Old Men’s Music (6)

Kleiner Versuch über eine Freundschaft, die SO mit Sicherheit NICHT stattgefunden hat – aber die es trotzdem gab.

Hawaii; Frühjahr 1961

Ein Drehteam abgeschirmt von der Öffentlichkeit an einem Strandstück der Ostseite der Insel.

Der arbeitende Teil der Crew ist heute zu Indoor-Aufnahmen für das Lokalkolorit unterwegs; Elvis hat Pause; lungert im Liegestuhl vor seinem Wohnwagen, liest ein paar Briefe von Priscilla, die er aus Deutschland nachkommen ließ; die aber nun über ihren Schulalltag in Memphis schimpft und ihn herbeisehnt.

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Da fällt ein zusätzlicher Schatten über den Brief. Er schaut auf:

„Oh!“ Er erkennt, springt auf und reicht dem Besucher die Hand:

„Mister Robbins. Welche Ehre.“

„Hui. Vom King so empfangen zu werden, das hat was!“, schmunzelt der geschmeichelt.

„Nicht doch, Sir. Nicht diese alberne King-Nummer.“

„Dann lass den Sir weg. Nun haben wir ja beide gedient.“

Elvis guckt verdutzt; grient dann aber sein schiefes Wiplash-Grinsen und schaltet um:

„Hi, Marty!“ Er zeigt auf den leeren Liegestuhl neben seinem.

„Hi Elvis! Na siehste; geht doch!“ Man setzt sich.

„Was verschafft mir die Ehre?“

„Heimweh nach den alten Zeiten des Rock&Roll.“ Es kommt zynisch raus.

Genauso die Erwiderung des King:

„Das glaub ich dir auf’s Wort.“

Beide lachen.

Marty: „Wohne hier seit einem knappen Jahr.“

Elvis: „Wow!“

„Nix wow. Fehlinvestition – für‘n Wüsten-Kid like mine.“

„Wieso?“

„Es gibt hier nix, was Spaß macht. Klar kannst du hier schönen Frauen auf die Beine gucken, aber das war’s dann auch. Nix Rodeo, nix NASCAR-Rennen-“

elMa2„Surfen.“

„Hör auf. Ich geh nicht ins Wasser, wenn ich nicht muss. Surfen is‘ was für diese Spießer-Schnösel.“

„Thanx a lot. Mache grade‘nen Kurs. Für die Rolle. Aber is‘ echt nicht leicht.“

„Sorry. Hast mein Mitleid.“

„Ich hab drauf bestanden, das selber zu machen. Aber dafür musste echt geboren sein. Ich ahne, dass ich doch auf ner Wippe im Studio ende und die Welle hinter mir wird gefaked.“

„Immerhin versucht. Jerry Lee hätte gekniffen.“

„Ha. Deinen ,Freund‘ haste nich’ vergessen.“

„Na und noch allerhand andre. Ab und an besuch ich den Cash. Die andern von damals können mir gestohlen bleiben. Der hat übrigens inzwischen auch so einen Indianer-Hack: Glaubt, er sei Comanche. Macht in Ahnenforschung**. Da wird über kurz oder lang auch so’ne Bruchlandung draus, wie dein „Flaming Star“ – Erfolg ist ein flüchtiger Freund.“.

Er macht ne kleine Pause. Dann fährt er fort:

„Ich hab‘ deine letzten Sachen gehört.“

Elvis: „Und? Was sagst du?“

„Du bist erwachsen geworden. Die Gospel-Idee war mutig.“5130648

Elvis grient wieder: „Yep. My first love! Es zahlt sich auch aus.“

„Sei dir gegönnt. Neidlos. Bei mir läufts auch.“

elMa1Elvis singt den „Hanging Tree“ an. „Ich weiß. Tolles Zeug. Ich wollte auch in die Richtung mit „Flaming Star“ und bin aufs Maul gefallen.“

„Ich weiß. Zu revolutionär. Du hättest dich unsern Leuten als Sklavenbefreier anbieten können; das hätten sie hingenommen. Aber die Halbblut-Nummer? Das war ein Schritt drüber. Indsmen – bleiben no-go.“

„In Deutschland wär‘ das gegangen. Die fahren da voll ab auf Indianer.“

„Mag sein. Aber die ham auch den Krieg verlor’n – wie die.“

„Yes Sir! – Äh. Pardon; war’n Rückfall.“

„Schwamm drüber. Jetzt drehst du was hier genau? Drama? Komödie?“

„Soll, wenn’s fertig is‘, „Blue Hawaii“ heißen; so ein bissel was von allem: Herz-Schmerz-Holiday- Spring Break. B-Movie. Spärlicher Etat, aber große Gewinnerwartung. James Dean II. werd‘ ich damit nicht.“

„Singst du in dem Film?“

Elvis stöhnt: „Ja, leider. Die Songs sind weitgehend Mist. Aber nach den beiden Flops mit guten Songs, meint der Colonel, dass nun mal wieder Geld reinkommen muss. Er hat das bessere Händchen.“

elma4„Ich hätte da was für dich.“

Elvis guckt leicht irritiert, blinzelt in die Sonne. Marty lässt die Katze aus dem Sack.

„Na, ich bin doch nicht hergekommen, um hier die Brandung zu bewundern. Hier is ne Mappe mit ein paar Songs. Ist nicht alles von mir. Ich dachte mir; jetzt, wo wir beide Veteranen sind und du erwachsenes Zeug recordet hast, bist du auch reif für ein paar Sachen von Freunden von mir. Da findet sich bestimmt auch was Geeignetes für deinen Film. Die wollten, dass ich das aufnehme; wo ich doch nu Hawaiianer geworden bin. Hab aber keinen Bock auf „Rock a Hula Baby“ und solche Sachen. Kannste dir ja denken. Da dachte ich an dich. Das soll der ,King‘ singen, so als Denkmalpflege gewissermaßen. – Die Schreiberlinge wären einverstanden.“

„Hm. Das musst du mit dem Colonel- “

„- Neee! Niemals mit Old Gatemouth! Das weißt du von damals noch! Ich rede mit dir von Mann zu Mann. Von Künstler zu Künstler. Deinen Laufburschen musst DU instruieren!“

Elvis guckt bedröppelt. Marty lenkt ein:

„Du bist die Goldgrube, die ER absahnt; nicht umgekehrt.“

„Ja, aber Flaming Star-“

„Quatsch nich‘-! Jeder erlebt mal Reinfälle. Der Fehler waren nicht die Songs! Der Fehler war der Plot*!“

Marty schlägt die Mappe auf, so dass Elvis die ersten Zeilen des ersten Songs lesen kann. Marty wartet und registriert die Wirkung.

Elvis hat sich wieder zurückgelehnt und liest. Er blättert nicht. Scheinbar liest er das erste Blatt immer wieder. Es dauert. Marty übt sich in Geduld.

„Das ..ist großartig. Wunderbar.“, vernimmt er schließlich.

Marty unterdrückt ein Grinsen.

„Dacht‘ ich mir.“

Elvis liest nun laut:

„Born in the heat of the desert
My mother died giving me life
Despised and disliked by my father
Blamed for the loss of his wife…“

Marty stiert versonnen in den Horizont und singt den Refrain leise an: „God gave me a mountain-“

Elvis, das Blatt vor sich, setzt ein:

„A mountain that I couldn’t clime!“

Der Refrain wird zum Duett. Als sie fertig sind, wischt sich Elvis über die Augen; er registriert den interessierten verständnisvollen Blick seines Gegenübers. Und somit verliert sich die Scheu für das Folgende:elvis22 4

„Genau so isses! Du sitzt in deiner Villa. Die Cadillacs im Garten vor der Tür; Big Ma werkelt in der Küche; du hörts es scheppern. Aber das sind eben Geräusche einer Hausangestellten, nicht Mutterns.  Weißt du? Mutter hatte so eine Eigenart. Besteckweitwurf. Sie schmiss das Besteck immer so donnernd ins Fach nach dem Abtrocknen. Aber Mum is gone; da is‘ niemand mehr, mit dem du herumflaxen kannst, deren Gesundheitsratschläge du veräppeln könntest. – Du stehst einfach an dem einen Fenster und guckst auf die Autos. Aber du hast kein Ziel; irgendwohin zu fahren. Dann stellst du dich ans andere Fenster und guckst dem Hausmeister beim Rasen mähen zu. Gott sei Dank hast du 6 Fenster – das dauert ne Weile. Aber der Mountain of time wird nicht kleiner.“

„Armer Hund.“, grinst Marty – voller Selbstironie.

Elvis legt prompt den Schalter um:

„Old Shep he is gone, where the good dogs all gone…“

Marty steigt ein…

Sie brechen lachend ab.

Elvis greift in die Kühltasche neben sich: „Was trinken?“

Beide nehmen Coke. Kein Alkohol. Der Väter wegen. Auch das ein Punkt, der verbindet.

Die Sache gelingt. Der Deal kommt zustande. Den Colonel zu überzeugen, war nicht so schwer. Der wusste schließlich, wer der Robbins ist und was der an Platten so umsetzt. Aber ausgerechnet der „Mountain of time“ fehlt auf dem „Hawaii-Soundtrack“ und muss lange warten, bis Elvis ihn aufnimmt. Er liest das Textblatt oft, summt die Melodie durch die Jahre; aber der Text geht ihm zu nahe. Er bringt ihn deshalb erst in der „Vegas-Phase“ der 70er auf die Bühne und für „Aloha from Hawaii“ 1973 endlich auch auf Platte; ausgerechnet hier kippelt die Stimme. Der Song ist Voodoo. Er sieht dann stets Mum vor sich, wie sie strahlte, wenn sie wiedermal einen Zeitungsartikel über ihren „Götter-Sohn“ gefunden hatte. Und das war es schließlich wert: Die Familie aus dem Elend geholt zu haben. Wenngleich auch jetzt die Erkenntnis längst gegriffen hat: It’s lonely at the Top.

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* Wir, hier in Europa, sehen das wirklich diametral andersrum. Der Film „Flaming Star“ von 1960 wäre ein guter, wenn man sich die Schnulzen wegdenkt. Der Titeltrack könnte sogar bleiben. Elvis als Halbblut zwischen weiß und rot in einem Indianerkrieg; thematisiert das Identitätsproblem und zeigt -noch kein vollständiges, aber doch immerhin sehr viel mehr- Verständnis für die Indianersicht als bisherige Western; kann als Vorstufe zu den Spätwestern gesehen werden, denen Marlon Brando wenige Jahre später Bahn bricht.

** Cash’s Album „Bitter Tears“ erscheint 1964; es enthält eine Songzyklus über Indianerbiografien und eine bittere Abrechnung mit der amerikanischen Vergangenheit; besonders deftig in „Custer“; einem Schmähsong gegen den Heldenkult, der um dessen Person -in völliger Verdrehung der Faktenlage- betrieben wird. Noch in den 80ern widmet Hollywood ihm ein verlogenes Filmepos.

Das Album enthält „Ira Hayes“; einen mittleren Radio-Hit; immerhin; in den etwas aufgeklärteren Zeiten nach Kennedy; aber tatsächlich wird es kein Hit-Album. Seine Comanchen-Abstammung-Idee scheint sich zeitgleich erledigt zu haben. Erst die Knast-Alben „Fullsome Prison Blues“ und „St.Quentin“ bescheren ihm den Superstar-Ruhm, den er längst verdient gehabt hätte.

