hi-st.

Tja. Prost halt. Und fertig machen fürs nächste Snickers-Comercial!

Es folgten fast 10 Jahre Frührentnertum.

1988 erklangen dann jene Töne im Äther, die aufhorchen ließen. „Somewhere down the crazy river“. Wow! Wer ist das? Klingt die ganze Platte so?

Jugendradio DT64 will in „Duett“ die ganze Platte spielen. Die A-Seitenaufnahme gelingt. Das Band dahinter hat Platz für die B-Seite, die nächste Woche um dieselbe Zeit erklingen soll. Da ergeht ein Befehl: „Kollege B., ich würde Sie bitten, die Schule bei der Veranstaltung xy zu vertreten.“ Maximalschaden. Die Veranstaltung ist ein verzichtbarer Graus. Aber das „bitten“ ist reine Rhetorik. Also muss ich hin. Zuvor lade ich einen zuverlässigen Schüler zu mir ein, unterweise ihn in Spulentonbandbedienung, Uhrzeit von bis, und erlaubter Belohnungsmitnahme, die neben dem Radio stehen wird – und hoffe dass es gut geht. Denn die Wohnungsschlüssel braucht er auch – und ob er dann wirklich alleine oder als Clique anrückt – hängt sehr von den Umständen ab. Aber es sind noch idyllisch brave Mauerzeiten. Und es ist Dorf.

Ich sitze die Veranstaltung in Spremberg ab. Und denke zwischen halb und um Vier nur hoffentlich-hoffentlich-hoffentlich!

Nach der Rückkehr finde ich die Wohnungsschlüssel im Briefkasten, die Wohnung ordnungsgemäß verschlossen. Ich schließ auf und schau mich um. Die beiden Flaschen „Goldener Reiter“ (Deli-Bier) neben dem Radio sind weg. Radio und Tonband ausgeschaltet, die Spule voll. Gütekontrolle mit Bangen. Alles bestens! Erleichterung! Ich habe das komplette Album in sauberem Stereo!r.r.

Am nächsten Tag betritt die Klasse den Raum. Er grinst: „Danke“. Ich „Danke auch!“ mit demselben Glücksstern in der Pupille.

Mein Dylanplakat-Klaukomplize schreibt mir kurz darauf einen Brief. Das taten wir damals, in selig analogen Zeiten, oft! Wir hatten uns auch angewöhnt, obendrüber immer eine Mottozeile zu verewigen, bevor das obligatorische „Hi, Bludgy!“ erfolgt. Sein diesmaliges Zeitgeistlamento beginnt mit der Zeile:

„I don’t belief it’s all for nothing…“

Yeahr! Er hört wieder dasselbe wie ich! Ich schalte das Tonband ein, bevor ich weiterlese…

Damals gab es noch Leute, die dasselbe mochten, wie man selbst!

1988 entsteht der Film „Pow-Wow“, ein sogenannter Postwestern über Indianer heute, mit Geld von George Harrison und Musik des Robertson-Albums. Der erdige trancemäßige Drum-Sound der Scheibe passt wunderbar.

1991 erscheint die „Storyville“; von den Gazetten gefeiert. Und anschließend in unregelmäßigen Abständen weitere Werke der gehobenen Art. Die Indianereinflüsse nehmen von CD zu CD zu.

Die ersten 5 sind in Gänze Meilenstein-Alben, die obendrein deutlich besser altern als Gabriel seine.

War das Debut‘87 an der Schnittstelle zwischen Peter Gabriel(Solo) und U2 angesetzt, so ist Storyville eine tiefsinnige Situationsbeschreibung des „Jetzt“;  stilistisch zeitgemäß zwischen Neil Young und Neville Brothers, deren „Brothers Keeper“ Album gerade für Furore sorgte.

„We are marching on a nightparade“ … „Go back to the woods“(Menschheit) … we can’t go on livin‘ in chains, lets break the rules of the game… keine Kampfhymne, kein Wutschrei, Resignation.

