Old Men’s Music (4)

Gute 12 Jahre her, dass ich auf diese Platte stieß. Nach einer Zeit der heftigen Rotation im Player geriet sie dann aber doch „an den Rand“ des Archivs – bis neulich. Das haben manche Alben so an sich: Gefeiert und (fast) vergessen zu werden – aber dann doch wie ein schlafender Virus zurückzukehren ins Bewusstsein.

Billy Joe Shaver (1939-2020) –

  • hat diesen filmreifen Lebenslauf, der so gar nicht 08/15 ist.

Je mehr du recherchierst, umso interessanter wird’s. Lassen wir in selber erzählen:

bjs1Nun bin ich doch tatsächlich 81 geworden, bevor der Sensenmann kam. Das war nicht zu erwarten. Es gab Zeiten, da dachte die Family, ich werde der erste sein, der abkratzt. Nun sind sie alle vor mir fort. Und ich mach das Licht aus.

Schon 2 Monate vor meiner Geburt hätte es mich erwischen können.

Mein Vater war dieser Typ „Schrank“, bei dem jedes Mädchen von „Anlehnen & Schutz suchen“ träumt. Aber er war halb Franzose und halb Indianer. Das heißt: Er soff, aber er vertrug nix.

Eines Tages an diesem Wasserloch in der Prärie packte ihn wiedermal seine halluzinierende Eifersucht und er schlug meine Mutter halb tot. Er zog davon und ließ sie liegen.

Ein Mexikaner fand sie und flickte sie zusammen.

Ihrem Bauch war irgendwie nichts passiert, ihrem Kopf umso mehr.

Vater liebte sie nicht, deshalb liebte sie mich nicht – Frauendenke eben.

Einige der größten Musiker des 20. Jh. hatten ein Mutterproblem:bjs2

Das bringt dich erst in tune, würd’ ich sagen: John Lennon, Ozzy Osbourne, Ian Hunter und nicht zuletzt Elvis… ich bin in guter Gesellschaft, so rum betrachtet.

Großmutter zog mich auf und erzählte mir vom Wasserloch. Das ermöglichte mir, meine Mutter trotzdem zu lieben.

Oh man, kannst du dir ausmalen, was es für mich bedeutet hat, als ich zum ersten Mal „a boy named Sue“ von Johnny Cash hörte? Oh man, SO möchte ich mal meinem Erzeuger begegnen! Ich würde ihn zusammenfalten nach allen Regeln der Kunst!

Cash war der große Bruder, den ich nie hatte. Ich hörte seine Songs und ich schrieb welche, aber ich ging nicht auf Tour. Noch nicht. Lange nicht. Ich ging arbeiten und trinken wie alle. Aber da war immer das Wasserloch in meinen Gedanken. Selbst im Suff hatte ich Angst, dass sich alles wiederholen könnte.

So heiratete ich meine Frau 3x.

Das erste Mal aus Liebe, aber wegen der Trinkerei – Divorce.

Das zweite Mal, weil sie schwanger war – aber das Baby nervte und irgendein Teufel gab mir den Zweifel ein – isses überhaupt von dir?

Das dritte Mal auf dem Totenbett; 1999; keine 6 Monate später hatte sie der Krebs besiegt.

Nach der zweiten Scheidung hatte ich die Stadt verlassen; auf immer – dachte ich.

Im Sägewerk hatte ich 3 Finger verloren. Naja, ich übertreibe, zweieinhalb. Rechte Hand. Die hält nur das Plektrum. Wenn es mit der Musik noch was werden sollte, dann jetzt oder nie.

Ich zog herum in Texas. Und sang hier für ein paar Dollar und dort für ein paar Bier umsonst.

Und irgendwo bei den Ölfeldern im Norden klampfe ich so vor mich hin, als zwei Limousinen vorfahren: The Big Waylon Jennings mit Gefolge setzt sich zum Feuer und hört die ganze Nacht lang zu. Spendiert Zigarren und labert, was alle labern: See you later blabla gonna make a record together blabla … und fährt wieder ab.

Sechs Monate später hatte ich die Schnauze voll zu warten und war sowieso in der Nähe von Nashville. Also hin zu seinem Haus. Kreuz durchdrücken und direkt in die Augen: „Was ist nun mit deinem Versprechen von’ner Platte?!“ Ich bin einen Kopf größer als er, Statur des Vaters, you know, das macht Eindruck. Er kuschte. Wir nahmen „Honky Tonk Heros“ auf. Alle Songs von mir. Waylon hatte mir den Tipp mit dem Konto gegeben. Ich hatte bis dahin keins, aber „die Firma wird Geld überweisen wollen“, also gründete ich eins – mit 5 Dollars!

Ein paar Wochen war die Platte draußen und ich guck auf mein Konto -!-!-! Da beschloss ich spontan Old Waylon zu mögen!

Ich war Mitte 30 und von nun an ging es los.

Ok, nicht in der Cadillac Liga. Ich kam mit durchschnittlicheren Autos aus. Immer eins nach dem anderen. Ich bezahlte bar und ohne Raten.

Waylon sang meine Songs, Elvis hörte ihn im Radio und wollte auch welche. Schreib’nen Song für den King und du hast ausgesorgt! Kristofferson, Guy Clarke kamen auch an – obwohl die doch auch selber was hinkriegen. Die 70er liefen gut, Mann!