Märchenwelten

Es war einmal…

…neulich im Roberto-Blog „Lebensnovellen“, als es um die Märchen ging, die uns weiterbrachten. Da wurde viel angerissen, worauf sich eingehen ließe: Die Rolle der Märchen in der frühkindlichen Erziehung/Prägung; die Rolle der günstigsten Vortragsart, Die Wirkung der Bilder in den Märchenbüchern, der „innere Film“ und die depperten Kulturvernichter-Glaubenskriege der Selbstgerechten.

Wo also anfangen mit dem Reagieren?

Auch in meiner Kindheit spielten Märchen eine Rolle. Aber eher wegen der Hörspielschallplatten und Karten-Quartette; wegen eines Bauklötzer-Puzzle-Mosaiks, auf dem für 6 Märchen Bilder geliefert wurden, wenn man die 20 Würfel richtig zusammenschob…

mä1aVorlesen funktioniert ja meist auf Wunsch des Kindes. Das Kind war ich. Und meine Wahl fiel klar zugunsten von Schnurz oder Ritter Runkel aus. Oder ich entschied mich für „Schnucki-Has und Miese-Mau“, „Osterhase Hyazinth“ oder „Knusperfein und Mopsegard“. Zeitlich versetzt kam noch „Hamster Krietsch“ dazu. Tiere waren also meine erste und einzige Gang, der ich je angehörte.

Der dicke Wälzer „Grimm’s Kinder-und Hausmärchen“ lag auch da; war aber von Klemke illustriert. Das lockte nicht.Mä1

Und da sind wir schon bei so einem Kinderbuchschaden meiner Zeit. Die toll illustrierten Immerwieder-Kinderbücher kamen von ungarischen oder tschechischen Verlagen. Die hatten dort verstanden, was Kinder zur Phantasiebefeuerung brauchen: Entweder möglichst niedliche Kuschel-Figuren mit denen sich lachen und weinen lässt; oder wirklichkeitsnahe Darstellungen in exakter Malweise. „Schnurz“ und „Ameise Ferdinand“ waren stets Bückeware. DDR-Buchillustratoren lernten trotzdem nicht dazu. Der DDR-Kinderbuchverlag hatte zum einen oft so einen an der Kollwitz geschulten Federzeichnungs-Kritzel-Stil seit den 50er Jahren nicht aufgegeben, der recht selten für das große „Bum!“ im Kinderschädel sorgte. Oder es war eben – Klemke.

mä2Kitschbunt. Pünktchen-Pünktchen-Komma-Strich-Gesichter. Für „künstlerisch wertvoll“ befunden, von den Erwachsenen, aber so leblos, so unwirklich für Kinder.

Wenn du als kleiner Junge Märchenplatten hörst, dann bist du der Prinz! Was anderes bleibt dir gar nicht übrig. 90% der Märchen richten sich an kleine Mädchen und ihr Warten auf „Erlösung“. Schon hier passiert, was später auch alle Liebes-Filme bzw. -Romane aufgreifen: Die Hochzeit als Happy-End.

Vermutlich hängt das schon damit zusammen, dass Kindheiten im Mittelalter so gaaaar nicht vorgesehen waren. Die Jungs mussten frühzeitig mit auf den Acker, während die Mädchen beim Bohnenschnippeln und am Spinnrad die Sitz-Zahm-keit eingetrichtert bekamen. Und für Letzteres ist nun mal Geschichten erzählen, um „bei Laune zu halten“, besonders geeignet. Nur die kränklichen Jungs kommen somit in den Genuss, Märchen erzählt zu bekommen.

Mä4Aber „Rotkäppchen“, „Dornröschen“ oder „Frau Holle“ juckt sie eher nicht. Schon alleine deshalb, weil früh erkannt wird, dass da Unmöglichkeiten erzählt werden: Ein Mädchen und eine komplette Oma entsteigen dem Gedärm eines toten Wolfes?! Pruuuust! Grins. Wie eklig! – Ein 100 Jahre altes Mädchen ist noch hübsch genug zum Heiraten? – Hä? – Nee! Niemals! – Und Goldmarie und Pechmarie – die sind beide so typische Mädchen! Keine Spiel-Idee! Die eine hilft halt Mutti oder der fremden Frau Holle, weil sie sonst nichts mit sich anzufangen weiß und die andere liegt nur faul herum und guckt in den Spiegel, wie meine eine Cousine. Nix los! Allerdings ist das mit Pech; respektive Dreck, übergießen ein verlockender Einfall! Nur: Hinterher droht sicher laaaange Zeit Fernsehverbot. Und man wird gezwungen, sich zu entschuldigen. Auch doof. Märchen haben eben so ihre Undurchführbarkeiten!

Im Wandel der Jahrhunderte kam es zur Alphabetisierung, die sich gegenwärtig nun wieder auf dem Rückzug befindet. Jedoch erschuf diese für kleine Jungs den dauerhaften Ausgleich der Räuber- und Indianergeschichten. Somit wird erklärbar, weshalb Märchen, wie auch in meinem Falle, bei Jungs nicht allzu lange locken.

Manchmal aber wurden Märchen auf seltsame Weise sehr lebendig: Wir fuhren ab und an – und viel zu selten – einen Kollegen meines Vaters besuchen. Tierarzt und nebenbei Jäger. Alles dort hatte für mich eine ganz eigene Mystik. Das Haus, wie ein Forsthaus von Bäumen umstanden, war immer duster. Wohn-und Herrenzimmer waren durch eine Schiebetür getrennt, die in der Wand verschwand! Magic! Das Herrenzimmer, in dem der Schreibtisch des Vaters und die Aktenordner standen, war eigentlich ein Jagdzimmer! Trophäen an allen Wänden! Sogar ein präparierter Kopf eines Rehbocks! Ein wahrer Rittersaal! Und das Beste an den Aufenthalten war, dass das Kinderzimmer dort arg schmal war, wir also zum Aufbauen unserer Aktionslandschaften in eben jenes Jagdzimmer durften! Spielen unter Geweihen! Ich hatte jedes Mal den Ritter-Runkel-Drall! So wuchs Adel auf! „Vati, warum ham wir sowas nicht?“ Ich hätte rasend gern auch Geweihe an der Wand hängen gehabt, aber niemals fertiggekriegt, selber einen seiner Träger zu erschießen. Ein Widerspruch, der sich bis heute nicht auflösen ließ.

Dieser besagte Gastgeber packte uns vor dem Nachhausefahren auch dann und wann einen geschossenen Hasen in den Kofferraum, über dessen schiere Länge ich bass erstaunt war. So ein Hase ist mit langgezogenen Hinterbeinen ja so groß wie ich?! Da rückten mir die Bilder aus der „Häs-chenschule“ gleich sehr viel näher!

else 1Und dieser freundliche Tiertöter hatte 4 Kinder, die sich untereinander bombastisch gut vertrugen! Zwei knapp ältere Mädchen und zwei Jungs, in meinem Alter – und Frieden! Das gabs auch nur dort! Ich kannte das ausnahmslos anders: Udo hasste seinen Bruder; Andreas auch. Mein älterer Cousin und seine Schwester zeigten keinerlei Neigung, sich näher zu kennen. Und dort im Jäger-Haus gingen die alle dermaßen nett miteinander um, begrüßten mich „Dauerfremdler“ jedesmal wie einen fünften Geschwisterteil, sodass das Drauflosspielen mit dem gleichaltrigen Sohn und dessen nur wenig jüngeren Bruder nie ein Problem war. Die beiden Mädels – tja – siehe Frau Holle: Die eine war Mutters Gehilfin und die andere las in irgendeiner Ecke des Hauses oder verschwand zu Freundinnen. Zwar spielte oder malte ich mit den beiden Jungs, aber sehr viel mehr glotzte ich der ältesten Schwester hinterher. Annegret! Meine Dauer-Fee! Ungefähr 3 Jahre älter als ich. Eine blonde Schönheit! Niemand im Umfeld hieß so! Alle Mädchen heißen Beytroa, Claudscha, Heige, Gonnie … aber Annegret! So heißen NUR Prinzessinnen! Sie passte in alle meine Märchen,– nur leider nicht in „Schneewittchen“.

In der ersten Klasse nahm mich Vater mit in meinen ersten Indianerfilm „Chingachgook – die Große Schlange“; es folgte ein Jahr später „Spur des Falken“. Und „die Söhne der großen Bärin“. Da waren die Gebrüder Grimm dann schwer auf dem Rückzug. Mein neues Schönheitsideal war nicht mehr blond. Und als Dakota-Mädchen kam Annegret nicht in Frage. Dafür musste ich mir in meiner Umgebung andere Entsprechungen suchen. Gabi in meiner Klasse hatte diese dunkle Wallemähne! Niemals gezähmt in Affenschaukeln oder Rattenschwänzen! Das beeindruckte! Mega! Würde man heute sagen.

mä7Das Märchenwissen aber blieb wichtig. Alle paar Jahre wurde es gebraucht. Laienspielaufführungen in der Aula zum „Fest der jungen Künstler“, Zeichentrickfilme, die ab und an mal ins Kino gerieten und ob ihrer Seltenheit Sensation wurden: Zum Beispiel die einmalige Gelegenheit Walt Disneys „Dornröschen“ im „Chrosn Gino“ bewundern zu dürfen. Oder jene aberwitzigen japanischen Story-Vermanschungen, die zwar „Der gestiefelte Kater“ hießen, aber mehr „Musketierfilm in Katzenform“ waren; bzw. sowas ähnliches wie Katers Kampf gegen Katzen-Daltons darstellten. Cool zynische Dialoge. Top synchronisiert. Da musste man mit 14 noch ins Kino, sonst war man nicht dabei, wenn sich alles in der Hofpause am Tag danach noch beäumelte.

Niemals wäre einem von uns eingefallen, was im Westen längst zur Erwachsenen-Seuche geworden war: Die Märchen zu verteufeln, einzelne gar verbieten lassen zu wollen, weil zu sadistisch, präfaschistisch, oder wenigstens zum Spießer erziehend.

Die in die Jahre gekommenen Hippies waren doch bloß zu faul, ihre Rangen auf Zuhören zu konditionieren. Deshalb mussten ihre Kinder auch im „Kinderladen“ immer „spielen was sie wollen“, also Wände beschmieren, mit den Fingern essen, sich gegenseitig über den Haufen rennen…mä7b

Und obwohl diese selbstgerecht Erleuchteten in der Minderheit waren, hat sich ihre Sichtweise schleichend durchsetzen können, weil die Nachplapperer und Kapitulanten immer mehr wurden.

Fast hätte mich Roberto mit seinem Post getröstet, dass es sich ja lediglich um Pädagogen und Kindergärtnerinnen handelte, die dieser Neo-Scholastik frönen; aber auf den zweiten Denk wurde mir klar, dass diese ausgerechnet an entscheidender Stelle sitzen, um diesen Unsinn zu verbreiten.

„Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ -???- Nur, weil du zu motorisch gestört zum Zuhören warst, solltest du nicht anderen den Spaß verderben wollen! Das ist vereinfacht ausgedrückt der kategorische Imperativ des Immanuel Kant. Aber der ist ja neuerdings nu auch schon zum Rassisten gestempelt worden… Tja. Unfug rules.

