John Tanner – der weiße Indianer

Da war dieses Buch. Braun in Braun. Denn das Papier der Seiten nahm im Laufe der Jahre die Farbe des lehmbraunen Schutzumschlages an. 1983 erschienen und gekauft. Paul-List-Verlag Leipzig. Es war die Zeit der Stagnation. Da war das Papier, das die Ehemalige für Druckerzeugnisse verwendete eben auch schon „hinüber“.

Es ist ein Indianerbuch. Aber es erschien viel zu spät, um kleine Dakota zwischen Elbe und Oder zu begeistern, oder viel zu früh, damit es altgewordene Möchtegern-Dakota ebenda erreicht, wenn diese Zeit haben und ihre kindlichen Indianererinnerungen wiedererwecken.

So wurde es ungelesen in die zweite Reihe gestellt. Schließlich auf den Dachboden verbannt. Neulich wollte ich es fast aussortieren. Aber ich überflog die ersten Seiten – und – nun MUSS es bleiben!

Es ist kein Indianerbuch im herkömmlichen Sinne. Aber es ist das „Wurzelwerk“ von „Blauvogel“, „Den Söhnen der großen Bärin“ und „Winnetou“, wie aufzuzeigen sein wird.

John Tanner „30 Jahre unter Indianern“, aufgeschrieben nach seinen mündlichen Berichten von Dr. Edwin James. Erstveröffentlicht 1830 in New York. Deutsche Auflagen unregelmäßig seit 1835.

1. Die Andersartigkeit des Inhalts

Der direkt betroffene, weiße Ojibwa John Tanner schildert die Indianerwelt 1789-1820, wie sie sich so nirgends sonst finden lässt, authentisch „von innen“.

Er berichtete im Krieger-Stil. Gefühle haben da keinen Platz. Er lebte ein Nomadenleben im Tipi und ständig auf der Jagd nach Fleisch. Mal herrscht Überfluss, mal Hungersnot – aber immerwieder findet sich dann doch noch im letzten Moment ein erlegbares Tier oder ein vorbeiziehender befreundeter Stamm, der noch Pemikan abgeben kann.

Selbstlose Solidarität zwischen befreundeten „Zeltgruppen“ unterschiedlicher Stämme kommt also vor. Grundlose Feindschaft mit den Sioux(Dakota) jedoch auch. Wiederholt rotten sich die Ojibwa zusammen, um ein Dakota-Dorf zu überfallen. Jedesmal scheitert das Unternehmen jedoch vor Erreichen des Ziels. Denn man vermutet es zwar irgendwo da draußen in der Prärie, kennt aber die genaue Lage nicht. Der Marsch zieht sich in die Länge. Versorgungsproblem, steigende Unlust, Massen-Desertation. Der Häuptling wird jedesmal nur für diesen einen Kriegszug akzeptiert und mit steigendem Hunger sinkt diese Akzeptanz dann immer auf den Nullpunkt. Alles verkrümelt sich wieder zurück zu den Zelten der Familie und geht in Kleingruppen jagen. Tanner zieht mit seiner Indianerfamilie meist allein oder mit nur 2 oder 3 Zelten anderer Familien herum.

indianer3 (3)Fleisch, Fleisch, Fleisch machen! Endlos werden Jagderfolge aufgezählt. Dabei wird deutlich mit welcher Verschwendung gejagt wurde: Wenn Gelegenheit ist, wird getötet. Mehr als man braucht oder verarbeiten kann. Weise Häuptlingssprüche zur Schonung der Natur sucht der Leser vergebens. Generell wird die Kreatur lediglich nach ihrem Nährwert betrachtet. Ist ein Waldstück leergeschossen, wird weitergezogen.

Einen weiten Raum nehmen die Suff-Ausschreitungen der Krieger untereinander ein. Jedes Jahr im Frühjahr ziehen sie mit ihrer Pelzbeute vom Herbst und Winter zur Handelsstation, wo sie eigentlich Mehl, Munition, Pferde eintauschen wollen, aber dem Schnaps nicht widerstehen können. Minimale Mengen reichen zur Volltrunkenheit, in der sie sich die Felle billig abschwatzen lassen und dann in alkoholisiertem Größenwahn übereinander herfallen. Arm wie die Kirchenmäuse betteln sie hinterher ausgenüchtert bei den Händlern um „Kredit“, um doch noch zu Mehl und Munition zu kommen. Ein nicht enden wollendes Trauerspiel. Keiner von ihnen lernt daraus für den nächsten Frühling. Vom „Edlen Wilden“, der Kopfgeburt europäischer Schriftsteller, bleibt nicht viel übrig.

2. Die Weiterverwendung des Stoffes

Tanner wird im Alter von 9 Jahren 1789 von den Ojibwa entführt. Ein Krieger hat seinen Sohn verloren, die Frau überwindet den Schmerz nicht, also kommt er auf die Idee, ihr Ersatz zu schaffen. Da er jedoch nicht an die Sprachbarriere denkt, ist die Freude der Indianerfamilie über den weißen Fang schnell dahin. Der kleine John durchleidet Hundezeiten, bis eine angesehene Häuptlingin einer anderen Zeltgruppe vorbeikommt, das Elend bemerkt und den kleinen, inzwischen Zehnjährigen seiner Zwangsstiefsippe abkauft. Hier wird er besser behandelt, bekommt regelmäßiger von der Nahrung ab und macht Fortschritte. Schließlich bekommt er ein Gewehr, geht auf die Jagd, bricht in einer Schneewehe ein und bemerkt, dass er auf dem Kopf eines schlafenden Bären steht. Er erschießt ihn und rettet somit seine Familie vor dem gerade drohenden Verhungern.

