Harmonische Vorweihnachtszeiten, jetzt – wo kein beruflicher Schuh mehr drückt, lassen einen abtauchen in ferne Jugendzeiten, in denen die Vorweihnachtszeit ebenfalls keinen Stress kannte. Vorfreuden, Jahresrückblicksendungen im Radio, frühe Dunkelheit im Zimmer, die die Musik so vom Tonbandaltar an die Mansardenwand geworfen, sakral wirken ließ – selbst wenn es sich um die „giv’em enough rope“ handelte.
Ein Kokon der Gemütlichkeit.
Die Jahresrückblicke der Moderatoren, speziell von NDR2, ermöglichten, verpasste Highlights nun doch noch auf Kassette (später auf Spule) zu erbeuten.
Youngsters haben keinen Begriff mehr davon, wie relativ wenig Rockmusik in den 70ern im Rundfunk lief. Und wieviel Sendezeit dann davon mit Abba und Bay City Rollers verplempert wurde, statt endlich was von Kiss, Blue Öyster Cult, Eloy, Genesis, La Düsseldorf oder gar Konterbande von Pannach + Kunert zu spielen!
Am Jahresende war das anders: „Hits die keine waren!“ – „Wiederentdeckt!“ – „Das Jahr – neben der Spur“ usw. hießen dann die Sendeschwerpunkte im „Club“ bisweilen, oder aber Moderator X oder Y spielte frei Schnauze das, was er wirklich gut fand, während er übers Jahr gehorsam so getan hatte, als gäbe es nichts besseres als Billy Joel (naja) oder Toto (ürgsel).
Was von damals übrig bleibt, ist die Lust aufs Rückschau halten. Und da Radio ja inzwischen DERart uninteressant geworden ist, dass ich aus den letzten 10-15 Jahren keinerlei Top-Hits mehr zuordnen könnte, bleibt mir nur, mich auf mich selbst zu besinnen.
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Was ließ ich 2022 mehr als 3x an meine Ohren?
Wer stellt das „Heilige Dutzend“ von 2022 in „Bludgeon House“?
(Die Nummerierung ist keine Platzierung oder Wichtung der Wertschätzung.)
Das Jahr begann mit Doro. Die orangene Platte ohne Namen von 1990 zog hier ein. Geschlossener und kräftiger als „Force Majeure“ von‘89, aber das hab ich damals nicht so gesehen. Damals kaufte ich nur die „Force Majeure“ auf Vinyl und war begeistert von der Coverversion von „a whiter shade of pale“. Wow! Sowas fehlte auf der orangenen. Deshalb ließ ich sie einst im Laden. Fan wollte ich ohnehin nicht werden. Zumal auch auf der „Force majeure“ auffällt, dass ihre eigenen Songs in der Güte nicht mit dem Klassiker mithalten können. Der bleibt schon deutlich Übernummer. Der Rest is‘ halt normaler Hardrock. Metal würde ich das nicht mal nennen wollen. Und Metalhead war ich schon damals keiner. Aber sie lief gut durch. Mehr davon!
Bis ende 2019 wurden es 4 CDs, dann lagen hier Doro-Tickets herum, weil ,,die Queen of Metal“ eigentlich 2020 im Herbst vor der Haustür gastieren wollte. Aber: Corona. Aus November 2020 wurde November 21 und nun fand endlich das Konzert statt, auf dem ein Fluch lag: Ursprünglich wollte ich mit meinem Bruder hin, aber 2021 trat bei ihm ein Ereignis ein, das ihn verhinderte, vorbeizukommen. Also sprang meine Tochter ein, obwohl „die alte blonde Frau, die schreit“ nun überhaupt nicht ihr Ding war – und drittens mussten wir „aus Gründen“, die nicht an Doro lagen, auch noch vorzeitig weg. Das war also nix. Und deshalb Nachbereitung nötig. Diese Pleite sollte nicht das letzte sein, was ich mit Doro verbinde – und so wurde 2022 zum Doro-Jahr. Erst die wiederveröffentlichte Orangene angeschafft und heavy rotieren lassen. Dann sowieso eine Art von Hardrock-Renaissance abgehalten und Auto-Sampler konzipiert, auf denen sie reichlich vertreten war – und schließlich per Flohmarktfund noch die „Force Majeure“ auf CD erbeutet: Perfekt.