Alle Völker feiern ihre Märchen. Alle Kinder wachsen damit auf, schulen ihren Gerechtigkeitssinn an diesen Geschichten. Interpretieren spielerisch ganz unbewusst um. Und gruselt sich einer vor einem Plot, dann wird dieser eben nicht mehr erzählt oder vorgelesen, aber deshalb bleiben doch die andern alle im Spiel! Nur (West-)Deutschland erschuf sich diese Sonderrolle, die die eigenen kulturellen Wurzeln kappt. (Naja, der woke Unsinn amerikanischen Ursprungs holt den Vorsprung gerade wieder ein. Inzwischen haben Amerika und England ja ganz ähnliche kulturrevolutionäre Probleme.)

Fazit: Wir im Osten kriegten rechtzeitig beigebracht, was „Nationales Kulturerbe“ ist. Heute ein Begriff, bei dem mancher -drühm- reflexartig bereits in Schockstarre verfällt. Es war nicht alles schlecht.

Old Men’s Music (5)

2004, gleich bei Erscheinen in Deutschland, stolperte ich im Radio über eine wohlwollende Rezi eines damals aktuellen Albums namens „Ashgrove“. Alles was da erzählt wurde und vom Album selbst zu hören war, schrie: Kauf mich!

Gehört, getan!

Eine Woche später: Du cruiset mehr oder weniger freiwillig durch Brandenburgs Weite und lauschst DIESEN Stories – Herrlich!

Dave Alvin „Ashgrove“ (2004)

Es passt alles nahtlos, als wär‘s ein Konzeptalbum.

Der Drifter auf reisen…

Allein on the road erinnert er sich an „Ashgrove“, den Aschengrund, aus dem er stammt, der ihm Prägung verpasste, da wo die Eltern nun „unter der Erde sind“, wo die alten Blues-Helden, die da halbblind und pleite sich an jeder Straßenecke die Seele aus dem Leib spielten, in all die Youngsters den Virus der Musiksucht pflanzten. Der Virus, der bleiben würde – als Kraftquell, als Lebenselixier.

Aber der „Ashgrove“ war gar nicht der Hauptanlass, sich in den Ozean der Töne zu verlieren. Die Sucht ist älteren Datums. Aus der Zeit, in der der Drifter noch als Steppke neben seinem Vater im zerschrammten Pickup durch die Lande fuhr. Das Autoradio gab den Geist auf. Vater kaufte einen billigen Weltempfänger an der Tanke, drückte ihn dem Sohn auf den Schoß und der – schloss dieses „Plastic Silver 9 Volt Heart“ prompt in sein Herz: „You click it on and than the Music starts“… Yeahr, da kam das her! Wie hatten sie beide da bei C.W.McCall‘s „Convoy“ herumgealbert: Wieviel von dem Geknurre verstehst du?

Startschuss zum Losblödeln:

„In the sparkle Moon on the 6th of June with Peggy half and half…“

„sniff it and ramble the Reverend on cook‘em up and hear him caw.“

Oder erst „The Streak“! „…So naked as a plumber!“

„Mach das ja nicht nach!“ hatte Vater grinsend verlangt!

Der Kleine hatte grinsend sein T-shirt angehoben, es wieder sinken lassen:

„On the Next Stop! Gas Station!“ hatte er gefrotzelt.

Und Dad hatte sich kurz die Hände vor’s Gesicht geschlagen. „Oh my God!“

Und dann hatten sie beide gelacht.

So viele Jahre ist das her. Aber das waren Prägefahrten.

Vor Kurzem erst hatte er sich auf nem Flohmarkt wieder so einen Weltempfänger andrehen lassen. Irgendwie aus Heimweh nach den alten Zeiten! Dann hatte er ihn im Auto eingeschaltet, ausgeschaltet, in den Mülleimer entsorgt. Er hatte sich erträumt, dass aus dem alten Ding auch gleich die alten Radioprogramme wiederertönen würden. Ach ja, das ging ja gar nicht! Nix Eagles, Billy Swan, John Denver oder Partrigde Family Werbung. Es war ja nicht mehr 1975. Taylor Swift all over. Puh! Nee! Aus- und weg! Und „Thank God, I’m a Country Boy!“

Ja, Vater. Mit dem war er herumgekommen. Damals. Arizona, New Mexico, the real Mexico, bis Acapulco; und Süd-Kalifornien kreuz und quer.

Und dann war da jene geheimnisvoll-stille Kellnerin an der Raststätte kurz vor Albuquerque. Nur Vater brachte sie zum Reden. Das glotzten die Thekenfliegen! In die war Vater verliebt. Er freute sich jedes Mal auf die Pause dort. Aber eines Tages war sie weg. Niemand wusste was. Ist sie weggezogen? Verheiratet? Hat sie mittlerweile Kinder? Wo genau mag sie wohnen? „Down the Rio Grande“? Vater hatte das lange beschäftigt. Er sprach im Schlaf mit ihr. Es wurde der erste Song, den der Drifter schrieb. Als er den Text Vatern vorlas im Auto, wischte der sich die Augen und knurrte: „Haste gut gemacht, Junge.“ Mehr Lob war nicht drin. Aber das reichte auch. Vorerst.

Der zweite Song wurde der über „Everett Ruess“. Vater wusste viel über den. Er erzählte oft von ihm und nannte ihn „Spinner“; aber für den kleinen Drifter war es der „Träumer“; der imaginäre Begleiter. Einer, der ihm sehr sympathisch war! Der zog einst mit zwei Maultieren mutterseelenallein durch die Sierra. Der lebte von der Hand in den Mund, vom Bildermalen. Man sagt auch, dass er sich die Heilmethoden der Hopi abgeguckt haben soll und dass er damit hier und da jemandem die Arztkosten erspart hat. Eines Tages fand man das Maultier, das sein „Packpferd“ war, mit zerissenem Zügel und all seiner Habe. Von ihm und dem anderen fehlt jede Spur. Aber es hatte ja auch keiner Veranlassung, richtig zu suchen.

Geht es nicht uns allen so? Das eines Tages nur das Packpferd übrig bleibt?

Manchmal war es „eng“. Da wussten sie beide nicht, wie sie die nächste Tankfüllung bezahlen sollten. Sie brauchten doch den Ford für ihr Business! „A Little Import/Export“, you know? Da gibt es immer Auftragsfuhren. Manchmal ist es besser, nicht zu wissen, was in den Paketen oder Kisten drin ist. Man ist nur der „Kutscher“ nicht der „Krämer“, you know? Acapulco-Albuquerque und zurück. Oder auch mal rauf nach Vegas. Weite Strecken, weite Liebe. Schlafen auf der Ladefläche. Unterm Sternenzelt. Familienleben gabs nicht. Mutter hatte das Weite gesucht; während Vater bemüht war, „den Dollar zu machen“; sie hatte die Tochter mitgenommen; die machte inzwischen Schwierigkeiten, hatten sie erfahren, aber eben nicht genau welcher Art die waren. Vater & Sohn waren allein auf Gottes weiter Flur…

Years gone by. Vater wurde alt; Drifter lernte Gitarre spielen. Vaters Geschichten geronnen ihm immer mehr zu Songs. Er trug sie Vater vor und bald schon in den Raststätten, an denen sie hielten, vor Publikum. Da kamen allerhand Münzen und 1 Dollar Scheine zusammen! Das war ein angenehmes Zubrot. Weil das Spielen auch Spaß machte. Es gefiel ja. Es kam an.

Vater Hirn verwirrte sich. Drifter hatte mal was von Alzheimer aufgeschnappt und beobachtete Dad‘s Ausfälle zunehmend besorgt.

Die Schübe wurden heftiger. Sie tauschten die Rollen. Nun fuhr der Drifter und Dad saß auf dem Beifahrersitz, titulierte ihn dauern als „Greg“ und nahm ihn als seinesgleichen. Dabei lagen doch 30 Jahre zwischen ihnen, und Greg war Vaters Kumpel aus der Sandkiste, der schon längst erschossen war.

Schließlich strandeten sie in diesem billigen Motel, das vaters letzter Hafen werden sollte; natürlich nah am Rio Grande. Der Drifter hatte so eine Krankenschwester aus dem Ort aufgetrieben, die alle Tage gucken kam, ihn wusch, etwas abwechslungsreicher Brei kochte, als der Drifter das gekonnt hätte.

Vater in klaren Momenten: „The Man in Bed isn’t me!“ Dann hatte er so Aufrappler.

Und dann machte er die Schwester an, als sei er 18 und stünde vor dem Liquor-Store mit der Gang und Entenschwanzfrisur.

Der Drifter schämte sich für ihn, aber die Schwester war das gewohnt, zwinkerte ihm zu und schüttelte sachte den Kopf:

„Hoffen wir für uns alle drei, dass er bald erlöst wird.“

dave a1Der Mann, der da 56 Jahr alles im Griff zu haben schien, der immer wieder einen Ausweg fand, der Katzengleich nach jedem Fall auf die Beine kam, verging – und schlief schließlich für immer ein.

Der Drifter rang sich durch und ging eines Tages in diesen Wolkenkratzer von der Columbia. Und siehe: Die nahmen ihn!

„Ashgrove“ erschien. Wurde Grammy nominiert. Wies den Weg, wie es weitergehen könnte.

So jedenfalls MEIN Film zur Platte.

Klar: „In Wahrheit ist alles ganz anders.“ Aber, wer will schon Wahrheit, wenn sie doch so ödet?!

Falls doch, kannste ja, bei Wiki nachschauen.

Old Men’s Music (4)

Gute 12 Jahre her, dass ich auf diese Platte stieß. Nach einer Zeit der heftigen Rotation im Player geriet sie dann aber doch „an den Rand“ des Archivs – bis neulich. Das haben manche Alben so an sich: Gefeiert und (fast) vergessen zu werden – aber dann doch wie ein schlafender Virus zurückzukehren ins Bewusstsein.

Billy Joe Shaver (1939-2020) –

  • hat diesen filmreifen Lebenslauf, der so gar nicht 08/15 ist.

Je mehr du recherchierst, umso interessanter wird’s. Lassen wir in selber erzählen:

bjs1Nun bin ich doch tatsächlich 81 geworden, bevor der Sensenmann kam. Das war nicht zu erwarten. Es gab Zeiten, da dachte die Family, ich werde der erste sein, der abkratzt. Nun sind sie alle vor mir fort. Und ich mach das Licht aus.

Schon 2 Monate vor meiner Geburt hätte es mich erwischen können.

Mein Vater war dieser Typ „Schrank“, bei dem jedes Mädchen von „Anlehnen & Schutz suchen“ träumt. Aber er war halb Franzose und halb Indianer. Das heißt: Er soff, aber er vertrug nix.

Eines Tages an diesem Wasserloch in der Prärie packte ihn wiedermal seine halluzinierende Eifersucht und er schlug meine Mutter halb tot. Er zog davon und ließ sie liegen.

Ein Mexikaner fand sie und flickte sie zusammen.

Ihrem Bauch war irgendwie nichts passiert, ihrem Kopf umso mehr.

Vater liebte sie nicht, deshalb liebte sie mich nicht – Frauendenke eben.

Einige der größten Musiker des 20. Jh. hatten ein Mutterproblem:bjs2

Das bringt dich erst in tune, würd’ ich sagen: John Lennon, Ozzy Osbourne, Ian Hunter und nicht zuletzt Elvis… ich bin in guter Gesellschaft, so rum betrachtet.

Großmutter zog mich auf und erzählte mir vom Wasserloch. Das ermöglichte mir, meine Mutter trotzdem zu lieben.