Ich traute mich wieder heim, anfang der 80er. Nach langer Zeit. Die ersten Haare schon grau.

Ich traf Brenda wieder. Und neben ihr dieser Typ. 18 Jahre alt und sah aus wie ich – mit 18.

DEN konnte ich nicht verleugnen. DER musste von mir sein!

Und er konnte GITARRE SPIELEN!bjs3

Er zog mit mir. Liebe auf den ersten Blick eben. Brenda blieb heulend zurück. Das Leben ist hart. Wir gründeten eine Band. Ich war 45.

Shaver rockt! Das sprach sich rum! Der Umsatz meiner eigenen Platten stieg. Ich lebte nicht mehr nur von den Tantiemen der Songs für die anderen. Mein Sohn hatte goldene Finger und den Kopf voller Melodien. Ich brauchte ihm nur noch Texte hinlegen und am nächsten Morgen, war’s‘n Song. Manchmal auch andersrum: Er nahm ein paar Gitarrenläufe auf und ich hörte das Zeug und die Worte kamen wie von selbst.

Wir leisteten uns ein kleines Studio.

Ich ein Auto.

Er ein Auto

Ein Auto für Brenda…

Die 90er liefen noch besser als die 70er.

Ich nahm die „Honky Tonk Heros“ noch mal selber auf. Es ist schließlich mein Baby! Naja, hätte nicht sein müssen. Die anderen Alben aus den 90ern liefen besser.

Aber mein Sohn hatte nicht nur goldenen Finger, sondern auch’nen goldenen Arm, you know? Und da floss heimlich, still und leise immer mehr Kohle rein.

Ich wusste es. Ich sagte auch mal was. Aber nicht viel. Jeder muss seinen Weg gehen.

Darf ein alternder Säufer einem Junkie seinen Stoff verbieten? Ich hoffte einfach, dass es gut geht. Aber es ging nicht gut:

1999 starb meine Mutter und „Brandy“ bekam die Krebsdiagnose. Es wurde ein Scheißjahr.

Im Herbst starb sie. Der Junge steigerte die Dosis.

Das neue Jahrtausend stand vor der Tür. Am Neujahrsmorgen 2000 fand ich ihn, als ich ihn wecken wollte… Es war aus. Er wollte nicht ins neue Zeitalter. Er wollte bei seiner Mutter sein.

Warum müssen Gitarristen so viele Bänder hinterlassen? Ich saß davor und hörte. – Und hörte. Und schrieb wie unter Zwang. Als ich die Songs fertig hatte, wachte ich mit all den Schläuchen in der Nase und am Arm auf. Intensivstation. Schlaganfall. Bypass-OP. 1999 war eben mehr als ein ordentlicher Mann verträgt. Aber „the earth rolls on“ war fertig. Die Vermächtnisplatte meines Sohnes. Und ich dachte auch meine.

Aber dann ging es doch irgendwie weiter.

Gott hat mich damals am Wasserloch verschont, weil er wollte, dass ich diese Songs schreibe.

Weil ich ehrlich von mir singe. Und weil so viele Leute etwas von sich darin wiederfinden. Keiner lebt MEIN Leben. Aber jedes Leben ist mal hart und mal geht’s wieder.

In die Country Music Hall of Fame haben sie mich nun aufgenommen – lange haben sie gebraucht! „Wenn Shaver singt, klingt es, als ob jemand mit dem Stiefel auf dem Schwanz seiner Katze steht…“, haben sie über mich geschrieben. Und wenn schon. Ich hinterlasse mehr Songs als Hank Williams!

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Johnny Cash ging voraus. Waylon ist tot. Nun hat’s mich auch erwischt.

Ol‘Willie is‘ noch unten. Es lief lange; unser Duell – Nelson gegen Shaver. Er gewann.

Hab Brenda und den Jungen wiedergesehen. Ein Familyman zu sein, hier oben, ist leicht; Brenda lacht viel.

Hier oben kann ich ja nun nicht mehr weg.

7 Gedanken zu “Old Men’s Music (4)

  1. Gute Idee, den Akteur sich selbst vorstellen zu lassen. Das werde ich mir merken.

    Schade um den Sohn. Seine Slide ist vielleicht nicht Ry Cooder (den ich ohnehin für überschätzt halte) aber den Vergleich mit J.J. Cale hat er sicherlich nicht scheuen müssen. Seine Soli bei einigen Nummern (z.B. Oklahoma Wind) sind wirklich beeindruckend. und schaffen es locker, den Rhythmus auf der dünnen Linie zwischen Galopp und dem Peterbuilt Diesel schwingen zu lassen.

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    • Ui! Danke. „Tramp on your street“ – die kannte ich bisher nicht. Wegen „Oklahoma Wind“ gesucht und gefunden. Und das beste am „Oklahoma Wind“ ist die Indianer-Flöte! Genau die Tonart von meiner, yeah. Ja, wieder was für die Wunschliste, weil ich mich gerade in so ein Alternative Country Revival hineinbeame.
      „If I give my soul“ ist geil auf Anhieb!

      Ry Cooder. Ja, da sachsde wat! Das will bei mir auch nicht klappen, den für wichtig zu halten. Irgendwie zwar nicht schlecht, aber dann doch nicht der, für den man Geld ausgibt.

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