Peng! Das kommt dir bekannt vor? Dann bist du Ossi und hast in Kindertagen „Blauvogel“ gelesen. In der DDR ein ewiger Bestseller von 1950 bis mindestens 1975. Danach flachte die Indianerbegeisterung in der nachwachsenden Generation spürbar ab.

dav

Anna Jürgen hatte sich an einer Art Preisausschreiben zur Schaffung einer neuen sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur beteiligt und gewonnen.

Sie muss unzweifelhaft Tanners Buch gekannt haben. (Ihr Mann wird bei Wikipedia als „Indianerforscher“ vorgestellt.) Sie peppt den Inhalt der ersten 30-40 Seiten daraus gefühlig auf, wechselt den Indianerstamm aus, macht aus John einen George und aus den Ojibwa werden Irokesen. Zusätzlich dramatisiert sie die Begegnungen mit den Weißen, die bei ihr keine verlässlichen Pelzhändler, sondern Skalpjäger sind – und lässt das Buch damit enden, dass der ca. 16jährige George zu seiner weißen Familie zwar zurückkehrt, jedoch dort nicht mehr klarkommt, sich zu sehr als Exot fühlt und deshalb lieber wieder zu den Irokesen zurückkehrt.

indianerDer wirkliche Blauvogel alias John Tanner dagegen beschreibt, wie ihm das Jägerleben zunehmend gefällt, wie er kontinuierlich Kontakt mit weißen Pelzhändlern hat, jedoch keinerlei Lust verspürt, wieder wie ein Weißer zu leben. Er hat nun Weib und Kinder und sein erster Stiefvater hatte sich bei einem späten Wiedersehen damit gebrüstet, die ganze Tannersippe inzwischen getötet zu haben. Eine Lüge, wie sich herausstellen wird. Erst als die Geschwister seiner Frau an einer Seuche sterben und die Schwiegermutter dies auf einen bösen Zauber des ungeliebten hellhäutigen Schwiegersohnes zurückführt, hat der nun ca. 40jährige die Nase voll von ständigen Komplotten, da ihm die Schwiegereltern nach dem Leben trachten. Auch seine Frau schwankt in ihrer Einstellung ihm gegenüber. Er verstößt sie und kehrt zu den Weißen zurück. Allerdings will er seine Kinder mitnehmen, was zu Verwicklungen führt. Die Kinder sind sich uneins. Ein älterer Sohn bleibt bei den Ojibwa. Die Tochter im Teen-Alter will mit Vater zu den Weißen.

Dieser Aspekt des freiwilligen Folgens in die Welt der Weißen ist eine deutliche Parallele zu Toka-ihtos Jugend (Söhne der großen Bärin, Band 1 „Harka“; Liselotte Welskopf-Henrich), mit vertauschten Geschlechtern. Harka, der spätere Toka-ihto, folgt freiwillig seinem Vater in die Verbannung, die letztlich zu den Weißen führt. Schwester Uinonah bleibt bei der Großmutter.

Fehlt noch der Hinweis auf Karl May. Tanner erwähnt viele Ojibwa-Namen von Kriegern, die eine Weile mit ihm ziehen, oder denen er sich anschließt. Darunter ein Wa-ned-taw. Zufall?

3. Das Nachwort

Der interessanteste Teil des Buches ist das Nachwort jenes Dr. Edwin James, der da ungeplant zum Tanner-Biografen wurde.

Es ist ein gelungener Rundumschlag gegen alles, was da so an Indianerpolitik seitens des weißen Mannes versucht wurde: Lauter einander widersprechende Ansätze von Integration und Ausrottung. Besonders gründlich widmet er sich jenen Internaten, die 1830 herum gerade entstehen, in die ausgewählte Indianer- und Halbblutkinder gesteckt wurden, um „ein bisschen was von“ Religion, Geschichte, Algebra und Landvermessung beigebracht zu kriegen. James fragt: Was nützt es ihnen, wenn sie später zurückkehren in die Wildnis, unter ihre Altersgenossen, die inzwischen jagen und kämpfen gelernt haben? Wer schneidet dann besser ab?

Seit 2021 ist das Thema in Kanada wieder aktuell, weil man auf die Kindermassengräber gestoßen war, die in den Gärten der ehemaligen Internate von den „Erfolgen“ jener Einrichtungen künden.

Darüber hinaus erstellt Dr. James eine Art Psychogramm von seinem Sensationsbekannten:

tannerWie wurde der doppelte Kulturkreiswechsel verkraftet?

Er hat da in Detroit einen Weißen vor sich, in nun wieder europäischem Outfit, mit nun wieder kurzgeschnittenen Haaren. Einen toughen End40er mit unstetem Indianerblick, der ständig rotiert, um rechtzeitig Gefahr zu erkennen. Im Gespräch und bei Nachfragen reagiert er bisweilen aufbrausend impulsiv. Zurechtweisungen nimmt er als Kampfansage. Ständig meint er, sich rächen zu müssen – denn „ein Mann, der Unbill duldet, verliert sein Ansehen, wird Gespött.“

Als Bekanntschaften umgibt er sich unter Weißen also eher mit zweifelhaften Personen, weshalb ihm nahegelegt wird, doch lieber wieder an die Grenze zu gehen, „weil er da besser hinpasst“.

