Old Men’s Music (2)

Was ist das für eine Zeit, in der das Schreiben über alte Platten das Schweigen über soviel gesellschaftliche Agonie einschließt. (frei nach B.Brecht)

So oft es ging, saß der kleine Martin bei Opa Bob in dessen heruntergekommener Hütte und lauschte seinen Geschichten. War ja sonst nicht viel möglich für 5jährige da hinten in Arizona 1930.

Zumal, wenn in der Hütte nebenan mal wieder „die Luft brennt“. Vater verdrischt der Reihe nach 8 Gören. Merkt nicht, dass der 9. fehlt und hat danach für einen Moment Ruhe, seinen Rausch auszuschlafen. Eine Mutter gibt es nicht. Tot – sagt Vater. Duchgebrannt – sagen die Nachbarn.

Martin ist, wie sich zeigen wird, der klügste von neun Nichtsnutzen. White Trash übelster Sorte. Aber das fällt lange nicht auf. Hatten ja alle nichts dahinten während der Great Depression.

Opa war sein Leben lang Herumtreiber. Er war einer dieser „Wunderdoktoren“, die die Etiketten von Bierflaschen abweichten, „Arznei“ zusammenbrauten; damit die Flaschen füllten; Korken drauf – und ab dafür – von Saloon zu Saloon. Da wartest du dann als „Doc“ auf deine Kundschaft.

Hatten ja alle „nüschd“ dahinten, während der dunklen Jahre zwischen den Kriegen.

Arztkosten konnte sich keiner leisten. Da ist so eine 3-Dollar-Wundertinktur vom „Doc“ genau richtig, um noch einmal Hoffnung in den Familien der Kranken aufzubauen. Starb der Patient dann doch – dann sollte man als „Doc“ besser nicht auffindbar sein! Was drin war in der Tinktur? Das willst du gar nicht wissen. Glauben sollst du! Glauben versetzt Berge!

Opa kam herum! Bis Oregon – sagt er jedenfalls! Hat sogar Büffel gesehen! Die letzten echten! Und er hat gut zugehört, wenn die Barfly‘s ins Erzählen kamen. Opa steckte voller Geschichten. Von Billy the Kid, Wild Bill Hickock, Everett Russ und noch viel viel mehr Billy’s und Johnny’s, die alle irgendwie erfolgreiche Fighter waren, bevor sie -erschossen oder gehängt- Legenden wurden. Die Heroes des „Alten Westens“.

Der kleine Martin sog die Geschichten auf wie ein Schwamm. Seine Phantasie ermöglichte ihm so eine Gegenwelt: gegen Vaters Schläge, gegen die Petzereien der Geschwister und die Schläge der Brüder, gegen das verdammte Schicksal – Loser zu sein.

Er wurde älter und kräftiger. Die Brüder, einer nach dem anderen, schlugen irgendwann zurück, wenn Vater wiedermal „erziehen“ wollte, und verließen dann das Haus auf Nimmerwiedersehen. Fanden Arbeit, Knast, oder Todeszelle. Niemand weiß, wo all die Ratten enden.

Martins Weg war vorgezeichnet. Er wurde 16,17,18 und fuhr schon dann und wann mal Auto. Polizeiauto, um genau zu sein. Immer dann, wenn sie ihn wiedermal erwischt hatten, bei ner Schlägerei, beim Zeche prellen, beim Ladendiebstahl, beim Raub. Erst bringen sie dich heim – zu Vatern. Machen „Du, du“ und fahren wieder. Dann lochen sie dich ein. Und dann werden diese Einlochungen länger.

Da war es ganz gut, dass die Einberufung kam. Auch so was wie Knast. Aber das kannte er ja nun. Wenn juckts? 1943. Es ist Krieg. Davon hatten sie in den Kneipen erzählt. Da hinten in Arizona. Legal shootin‘!