Oh man, kannst du dir ausmalen, was es für mich bedeutet hat, als ich zum ersten Mal „a boy named Sue“ von Johnny Cash hörte? Oh man, SO möchte ich mal meinem Erzeuger begegnen! Ich würde ihn zusammenfalten nach allen Regeln der Kunst!

Cash war der große Bruder, den ich nie hatte. Ich hörte seine Songs und ich schrieb welche, aber ich ging nicht auf Tour. Noch nicht. Lange nicht. Ich ging arbeiten und trinken wie alle. Aber da war immer das Wasserloch in meinen Gedanken. Selbst im Suff hatte ich Angst, dass sich alles wiederholen könnte.

So heiratete ich meine Frau 3x.

Das erste Mal aus Liebe, aber wegen der Trinkerei – Divorce.

Das zweite Mal, weil sie schwanger war – aber das Baby nervte und irgendein Teufel gab mir den Zweifel ein – isses überhaupt von dir?

Das dritte Mal auf dem Totenbett; 1999; keine 6 Monate später hatte sie der Krebs besiegt.

Nach der zweiten Scheidung hatte ich die Stadt verlassen; auf immer – dachte ich.

Im Sägewerk hatte ich 3 Finger verloren. Naja, ich übertreibe, zweieinhalb. Rechte Hand. Die hält nur das Plektrum. Wenn es mit der Musik noch was werden sollte, dann jetzt oder nie.

Ich zog herum in Texas. Und sang hier für ein paar Dollar und dort für ein paar Bier umsonst.

Und irgendwo bei den Ölfeldern im Norden klampfe ich so vor mich hin, als zwei Limousinen vorfahren: The Big Waylon Jennings mit Gefolge setzt sich zum Feuer und hört die ganze Nacht lang zu. Spendiert Zigarren und labert, was alle labern: See you later blabla gonna make a record together blabla … und fährt wieder ab.

Sechs Monate später hatte ich die Schnauze voll zu warten und war sowieso in der Nähe von Nashville. Also hin zu seinem Haus. Kreuz durchdrücken und direkt in die Augen: „Was ist nun mit deinem Versprechen von’ner Platte?!“ Ich bin einen Kopf größer als er, Statur des Vaters, you know, das macht Eindruck. Er kuschte. Wir nahmen „Honky Tonk Heros“ auf. Alle Songs von mir. Waylon hatte mir den Tipp mit dem Konto gegeben. Ich hatte bis dahin keins, aber „die Firma wird Geld überweisen wollen“, also gründete ich eins – mit 5 Dollars!

Ein paar Wochen war die Platte draußen und ich guck auf mein Konto -!-!-! Da beschloss ich spontan Old Waylon zu mögen!

Ich war Mitte 30 und von nun an ging es los.

Ok, nicht in der Cadillac Liga. Ich kam mit durchschnittlicheren Autos aus. Immer eins nach dem anderen. Ich bezahlte bar und ohne Raten.

Waylon sang meine Songs, Elvis hörte ihn im Radio und wollte auch welche. Schreib’nen Song für den King und du hast ausgesorgt! Kristofferson, Guy Clarke kamen auch an – obwohl die doch auch selber was hinkriegen. Die 70er liefen gut, Mann!

Ich traute mich wieder heim, anfang der 80er. Nach langer Zeit. Die ersten Haare schon grau.

Ich traf Brenda wieder. Und neben ihr dieser Typ. 18 Jahre alt und sah aus wie ich – mit 18.

DEN konnte ich nicht verleugnen. DER musste von mir sein!

Und er konnte GITARRE SPIELEN!bjs3

Er zog mit mir. Liebe auf den ersten Blick eben. Brenda blieb heulend zurück. Das Leben ist hart. Wir gründeten eine Band. Ich war 45.

Shaver rockt! Das sprach sich rum! Der Umsatz meiner eigenen Platten stieg. Ich lebte nicht mehr nur von den Tantiemen der Songs für die anderen. Mein Sohn hatte goldene Finger und den Kopf voller Melodien. Ich brauchte ihm nur noch Texte hinlegen und am nächsten Morgen, war’s‘n Song. Manchmal auch andersrum: Er nahm ein paar Gitarrenläufe auf und ich hörte das Zeug und die Worte kamen wie von selbst.

Wir leisteten uns ein kleines Studio.

Ich ein Auto.

Er ein Auto

Ein Auto für Brenda…

Die 90er liefen noch besser als die 70er.

Ich nahm die „Honky Tonk Heros“ noch mal selber auf. Es ist schließlich mein Baby! Naja, hätte nicht sein müssen. Die anderen Alben aus den 90ern liefen besser.

Aber mein Sohn hatte nicht nur goldenen Finger, sondern auch’nen goldenen Arm, you know? Und da floss heimlich, still und leise immer mehr Kohle rein.

Ich wusste es. Ich sagte auch mal was. Aber nicht viel. Jeder muss seinen Weg gehen.

Darf ein alternder Säufer einem Junkie seinen Stoff verbieten? Ich hoffte einfach, dass es gut geht. Aber es ging nicht gut:

1999 starb meine Mutter und „Brandy“ bekam die Krebsdiagnose. Es wurde ein Scheißjahr.

Im Herbst starb sie. Der Junge steigerte die Dosis.

Das neue Jahrtausend stand vor der Tür. Am Neujahrsmorgen 2000 fand ich ihn, als ich ihn wecken wollte… Es war aus. Er wollte nicht ins neue Zeitalter. Er wollte bei seiner Mutter sein.

Warum müssen Gitarristen so viele Bänder hinterlassen? Ich saß davor und hörte. – Und hörte. Und schrieb wie unter Zwang. Als ich die Songs fertig hatte, wachte ich mit all den Schläuchen in der Nase und am Arm auf. Intensivstation. Schlaganfall. Bypass-OP. 1999 war eben mehr als ein ordentlicher Mann verträgt. Aber „the earth rolls on“ war fertig. Die Vermächtnisplatte meines Sohnes. Und ich dachte auch meine.

Aber dann ging es doch irgendwie weiter.

Gott hat mich damals am Wasserloch verschont, weil er wollte, dass ich diese Songs schreibe.

Weil ich ehrlich von mir singe. Und weil so viele Leute etwas von sich darin wiederfinden. Keiner lebt MEIN Leben. Aber jedes Leben ist mal hart und mal geht’s wieder.

In die Country Music Hall of Fame haben sie mich nun aufgenommen – lange haben sie gebraucht! „Wenn Shaver singt, klingt es, als ob jemand mit dem Stiefel auf dem Schwanz seiner Katze steht…“, haben sie über mich geschrieben. Und wenn schon. Ich hinterlasse mehr Songs als Hank Williams!

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Johnny Cash ging voraus. Waylon ist tot. Nun hat’s mich auch erwischt.

Ol‘Willie is‘ noch unten. Es lief lange; unser Duell – Nelson gegen Shaver. Er gewann.

Hab Brenda und den Jungen wiedergesehen. Ein Familyman zu sein, hier oben, ist leicht; Brenda lacht viel.

Hier oben kann ich ja nun nicht mehr weg.

4 Oscars

Remarques Bestseller von 1929: Zum 3.Mal verfilmt und nun auch noch „geadelt“!

Riesenrummel!

1 Oscar – bester internationaler Film

1 Oscar – beste Kameraführung

1 Oscar – beste Film-Musik

1 Oscar – bestes Szenenbild

Gott sei Dank NICHT bestes Drehbuch!

Meine Meinung zum Film steht bereits hier.

Ich outete mich als Hin-und Her-gerissen, zwischen den beeindruckenden Effekten und der sehr mangelhaften Werk-Treue.

Die Oscars für Kamera und Szenenbild sind durchaus berechtigt.

Der für den besten internationalen Film jedoch ganz sicher NICHT.

Ich stimme nicht in den Jubel ein. Meiner Meinung nach wird dem Roman kein Gefallen getan.

Die Verfilmung von 2022 lebt im Wesentlichen von 3 ausgewaltzten Schlüsselszenen:

  1. Der lange Einstieg, in dem den Gefallenen die Uniformen ausgezogen werden, bevor sie in die Särge kommen; dann der Weg der verdreckten Uniformen in die Reinigung; in die Näherei, wo Einschusslöcher beseitigt werden und in die Wiederausgabe an sehr jung aussehende Kriegsfreiwillige;

  2. Die sehr lange Kampfszene im letzten Drittel; die eine Tankschlacht zeigt und den Einsatz von Flammenwerfern;

  3. Die sehr lange Kampfszene am Schluss des Filmes, da ein durchgeknallter Offizier mit Ludendorff-Optik einen letzten Sturmangriff eine Stunde vor Inkrafttreten des Waffenstillstandes befielt. Bäumer fällt hier im Kampf.

Alle 3 Szenen haben gemeinsam, dass es sie im Buch GAR NICHT gibt!

Romanverfilmung?

Andererseits werden wichtige Szenen des Buches in kruder Reihenfolge und nur Sekundenweise „verheizt“.

  1. Essenausgabestreit: Die eigentlich sehr wichtige Anfangs-Szene der Essenausgabe, bei der der Küchenbulle für 150 gekocht hat, nun aber nur noch 80 Mann zum Essenempfang antreten; taucht in dieser Verfilmung als kurzes Rudiment, kurz vor Schluss -gerade noch so- auf;
  2. Unterstandpanik: Das tagelange Ausharren im Unterstand während des Trommelfeuers; das Durchdrehen und „Schütteln“ – passiert im Oscarfilm in Sekunden; die quälende Länge der Angst fehlt.
  3. Die Badeszene mit den Französinnen: fehlt; in Buch und erster Verfilmung sehr nachvollziehbar beschrieben; Lebenslust in Anstand; im Oscarfilm (latschen plötzlich zwei Französinnen „auf der Flucht“ durchs Bild) wirkt der einzige Soldat, der mit einer Französin anbändelt kurios debil. Was soll das?!
  4. Die Trichter-Szene: Bäumer und der sterbende Franzose im Granattrichter, bei weitem keine 2 Tage Dauer; schnelle Kinohysterie statt langsamem Durchdrehens;
  5. Die Essensorganisierung durch Katt: ein tragendes Element des Buches; Katt klaut vorallem Furage in der Etappe bei der Frontversorgung; im Oscarfilm brechen Katt und Bäumer im immergleichen Bauernhof ein und werden vom Besitzer beschossen;
  6. Katt stirbt: im Buch einen genau festgelegten Tod in dramaturgisch wichtiger Art und Weise; im Oscar-Film schießt nun der französische kleine Bauernjunge, wie ein Zauberzwerg im Wald auftauchend, Katt an, sodass er noch von Bäumer ins Lazarett getragen werden kann.
  7. Überhaupt: Katt und Tjaden; in Buch und Erstverfilmung Originale, die in Erinnerung bleiben. Im Oscarfilm? Seltsame, blasse Durchschnittstypen.

Fazit: Die Remarque-Bestandteile werden zu Füllseln zwischen den hinzugedichteten ausgewalzten Szenen, mit denen sich hier irgendein Drehbuchautor ein Denkmal setzen wollte. Der Sinnlos-Angriff am Schluss des Films raubt ihm seinen Titel; denn da war ja augenscheinlich jede Menge los, als Bäumer fiel.

Nee. Das is‘ nüschd!

Allerdings erlangt der Filmtitel in anderer Art seinen Sinn zurück.