Automatisch drängen sich die Migrationsprobleme von heute auf: Integration von Massen von „Naturkindern“ fortgeschrittenen Alters, ohne Bildung und mit hochfliegenden Träumen! Was, wenn sie merken, dass sie auf diversen Praktikumsplätzen ausgenutzt und schlecht bezahlt-, aber niemals in diesem Leben – Arzt oder IT-Manager werden? Oder wenn „Bayern-München“ niemals anruft? Sie sind keine Ojibwa. Aber das Problem ist das gleiche: Die mitgebrachte Prägung wird unterschätzt – bzw. totgeschwiegen. Die Politik möchte weiterträumen lassen. Endlich soll einmal ein Vielvölkerstaat gelingen, obwohl alle Vorgänger-Beispiele mehr als kläglich scheiterten.

Wie Tanner sich entschied, bleibt offen. Wie unsere derzeitige Lage endet – auch.

Rising Mack‘

Sprich: Reising Mack‘ (= Texas-Deutsch – bzw. Denglish –  für „wachsende Macke“)

Mancher leistet sich im Alter eine echte Gibson Les Paul, oder einen schweineteuren Rickenbacker-Bass, nur um dann auf’m heimischen Sofa halbstundenweise „dumm-di-dumm, dumm-di-dumm“ herumzudilettieren.

Tja, aber was machste, wenn de weißt, dass es mit dem Akkordeon – wayback in the early 70s; zwischen 11 und 13 – eine Plage war? Einhändig gings zwar wunderbar, nahmste aber die zweite Hand dazu – entstand ungeplanter Freejazz.

Von 7-11 zuvor war Flötenunterricht; leidlich erfolgreich – aber completely ooncool. Damals. Nich‘ mehr mit 60, Honey! Das tröstet. Aber Blockflöte gilt es zu vermeiden. Die klingt immer nach Aula-Abend. Blieben noch diese mythischen Prärie-Klänge! Würdeste dir die zutraun? Langsam keimt ein Gedanke, der Weihnachten 2020 reif wird. Denn:

Die Indianer lassen dich nicht los. Save your childhood vor dem Zeitgeist!

Gojko-Filme. Welskopf-Henrich-Bücher. Dann Pierre Brice. Dann Karl May in Buchform…

DDR-Fernsehen und NBI: Russell Means at Wounded Knee 1973! Die gibt es noch in echt! Mit M-Pi‘s! Hans Beimler goes Little Big Horn! Für 13jährige is’das was!

(Berechtigte Anliegen, vermischt mit wirrem Weltbild – undank Bildungsnotstand in den Reservaten, wie man heute weiß, wenn man es wissen will, soll hier heute aber nicht Thema werden.)

Hundert Jahre Custerschlacht hinterließen Spuren „We are all wounded! At Wounded Knee!“ Redbone. One-Hit-Wonder. Wie auch der von Paul Revere and the Raiders.

Schließlich geraten doch noch Soundtrackschnipsel der Kino-Abenteuer der Kinderzeit aufs Band. Jahre vergehen. Stingls „Sasacus bis Geronimo“ wird gelesen. Eva Lips Völkerkundeband „Sie alle heißen Indianer“. Sogar Dee Browns „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ erscheint in Kleinstauflage. Die DDR verblüfft mit einer Karl-May-Renaissance.

Robbie Robertson outet sich, Indianer zu sein, Rita Coolidge zur Hälfte!

„I don’t believe it’s all for nothing. It’s not just written in the sand. Come down Gabriel, blow your Horn: Sometimes we will meet again.“

… somewhere down the crazy river…

Nach-Wende-Zeiten: Bludgeon Jr. hat Kinderfasching: Kostümwahl? Was für ne Kostümwahl?!

Denn was guckt er da wohl dauernd mit Papa auf VHS? Toka-ihto saß praktisch immer mit auf dem Sofa.

1994 herum ein CD-Beifang vom Wühltisch. Das Coverfoto schrie: Kauf mich! Namenloses Ensemble. Mythische Klänge; für europäische Ohren mit Synthie-Flächen untermalt. Passt schon.

2013/14 herum bekomme ich den Tipp, dass es da einen Douglas Spotted Eagle gibt. Zwei CDs flattern herein und sind gut. Erleben mehrfache Rotationsphasen. Auch im Auto. Tochter und Freundin treibts in den Wahnsinn: „Nich‘ dein Ernst? Wie lange geht’n das?“ Sie fangen an, Schlager- Kram auf die Melodie zu singen: „Du hast mich tausend Mal belogen…“,„…eine Ewigkeit mitten im Paradies…“. Bludgeon dreht lauter und singt die „Heyjajah, heyjajah“-Stellen mit. Der Kampf endet unentschieden.

2018 die Bekanntschaft mit Brulé…

Inzwischen erreiche ich das komische Alter. Nun habe ich die Les Paul- bzw. Rickenbacker-Reife…

Was tun?

Vier Wochen vor Weihnachten erreicht ein Paket Bludgeon-House.

mde

Im Internet habe ich eine deutsche Firma entdeckt, die originale High Spirit Instrumente vertreibt.

Handmade Products! Made in USA. Ob wirklich von Indianern, sei dahingestellt. Eventuell reitet einer regelmäßig an der Werkstatt vorbei, um ihr the Oridginäll Credibility zu geben. Man weiß es nicht.