- Apropos „Alte Frau, die schreit“: Das bringt mich auf Heart! Ann Wilson! Zu denen schrieb ich unlängst ja ein ganzes Ranking (hier) und ganz, wie dort bereits geahnt, hat sich nun die „Beautiful broken“ stetig nach vorn gespielt: Herrliches Zeug. Herrliches Konzept – diese Wiederauflage von Songdiamanten ehemaliger Flop-LPs in neuem Gewand. Nur eine Graupe: Der Titelsong. Eine Zusammenarbeit mit Metallica. Ächz. Ich brauchte noch NIE eine Note von denen!
Lou Reed erlitt eine volle Bauchlandung, als er ausgerechnet in denen die großen Überrocker zu erkennen glaubte, und sein letztes Werk „Lulu“ nun mit Leuten einspielte, die keine Songs schreiben können. Ann’s Stimme wirkt völlig deplaziert in dem Gerummse. Glücklicherweise ist es der Opener. Man starte die CD mit Track 2, dem wunderschönen „Two“, unüblicherweise von Nancy gesungen, und „I don’t care, what they say, about us, when we walk away…“ schmeichelt sich ins Ohr! Hach. – – – Seufz.
Alle anderen Tracks haben die übliche Heart-Note: Led Zeppelin in weiblich. Pathosstreicher und virtuose Halbakustische bzw. auch mal Sitar oder Klavier auf orchestral düsterer Grundierung. Die Heavyness kommt vom synchronen Bass/Schlagzeug-Sound. Kashmir- In the light- Stairway to heaven Style. Wun.Der.Bar!
- Soweit die „Damen-Bands“, obwohl auch die nächste Truppe Frauen im Bestand hat, wenngleich nicht als Chefin; und im Unterschied zu Ann und Doro schreien die nicht, sondern singen richtig: Die Rede ist von -!-!-!- der Kelly Family. – (Vor meinem geistigen Auge sehe ich nun einige meiner Stammleser sich die Hände vors Gesicht schlagen, oder grinsend den Kopf schütteln: Kann das wahr sein? Der – und die Kellys? – Ist mir das peinlich? Nö.) Im Ernst. – Die haben sich ihre Erwähnung im „Soundtrack 2022“ redlich verdient! Die 6 unberühmteren Kellys sorgten mit ihrer 5-Teile-RTL-Doku für DAS TV Highlight des Jahres im analogen Normalo-TV. So einen sehr gut aufbereiteten Seelen-Striptease hat es bisher noch nicht gegeben. Und es war nahezu ein Glück, dass Angelo und Patrick fehlten. Somit gab es unter ihnen keine Stars, sondern alle Verbliebenen kamen paritätisch zu Wort, ergänzten einander, stritten sich, wenn sie sich unterschiedlich erinnerten, erklärten nachvollziehbar ganz-ganz viel Hintergrund zu einzelnen Songs oder Schlagzeilen von damals. Man erfuhr, wie sie durch die Länder geschleudert wurden, wer wo geboren wurde. Jeder von ihnen favorisiert ein anderes als Heimat, jeder von ihnen erlitt sein Jugendtrauma woanders. Wie knapp das jeweils war, dass die Kinder ins Heim hätten kommen können! Der Tod der Mutter, die überforderten großen Töchter Kathy und Patricia als Ersatzmütter, Joey als der unmusikalischste, aber technisch begabte Bus- und Kutter-Reparateur; die Rolle der DDR als Karriere-Booster…
In unserem kurzen Darß-Urlaub erwischten wir eines Abends im Hotelzimmer-Fernseher den 2. Teil der Doku per Zufall. Folge war, dass wir die folgenden drei nicht verpassen wollten, was auch gelang. Die Folge davon wiederum war, dass die Mit90er plötzlich wieder sehr präsent waren. Damals gingen die Kelly’s gerade so richtig durch die Decke, als Teenie-Phänomen. Ich war zwar Mitte 30, aber Dompteur einer ziemlich übel zusammengesetzten 8. Klasse: 4 oder 5 gesittete, sehr stille Jungs; aber 20 schwer pubertierende, weibliche Kaulquappen, die das Sagen hatten. Wenn halt alle Synapsen kollapsen, dann sagt der Größen- und Verfolgungswahn ahoj! Gottlob knapp vor dem Handy-Zeitalter. Die mussten sich noch live anmobben. Mit 14 biste einfach auf dem Zenit. Aber der Kelly-Taumel hatte die voll erfasst. Genauere Kelly-Kenntnis – somit eine Frage des Überlebens. Das gelang immerhin. Das Konzert in der Westfalenhalle auf VHS wurde Pflichtprogramm. Gefühlt in allen letzten Stunden vor den Ferien. Verbiegen musste ich mich nicht. Mir gefiel das in echt! Das war so Rockpalast! Die Kelly Family war die letzte funktionierende Hippie-Kommune zu einer Zeit, als alle Zeichen sonst auf Techno und /oder Böhse Onkelz standen.