Wenn heutzutage Schüler oder Studenten eine Powerpoint-Präsentäjschn mit Gimmicks aufpeppen, dass zum Beispiel die Schrift beim Erzählen Buchstabe für Buchstabe erscheint; dass Bilder auf ungewohnte Art hereinschweben usw., dann vernebelt diese „Leistung“ oft erfolgreich den Tatbestand, dass der Vortrag an sich Gülle war, das Thema nicht verstanden wurde.

Allzuviele Lehrer und Professoren knicken vor derlei Blenderei ein. Die wenigen, die es wagen, die nichterbrachte Leistung zu rügen und gerecht mit einer der letzten beiden Noten der Noten-Skale zu bewerten, erleben Whatsapp-Gruppen-Mobbing „Herr XY muss weg!“; Elternaufruhr; Krisensitzungen; Aussprachenwirrwarr ohne Ende. Einmal durchgestanden vergeben sie beim nächsten Mal dann automatisch eben auch mindestens eine „Gnaden-Drei“ weil „du dir ja soviel Arbeit gemacht hast“, um Ruhe zu haben.

Dieser Film ist eine solche PPP und hat nun mehr als eine „Gnaden-Drei“ bekommen.

Insofern also auch im Kino: Im Westen nichts Neues!

Schnurz & Ritter Runkel

Oder: Wie der kleine Dakota zur Leseratte wurde

Im Roberto-Blog der „Lebensnovellen“ (klick) lernte ich den Blog von Jules van der Ley (klick) kennen.

Und der animiert: Beschreibt doch mal, wie ihr an die Bücher kamt!

Tolle, einfache Idee – und Rums! Fliegt die Türe in die Kindheit wieder auf!

Das Nachdenken über- und Erinnern an- Buchtitel hat massenhaft Kontextgeschichten im Gepäck und alte Leute erzählen doch so gern und ausschweifend wie der alte Fontane, besonders beim Bloggen, in Ermangelung eigener Enkel, die sich das ansonsten hätten anhören müssen. Hui-jui-jui – das kann was werden!

Das frühe Lesen, war ja keins. Es war Vorlesen durch andere und – in meinem Fall – schnell auswendig wissen, was da stand. Aber die Folgen waren immens!

Ich war ein kränkliches Kind: Gefühlt wurde bei mir im Kindergartenalter jeder Schnupfen zur Bronchitis und jede zweite Bronchitis zur Lungenentzündung. Und wenn ich das große Glück hatte, nicht wiedermal für Wochen ins gruslige Kinderkrankenhaus, das Hexenhaus der Oberschwester Hannelore, eingewiesen zu werden, dann lag ich halt zu Hause herum. Strenge Bettruhe! Und damit ein 3-6jähriger die einhält: Vorlesen durch Großmutter/väterlicherseits oder (wenn sie gerade auf Besuch zugegen war) auch durch Oma/mütterlicherseits. Das Tagesbett wurde auf das Sofa im Wohnzimmer verlagert; auch weil da der Plattenspieler in der Blumenwand stand. Und meine Märchenplatten daneben. Bedienen konnte ich den mit 4!

(Feinmotorik ahoi! Gefühlvolles Absenken der Nadel per Hand – einmal erklärt und gezeigt – kein Problem! Da lass mal so einen 8jährigen Grobmotoriker von heute ran! Von den Eltern kriegen die ja heute kaum noch irgendeinen Input. „Det soll erste Ma‘ allet die Kita bring‘! Und speta die Lehra! Det is die ihr Job! Die kring‘ det ja beßahld!“ Scheißzeiten halt.)

Der spielte zu 80% Märchenplatten und Kinderlieder. Die Eltern schleppten zwar allerhand Verdi, Puccini & Co an; hörten die aber vorwiegend, wenn ich schlief, bzw. nebenan schlafen sollte – und so bekam ich meine Geigensoundprägung durch die Tür zwischen beiden Zimmern mit. Altbau-Etage 1910. Zwischen Wohn-und Schlafzimmer die zweiflüglige Tür, die das Ganze früher mal zum Salon werden ließ. Geborgenheitsgefühl: Teddy im Arm, „Nabucco“ nebenan, und dann kommt doch irgendwann der Schlaf.

Großmutter war immer da. Die wohnte ein Stockwerk tiefer. Hatte dort anderthalb abgetrennte Zimmer von der Hausmeisterwohnung. Wie das halt die KWV in den ewigen Zeiten sozialistischer Wohnraumknappheit so „mänädschde“. Eigentlich schlief sie nur da unten.

(Ich finde furchtbar, dass das heute wie ein Wahnsinnsprivileg klingt, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Die Omas in der Nähe! – Aber die Notwendigkeit, der Arbeit hinterherziehen zu müssen, hat die Heimatbindung und den Familienbezug quasi abgeschafft. Früher oder später werden wir alle Amerikaner. Doof. Arbeitsame ausbildungslose Heloten. Bücher können jetzt bereits auf den Mist. Kein Haushaltsauflöser gibt dir noch was dafür. Und dann noch „alte Schrift“?! Weg damit! Bei Booklooker tummeln sich die letzten lesenden Mohikaner. Gaukeln sich ihre Scheinwelt vor; so eine Goldschnittausgabe wäre noch was wert. – Die Generationen leben krass getrennte Leben, sehen sich, wenn’s hoch kommt 2x im Jahr. Haben verlernt miteinander umzugehen; reisen deshalb oft lieber ab als an … Es ist ein gesellschaftlicher Krebsschaden entstanden. ZEIT- und Spiegel-online machen sich einen Spaß draus, Platz zu schinden mit laaangen Ratgeberartikeln: Wie ich Weihnachten mit dem Afd-Opa überstehe. Ostern ohne Verwandte – auch mal schön! Usw. Jaja: Wie mich meinem/r rassistischen Onkel:in in die Parade fuhr. Bin ich Militarist:in, wenn ich den faschistoiden Terminus „Parade“ verwende? Ich hör schon auf.)

„Gib og den Schnurz. Ich werder woas vorlesen.“

Das waren noch unschuldig unideologische Zeiten damals. Mitten im ideologisch so überfrachteten Sozialismus von einst. Der Sozialismus überlebte nicht. Aber der Hang zum Dogmatismus existiert ungebrochen fort!

schnurzDie 3 Bilderbücher vom Kater Schnurz sind der ewige Platz 1 in meinen Erinnerungen: Sehr schön illustriert und in Versform geschrieben: Wenn du das 3x vorgelesen bekommen hattest, dann hattest du das drauf wie auch die Lieblings-Märchenplatten von den „Bremer Stadtmusikanten“, „Schneewittchen“ und von „Schneeweißchen und Rosenrot“, der Geschichte mit dem Bären, der ein verzauberter Förster war! Ich wollte Förster werden! Ich misstraute Krankenschwestern, Kinderärzten, die dich wegsperren, fremden Kindergärtnerinnen, bei denen du Vertretungstage überstehen musst, wenn deine gewohnte Gruppe „aufgeteilt“ wird… also ab in den Wald!

Im gleichen Alter entdeckte ich das MOSAIK im Zeitungsständer. Das hatte sich wohl Vater für sich selbst gekauft, weil das Heft „Die Entführung der Suleika“ hieß. Nun musste er seine Traumfrau mit mir teilen. Wie das zuging, habe ich hier bereits beschrieben.

Ergänzen möchte ich das geschickte Leseverfahren meiner Eltern und Omas: Schnurz und altersgerechte Bilderbücher bekam ich im Volltext vorgelesen. Das Mosaik nicht, denn es vermittelte in seinem Erzählstil manches Drumherum an historischem Kontext, was Fahrt aus der Handlung nahm und ein 4,5,6jähriger eh nicht verstanden hätte. Also gab es ab und an Lesepausen „meines Personals“ in denen die nächste Doppelseite überflogen wurde und dann bekam ich altersgerecht nacherzählt, was da stand. Auswendig lernen konnte ich die Hefte also nicht wortgetreu; da jeder das ein bissel anders wiedergab; aber es war „spannend wie Sau“ die Unterschiede mitzukriegen!

Am Besten war es, wenn seltenerweise mal Vater Lust hatte, mir ein „Mosa‘“ vorzulesen: Dann bekam ich das ganze mit verstellten Stimmen -fast- vorgespielt! Und in seine Nacherzählung schlich sich auch manch deftiger Begriff ein, der in Muttis- oder Großmutters Nacherzählung niemals wiederkehrte. Ein Beispiel:auf die fresse

Großmutter/und Mutti-Variante:

„Da gibt sich Janos zu erkennen. Bogumil erschrickt, aber Janos schmeißt ihn von der Kutsche.“

Vati-Variante:

„Da gibt sich der Kutscher zu erkennen: „Kennst du mich noch?“ Es ist Janos! Und dann gibt’s einen Kinnhaken in die Fresse, dass der fette Bogumil von der Kutsche fliegt!“

Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Mädchen- und Jungserzählung!

Den übernahm ich dann sofort, wenn ich Udo oder Conny mein neues Wissen weitergab. Die bekamen zu Hause viel weniger vorgelesen. Und die genossen deshalb meinen Vortrag im Papa-Stil. (Ich sah mich als Janos! Der war schlauer als Runkel, Vollbart-Träger; und der bekam schließlich auch Suleika zur Frau!) Vaters lebendiger Vortrag animierte mich zur Ergänzung „Und Bogumil flog in die Pferdeäppel!“ Superpointe für 4 bis 5 Jährige. Udo übersetzte für Conny simultan  „Pferdescheiße“! Riesenspaß für alle! Und so wurden die prompt auch mit dem Mosa-Virus infiziert. Conny nicht ganz so sehr wie Udo; es war eben eher so ein Jungs-Ding, diese spätere Sammelleidenschaft.

Aber ohne die verstellten Stimmen und die lustigen Ritterregeln, von denen manche heute die woke Brut der Gegenwart zu Comic-Verbrennungen triggern würden, hätte die Begeisterung wohl schwerlich so lange angehalten, dass man als alter Sack 2015 noch begeistert in die MOSAIK Austellung nach Leipzig pilgert.

Wie die letzten beiden Hefte in die Sammlung kamen, hab ich hier bereits beschrieben.

Die 18 Bände Mosaik (Digedag-Serie von Hannes Hegen; der Zusatz ist wichtig, denn die Abrafaxe zählen nicht) behaupten bis heute locker ihren Ehrenplatz im „Schätze-Schrank“, in dem auch Felix Dahn und Paul Heyse stehen.

8jähriges!

Yeahr.

9.März. Blog-Geburtstag.

2015 erschuf ich mir dieses Überdruckventil. Der 8.Geburtstag also heute.

Die Welt begann gerade durchzudrehn. Nichts seither läuft in meinem Sinne.

Also Kurs-Korrektur? Mainstream werden?

Aber welchem Mainstream anschließen? Dem der Nachbarn, Ex-Kollegen, Schulfreunde (also der riel-leif-comjunitti) oder dem der Online-Portale (der moralisch vorbildlich-naiven Scheinwelt)? Beide funktionieren genauso entgegengesetzt, wie vor 1989 in der Ehemaligen.

Ich hab schon immer die Meute gemieden.

All diese Jethro Tull Fans damals. Die Fußballfanatiker. Die „Blueser“…

Abba? Nein Danke!

Die Herde ist auch inzwischen bei „Insta“ und „Twitter“.

