Pegasus‘ Sturzflug

Wenn’s nicht funzt…

…so ist das manchmal tragisch.

Da liest man von‘ner Grundidee für ein Konzeptalbum, die begeistert; allein die Ausführung – spart dann dem Käufer Geld, denn er will das Werk nicht haben.

Vier besonders schmerzhafte Fälle sind diese hier – für mich:

  1. Steve Hacketts Album „The Circus and the Nightwhale“ (2024) ist der momentan aktuellste Fall. konzept perdu 1Eine musikalische Autobiografie in biblischer Verkleidung. Schöne Idee. Schon die Überschriften erzählen eine Geschichte. Jonas im Waal. Der sollte ursprünglich der Stadt Ninive ihren Untergang verkünden und kniff. Ein gewitztes Bild: Hackett der welterfahrene, intelligente, seriös lebende Musiker im rüstigen Rentenalter kneift – – – drückt sich vor dem Verkünden letzter Weisheiten. Er fängt sehr gut und kritisch an: Erste Kindheitserinnerung: The London Fog. Jener mystische Vorweihnachtsnebel von 1952 in der Hauptstadt des alterssiechen Empire. „Leute im Rauch“. Dann kommen schon die Selbstzweifel, die ihn ein Leben lang vorantreiben werden. Die Auswegsuche, die „Magic-Mountain-Band“. Aber sie entpuppt sich als ein Karussell, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Ausbruch/Ausstieg. Neue Sinnsuche. Alles allein hinkriegen wollen. Nicht mehr die Ideen anderer Leute gniedeln! Jedoch: Neue Tretmühle, die schnell wieder öde wird … aber da ist die Liebe! Die endlich gefundene treue Kameradin!

Bis dahin geh‘ ich mit. Ich erkenne SEINEN Klartext. Und meiner passt dazu.

Du glaubst dich retten zu müssen und landest da, wo du gar nicht hinwolltest. – Es geht ne Weile gut. Aber die Öde wächst. „Was mach’ich hier?“ – Es ergibt sich ein Neustart, du wähnst dich einen Moment lang so befreit (wie ich ab 1990 zunächst); aber plötzlich sind die alten Zwänge wieder da und du stehst einsamer da, als zuvor.

Roberto schrieb in seinem Blog neulich: „…dass wir doch eigentlich alle das Gleiche erleben.“ Das stimmt zwar nicht ganz, denn mancher scheitert dramatisch früh; oder bleibt dauerhaft „unten“, aber für die, die sich, Münchhausen gleich, am eigenen Zopf aus der Scheiße ziehen, passt es zumindest oft.

Und wenn ein Musiker, den du sehr magst, dieses Thema antippt, dann meinst du, das könnte auch dein Lebenssoundtrack sein.

Aber stattdessen wäre es die eine Hackett CD zuviel gewesen! Musikalisch: Alles irgendwie bekannt und stellenweise inspirationslos zergniedelt. Wenn du DIE HIER kennst und magst, dann hebt dich auf der Waal-Platte nichts wirklich an. Und nach hinten raus wird’s auch messagemäßig seierig.

Die Platte bleibt beim Händler!

  1. Steven Wilson „Hand. Cannot. Erase.“ (2015)

Es gibt viele Gründe, Steven Wilson zu verehren: das Porcupine Tree gründen; das intelligente Texten; die erstaunliche Freundschaft mit Michael Akerfeldt von Opeth, die beiden Bands neue Impulse gab; das Restaurieren alter Art-Rock-Meisterwerke durch feinfühliges Remastern… nur eben nicht das Singen. Und er ist hauptberuflich ausgerechnet das. Das heißt: Seine Stimme geht so. Nervt nicht. In den elegischen Momenten von Porcupine Tree wird sie gut eingebettet. Wird es jedoch textlastiger – wird es schnell öde. Und leider betrifft das vor allem seine textlich brillianten Solowerke. Und „Hand.Cannot.Erase“ hätte ich nun wirklich SEEEEHR gern mögen wollen!

Er hatte einen Dokumentarfilm gesehen.

Konzept perdu 2Es ging um eine Frau mittleren Alters, die tot in ihrer Wohnung gefunden wurde. Umgeben von fertig verpackten Weihnachtsgeschenken an allerhand Freunde und Verwandte. – – – Drei Jahre nach ihrem Dahinscheiden.

Wie kommt ein Mensch in die Lage – Menschen beschenken zu wollen, die sich einen Dreck für einen interessieren? Was ist mit der Hausgemeinschaft? Ha‘m die nichts gerochen? Was mit dem Vermieter? Ist der Briefkasten nicht „geplatzt“?

Nu hab dich mal nicht so moralinsauer! Frag dich mal, weshalb dich das so kriegt! Auch du hast schon „verraten“; hängen gelassen; Freundschaften einfach nicht mehr gepflegt. Tatsächliche Gründe oder Ausreden gibt es zu Hauf. Aber es geht mir jedes Mal nahe, wenn man durch Zeitungsmeldungen dieser Art, Wohnungsräumungs-Dokus oder eben Rock-Alben an diesem wunden Punkt rührt.