„1,2, Polizei, 3,4, Grenadier…“, ndz-ndz-ndz. Rockmusik schien wieder einmal dahinscheiden zu wollen. Englischer Rave lehrte dich das Fürchten; De la Soul Geblubber, Dr. Alban; Euro-Dance, „Agathe Bauer“ – doch dann wieder dunkle Kerkermauern, große Kerzenständer – blonde Mähnen über Piratenhemden und der eine oder andere Kelly Song. Verschnaufpause auf MTV. Uff!
Damals besaß ich die „Over the hump“ nur als bespielte Kassette fürs Auto. Reicht, dachte ich, sich das auf dem Arbeitsweg reinzuziehen. 2022 habe ich die „Over the hump“ nun auch auf CD. Was so’ne Doku doch mit einem macht! Reminiszenz an alte Zeiten. (Die Zicken sind mittlerweile mitte 40!) Time goes by.
- Bleiben wir in den 90ern. Ein Prince-Jahr war 2022 irgendwie auch. Die Hinterbliebenen fluteten den Markt mit allerhand Nachlass. Hendrix-Style, was die Leichenfledderei angeht. Aber immerhin blieb so der Name im Gespräch und ich sattelte auf: Die „Diamonds and pearls“ wanderte in die Sammlung, sowie die „Around the world in a day“. Letztere erwies sich als deutlich besser als ihr Ruf. Mit all den starken „Purple Rain“ Nummern im Ohr klangen die Radiokostproben des Nachfolgers um’85 herum ernüchternd dürftig. Fast gleichzeitig kam ja auch schon die „Parade“ mit dem genialen „Kiss“-Moment. Vergleichbares hatte zuvor schmerzlich gefehlt. Wenn du allerdings heute mal wieder irgendwo anderthalb Stunden Wartezimmerbeschallung hinter dir hast, mit all diesem logarithmisch zusammendesignten Jammer-Doodle des „Format-Radios“, dann kommt dir buchstäblich JEDE PRINCE-NUMMER wie eine göttliche Offenbarung vor! „Paisley Park“ ist unauffällig schön. Weil es seinerzeit ein paarmal im Radio lief, bringt es so Erinnerungen an Sade, Enya und den ungewollten, dann aber doch wichtigen, Chris Rea mit sich. Die Trost-Mugge der Verbannungsjahre. Und schließlich ist die Zeit reif und du entdeckst „The ladder“ auf der Platte, vom überforderten König(=Pop-Star) im Sündenpfuhl, der nur raus will aus allen Zumutungen:
„Jeder, wirklich jeder, sucht die Leiter, die Leiter die ihn rettet, raus aus dem Loch! /Und jeder Schritt des Aufstiegs, der wird schwerer. Doch wer ihn geht, merkt letztlich – lohnt es sich doch!“
Ein Durchhalte-Gospel par excellence! Mit „Jughead“ ein paar Jahre später, wird er sich selbst krass widersprechen. Er lernt, auch wenn du oben bist, werden sie dich ausnehmen wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans. Und so kommt er vom „Paisley Park“ über „sign of times“ in die Tafkap-Slave-Phase; aber er entkommt nicht – der Welt, die ihn umgibt und fordert.