Es darf nicht geöffnet werden, weil es als Weihnachtsgeschenk gilt, denn die Long-Distance-Lebensdauergefährtin hat „gelbes Metall“ beigesteuert zum Erwerb des Inhalts.

Gestern nun Bescherung. The Expensive Case darf geöffnet werden:

Ist es eine echte Büffelwurst aus der Pine Ridge Reservation?

dav

Nein. Ausgewickelt wurde – meine erste Dakota-Flute. Tonlage G.

Warmer, tiefergelegter  Schwebesound. Aber noch nicht Bass!

Red Tail Hawk Ausführung. Passt ja zu Brändenbörg.

Nach 5 Minuten konnte ich the Main-Theme-Intro of the Good, the Bad and the Ugly. Das Ding spielt sich von selbst.

Aber nur die eine paar-Sekunden-Nummer immer wieder, wär ja öde! Dazu hab ich zu wenig Indianerblut in mir.

Spiel punktierte ganze Noten! Fang tief an! Drei Töne reichen und der Weißkopfadler hebt ab…

mde

Du improvisierst, ohne Misstöne. Nach jeder Tonschleife wird‘s einfallsreicher, wie von selbst…

Peace in the (Dead) Valley… Wüste wird zu Prärie… Bodenwellen, Black Hills,… Ghostriders in the sky… Tönerne Brücken waydown south… das gleene Gino umgibt dich, das Schlussbild der „Söhne der Großen Bärin“ scheint sich in Missouri-Wellen aufzulösen, aber es ist nur der mottenlöchrige Vorhang, der sich nun schließt, obwohl der Film noch läuft. Die Platzanweiserinnen wollen heim. Öffnen die Seiteneingänge. Während das Licht angeht, fummelst du schon den Streifen Butterbrotpapier über den Kamm. Der Ersatz für die noch nicht erlaubte Kofferheule.

Uinonah geht zum Fluss. Ruth Hohmann singt. „Misouuuuri, bring mir den (Sommer’69) zurüüüüück.“ Heute bläst du ihr ein paar eintönige Zwei-Klänge hinter her, du-dup-du-dup-du-dup, das Zuggeräusch der Zeitreise aus dem Wilden Westen zurück ins jetzt, das dir die Indianer in deinem Kopf iggyfiziert: „I am the Passenger! I ride and I ride…“

Fiiiep! Ein paar Misstöne erzeugen Filmriss. Mist! Notlandung des Phantasie-Adlers.

Weiter üben. Los, nochmal! One more time!

Klappt ja jetz‘ schon besser, als auf jeder Les Paul dieser Welt – in meinen Fingern.

Frohes Fest.

Johnny – the long gone Poet

Eines Abends in der zweiten Hälfte der 70er lief der Fernseher. Es war „Musikladen“-Tag. Das Diodenkabel war gesteckt. Das „Anett“ startklar. Der kleine Dakota nach Wachstumsschub und Skalpanpassung saß davor. Die Daumen auf den wichtigen Tasten. Aber wiedermal kam haufenweise Disco-Gülle. Erfahrungsgemäß musste aber irgendwann so ein rares Highlight kommen, das man nur hier zu sehen bekam. Und wenn es nur der „Beat-Club“-Oldie ist, der zu erwarten war.

Eine ganze Weile also – nichts. Plötzlich dieses Gesicht! Die Daumen gehen runter, die Tasten rasten ein und „Because you‘re mine, I’ll walk the line“ knurrt sich angenehm auf die Kassette. Der Typ sah aus wie Marshall Mat Dillon aus „Rauchende Colts“! Nur hatte er keine Knarren an der Seite, sondern eine Akustische vor dem Bauch, dann wie ein Jagdgewehr auf dem Rücken. Und diese Stimme! Dicht an C.W.McCall, dessen „Convoy“ vor gar nicht allzu langer Zeit eine Art Klassen-Hymne gewesen war.

Mr.CashDie Ehemalige rang sich Zeitchen später zur Veröffentlichung einer Amiga-Lizenz-LP durch. 1981. Mein Re-a-listment-Soundtrack als ich von der Asche kam. In der MHO hatte ich die Platte knapp verpasst, aber Snegows „Menschen wie Götter“ gekauft. Eigentlich hatte ich das lesen wollen, weil es mir schien, es könnte eine Symbiose aus historischem und utopischem Roman sein, aber dann gab ich beide Bände ungelesen hin für ihn – Johnny Cash.

Das Resi-Tuch noch um den Hals, die Tasche in die Ecke feuernd, stocknüchtern, weil ich den Entlassungstag genießen wollte, erreichte ich mein Kinderzimmer nach durchfahrener Nacht.

Plattenspielerdeckel hoch, Johnny’s Scheibe drauf, aufdrehen und sich selber fallen lassen. Like a „9 Pound Hammer“ sozusagen. Im Einschlafen seh ich noch Vaters Silhouette in der Tür, wie er wohl wieder „Leiser!“ einklagen wollte; aber heute sagt er nix. Sein Landser is „back from the barracks“.