Freunden von einst war nicht beschieden, 60 zu werden. Als sie gingen und ich davon erfuhr, hatte ich nicht einmal ne Adresse für ne Kondolenz. (Zwar lag keiner von ihnen tagelang unentdeckt in seiner Wohnung. Aber – wo war ich?)

Das Album erzählt den Werdegang der Frau in die völlige Isolation. Es hätte mir gefallen sollen. Aber dieses tonlose „Singen“. Eigentlich eher Rezitieren mit minimalistischen Sangesschlenkern dann und wann – zerstört mir die Message. Da kommt keine Ergriffenheit rüber; – und bei mir Wut auf: Warum hast du dir keinen Sänger gemietet!!! Du verhunzt die Idee!

Musikalisch hat es obendrein Längen. Auch da wäre nützlich gewesen, ein paar Band-Kumpels mitsprechen zu lassen, wo ne Prise Rock fehlt. So leider also nix.

Die Platte blieb beim Händler.

  1. Marienbad „Werk I -Nachtfall“(2011)

konzept perdu 3Da erzählt einer die Geschichten seiner Großmutter zuende, die sie ihm eingepflanzt hat, damals in seiner Kindheit. Und die Großmutter stammt aus dem Sudetenland? – Ja, das ist ja meine Geschichte! – Dachte ich zunächst.

Inhaltlich hätte das Wucht: Ein Dorf in Nordböhmen, das zufällig auch Marienbad heißt, wie die berühmte Kurstadt. Aber „das Böse“ scheint dort „von alters her“ zuhause zu sein! Menschen morden, verschwinden. Satan geht um und verdirbt sie! Schließlich soll ein Staudamm dem Tal ein Ende machen. Sieben Einwohner aber bleiben stur – und gehen mit ihrem Dorf unter. Tragik. Wut. Spuk. Metal-Drone.

Soweit die Rezensionen.

Und dann hörst du hin – auf juuhtup – und lässt es bleiben.

Opeth hätten das hinbekommen! Aber diese mutigen Thüringer hier haben sich schwer verhoben. Musikalisch zu überraschungsarm, reimtechnisch neben der Spur. Jammerschade, dass DAS nichts ist! Es blieb auch bis heute bei „Werk I“.

  1. EIS „Wetterkreuz“ (2012)

konzept perdu 4Es gab mal anfang der 2000er eine Black Metal Combo GEIST. Der gingen nach Querelen und Erfolglosigkeit zwei Mitglieder verloren. Außerdem gab es Knatsch mit ner anderen Band gleichen Namens. Der Rest strich deshalb zwei Buchstaben aus dem Band-Namen und machte als EIS weiter. Beharrungsvermögen! Beeindruckend! Und EIS bekamen irgendwie, irgendwoher Originalaufnahmen von „Kinski liest Nietzsche“. Gespenstisch, dräuend, abgefahren! Sie machten ein Album aus Kinski Zitaten und Todesgitarre! – Leider auch mit eigenen Textversuchen, die mit Nietzsche nicht mithalten. Die Stimme des Sängers jedoch passt, das große Wollen ist erkennbar. Über die Versmaß-Holper tobt der satanische Wind der dräuenden Gitarrenwolke hinweg.

Das Hauptübel der Platte sehe ich woanders: Furchtbar dürre Produktion. Musikalisches Gekratze. Die Drums verlieren sich im Mix viel zu weit hinten. Kein Wumms.

Bedauerlich. Das wär‘ fast was geworden – in einem richtigen Studio mit einer Art Dieter Dierks an den Reglern. Ächz.

Tipp: Crowdfounding. Neuer Anlauf. Remastern lassen! Wenn viel zusammen kommt – am besten von Steven Wilson. 😊

2 Gedanken zu “Pegasus‘ Sturzflug

  1. Alben von Steve Hackett kaufe ich seit Jahren nicht mehr, irgenwie ist es immer wieder die gleiche Musik, er wiederholt sich ständig. Man könnte auch sagen, dass er seinen Stil gefunden habe. Live nervt mich dieser Sänger (Nad Sylvan) an, für mich klingt er sie Kermit der Frosch. In die neue LP habe ich kurz reingehört, meine Meinung wurde bestätigt. Das (für mich wirklich abstoßende) Cover von NIGHTWHALE wäre für mich ein weiterer Grund, die Platte nicht zu kaufen. Das Cover von WOLFLIGHT von 2015 ist auch so ein komisches Cover.

    Like

    • Was die Cover angeht d’accord. Fotoshop statt Kunst.
      Was die von mir gepriesenen drei späten Alben angeht völliger Widerspruch. (siehe link im Text oben). Da hör ich interessante Unterschiede heraus. Natürlich hat er seine Handschrift. Aber eben deutlich weniger Selbsbeklau als zB Oldfield.
      Der Sänger, ja der is‘ eben so’n Geräusch am Rande. Gottlob weit weg von Steve Walsh oder dem Kläffer von Rush.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar