Honecker und der Pastor

Oder: Die Vergänglichkeit der Macht.

Hab wiedermal „Historienfernseh‘“ geguckt. Gesternabend auf arte.

Und hinterher saß noch der Liefers im „Riverboot“ auf mdr.

Ja.

Ich mag den Liefers normalerweise nicht.

Hier führte er ja „nur“ Regie; abgesehen von einem kleinen, hitchcockmäßigen Auftritt am Rande.

Er sollte mehr Regie führen! Nach diesem Film zu urteilen.

Der Film ist (abgesehen von der gelungenen „Weissensee“ Serie) unter endlos vielen filmischen DDR-Verhackstückungen endlich mal was zum Aufatmen für die Ossi-Seele: So war’s!

Kein Wessi-Klischee-Fernsehen!

Also: Sehr gut.

Der Bludgeon kann auch loben.

Und nu schau dir mal die miesen 1 Stern- und 2 Sternbewertungen im Netz an. Haste da noch Fragen?

Liefers gab im Riverboot-Interview zum Besten, dass ihm als Ossi die Episode von 1990, wo die obdachlos gewordenen Honeckers in Lobetal bei einem Pastor Unterschlupf fanden, erst 10 Jahre später bekannt und bewusst geworden sei, da er sich gleich 1990 im Westen tummelte, wegen Connections für die Zukunft.

Er habe also 2000 herum beschlossen: Diese seltsame Geschichte schreit nach Verfilmung! Der Kirchenbekämpfer von einst, verlassen von allen seinen Paladinen, beschützt im Pfarrhaus.

Und kaum sind 22 Jahre rum, hat er alles beieinander.

Wie muss man sich das vorstellen?

Der alte tattrige Erich und seine Frau, die Eisenbeißerin Margot; das Fanal gegen die Frauenquote; zwischen Tischgebet und johlendem Wendevolk vor der Haustür?!

Genau so, wie in diesem Film dargestellt!

Dem Gröl-Mob fehlten, wie immer die stonewashed Jeans und Vokuhilas, aber treffend – nur allzutreffend dargestellt, wie kipplig die Situation damals war: Polizei ohne Macht, Stasiwächter praktisch unauffindbar, Krenz und Gysi fühlten sich „nicht mehr zuständig“; die Russen noch ohne Direktive den „Kampfgefährten“ aufzunehmen, wohin mit ihm?

Ein Pastoren-Ehepaar gegen „Volk“, gegen Sensationspresse, gegen die eigenen Kirchenbonzen – übt Barmherzigkeit.

Bis letztendlich die Russen reagierten und die Honeckers nach Beelitz holten.

So schnell kanns gehen, dass sich Macht in Luft auflöst.

Und so diszipliniert waren die Ossis letztendlich noch, dass sie sich nicht einen Ceaucescu-Moment verschafften. Aber es war knapp!

Der Film bringt das Wunder fertig, diesen seltsamen Moment der Deutschen Geschichte facettenreich darzustellen und die unterschiedlichsten Gefühlslagen des Zuschauers anzusprechen: Die unterschiedliche Haltung der Pastorensöhne zu den feindlichen Bevormundern von eben noch, das salbungsvolle, gradlinige Verhalten des Pastors selbst, Axel Prahl als einer der Behinderten von Lobetal; und SIE: Margot; hervorragend gespielt von Barbara Schnitzler; eiskalt, uneinsichtig, schlagfertig; SIE ist das Highlight im Cast.

(Und es hat durchaus ein Geschmäckle, dass die Tochter einer anderen Hassfigur des Systems, die sich aber bereits zum 18. Geburtstag in den 70ern von ihrem Vater wünschte, das „von“ im Ausweis loszuwerden; hier so dermaßen gekonnt agiert!)

Die Kirche verlor in der Wendezeit so einige „Fachkräfte“ an die Politik. Wie mir ein befreundeter Dorfpfarrer damals süffisant zum Besten gab: „Wirkliche Fackelträger des HERRN gingen nicht verloren.“ Der Lobetaler Seelsorger blieb auf seinem Posten bis zum Ruhestand.

Die Requisiten! Die Musik! Alles stimmig!

Die Filmbranche sollte sich aber generell mal einen Kopf machen, wie sie das Problem löst, die zusammengeklaubten Oldtimer alltagsmäßig eindrecken zu dürfen, oder mal einen Trabi mit unlackiertem braunen Kotflügel ins Bild setzen zu können:

Im DDR-Alltag sahen nicht alle Autos so chromblitzend geleckt aus, wie hier wieder vorgeführt.

Also leichter Punktabzug für fehlende 1990er Mode auf Seiten der Statisten (vor dem Zaun und in der TV-Studio-Szene) und zu sehr geputzte Autos, ansonsten: Alles da.

Note: 1-

(PS: Was mag Uwe Steimle damals bloß geritten haben, die Honecker-Rolle abzulehnen? In so einem gekonnten Film?)

Zweite Guck-Chance: Montagabend im ZDF oder die üblichen Mediatheken.

13 Gedanken zu “Honecker und der Pastor

    • Ich habe nun die Gelegenheit genutzt. Die Schnitzler als Margot war – wortwörtlich – unheimlich beängstigend gut.