Sollte ich also lieber Filmchen drehn – „Unboxing the new Indoor-Filtzladschen für daheim“ und Fratzen schneiden?

(Mit Sicherheit brächte das mehr Likes als ein weiterer Heyse-Post.)

Oder sollte ich einen Youtube-Dschennl gründen?

Ich bin der „Old Timer“, den Old Waylon besang. Ich hab das nicht mehr nötig. „Diese Zeiten jetzt sind ganz gewiss nicht meine.“ Obwohl die Jutub-Dschennls all der altgewordenen Platten-Haie unterhaltsamer sind als die „Fastenrede“ vom Schafroth auf dem diesjährigen Nockherberg.

Verstehste nich‘? Musste auch nicht.

Ich mach so weiter. Auch wenn’s gar keiner mehr liked.

Wurschd.

Old Men’s Music (3)

„When it comes to women, boys! I like to keep one in reserve. It don’t takes a lot o’lovin‘, but it sure takes a lot o’nerve!“

Neugierig geworden, wer das verbrochen hat?

Er fängts gleich wieder ein:

„They got all I need to live, though it ain’t easy livin‘ with them, I don’t like the alternative.“

Man könnte sagen: Frauenfeindlich. Aus der Sicht von so Winsel-Boys der Gegenwart.

Das Zitat stammt von einer Platte aus den 90ern – und heute, vom Standpunkt alternder Männlichkeit aus betrachtet, muss ich sagen: It’s a lot of Lebenserfahrung in there!

Die Rede ist vom unangepasstesten Outlaw Nashvilles, der je Nashville gerockt hat.

Und der dabei gar nicht so sehr „Outlaw“ war, wie der Begriff vorgaukelt.

Mit Revolution hatte der Ober-„Rebbl“ des Country-Ladens nämlich nichts am Stetson. Mit Rebellion gegen ein paar Geschäftsgepflogenheiten aber schon.

Aber der Reihe nach.

Waylon Jennings (1937-2002) hatte, wenn man so will, 4 Karrieren.

  • Die erste als Bassist bei Buddy Holly; nach dessen Cricketts-Phase, aber vor dem Absturz 1959; also ein kurzes Jahr lang;
  • Das mittelmäßige Gewurstel der 60er; liebäugeln mit verschiedenen Stilen, aber letztlich für keinen konsequent genug; immerhin Erfahrungen sammelnd;
  • Die Boom-Phase der 70er: Der Outlaw-Guitar-Slinger himself; Midas-Touch; ALLES geht!
  • Wieder runter in den Sumpf ab Mitte der 80er; ein gewisser Springsteen klaut ihm das Konzept mit den Geschichten vom elenden Leben auf der Reise von Job zu Job und von Frau zu Frau…
  • Schließlich noch 5. der Abschluss-Bam! „Waymore’s Blues II“. 1994.

Waylon Jennings entdeckte ich für mich im Jahr 2000. Reichlich spät. Aber besser spät als niemals. Denn die Entdeckung hat sich gelohnt.

In den 70ern, jener Zeit, die ich im Wesentlichen am Radio verbrachte, auf Beutezug nach Lebenselexir; Musicjunkie, der ich nun mal bin; konnte ich ihn eigentlich nicht überhören. Der NDR 2 spendierte jeder Platte seiner erfolgreichsten Phase reichlich Airplay. Mich störte nicht, dass das Country war. Ich hatte reichlich 50er Jahre Country zwischen meinen Doowopaufnahmen. Ich mochte Johnny Cash. Aber Old Waylon sang nun mal, wie er sang. So unentschlossen zwischen Knöteltenor und Alltagsstimme. Er hörte sich einfach wie die „inglishwörschn“ meines Vaters unter der Dusche an. Und fertig war das No-Go.

Außerdem erschloss sich mir in meinen Teenie-Jahren dieses nie so recht erklärte Outlaw-Ding nicht. Was sollte an diesem 08/15 Country Outlaw sein? So weit weg vom Gunfighter Marty Robbins,  immerzu über die Honky Tonk Probleme verlassener Ehe-Krüppel lamentierend: „Huuuuu meine Frau is weg! I’m so outlaw I could cry!“ -?! Nirgendwo der Rebel-Call?! „If you want blood – You got it!“ AC/DC waren da anno’78 bedeutend weiter; na und die Pistols erst: „No fee-a-lin‘! For anybody else!“ So geht Outlaw in den 70ern! Dachte ich damals, wenn wiedermal das Waylon-Jennings-Loblied gesungen wurde: Er spiele zwar Country, habe ihn aber erdiger&ehrlicher gemacht.

Er hatte zu Beginn der 70er herausgefunden, dass es sich lohnt, all die Abstürze und familiären Zusammenbrüche der Working Class Loser und Honky Tonk Angels -angemessen romantisiert- in Country-Rock zu übertragen. Das schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe und bringt doppeltes Geld. Denn einerseits fühlen sich die verstanden und getröstet, denen es bereits so geht, wie den Typen in den Songs. Und zum anderen hören es auch diejenigen gerne, denen es eigentlich besser geht, die aber nicht ausschließen können, dass sie den Absturz noch vor sich haben. Und da ist es hilfreich zu hören, dass man (Ehe-)Pleiten auch überstehen kann, ohne aus dem 20.Stock zu springen.

barflyEine Art musikalischer Bukowski-Trost. Waylon wäre 1987 der ideale Soundtrack für „Barfly“ gewesen. Leider war ich gerade nicht in Hollywood. Kleiner Scherz.

Zeitchen vergeht. Du wirst 40. Das Jahrtausend wechselt. Und deine spätpubertären Wahrnehmungen von einst haben sich in Rauch aufgelöst: Punk ist dir nun peinlich. AC/DC haben sich nach Bon Scotts Tod mit dessen Nachfolger ins Abseits gequiekt. Da findest du dich plötzlich wieder in Waylon Jennings Songs. Dir wird bewusst, wie gut all die amerikanischen on-the-road-and-far-away-Dinger passen, wenn du 300 km von Zuhaus Wurzeln schlagen sollst, weil es sich eben so ergab. Die täglichen 40 km Arbeitsweg machen einen Pendler aus dir, der zu Trabizeiten gar nicht so gern Auto fuhr. Im Jetta in den frühen 90ern aber entdeckst du die Möglichkeit, ungestört Musik zu hören, während draußen die Bad Lands vorbeifliegen. Der lange Nachhauseweg über leere Straßen ist bald schon das beste am Tag. Da braucht es Nachschub-Mugge, wenn die Allmans durch sind!

Zynische Witze über „Ehekrüppel“ haben sich auch erledigt, denn der Scheidungsteufel fegt durch den Bekanntenkreis „like a hurrican“. Wird’s das eig’ne Haus verschonen oder fliegt das Dach weg?

Bisweilen erlebt man ja mit, dass Ehen auseinanderzugehen scheinen, weil sich die beste Freundin der Frau hat scheiden lassen und plötzlich tönt es aus heiterem Himmel: „Was die Charly kann, das mach ich auch. Was besseres findet sich allemal. Ich bin staaaaaark.“ Gitte-Virus. You picked the fine time Lucille. So gesehen, ist das Jennings-Zitat oben gar nicht mehr so aus der Luft gegriffen.waylon1

Waylon also rambled on; versucht so zu leben, wie „ein Mann“ nun mal zu leben hat; Kette rauchend und sich von Whisky ernährend. Ungesund? Nö. Geht noch. Zusätzlich kokst er ja. Und von Tablettensucht ist auch die Rede. Also bei Lichte besehen ist er in den 70ern ein Country-Iggy. Und beide werden steinalt – ohne Demenz. Brat mir einen Storch!

Allerdings gibt es Radiogeschichten und Netz-Quellen, die von Fußamputation wegen Diabetes oder gar Raucherbeinamputation(en) reden; kurz vor dem Dahinscheiden. Eine späte Rache des Schicksals für die vielen Jahre „standesgemäßer“ Lebensführung als Outlaw.

Eingestiegen bin ich 2000 über die „Live at JD’s“. Ein Sensationsfund von Baer Family Records. Ein Waylon Konzert aus den späten 60ern; knapp vor seiner Erfolgsphase; als er bereits „Sloop John B.“ covert – und „Girl from the North Country“. Vor einer handvoll Leute, wie sich’s anhört. Kneipe. Ab und an ein „Thank you“ über Mikro an komischen Stellen im Ablauf, als ob gerade jemand einen Dollar in den Gitarrenkoffer wirft oder eine Büchse Bier an den Bühnenrand stellt. Der Songmix aus alten Rock and Rollern, eigenen Frühwerken und eben „Liedern der neuen Zeit“ in Country-Rock übersetzt; das hat so was gelungen Byrdshaftes. Obwohl der Satzgesang fehlt.

Die Folge dieses Kaufs waren ein Tribute Album, auf dem andere Leute Waylon singen und wo wiederum zwei entdeckenswerte Namen dabei waren: Nanci Griffith und Guy Clark. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Und Nr. 2 war eine „Essential“ von 1996, die mit einem unerhört geilen Schlussstein aufwartet: „What ever happened to the Blues“. Waylon Jennings/Tony Joe White sind als Autoren ausgewiesen. Abgefahren psychedelisch; 90er Style;  – macht prompt Lust auf mehr.

Ich erfahre, dass er aus der Session zur „Waymore‘s Blues II“ übrigblieb. Die musste also auch noch ran! Es ist das Album, das ein inzwischen geläuterter Mr. Jennings unter Zuhilfenahme eines nicht minder berühmten Don Was 1994 erschuf. Ich entdeckte es 2002 im Jahr seines Dahinscheidens; weshalb es für mich nach stolzer Lebensbilanzierung klang. Quasi seine „American recordings“ auf einen Schlag und ausdrücklich „plugged in“! Zehn Songs. Jeder ein Killer. Vor allem der „Old Timer“, als der ich mich ganz elvismäßig ab meinem 42. Geburtstag selber zu fühlen begann, und den Waylon feststellen lässt, dass er „die Dinge noch kannte, als sie auf einem besseren Wege waren“ hat Identifikationspotential! „Don’t you know, I’m Elvis“ sieht das Leben dann wieder von witzigerer Seite.waylon2

Aber du bleibst nun mal nicht 40. Mit 60 hört sich „Waymore’s Blues“ dated an. Und das liegt vorallem am Sound. Don Was, Climie Fisher, T Bone Burnett erschufen in den 90ern so einen Psychadelic Sound für koksende Snobs. Klänge, die dir Zimmerpalmen, Panoramafenster, Wolkenkratzer Skyline, Ledergarnituren ins Hirn zaubern. Loft-Mugge. Claptons „Pilgrim“ Album mag als Referenzplatte dienen. Die mochte ich damals auch sehr. „Waymores Blues“ kam mir wohltuend ähnlich vor. Das hat sich abgekühlt. Heute klingt mir das deutlich zu verchromt, zu weit weg vom zerschrammten Pick up und der bescheidenen „Cabin on the hill“.

Nichts desto trotz enthält sie einige seiner allerbesten Texte, die Zeilen enthalten, auf die wiederum der Waggershausen bezug nimmt auf seinen späten Platten. Find’s selber raus:

„I ain’t seen it all, but it’s plain to see
I just might be an endangered species
Like an old gray fox, I know how he feels
With the new hats snapping at my heels
I ain’t sure what it’s all about
I ain’t in, but don’t count me out“

Nach Waylons Spätwerk von‘94 zogen ab 2002 auch einige seiner wichtigen 70er Jahre Alben bei mir ein. Und da bleibt nicht aus, dass ich heute den Moderatoren von anno 77/78 Recht gebe: Die klingen wirklich erdig-ehrlich! Also gilt: Eher „This time“ und „Ramblin Man“ als „Waymore’s Blues“. Und auch die Stimmlage stört längst nicht mehr.

Rock on Waylon! Freu mich drauf, dich kennen zu lernen – da oben. Dermal einst.

Du ständiger Begleiter on the road.

Old Men’s Music (2)

Was ist das für eine Zeit, in der das Schreiben über alte Platten das Schweigen über soviel gesellschaftliche Agonie einschließt. (frei nach B.Brecht)

So oft es ging, saß der kleine Martin bei Opa Bob in dessen heruntergekommener Hütte und lauschte seinen Geschichten. War ja sonst nicht viel möglich für 5jährige da hinten in Arizona 1930.

Zumal, wenn in der Hütte nebenan mal wieder „die Luft brennt“. Vater verdrischt der Reihe nach 8 Gören. Merkt nicht, dass der 9. fehlt und hat danach für einen Moment Ruhe, seinen Rausch auszuschlafen. Eine Mutter gibt es nicht. Tot – sagt Vater. Duchgebrannt – sagen die Nachbarn.

Martin ist, wie sich zeigen wird, der klügste von neun Nichtsnutzen. White Trash übelster Sorte. Aber das fällt lange nicht auf. Hatten ja alle nichts dahinten während der Great Depression.

Opa war sein Leben lang Herumtreiber. Er war einer dieser „Wunderdoktoren“, die die Etiketten von Bierflaschen abweichten, „Arznei“ zusammenbrauten; damit die Flaschen füllten; Korken drauf – und ab dafür – von Saloon zu Saloon. Da wartest du dann als „Doc“ auf deine Kundschaft.

Hatten ja alle „nüschd“ dahinten, während der dunklen Jahre zwischen den Kriegen.

Arztkosten konnte sich keiner leisten. Da ist so eine 3-Dollar-Wundertinktur vom „Doc“ genau richtig, um noch einmal Hoffnung in den Familien der Kranken aufzubauen. Starb der Patient dann doch – dann sollte man als „Doc“ besser nicht auffindbar sein! Was drin war in der Tinktur? Das willst du gar nicht wissen. Glauben sollst du! Glauben versetzt Berge!

Opa kam herum! Bis Oregon – sagt er jedenfalls! Hat sogar Büffel gesehen! Die letzten echten! Und er hat gut zugehört, wenn die Barfly‘s ins Erzählen kamen. Opa steckte voller Geschichten. Von Billy the Kid, Wild Bill Hickock, Everett Russ und noch viel viel mehr Billy’s und Johnny’s, die alle irgendwie erfolgreiche Fighter waren, bevor sie -erschossen oder gehängt- Legenden wurden. Die Heroes des „Alten Westens“.

Der kleine Martin sog die Geschichten auf wie ein Schwamm. Seine Phantasie ermöglichte ihm so eine Gegenwelt: gegen Vaters Schläge, gegen die Petzereien der Geschwister und die Schläge der Brüder, gegen das verdammte Schicksal – Loser zu sein.

Er wurde älter und kräftiger. Die Brüder, einer nach dem anderen, schlugen irgendwann zurück, wenn Vater wiedermal „erziehen“ wollte, und verließen dann das Haus auf Nimmerwiedersehen. Fanden Arbeit, Knast, oder Todeszelle. Niemand weiß, wo all die Ratten enden.

Martins Weg war vorgezeichnet. Er wurde 16,17,18 und fuhr schon dann und wann mal Auto. Polizeiauto, um genau zu sein. Immer dann, wenn sie ihn wiedermal erwischt hatten, bei ner Schlägerei, beim Zeche prellen, beim Ladendiebstahl, beim Raub. Erst bringen sie dich heim – zu Vatern. Machen „Du, du“ und fahren wieder. Dann lochen sie dich ein. Und dann werden diese Einlochungen länger.

Da war es ganz gut, dass die Einberufung kam. Auch so was wie Knast. Aber das kannte er ja nun. Wenn juckts? 1943. Es ist Krieg. Davon hatten sie in den Kneipen erzählt. Da hinten in Arizona. Legal shootin‘!

Er gerät zu den Marines und an die Pazific-Front. Fährt Landungsboote, wenn Invasion auf irgendeiner Insel ansteht. Aber er hat Glück. Er erwischt immer die ungefährlicheren Strände. Da wo „die Japse“ schon weg sind, oder gar nicht waren. Salomonen, Palau usw. Aber die Angst fährt immer mit, denn das weiß man ja nie vorher.

Militärdienst gebiert Langeweile, ob nun Krieg ist oder nicht. Die meiste Zeit ist Waffenputzen oder herumlungern. Einer von den Comrads kann Gitarre, ein anderer Klavier. Und Martin kann singen. Also tut man sich zusammen, grölt Persiflagen auf bekannte Marschlieder, auf die „Japse“, und bissel ironischen Herzschmerz gegen das Heimweh. Das kommt an. So gut, dass sie bald vor ganzen Einheiten auftreten bzw. durch die Offz-Kasinos tingeln. Martin hat sich ein paar Gitarrengriffe abgeguckt und auch ein bissel Klavier, damit er den jeweils Besoffensten vertreten kann, wenn nötig. Singen muss immer er selbst. Und saufen will er nicht: Das Bild des Vaters immer vor Augen.

Er findet Gefallen an diesen Auftritten, fängt an zu reimen; merkt, dass ihm das leichtfällt – und obwohl ihm selbst mancher Text zu schnulzig vorkommt, registriert er die Wirkung. Wenn die Kameraden da in ihr Bier heulen, wenn er von der fremdgehenden Ehefrau oder vom kranken Kind zu Hause singt, dann weiß er, dass das eine Zukunft sein könnte.

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Als der Krieg vorbei ist, geht er erstmal wieder nach Hause, nach Arizona. Er tingelt abends durch die Bars und heiratet. Seine Auftritte ziehen Publikum. Ein lokaler TV-Sender sucht Talente und gibt ihm eine eigene regelmäßige Personality-Show! Da singt er viel selbst, lädt unbekannte Talente ein. Lokalmatadoren. Für kleines Geld. Einmal auch einer mit Plattenvertrag. Der singt mit ihm Duett und wirbt für ihn bei Columbia Records. Mit Erfolg. Erste Single – Flop. Zweite Single – Flop. Aller guten Dinge sind’er dreie: Seine dritte Single wird 1952 erfolgreich. Er wird so ne Art Sinatra-Kopie und zieht nach Nashville, „um an der Quelle zu sitzen“. 1953 passiert dieses Bill Haley Ding. Martin, der sich inzwischen Marty nennt,

  • denn das amerikanisch aus gesprochene „Marrrt‘n“ klang stets wie „Gleich Prügel vom Vater!“ – Marty dagegen klingt sanft. Strahlt Beliebtheit aus. Einer zum Schmusen – nicht für den Knast! –

Marty beschließt Rock&Roller zu werden. Seine nächsten Singles sind also das, was gerade aufkommt: „Maybelline“ usw. Auf dem zweiten Gleis bleibt er aber Crooner, um die Grand Ol’Opry zu bedienen und sein Anfangspublikum zu halten.

Nun musser allerdings auch zu diesen Dance-Hall-Events der Highschool-Burschen landauf, landab, coast to coast, border to border. Da zeigt sich bald, dass er da nicht reinpasst: Zu alt! Es fühlt sich blöd an, als Kriegsveteran unter diesen ungedienten, verwöhnten Lappen und mit über 30 harten Jahren auf dem Buckel noch solch pubertären Stuss herauszuschreien wie „Long Tall Sally“ oder „That‘s alright Mama“!

All die anderen „neuen Helden“ sind Spunde. Machen „den Harten“ – bellende Hunde.

Bis auf diesen Elvis. Der war anders. Mit dem war er 1955 auf Tour, dessen Show beeindruckte ihn – und der stand vor ihm stramm; nannte ihn sogar „Sir“! Das hatte Marty schwer imponiert. Der gab ihm Respekt! Automatisch! Aber seine Kontakte zu den übrigen Boogie-Boys sind eher anderer Natur:

Eines Abends, nach so einem Dance-Hall-Hop, sitzt er an der Bar, hat einen Plausch mit ner netten Wirtin, neben an wird noch heftig getobt. Da kommt dieser hysterische, blonde Lockenstrietz rein, setzt sich an einen Tisch, wartet 10 Sekunden, springt an die Bar vor und belappt die Wirtin, ob sie noch am Leben sei, warum sie ihm nichts bringe, ob sie wisse, wer er ist. Er sei der King of Rock&Roll! Er sei die Nummer eins! – Er reckt sich, schmeißt die Stirnlocke zurück und versucht respektabel auszusehen. Jerry Lee Lewis eben. Marty denkt: Mal sehn wie groß die „Balls of Fire“ wirklich sind.

Er gibt ihm von der Seite einen kleinen Schups und knurrt in nuschligstem Arizona-Slang: „Do ye miss a punch b’tween‘y eyes? Daddies first! Sit’n’wait!“ Er hat diesen Blick drauf, für den du’n Waffenschein bräuchtest. Noch von damals, aus’m Knast. Dem Wild Pianoman wird klar: Der wird nicht weichen. Also tritt er -irgendwas Unverständliches murmelnd – den Rückzug an.

„Good Boy! Sitz!“ Und Jerry the Dog sitzt wirklich brav und böse guckend da.

„Thanks“, atmet die Wirtin auf.

„Typisch Bird-Dog. Hinterm Zaun die große Schnauze. Machst du das Türchen auf, verkriecht er sich hinterm Haus. Mach mir mal noch ein Bier.“

Neben ihm saßen die Everly Brothers. Wenig später lief im Radio ihr „Bird Dog“ erfolgreich. So geht Inspiration!

mr1Diese schnellen Rocknummern sind nur „Zweites Gleis“. Marty bleibt der Crooner mit den besseren Stories, die sich auch besser verkaufen. Bombast-Pop. Die Columbia bringt ihn mit Ray Conniff zusammen. Dessen Orchester sitzt momentan auf einer Goldader mit Big Band Easy Listening Dance Music für die älteren Jahrgänge. Mit dem spielt er „Seventeen“ ein und schlägt so die Brücke zum Rock&Roll-Publikum. Der Song hat 1957 Skandalpotential. Marty ergreift Partei für die ganz jungen Ehen, die zum Problem der Zeit werden. „She was only seventeen and he was one year more. She loved him with all her heart and he the gal adore…“  First Love und dann gleich zum Standesamt. „Churchbells may wring“ Schwarze und Puertoricaner singen sowas im Doowop ja auch seit geraumer Zeit. Schande! Eltern erzwingen Radioboykott. Verbot? Die Kiddies stürmen die Läden. Hit! Der Song dröhnt nun überall aus den Kinderzimmertüren. Die Eltern knicken ein.

Das Conniff Orchester! Von dem haben wir doch auch Musik in der Truhe! Die werden doch keinen Schweinkram unterstützen!