Er gerät zu den Marines und an die Pazific-Front. Fährt Landungsboote, wenn Invasion auf irgendeiner Insel ansteht. Aber er hat Glück. Er erwischt immer die ungefährlicheren Strände. Da wo „die Japse“ schon weg sind, oder gar nicht waren. Salomonen, Palau usw. Aber die Angst fährt immer mit, denn das weiß man ja nie vorher.

Militärdienst gebiert Langeweile, ob nun Krieg ist oder nicht. Die meiste Zeit ist Waffenputzen oder herumlungern. Einer von den Comrads kann Gitarre, ein anderer Klavier. Und Martin kann singen. Also tut man sich zusammen, grölt Persiflagen auf bekannte Marschlieder, auf die „Japse“, und bissel ironischen Herzschmerz gegen das Heimweh. Das kommt an. So gut, dass sie bald vor ganzen Einheiten auftreten bzw. durch die Offz-Kasinos tingeln. Martin hat sich ein paar Gitarrengriffe abgeguckt und auch ein bissel Klavier, damit er den jeweils Besoffensten vertreten kann, wenn nötig. Singen muss immer er selbst. Und saufen will er nicht: Das Bild des Vaters immer vor Augen.

Er findet Gefallen an diesen Auftritten, fängt an zu reimen; merkt, dass ihm das leichtfällt – und obwohl ihm selbst mancher Text zu schnulzig vorkommt, registriert er die Wirkung. Wenn die Kameraden da in ihr Bier heulen, wenn er von der fremdgehenden Ehefrau oder vom kranken Kind zu Hause singt, dann weiß er, dass das eine Zukunft sein könnte.

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Als der Krieg vorbei ist, geht er erstmal wieder nach Hause, nach Arizona. Er tingelt abends durch die Bars und heiratet. Seine Auftritte ziehen Publikum. Ein lokaler TV-Sender sucht Talente und gibt ihm eine eigene regelmäßige Personality-Show! Da singt er viel selbst, lädt unbekannte Talente ein. Lokalmatadoren. Für kleines Geld. Einmal auch einer mit Plattenvertrag. Der singt mit ihm Duett und wirbt für ihn bei Columbia Records. Mit Erfolg. Erste Single – Flop. Zweite Single – Flop. Aller guten Dinge sind’er dreie: Seine dritte Single wird 1952 erfolgreich. Er wird so ne Art Sinatra-Kopie und zieht nach Nashville, „um an der Quelle zu sitzen“. 1953 passiert dieses Bill Haley Ding. Martin, der sich inzwischen Marty nennt,

  • denn das amerikanisch aus gesprochene „Marrrt‘n“ klang stets wie „Gleich Prügel vom Vater!“ – Marty dagegen klingt sanft. Strahlt Beliebtheit aus. Einer zum Schmusen – nicht für den Knast! –

Marty beschließt Rock&Roller zu werden. Seine nächsten Singles sind also das, was gerade aufkommt: „Maybelline“ usw. Auf dem zweiten Gleis bleibt er aber Crooner, um die Grand Ol’Opry zu bedienen und sein Anfangspublikum zu halten.

Nun musser allerdings auch zu diesen Dance-Hall-Events der Highschool-Burschen landauf, landab, coast to coast, border to border. Da zeigt sich bald, dass er da nicht reinpasst: Zu alt! Es fühlt sich blöd an, als Kriegsveteran unter diesen ungedienten, verwöhnten Lappen und mit über 30 harten Jahren auf dem Buckel noch solch pubertären Stuss herauszuschreien wie „Long Tall Sally“ oder „That‘s alright Mama“!

All die anderen „neuen Helden“ sind Spunde. Machen „den Harten“ – bellende Hunde.