City bemühten auf ihrer „Casablanca“ LP fast zur selben Zeit ein ähnliches Bild „davon“zukommen: Den Zaun, der dir die Möglichkeiten verbaut. Du resignierst, wirst faul und fett. Aber: „Irgendwo ist ein lockeres Brett!“ Zeitkapselsound. Sartre für die 80er. Feine Reminiszenz. – Die „Diamonds and Pearls“ lief aber heuer deutlich häufiger, weil mich darauf die Tracks, die seinerzeit keine Hits wurden, schwer beeindrucken konnten: „Thunder“ – was’n Ohrwurm! Das summst du dann tagelang. „Jughead“ including Kurzhörspiel über abzockende Manager als Brücke zu „Money don’t matter tonight“ gleich im Anschluss: Ein Nachtrag zur kritischen Botschaft von „Sign of times“, dem vorangegangenen Meisterwerk. Gelungene Überraschung auf so’ner Hitplatte.
Er wurde keine tragische Figur, wie Michael Jackson. Dazu wuchs er zu gesund auf. Aber schließlich stirbt er als schwarzer Elvis. Nicht so dick, aber auf vergleichbarer Karrierestufe. Der frühe, gerade noch rechtzeitige Tod rettete seine künstlerische Relevanz.
- Der musikinteressierte Rentner von heute guckt Reaction-Videos und so musikalische Stammtischsendungen a la Sea of Tranquility von Pete Pardo. Da gibt es mitunter herrliche Verrisse von sogenannten Kultplatten – und umgekehrt wirkt dann auch manches Lob aus Kennermund um so heftiger. Irgendwann nuschelte einer der Pardo-Kollegen was von Bornagger (oder so ähnlich) „…this is the kind of message, I would like to listen to – in nowadays.“. Ich machte mich in die Spur: „Bowlnäggrr“, Boulneggor, Bornikaw – gabs alles nicht auf juuutuub. Schließlich waren es Borknagar! (Warum müssen diese Amis immer nuscheln wie die Russen; als hätten sie grade’n Pfund Kaugummi in der Fresse!) Sehenswertes Video! Borknagar haben ein ganzes Album lang diesen sagenhaft dichten Flow! Alles aus einem Guss. Wie in nur einer Session erschaffen. Und du entdeckst bei jedem Hör neue Details. Eine Platte, die erforscht werden will. Sie klingen für mich irgendwie, wie tiefergelegte Status Quo („Quo“ und „On the Level“ in a heavy way); sehr viel tiefer gelegt! Wie das schon loslegt und dich wegfetzt – wie einst „Caroline“ und „Down down“. Bilderflut: Arnulf von Bayern stürmt das Lager der Normannen bei Löwen an der Dyll! Rums! Da taucht sofort wieder Roger Widmark als Wikinger auf. Drachenschiffe segeln gen Süd, zu suchen die „Mutter der Stimmen“! Der Gesang wechselt von Shanty auf hektisches Keifen, wenn die See tobt, dann auf Choral, weil sich die Nordsee, die Mordsee, beruhigt. Man hat die Elemente wieder im Griff. Trutz Blankehans! Und sie sind Rocker mit Köpfchen: Singen von Naturzerstörung, Erdenrettung usw. – Norwegen hat Borknagar. Deutschland hat Santiano. Hörst du den Unterschied? Die haben die Droge – wir das Surrogat. Ich werde das vielleicht nicht ewig mögen, aber DIESES Jahr war‘s GENAU DER Sound, den ich gebraucht habe. Zum Huna lesen: Helgi reitet wieder. Da kriegen die Walküren schwer zu tun! Großartig.