„Call me (nüchtern) Ira Hayes, I will answer anymore, ‘cause the music drinkin‘ Indian is at home nomore at war.“ Sozusagen. Nie wieder Fischies! Nie wieder „faul ick denn?!“ Nie wieder „Tür aaaauuuufff!“

Nach ein paar Stunden Schlaf dann los zur Polizei, den Persi wiederholen. „Der liebe Resi“ will wieder zivil sein. Dort Typen wie ich, die dasselbe wollen und auch solche wie ich vor 18 Monaten, den Ausweis und die blaue Klappkarte zum Abgeben in der Hand. Deja vu. Dann zu Udo. Der ist arbeiten, also wieder heim … auf dem Plattenteller gewinnen diesmal Skorpio „Hey, hey jobarat! Hey! Heyhey!“ Ungarische Kriegstänze und das übliche „LEISERRR!“ von unten aus dem Erdgeschoss. Knallt mehr als Country. Der Überdruck aus Freude und unbefriedigter Rache musste erst raus! Aber das Cash-Cover steht aufrecht auf dem Stuhl daneben, gegenüber meiner Liege: Er sieht halt immer noch aus wie Mat Dillon! Und ne Knarre hat er bestimmt auch zu Hause, so als typischer Ami.

Bloß – so ein typischer Ami ist er gar nicht. Er hat allerhand übrig für Indianer. Das geht dort drüben nicht grade vielen Weißen so. Sein „Ira Hayes“ hatte es mir angetan.

 

Die Ballade von Ira Hayes – Peter LaFarge & Johnny Cash (Album „Bitter tears“; 1964)

dt. Version: Bludgeon

 

Lass mich die Geschichte erzählen

Von einem taffen jungen Mann

Der aber ein Indianer war

Und aus der man lernen kann.

 

Er stammt von den Pima-Indianern

Einem fleißigen stolzen Stamm

Der nicht nur saufen und streiten

Sondern auch arbeiten kann.

 

Sie pflügten Arizona Valley

Und bauten Melonen an

Bis man ihnen eines Tages

die Wasserrechte nahm

 

Nun blieben die Felder trocken

Dem Stamm erging es schlecht

Der weiße Mann sah ruhig zu

Er fühlte sich im Recht.

 

Als dann Weltkrieg Zwo begann

Trat Ira trotzdem an

In der Hoffnung auf Veteranenruhm

Der dem Stamm dann helfen kann.

 

Sie kämpften auf Südseeinseln

Gegen die gelbe Gefahr

Obwohl doch Ira der Pima

Auch kein Weißer war.

 

Sie erstürmten den Iwo Hügel

250 Mann

nach einem Tag des Sterbens

kamen 30 oben an.

 

Die Fahne der Freiheit flattert

nun über dem Ozean

das hat für Roosevelt & Truman

auch Ira Hayes getan.

 

Mit’nem Orden an der Brust

Kehrte er wieder heim

Die Kameraden achten ihn

das sollte nicht von Dauer sein.

 

Denn kaum von Bord gegangen

da änderte sich der Ton

wieder bloß ein „Redskin“

wie vor dem Kriege schon.

 

Ira lernte da drüben

Wie Recht aus Blut erblüht

Dass das zu Hause nicht so ist

Das schlug ihm aufs Gemüt.

 

So begann er das Saufen – hart!

Er kam auch oft in den Knast

Immer wenn er Reservationsverwaltern

Einen Tritt verpasst.

 

Da hatte er Zeit zum Grübeln,

bis er plötzlich verstand

warum der weiße Mann das Sagen hat

Im Indianerland.

 

Sie hatten ihn in die Army gelockt

Und Ruhm und Ehre versprochen

Aber sie hatten ihn wie einen Hund entlohnt

Sein Orden war der Knochen.

 

Jeden Morgen im Saloon

Da schüttet er in sich rein

Den Orden trägt er längst nicht mehr

Man lässt ihn lieber allein.

 

Nenn ihn Säufer Ira Hayes

Wenn er in seinen Whisky stiert

Heute lässt er sich’s gefallen

Früher hätt’ er dich skalpiert.

 

Nenn ihn Säufer Ira Hayes

Er antwortet nicht mehr

Denn die Bürde, die er trägt

Drückt seine Schultern schwer.

 

Im Reservat blieb das Wasser knapp.

Die Not blieb Jahrzehnte bestehen

Der Säufer Ira Hayes jedoch

Wurde plötzlich nicht mehr gesehen.

 

Sie fanden ihn eines Tages

Erschossen in die Wüste gekarrt

Nah an einer Wasserstelle

In der Hand noch das Purple Heart.

 

Riders on the glow (1)

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen…aber manchmal überwältigen ihn die Eindrücke auch derart, dass das Erzählen nicht gelingen will. Also splitten. Trennen, was nicht zusammenpassen will.

Teil 1:

Urlaubsreise. Idlewild south. Auf der Route 66 vertikal durch dreieinhalb Bundesländer. Weltflucht in die süddeutschen Black Hills. Du fährst am heißesten Tag seit Beginn der Wetteraufzeichnung los. Ein Rekord, der am nächsten Tag bereits überholt wird und am nächsten wieder… Klar sollte man das Auto stehen lassen, aber gebucht ist gebucht, und zwar bereits Anfang April!