Bis auf diesen Elvis. Der war anders. Mit dem war er 1955 auf Tour, dessen Show beeindruckte ihn – und der stand vor ihm stramm; nannte ihn sogar „Sir“! Das hatte Marty schwer imponiert. Der gab ihm Respekt! Automatisch! Aber seine Kontakte zu den übrigen Boogie-Boys sind eher anderer Natur:

Eines Abends, nach so einem Dance-Hall-Hop, sitzt er an der Bar, hat einen Plausch mit ner netten Wirtin, neben an wird noch heftig getobt. Da kommt dieser hysterische, blonde Lockenstrietz rein, setzt sich an einen Tisch, wartet 10 Sekunden, springt an die Bar vor und belappt die Wirtin, ob sie noch am Leben sei, warum sie ihm nichts bringe, ob sie wisse, wer er ist. Er sei der King of Rock&Roll! Er sei die Nummer eins! – Er reckt sich, schmeißt die Stirnlocke zurück und versucht respektabel auszusehen. Jerry Lee Lewis eben. Marty denkt: Mal sehn wie groß die „Balls of Fire“ wirklich sind.

Er gibt ihm von der Seite einen kleinen Schups und knurrt in nuschligstem Arizona-Slang: „Do ye miss a punch b’tween‘y eyes? Daddies first! Sit’n’wait!“ Er hat diesen Blick drauf, für den du’n Waffenschein bräuchtest. Noch von damals, aus’m Knast. Dem Wild Pianoman wird klar: Der wird nicht weichen. Also tritt er -irgendwas Unverständliches murmelnd – den Rückzug an.

„Good Boy! Sitz!“ Und Jerry the Dog sitzt wirklich brav und böse guckend da.

„Thanks“, atmet die Wirtin auf.

„Typisch Bird-Dog. Hinterm Zaun die große Schnauze. Machst du das Türchen auf, verkriecht er sich hinterm Haus. Mach mir mal noch ein Bier.“

Neben ihm saßen die Everly Brothers. Wenig später lief im Radio ihr „Bird Dog“ erfolgreich. So geht Inspiration!

mr1Diese schnellen Rocknummern sind nur „Zweites Gleis“. Marty bleibt der Crooner mit den besseren Stories, die sich auch besser verkaufen. Bombast-Pop. Die Columbia bringt ihn mit Ray Conniff zusammen. Dessen Orchester sitzt momentan auf einer Goldader mit Big Band Easy Listening Dance Music für die älteren Jahrgänge. Mit dem spielt er „Seventeen“ ein und schlägt so die Brücke zum Rock&Roll-Publikum. Der Song hat 1957 Skandalpotential. Marty ergreift Partei für die ganz jungen Ehen, die zum Problem der Zeit werden. „She was only seventeen and he was one year more. She loved him with all her heart and he the gal adore…“  First Love und dann gleich zum Standesamt. „Churchbells may wring“ Schwarze und Puertoricaner singen sowas im Doowop ja auch seit geraumer Zeit. Schande! Eltern erzwingen Radioboykott. Verbot? Die Kiddies stürmen die Läden. Hit! Der Song dröhnt nun überall aus den Kinderzimmertüren. Die Eltern knicken ein.

Das Conniff Orchester! Von dem haben wir doch auch Musik in der Truhe! Die werden doch keinen Schweinkram unterstützen!

Und wenn man im Kino so „Black Board Jungle“ und „Rebel without a cause“ gesehen hat, dann weiß man, dass die eigenen noch ganz gut geraten sind und dass es schlimmeres gibt als einen Ehewunsch im ersten Liebesrausch – mit Anstand vorgetragen. Das ist -bei Lichte betrachtet- doch auch nichts anderes, als was Mum and Dad vorgelebt haben, – wenn gleich ein bissel zu früh. Also ein bissel hinhalten und abwarten. Lieber dreimal täglich „Seventeen“ ertragen müssen als diesen fürchterlichen „Jail House Rock“ oder gar „Riot in Cell Block Nr.9“!