- Ähnliches gilt für das folgende Video: Wenn die schöne Wassilissa auf Braveheart trifft, aber der Hobbit-Drache sich als der Lover von der blauen Lagune entpuppt – dann bist du beim Lord-Siegelbewahrer des Dio/Blackmore-Erbes angekommen: Axel Rudi Pell – und seine Art an die „Gates of Babylon“ zu erinnern. „Macht hoch die Tür, die Tor‘ macht weit!“ – Grade jetzt zur Weihnachtszeit! Yeahr! Vor Jahren feierte ich seine „Black Wood Pyramid“, denn eine kleine schwarze Pyramide, allerdings aus Stein, steht tatsächlich irgendwo in Thüringen, darunter soll die „Dunkel-Gräfin“ beerdigt sein, die älteste Tochter der glücklosen Marie Antoinette von Frankreich, die aus Jakobinerhaft entweichen konnte. Stand in den 90ern im Spiegel. Eine DNA-Probe sollte Klarheit bringen. Über das Ergebnis jedoch erfuhr man dann nichts. Scheißjournalisten! Anfüttern und nichts zuende bringen! Immerhin blieb der Pell interessant. Und sein „Game of Sins“-Opus musste nun 2022 eben dringend in den Player.
- Von Pell zu Rainbow ist es nur ein kleiner Schritt. Die „Long Live Rock and Roll“ war mir immer die liebste. Nach „Kill the King!“ war mir oft genug zu Mute. Als Schüler in Chemie und Physik. Bei der Fahne. Im Studium. Und auch so manches Mal danach… Sie steht hier in Vinyl seit den Nachhol-Käufen Anfang der 90er. In diesem Jahr nun konnte ich die CD billig schießen, und da die Dame vom Kanal „Charismatic Voice“ eine lange Reihe Dio-Tracks abfeierte, die Sangeskunst erläuterte und dabei die unterhaltsamsten Grimassen schnitt, entstand hier automatisch so eine Metal-Mix-Revival-Lust, indem ich allerhand Doro/Pell/Rainbow/Dio Tracks zusammenrührte, noch bissel Kiss und Angel zur Entspannung dazwischen: Das bringt dich echt voran auf der Autobahn nach Hause – ins Saaletal der späten 70er! Back to the Gates of Bürgergar-ton. Uuuuuh – Naumbörgh Connection! See my Lady on the Lake!
- Wir bleiben im harten Metier. Eigentlich ist es ja Etikettenschwindel: Sie nennen sich die North Mississippi All Stars, aber sie klingen wie die Süd Louisiana Ramblers. Sie malen dir 1a Swamp Rock-Blues’n’Boogie an die Wand: Eins-fix-drei bist du nach 2 Akkorden in den Bayous kurz vor New Orleans, da wo einst das Dampferrennen der Digedags stattfand. Manchmal liest man Rezensionen, in denen der Schreiberling bei irgendeiner Band beklagt, dass alles „zu sauber“ produziert sei, dass der Dreck fehle, mithin die Streetcredibility. Soll vorkommen. —
Dreckiger als auf dieser Platte geht nicht! Verbrecher-Mugge right out of the Bush. Dort wo der dicke verschwitzte, einäugige „Nigga John“ auf der Ladeklappe eines platten, verrosteten 65er Ford-Pickup hockt und auf seinem Schoß eine Dobro, Marke Eigenbau, malträtiert. Brecheisen und Kugelfang zusammengeschweißt, sechsmal Angelsehne drüber – und ab die Post. Enkel of Bo Diddley ruggs! Mama Bess stellt die heiße Pfanne Ziegenkopfsuppe neben ihn. Er aber röhrt in den Krach „Ain’t fit to eat! Ain’t fit to eat! – Blow!“ Big Bloozee, der Schwager, rammt sich die Mundi zwischen die Zahnstummel – und verleiht dem Getöse den typischen Blues-Vibe, – Slave Rebellion Chant! Aber wir sind ja 2022: – Arm, verdreckt und vorbestraft, auf zusammengestohlenem Equipment herumschrammelnd, zeigen sie den Weißbroten von der Plattenfirma, was ne Harke ist. Denkst du jedenfalls nach Erstkontakt mit dieser Platte! Dann guckst du im Internet nach, ob es von DER Truppe Filmchen gibt. Und -schwups- haut’s dich lachend vom Stuhl! Denn – die „Ganoven“ sind weiß! Unfassbar! Lynyrd Skynyrt jynyor – sozusagen! Die hören sich schwärzer an als Joe Cocker! Absolut geile Mugge. Let the devil ride! Passt ja in die Zeit! (Bludgy feiert ein Blues-Album. Wer hätte das gedacht!)