      Und wie schon erwähnt, einen schönen metallic-lackierten Wartburg habe ich in der DDR noch nie gesehen. (Wir waren ziemlich kurz davor, einen Wartburg zu bekommen, wenn die Mauer noch ein bisschen länger gestanden wäre. Aber ja…)

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      • Einer meiner Onkels holte anfang 90 noch seinen neuen Trabi ab. Der durfte sich noch Ersatzteile für lau aussuchen und kam grinsend mit anderthalb Trabis zurück. Im Auto war nur noch Platz für ihn. Ansonsten alles voll Teile.

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      • So ich hab ihn in zwei Etappen geschaut. Also ich fand ihn recht bewegend. Diese Spannung zwischen den Polen. Vom Leben in der DDR habe ich nicht viel gesehen, es war ja eher ein Kammerspiel aber die Persönlichkeiten der Pfarrersfamilie den Honeckers war sehr glaubwürdig. Hast du die Deutschland Reihe geschaut auf Amazon, da Normalbürger haben sicher anders gelebt. Ich war 1983 in Prag und hatte da zwei Jungs aus Cottbus kennen gelern. Mit ihnen hatte ich mich lange unterhalten und hinterher auch geschrieben. Ich habe ihnen Goerge Orwells 1984 geschickt, Eingepackt in eine Kabapackung, bei der ich die Aluabdeckung vorsichtig herausgeschnitten habe und dann das Gewicht des Buches an Kaba herausgenommen und das Buch in einer Plastiktüte in das verbleibende Kabapulver steckt und die Aluabdeckung wieder eingeklebt. Das sollte die Röntgenprüfung überlisten. Das hatte funktioniert und ich bekam einen Brief von Frank, dass das Kaba am leckersten von allem war und jeder davon trinken wollte. Es waren zwei Punks, so wie ich damals auch und wir verstanden uns sehr gut.

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      • Wow. Das mit dem Kaba!
        Im Studium in Leipzig mussten wir Arbeitseinsätze machen, um bestes Studentenkollektiv zu werden. Einer davon im Zollamt im Bahnhof. Vorweihnachtszeit. Auch 83 oder 84. Nachtschicht.
        Wir standen am Fließband und rissen Westpakete auf.
        Zwei Zöllner gingen auf der andern Seite lang und nickten, das hieß, alles wieder einpacken. Dann fuhr das Band ein Stück weiter und das Paket wurde gestempelt: Zollamt Leipzig kontrolliert am …
        Gefunden und beschlagnahmt wurde in dieser Schicht nur wenig: Eine Heino LP.
        Eine teuer aussehende Herrenarmbanduhr, die der Zöllner in einer Kaffeepackung ertastet hatte.
        After the Goldrush von Onkel Neil wurde durchgelassen.
        Wir laberten noch ewig über diese Schicht. So interessant und widerlich in einem.
        Wir mussten auch durch so ne Flughafenschleuse und wurden gefilzt, dass zumindest WIR Hilfskräfte nichts klauen.
        Meine Haupterkenntnis schon damals: Die meisten Westpakete enthielten abgetragene Klamotten.
        Teddymäntel und Schlaghosen aus den frühen 70ern. Habe dort zum ersten Mal Jinglers gesehen, die kannte ich nur aus der Werbung.
        Hätten wir den Job verweigern können? Ja. In Bautzen wären wir nicht gelandet. Aber ein dicker Minuspunkt in der Kaderakte wäre erhalten geblieben. Und der hätte dann zu so Racheakten der kleineren Art geführt: Absolventenzeitverlängerung oder Einberufung zum Reservistendienst, oder schlechter Bewertung der Diplomarbeit bzw. Hinauszögerung des Abschlusses: Erst mal durchfallen lassen, dann mal weitersehen …
        Ja der Staat hatte viele Facetten und kam meist ganz ohne Zuführung/Verhör aus.

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      • Man man, da hatte der Empfänger aber Glück, dass er die Heino LP nicht bekommen hat, Musik von so einem blonden Nazi ist ja auch sehr Meinungsverzerrend. Danke für diese Einsicht, das bestätigt ja wirklich, dass meine Bemühungen nicht umsonst waren. Vielleicht wurde hier aber wirklich zu sehr nur der Stasi Knast gesehen. Ich hatte in der Berufsaufbauschule ein Referat gehalten über das Wahlsystem der DDR und kam zu dem Schluss, dass das gar nicht so undemokratische war, weil ja jeder über seinen Blockwart seine Meinung bis ins höchste Gremium vorbringen konnte. Na ja, Dichtung und Wahrheit liegen manchmal Weit und dann auch manchmal ganz nah zusammen…Lustige Anekdote ist auch, dass mir André und Frank Ton Steine und Scherben nahe gebracht haben, die kannte ich vorher nicht.

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      • Die standen hoooooch im Kurs auch in meinem Freundeskreis in den 80ern. Und hatten ihre Entsprechung im Osten in Sandow – DER Wendezeitband!
        Siehe SCHWEIGEN UND PAROLEN. Kommt auch in “Honecker un der Pastor“ vor.
        Und Sandow wiederum stammen aus Cottbus. Da schließt sich der Kreis zu deiner Punkbekanntschaft.

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