Die Alternativen sind erbärmlich: Inland fliegen? Kerosin verplämpern helfen? ICE fahren? Irreparable Climateregulation Error? Näääää. Lieber Schwitz on the Sitz of your own Rolling Rockpalast! Obwohl die Sache mit der Mugge wieder so ein Ding war. Läuft Musik, hörste die Warnungen des TomTomFlüsterers gleich gar nicht mehr. Klar, kann den auch auf laut stellen. Spar dir den Hinweis. Längst geschehn. Auf Standarteinstellung (halblaut) hörn den eh nur Fledermäuse und „volle Pulle“ isses ungefähr vergleichbar mit den tonlosen Jane Birkin Keuchern aus „Je taime“:

„Wonnongplü…Nach 300 Metern fahren sie in den Kreisverkehr und nehmen Sie die 2. Ausfahrt ….schüppüpürp!“

Dazu das Rauschen der Klimaanlage: hhhhhhhhhhhhhhhhhhh.

Dann aber das: Du überholst einen Brummi mit Hänger; genauer einen Viehtransporter. Schlachtvieh. Klar. Die Anzeige meines Armaturenbrettes sagt 32,5 Grad. Wetten dass es auf dem Hänger da NOCH wärmer ist? In der Enge! Das Hirn explodiert geradezu. Blitzgedanken en masse. Vom Schweine-KZ zur Schlachtbank! Kadaverstern! Heinz Rudolf Kunze. Die Würde des Schweins ist unantastbar! Reinhard Mey. Schindlers Liste und jener gnädige Moment, als Wasserschläuche auf ein paar Häftlings-Wagons gerichtet werden, die in sengender Sonne auf Abtransport warten. Auf Raststätten gibt es keine Schläuche.

Für mich ist täglich Treblinka, Soweto und My Lai

Für mich ist täglich Golgatha und nie der Krieg vorbeiiiii!

Auf der ersten Anti-TTIP-Demo in Berlin 2015, die gleichzeitig eine für Agrar-Wende war, fuhr einer einen Transporter mit einem lebensgroßen Schweinemodell in so einer engen EU-Norm-Stallbox auf dem Dach spazieren. Aufschrift:

Sperrt die WAHREN Schweine ein!

Vegetarier sollte man werden. Aber das wird nichts. Dafür schmecken all die Steaksorten und Bratwürste, Hackepeter und Sülzen zu gut. Aber früher wurde mal im kleinen Schlachthof nebenan geschlachtet. Heute Aufzucht in Brandenburg und Schlachtung in Franken. Normal. Neoliberal rationalisierte Grausamkeit, wo du hinschaust. In Bezug auf die Tiere und in Bezug auf die Balkanhilfskräfte, die sie für Dumpinglohn ausweiden müssen. Bilder eines ARD-Dokumentarfilms drängen sich auf, der auf Youtube neuerdings verschwunden ist. „Das Geschäft mit der Armut“ hieß er.… Agrarwende tut Not! Mehr denn je! Nun erodieren auch die Böden. Sperrt die wahren Schweine ein! Wo bleibt „Bayer-Years“, die Coverversion zu Neil Youngs „Monsanto-Years“? Müssten ja Rapper übernehmen, denn Rock ist tot. Leider. Und Protestsongs nützen auch nichts. Man weiß zuviel und macht zu wenig, damit sich was verändert in „einem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. Die „Schulz-Story“ les ich grade, die lässt dich die Scharlatanerie und Leere greifen und erinnert an all das hohle Jahrmarktgedöns vom „weiter so“. Denn solange alle Nachbarn ärmer dran sind, ist ja alles gut. Nicht wahr?

Radio an: „In der Özil Debatte schaltet sich nun…“ Radio aus.

Musik an, Ablenkung muss her, sonst wird das nichts mit der Urlaubsstimmung! Christie McVie und Lindsay Buckingham wie 2017; das „Rumourfeeling“ von 1977 stellt sich ein von den „Dreams“ zu Schulzeiten, dem „own way“, den man meinte zu gehen, aufrecht mit dem Kopf unterm Arm(Neubauten-Text 1981; genial für mental geerdete Typen nach der Fahne), den „Second hand news“ auf die man hereinfiel mangels eigener Lebenserfahrung. „Gypsy“ der man „was“. Long long gone. Far, far away. Takeste eben den long way home. Du Supertramp du!

„…No I don’t wanna bring you down…“

Musikalische Streicheleinheiten. Erinnerungen an all die Regenfahrten im Sommer 2017. Inzwischen 34,5 Grad laut Anzeige. Damals war mein innerer Ferienfilm der von Spielhagens thüringischer Lebensetappe. Dieses Jahr bietet sich Felix Dahn an. Aber davon später.

Wir erreichen die A8 von München nach Salzburg. Wir sind gewarnt worden, aber noch rollt der Verkehr.Kommen gut vorwärts. Tiefergelegt ist die Kiste gepäcktechnisch wie von selbst. Drei Personen, auf dem 4.Sitz der Kofferturm und im Kombihintern der Hütehund. Dorthin kommt, wie wir learning by doing merkten, die Klimaanlage nur dürftig. Aber Töchter sind mitunter schlau. So öffnete sie die Durchreicheklappe in der hinteren Rückenlehne, damit Durchzug vom Gebläse der Mittelkonsole zum Hund gelangt und da dieser ein kluger Collie ist, steckte er zeitweilig sein schlankes Haupt gleich ganz durch die Luke: Das sichert Frischluft und Streicheleinheit in Einem.

Doch nicht Lassie.Und überhaupt: Mit Collie reisen heißt an jeder Ecke gesagt zukriegen, dass das Lassie ist. Hätten wir für jedes „Lassie“ 2 Euro genommen, wäre der Urlaub dicke bezahlt gewesen. Fährste zu so Massenattraktionen wie André Hellers Kristallwelten – sogar in allen Sprachen.