Eines Tages hört Marty „Tom Dooley“ vom Kingston Trio im Radio. Da kommt ihm eine Idee: Opas Geschichten! Eine davon schreibt er in Reimform auf. So entstand „El Paso“. 1959 nahm er das auf und wartete auf Reaktion. – Und die war überwältigend! Und weil das so gut lief, schob er „Big Iron“ nach. Bumm. Wieder erfolgreich. Die Rock&Roller machten inzwischen auch LPs, also musste auch für ihn eine her; aber Rock&Roll packte er da keinen mehr drauf. Das waren nun alles Gunfighter-Ballads! Yeahr! Was für ein Label! Und so eingespielt, als sänge sie irgendein Hobo am Lagerfeuer! Aber nicht durchweg! Marty kennt das 1×1 des Erfolges. Wenns so richtig sentimental werden soll, dann legt man dezente Streicher drunter – für den Prairie-Wind, you know?!mr2

Western boomten grade im Kino. Nun gab’s die Songs zum Genre. Und die kauften Jung und Alt. Also zwei Zielgruppen: Doppeltes Geld. Und dann noch die überraschende Anfrage aus Übersee, ob man covern dürfe. Diese Krauts wollten ihre Frauleins beeindrucken mit Martys martialischen Wild West Gesängen auf Deutsch! – Na, wenn sie zahlen?! Gerne! Mr. Bendix übernehmen Sie!

Die Moderatoren der Sender und die Rezensionen in all der Wochenendbeilagen überschlugen sich. Manche verstiegen sich regelrecht dazu, zu verkünden, Marty Robbins Verdienst sei es „die Songs des Alten Westens“ aus der Zeit des „Westward ho!“ wiederentdeckt zu haben. Marty las das, grinste in sich hinein und sah in den Himmel: Grinst du mit, Ol‘Bob? – Er meinte Großvaters Stimme zu hören: „Glauben musste! Glaube versetzt Berge!“ Nie wieder White Trash sein!

Grammy Nr.1!

Von nun an ging es Schlag auf Schlag. „More Gunfighter Ballads“ und „The Drifter“. Für letzteres Album textet er „Feleena“. Einen 8 Minüter! Spärlich instrumentiert. Mit packendem Text! Im Radio spielten sie ihn zunächst nicht. Columbia wollte ihn nicht als Single. Aber „Feleena“ wurde ein Selbstläufer. Der Song wurde so oft gewünscht, dass er schließlich doch Single wurde. Der Text erzählt die Story des Vorläufers „El Paso“ aus der Sicht der dort umkämpften Frau. mr3Er gipfelt gekonnt dramatisch in Wind-Mystik. Für eine Fernseh-Show wird Marty in Cowboy Outfit in eine Saloon Kulisse gesetzt, wo er sich selbst auf der Gitarre begleitet und Bänkelsängermäßig das lange Ding vorträgt. Wir schreiben 1966. Im Kino bricht die Westernbegeisterung bereits ein. Jedoch Im Fernsehen boomen „Bonanza“ und „Rauchende Colts“. Das hilft. Der Umsatz explodiert – für Single und Album. Marty Robbins – Superstar.

Die TV-Shows rissen sich um ihn. Wer dauernd auf der Mattscheibe zu sehen ist, muss nicht mehr touren.  Jede Platte vergoldet sich bereits in den Vorbestellungen. Das Konto wächst. Ruhe kehrt ein. Nashville wurde ihm zu öde.

Der kleine Assi aus Glendale Arizona hatte es allen gezeigt. Plötzlich saß er nun neureich in seiner Villa auf Hawaii und hatte einen „Mountain of time“ totzuschlagen, wenn er nicht gerade Songs schrieb, oder Platten aufnahm. Da war es gerade recht, dass dieser Elvis „Blue Hawaii“ drehte und an freien Tagen in der Nähe war.

Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.

Manchmal gibt es eben Songs, die zünden mehr als andere. Neben den Jack Scott CDs stehen bei mir die von Marty Robbins. Und wenn ich mal wieder „Big Iron“, „Feleena“ oder „Seventeen“ höre, dann laufen eben in mir Filme, wie der oben beschriebene.

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