Und wenn man im Kino so „Black Board Jungle“ und „Rebel without a cause“ gesehen hat, dann weiß man, dass die eigenen noch ganz gut geraten sind und dass es schlimmeres gibt als einen Ehewunsch im ersten Liebesrausch – mit Anstand vorgetragen. Das ist -bei Lichte betrachtet- doch auch nichts anderes, als was Mum and Dad vorgelebt haben, – wenn gleich ein bissel zu früh. Also ein bissel hinhalten und abwarten. Lieber dreimal täglich „Seventeen“ ertragen müssen als diesen fürchterlichen „Jail House Rock“ oder gar „Riot in Cell Block Nr.9“!

Eines Tages hört Marty „Tom Dooley“ vom Kingston Trio im Radio. Da kommt ihm eine Idee: Opas Geschichten! Eine davon schreibt er in Reimform auf. So entstand „El Paso“. 1959 nahm er das auf und wartete auf Reaktion. – Und die war überwältigend! Und weil das so gut lief, schob er „Big Iron“ nach. Bumm. Wieder erfolgreich. Die Rock&Roller machten inzwischen auch LPs, also musste auch für ihn eine her; aber Rock&Roll packte er da keinen mehr drauf. Das waren nun alles Gunfighter-Ballads! Yeahr! Was für ein Label! Und so eingespielt, als sänge sie irgendein Hobo am Lagerfeuer! Aber nicht durchweg! Marty kennt das 1×1 des Erfolges. Wenns so richtig sentimental werden soll, dann legt man dezente Streicher drunter – für den Prairie-Wind, you know?!mr2

Western boomten grade im Kino. Nun gab’s die Songs zum Genre. Und die kauften Jung und Alt. Also zwei Zielgruppen: Doppeltes Geld. Und dann noch die überraschende Anfrage aus Übersee, ob man covern dürfe. Diese Krauts wollten ihre Frauleins beeindrucken mit Martys martialischen Wild West Gesängen auf Deutsch! – Na, wenn sie zahlen?! Gerne! Mr. Bendix übernehmen Sie!

Die Moderatoren der Sender und die Rezensionen in all der Wochenendbeilagen überschlugen sich. Manche verstiegen sich regelrecht dazu, zu verkünden, Marty Robbins Verdienst sei es „die Songs des Alten Westens“ aus der Zeit des „Westward ho!“ wiederentdeckt zu haben. Marty las das, grinste in sich hinein und sah in den Himmel: Grinst du mit, Ol‘Bob? – Er meinte Großvaters Stimme zu hören: „Glauben musste! Glaube versetzt Berge!“ Nie wieder White Trash sein!

Grammy Nr.1!

Von nun an ging es Schlag auf Schlag. „More Gunfighter Ballads“ und „The Drifter“. Für letzteres Album textet er „Feleena“. Einen 8 Minüter! Spärlich instrumentiert. Mit packendem Text! Im Radio spielten sie ihn zunächst nicht. Columbia wollte ihn nicht als Single. Aber „Feleena“ wurde ein Selbstläufer. Der Song wurde so oft gewünscht, dass er schließlich doch Single wurde. Der Text erzählt die Story des Vorläufers „El Paso“ aus der Sicht der dort umkämpften Frau. mr3Er gipfelt gekonnt dramatisch in Wind-Mystik. Für eine Fernseh-Show wird Marty in Cowboy Outfit in eine Saloon Kulisse gesetzt, wo er sich selbst auf der Gitarre begleitet und Bänkelsängermäßig das lange Ding vorträgt. Wir schreiben 1966. Im Kino bricht die Westernbegeisterung bereits ein. Jedoch Im Fernsehen boomen „Bonanza“ und „Rauchende Colts“. Das hilft. Der Umsatz explodiert – für Single und Album. Marty Robbins – Superstar.

Die TV-Shows rissen sich um ihn. Wer dauernd auf der Mattscheibe zu sehen ist, muss nicht mehr touren.  Jede Platte vergoldet sich bereits in den Vorbestellungen. Das Konto wächst. Ruhe kehrt ein. Nashville wurde ihm zu öde.

Der kleine Assi aus Glendale Arizona hatte es allen gezeigt. Plötzlich saß er nun neureich in seiner Villa auf Hawaii und hatte einen „Mountain of time“ totzuschlagen, wenn er nicht gerade Songs schrieb, oder Platten aufnahm. Da war es gerade recht, dass dieser Elvis „Blue Hawaii“ drehte und an freien Tagen in der Nähe war.

Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Manchmal gibt es eben Songs, die zünden mehr als andere. Neben den Jack Scott CDs stehen bei mir die von Marty Robbins. Und wenn ich mal wieder „Big Iron“, „Feleena“ oder „Seventeen“ höre, dann laufen eben in mir Filme, wie der oben beschriebene.

Old Men’s Music (1)

Dieser Tage kickt bei mir ein alter Mann des Rock&Roll mit seinem letzten Werk vor dem Dahinscheiden.

„Way to Survive“ (2015)

Jack Scott starb 2019 mit 83 Jahren. Seine beste Zeit lag zwischen 1959 und 1964. Zwar hatte er zuvor ein paar erfolglose Singles aufgenommen und auch danach noch Platten veröffentlicht; jedoch seine Mittelfeldpopularität der frühen 60er schwand schnell dahin.

Sicherlich tourte er auch in den 70ern und 80ern noch durch die Lande und durchlitt das Schicksal des Volksfestbespaßers. Hier eine Tanke eröffnen, dort eine neue Walmartfiliale; für ein paar Dollar…

Diese lange Zeit liegt im Dunkel der Spekulation.

1960 -1965 füllte er eine Marktlücke: Für alle, die den 50ern nachtrauerten, war Elvis als Schnulzier und Film-Dilettant nur unzureichender Trost. Buddy Holly tot, Eddie Cochran tot, Chuck Berry im Knast, Jerry Lee Lewis fast, Gene Vincent mit gebrochenen Beinen Langzeitinvalide – die ganze erste Reihe des Rock&Roll also futsch: Chance für die zweite Kohorte.

Jack Scott 1963/64 klingt so wie Elvis bzw. Buddy Holly bis 1959 klangen. Er kann problemlos wie sie, schnell und langsam gleichermaßen. Seine Balladen klingen ernst, nicht schmalzig. Und die Studio-Kracks um ihn herum beherrschen ihr Handwerk; inclusive der Tontechniker. Hier geht’s nicht mehr um den schnellen Dollar durch flitzfingriges Geschrammel und Geklapper, sondern hier wird voller Sound erzeugt. Schönes krass getrenntes Stereo – Beatles-Style. Gitarre links, Backinggroup rechts; Jack und der Drummer in der Mitte. Jack Scott’s Stimme ist so ein Mittelding aus Elvis und Buddy Holly. Die Arrangements mit all den raumfüllenden „A-a-a-a‘s“ und „O-ho-ho’s“ der Backgroundsänger lassen an die Jordanaires denken.

Ich verdanke die erste Bekanntschaft mit seinem Schaffen dem „Rock and Roll Museum“ auf NDR2 in den 70er Jahren. Werner Voss. Inzwischen verstorben und selbst Kult. Der Rock and Roll- und Doowop-Papst des Nordens. Schöne Schwerpunktsendungen, tolle Mischung von Bekanntem und Obskurem, und lehrreiche Faktenvermittlung über Ursprünge, Werdegänge, Macken und Aufnahmebesonderheiten…Unvergessen die 3 Sendungen über Joe Meek! Interessanter ging nicht!

Eines Tages „Später Rock and Roll der frühen 60er“ – und -peng- „Burning Bridges“ von Jack Scott hat den mit Abstand besten Sound. Eine Bombast-Schnulze. Der Name blieb hängen. 1978 herum startete Mike Batt mit dem  London Symphony Orchestra sein Classic Rock Konzept. Ich war Fan, trotz Punk! Jack Scott hätte da hineingepasst!

JSCOTT1Um 2010 herum ging mir dann eine Baer Family CD „Jack Scott on Groove“ ins Netz. Lauter Aufnahmen aus der Zeit NACH dem Höhepunkt 1963; aus den Jahren 1964-65 und zwei-drei unveröffentlichte von damals. Aber interessant und abwechslungsreich.

Dann schleppten sich die letzten Arbeitsjahre in öder Plackerei dahin. Jack Scotts Mittelfeld-Mugge war nicht wild genug für Frustventil und nicht melancholisch genug für seelische Besänftigung. Er hatte keine Chance gegen Neil Young, Robbie Robertson, Yes und George Benson. Zeitchen verging…

…bis der Musikjunkie von anno 78 sich dieser Tage mal wieder um die länger nicht genutzten CD Bestände kümmerte. So stieß ich auf Ol’Jack und war auf’s neue angefixt.

Grinsend genoss ich die „on groove“ ein paar Mal; ließ Werner Voss‘ schläfrigen Hanseaten-Slang in meinem Innern auferstehen; gedachte der „Brennenden Brücken“, die hier fehlen; machte mich deshalb „im Netz“ auf die Suche und- geriet an die „Way to survive“. Schwupps war’s um mich geschehen.

JSCOTT2Nach all den Jahren der geschwundenen Bedeutung nun plötzlich ein Album, dass einen leicht zerzausten alten Mann mit Vollbart und E-Guitar zeigt. Spielt der jetzt auch so? Ein altersweiser Billy Bragg des alternative Country?

Jein. Scott macht hier mit 80 natürlich nicht den Bragg der Peel-Sessions, aber auch Bragg musiziert inzwischen mit Band und schreckt auch nicht mehr vor Bombast zurück.

Scott hat sich hier 12 Songs vorgenommen. Zwei eigene, 10 Coverversionen. Soweit man per Youtube mit den Originalen vergleichen kann, gewinnt er.

„Trouble“ natürlich musste ich nicht erst guhgeln. Das is‘ die alte Kampfansage von Elvis aus „King Creole“, dem Film. If you lookin‘ for trouble, you come to the right place! Für mich auf DIESER Scheibe der Höhepunkt! Jack Scott macht hier nicht den Elvis, sondern den Dave Alvin, den Wüstenrocker, der da im Dead Valley aus dem rostigen Pickup steigt, weil da das Auto von seinem Nebenbuhler steht, das Panne hat. Er weidet sich an dessen Gesicht, und läd die Knarre durch…

Seine Stimme ist gealtert, aber nicht tatterig geworden. Seine Balladen klingen immer noch angemessen vorgetragen. Schmalz-Entwarnung! Und die Studio-Kracks haben auch diesmal wieder einen erstklassigen Job getan: Hier mal bissel Hall, wie einst im Treppenhaus von Elvis’ns „Heartbreak Hotel“, da mal bissel Duanne Eddy Blingggg drunterlegen, schließlich noch eine Prise messerscharfe Gitarren-Licks im Hintergrund oder auch mal als Sekunden-Solo in der Bridge. Alles nie zu lang, nie zu laut, nie zu simpel. Erlesen. Rund. Sophisticated! Schnalz!

Alte Männer Musik. Vermächtnisalbum. Klänge die Stimme jugendlicher, könnte es von anno’63 stammen.

 „A boom boom -hey hey -wiggle on out!“

Nun sind wirklich alle Brücken zwischen dir und deinem Erdendasein gekappt, Alter!

Muss dir gesteh’n, dass ich anfangs dachte, dass das mit den brennenden Brücken eine Rache Nummer von Elvis’ns altem Gitarristen ist. Hab dich mit Scotty Moore verwechselt. Sorry dafür.

Halte dich in Ehren.

Bin der letzte vermutlich.

Bis dann irgendwann.

Rock on!