„Schaust? Doa is dor Lassie!“

„Cute Doggie, isn’t it?! Is it Lassie?“

„Chalamam cham-sham Lassie!“

„Jeu mer si Lassie bon!“

„Can I take a picture?“

„Lassie! Özdal emrek Lassie ember.“

„Quin’quai’quonimonny Lassienassa!“

Nur die armen Russen begnügten sich mit „Krassiwaja sabaka.“ (Ohne Lassie Hinweis!)

Zu diesen Kristallwelten nach Wattens/Tirol musste ich schon deshalb mal, da in meiner Musicjunkie-Karriere ein großes Loch klafft: Nie war es mir vergönnt, einen der verehrten Austropop-Heroen live zu erleben. Die Heinis trauten sich ja nie über den Main! Heller hat seine Musikerlaufbahn längst beerdigt, Danzer und Hirsch sind in den Ewigen Jagdgründen, Ambros leider kurz davor und STS mittlerweile auch schon Geschichte. Da muss eben irgendeine Art von Kompensation her: Im Falle von Heller – wenigstens mal eine seiner Installationen sehen!

Aber dort: Hunde verboten! Parkplätze garantiert schattenlos; Besucher mit Hund können diese in „Besucherboxen“ zwischenparken. Und wie das Gejaul bestätigt, machen davon auch einige Gebrauch. Ausgeschlossen sowas! Einer muss sich also opfern und dem vierbeinigen Familienmitglied die Treue halten. Und da das Happening inzwischen den Namen „Swarovskis Kristallwelten“ trägt, ist auch schon klar wer.

Könnten eigentlich gleich ein Schild anbringen: Ladies World. Oder so. Hund und Herrchen finden dann ein angenehm zugiges Plätzchen mit Sitzbank am Rande des Tickettempels neben ebenfalls wartenden Russen; allerdings am Touristenauftriebtrail all der Busladungen, die hier pausenlos ankommen: Eine Fuhre Ungarn, eine Fuhre Inder, Arabia und Asia ebenfalls reichlich vertreten; „The Bus is leaving in 90 minutes! Listen please! Only 90 minutes!“ Was deutschsprachig ist, kommt verkniffenen Gesichts vom kochenden Parkplatzschotter der Wohnmobile und PKWs gegenüber.

Es dauert. Ich lese, beobachte, lese, biete dem Hund ein bissl Wasser an, lese wieder, registriere die Rückkehr der Begleiterinnen der wartenden Russen: Echauffiertes Gerede über „Magasinn“ und „bolsche“- und „plocho“-irgendwas. Also vermutlich Aufregung über die Preise im Abzocke-Shop der Swarovskis. Dann die Rückkehr meiner Madames und siehe: Nirgends eine Swarovski-Tüte! Dickes Lob! Der Bericht über die Preise ist auch hier das erste: Ein Glasperlenhandel wie einst in Afrika. Vollkommen überzogen. Dann aber auch die Begeisterung für die „Sinfonie des Lichts“ und all die gesehenen Einfälle in den Höhlen.

Nun ja; Heller von außen. Ich war hier. Aber Autobahn vermieden und die „Alpenstraße“ genommen: Nach jeder Biegung wurde es schöner. Bergwelten eben. Die DEFA-Indianerfilmerinnerungen stellen sich ein. Berge, wie sie Bashon sprengte, um die Dakota zu vernichten. Aber Gojko rächte sich. Als weitspähender Falke. Damals. Klar – irgendwo in Jugoslawien gedreht. 1968. Aber hier wieder auferstanden. Wenn man all die Parkplätze, Seilbahnen, Gewerbegebiete wegschneidet aus den Fotos – dann reitet Gojko wieder.

Oid wuan samma. Oid.

Cooper 2018

Alle 47 Jahre sollte man es mal wieder mit Cooper probieren. James Fenimore. Nicht Alice.

Was man zwischen 11 und 16 hört, dass prägt einen ein Leben lang, las ich neulich mal. Was man in dieser Zeit liest aber auch.

ansiedlerErst Jugendbuch, dann Reprint-Ausgaben-Testung mitte der 80er, und schließlich Arno Schmidt Elogen immer mal wieder sorgten dafür, dass ich ihn nicht als bloßen Teenie- Bespaßer sehen lernte. Was seine Werke allerdings vor einem Dachbodenschicksal nicht zu retten vermochte. Bis neulich. Da holte ich ihn wieder zurück ins Bücherregal. Ich beschloss, den Sommer 2018 darauf zu verwenden, wenigstens „Die Ansiedler“ und „Die Prärie“ nun zum zweiten Mal zu lesen.

Denn Nathaniel Bumppo ist dort alt und mir geht’s ähnlich. Er galt lange Zeit als einer der fähigsten Macher seiner Sparte und mir gings ähnlich. Nun gerät er mit einer Welt aneinander, die nicht mehr seine ist. Und mir geht’s ähnlich. Er flieht in die unbekannten Weiten hinter den Appalachen. Und mir geht’s —- nicht so. Im Grunde bin ich da schon. In den weiten Ebenen. Zwischen (allerdings schwarz-bunten) Büffelherden in Begleitung eines alten Hundes; allerdings ohne Knarre. Und der eigene Nachwuchs redet westdeutsch:

An Weihnachten, in 2012, die Mütze/Brille/Kette angezogen … ÄCHZ!