Auf Album Nr. 3 geht es auch thematisch um indianische Werdegänge. Walela werden hier einbezogen, das Frauenbandprojekt der inzwischen altersweisen Rita Cooligde. Bezeichnenderweise ist es das am wenigsten beachtete Robertson-Album. Wie überhaupt die bisherigen Nachrufe das Indianerthema aussparen.

1993 feiert CBS 30 Jahre Dylan Plattenvertrag – wieder mit einer Superstargala ala „Last Waltz“. Natürlich ist auch die „Band“ dabei. Oder was davon noch übrig ist. Ohne Robbie Robertson. Er ist bei Geffen und soll über das Angebot einzusteigen nur mitleidig gegrinst haben. Ein Abklatsch verklärter Zeiten.

Robertson aber verklärt nicht. Er reflektiert seine Zeit als Dylan-Kapellmeister und Warhol-Orgien-Verweigerer anschaulich auf der „Clairvoyant“.

Clapton war das wohl zu hoch. Eigentlich hätte es so ein Clapton&Robertson Album werden sollen, wie das mit J.J.Cale oder das mit B.B.King. Aber Robertson wollte nicht zurück in die „The Band-Vitrine“. Clapton schmiss hin; überließ ihm aber seine Soli auf 3 Songs.

Und so traust du deinen Ohren nicht, was auf der Platte alles rüberkommt. So kritische Rückschau auf jene verklärten Zeiten des „Alles geht!“ war nie!

„Wir glaubten, dass wir die Welt verändern, den Krieg beenden könnten. Neue Zeiten würden kommen; Gott zurückkehren – aber die Nacht war jung.“

Passt. Die Revolution erstickt im Salon. In der Playboy Mansion. Oder bei Letterman. Ganz Lateinamerika bekommt seine Juntas, mit freundlicher Unterstützung eines Geheimdienstes mit 3 Buchstaben. Erst Biowaffen, dann Neutronenbombe. Stellvertreterkriege mal hier mal da… Lass sie über Blümchen schwafeln, während die Kassen klingeln.

Radioerinnerung aus den 90ern: „Hendrix ist nun auch schon 25 Jahre tot. Wo wäre der, wenn er noch leben würde?“ – „Drei Zentner schwer, Halbglatze und Special Guest bei Phil Collins.“ Autsch!)

Weiter mit Robertson auf der „Clairvoyant“:

 „Warhol reitet ein mit seiner Kamarilla. In die Hotel-Lobby, erwartet seine Mitternachts-Muse. Aber die kommt nicht. Ist in der Vorstadt und hört dort Blues.“ … „Wir waren immerfort bereit, den nächsten Fehler zu machen.“…

Da kannte einer seine Indianer-Gene – und war auf der Hut in Sachen „Rausch“. Zum großen Glück für uns. Sonst wäre dieses beachtliche Spätwerk ab’87 nie entstanden.

Vom kleinen Reservatsklampfer über den eher weißen Americana-Rock der Band und die Tin Pan Alley Tribute des Neil-Diamond-Albums zu den Prärieklängen der späten Soloalben.

Ein Kreis schließt sich.

Gestern.

Schlaf gut, Häuptling!

In meinem Player lebst du weiter!

Do you know what I mean?!

2 Gedanken zu “Robbie Robertson (1943-2023)

  1. Ein traurig schöner Nachruf auf Robbie Robertson.

    Sein „Spätwerk“ kenne ich nicht. Music from Big Pink riess mich nicht sonderlich vom Hocker. Die einzelnen Musikanten. Robertson, Danko, Helm oder Manuel tauchten immer wieder mal auf anderen Produktionen als Gastmusiker auf. Dann die Basement Tapes. „Legendär“ damals vielleicht eher deshalb, weil man erstmal an das Bootleg kommen musste. Und als es auf dem Plattenteller lag: bis auf wenige Stücke eine matte Sache. Für mich war diese Band abgehakt.
    Aber vielleicht sollte ich mir probehalber einige Stücke von Robertson solo anhören.

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