- Ein Jon Anderson/Yes Jahr war 2022 auch. Die „Animation“ ist endlich da! Aber die hab ich ja sofort bei Erhalt ausgiebig gefeiert. Guckst du hier und hier.
- Meine Philly Liebe verführte mich, den Doppeldecker „Best of MFSB“ zu kaufen. Wenn du reichlich Philly-Sampler gebunkert hast, dann fehlt dir eben nur noch der: Die besten Tracks der instrumentalen Alben von damals. Wer jetzt ruft „James Last in schwarz“ – der fängt eine! Das Gamble&Huff Orchester begleitete sie alle, die damals ihre Hits landeten. The Three Degrees, die O’jays, Herold Melvin, Teddy Pendergrass, Lou Rawls… Die Leute dahinter, die diesen einzigartig warmen Walzer-meets-Blues-Sound erschufen, kennt bis heute keine Sau. 32 namenlos gebliebene Instrumental-Könner, die nun hier im Booklet auch alle mal genannt werden. Aber ich tipp die jetzt auch nicht ab. Wenn du so „Back Stabbers“ zum ersten Mal in Instrumentalversion hörst, dann treibt es dir ein Grinsen ins Gesicht: ooops, da steckt ja das spätere „Fly Robin Fly“ drin! Und -schwups- wird der Unterschied zwischen Philly und Disco deutlich. Original und Second Hand Verramschung.
- Mike Oldfield war oft im Player. Abends. Im Schlafzimmer-Blaster. Die „QE2“ ist genau DIE Platte von ihm, die du brauchst, wenn es Oldfield sein soll, aber eben nicht die „Tubular Bells“ oder die „Incantations“ – weit genug weg von den berühmten Themen, aber eben nah genug dran an seinem typischen Hausmarkensound. Es dämmert sich herrlich dabei weg.
- Das Dutzend voll macht Van, der alte Fensterputzer! Der alterslose Misanthrop, dem die „Zeit das Haar mit Zangen kämmte“ und der schon in den 70ern aussah und sich anhörte, wie ein nörgelnder alter Klempner, kurz vor Amok. An der Welt gelitten hat er immer. 2021 besann er sich in seinem „letzten Platten-Project“ auf finalen Klartext: „Ich sing euch was, von Dingen, die ihr gar nicht wissen wollt!“ 28 Schimpfkanonaden über den Zustand der Gesellschaft und vor allem der schreibenden Zunft, die mal 4. Gewalt hieß, vor langer Zeit:
„Sie schütten dich zu mit Details- but you never get wise.“
Klar gabs da einen auf den Deckel! Und nicht nur einen! Verrisse everywhere. Der Gottvater der Gemeinschaft arrivierter Alt-Hippies ab sofort in Ungnade. Die Weltverbesserer von einst wollen sich nun mal ihre Lebenslügen nicht achtunzwanzigfach unter die Nase reiben lassen.
Ich grins mir ins Fäustchen und sage: Thanx Mr. Morrison! Thanx für 28 Songgarben; viel Orgel & Geschimpf. Bludgy-Sound at its best! (Das zweite Bluesalbum, das ich dieses Jahr loben muss.)
Dann gieß ich mir ein Bier ein; der Morrison-Chor füllt den Raum. Es dunkelt vorweihnachtlich. Das Licht bleibt aus. Morrison erinnert mich an den alten Kulenkampff und seine „Nachtgedanken“ – kurz vor Sendeschluss. Weejste noch?! Ich erhebe mein Glas auf alle meine Helden, die sich den Mund verbrannten, denn SIE sind das Salz in der Suppe, die ohne sie nur lasche Plörre wär. Und natürlich auf Mr. Enlightenment himself:
„Still I’m sufferin‘, thats my problem.“
Hab das Geld für dein Album gern investiert, alter Herr! Neulich ging mir zusätzlich auf, wie nah du bei Sandow`89 bist und auch Renftens „Manchmal fällt auf uns ein Frost und macht uns haaaart“ würde als Inglisch Wörschn gut auf dein Album passen. – Bist irgendwie doch ein Ossi. Ost-Ire, du! Thanx a lot! Skol!
Good night Europe. Good Luck Hochkultur. Spotify kills you. Oder die Heizkosten.
Frohe Weihnachten!