Natty im Block. Im Blog. Ach, was weiß ich!

Arno Schmidt weißt darauf hin, dass Cooper allweil mies übersetzt wurde, wobei manche Pointe verloren ging. Andererseits kenne ich die Reprint-Ausgabe der deutschen Erstausgabe des „Wildtöter“ von Anno Tobak aus der Mitte der 80er: Weiiiiitschweifig ist gar kein Ausdruck. Die hab ich nicht zu Ende geschafft. Und ob die jede englische Pointe berücksichtigt hat, wage ich zu bezweifeln.

Also glaube ich, mit der mit60er Variante der DDR nach wie vor gut bedient zu sein. Den Buchschmuck finde ich immer noch 1a; wie einst mit 11 im Krankenhaus, als ich prompt versuchte auch so zu malen wie der Illustrator und dadurch begann plastischere Effekte zu erzeugen.

dav

„Die Ansiedler“ sind Coopers Erstwerk dieser Tetralogie. Die entstand binnen 15 Jahren relativ durcheinander. Als zweites Werk entstand „Der letzte Mohikaner“. Dann „Die Prärie“. Dann wandte er sich für längere Zeit Seefahrtromanen und politischen Traktaten zu. Schließlich kamen als „Spätwerk“ noch „Pfadfinder“ und „Wildtöter“ heraus. Die letzten beiden empfand ich mit 11 als die spannendsten. Gefolgt von der „Prärie“, weil Natty Bumppo dort den Handlungsort der deutlich später spielenden „Söhne der großen Bärin“ erreicht. Es schien mir deshalb eine Verbindung zu geben zwischen Tokei-ihto (Welskopf-Henrich) und Chingachgook (Cooper). Quasi eine Stafetten- Stabübergabe.

„Die Ansiedler“ kamen mir damals recht ereignislos vor. Und so ist es geblieben. Die „Handlung“, wenn man so will, ist philosophischer Natur. Bumppo und Chingachgook sind alt und leben unter Weißen. Beim Jagen kommen sie in Konflikt mit neuen Gesetzen. Bumppo sieht nicht ein, dass er sich an Regeln halten soll, die späteren Datums sind als seine eigene Ankunft hier vor Ort. Wem verdanken diese Schwätzer denn, dass sie hier sein können, wenn nicht alten Scouts wie ihm? Was also soll es ihn jucken, was diese Nachzügler alles mitbringen oder aushecken. Auch „der alte Indian John“, wie Chingachgook jetzt heißt, kippelt zwischen der Rolle des getauften Letzten seiner Art und altem „Wilden“ hin und her. Im Reden. Nicht im Handeln. Um sie herum gibt es eine Handvoll Nebenfiguren. Entweder lieblos gestaltet oder durch die Übersetzung verstümmelt. Eigentlich alles nur naive Idioten. Gut, das würde erklären, warum der heutige Amerikaner tickt, wie er tickt, aber ich glaube, dass das eine oder andere intelligente Kerlchen doch auch dabei gewesen sein müsste.

Es entsteht ein Figuren-Ensemble, dass heute, beim Zweitlesen seltsamerweise an „Chlochemerle“ erinnert: Bigott, dümmlich, primitiv, empathielos, wenn es um barbarische englische Bräuche wie Truthahn schießen geht. Okay, das hat es wirklich gegeben, wie Hahnenkampf, Hundekampf usw. aber es fehlt so etwas wie eine Identifikationsfigur, da einfach alle einen mehr oder weniger heftigen Schaden haben.

Am ehesten bleibt dann doch Natty Bumppo übrig. In seiner autarken Lebensweise erinnert er mich heute an Willie Nelson; der in „Storyteller“ auf VH-1 ende der 90er einen genialen Auftritt gemeinsam mit Johnny Cash hatte. Nelson erzählte, warum er es ein Leben lang vermied Steuern zu zahlen und welche Konsequenzen es hatte:

The Government has done nothing for me. Not for one single day! Every thing I own I worked for. Why I should do something for those fucking Millionaires of the Government? So they came one day. They take away my house, my guitars, especially my money. Everything I own. I was blank as an Hobo.

Aber dann, wenige Tage später hatte er alles wieder, denn zur Versteigerung hatte die Farmers Union landesweit aufgerufen:

Farmers all over the country! The inventor of FARM AID needs you now!

In the middle of the 80s everyone was talkin‘ about the struggle for life in Africa. No one was talking about the crisis of our farmers. So I phoned some friends. Together we invented Farm AID. We saved a couple of families from ruin.

Nun kauften die Rednecks und Stoppelhopser coast to coast and border to border Nelsons Habseligkeiten auf und ließen sie dort, wo sie waren – bei ihm.

Bumppo wird in den „Ansiedlern“ öffentlich für einen Tag in den Block geschlossen. Wegen einer Lappalie. Richter Temple geht es um die „Gleichheit vor dem Gesetz“. Einem Gesetz, das später in die Gegend kam, als Natty Bumppo. Er ist noch nicht ganz 70. Kerngesund. Aber die Welt um ihn herum hat sich verändert. Nicht zu ihrem Vorteil, wie er findet. Er hat keinen Einfluss, daran etwas zu ändern. Nicht er und nicht Chingachgook regeln hier irgendetwas, sondern Richter Temple und sein dussliger Cousin, den der zum Sheriff ernennen ließ.

Chingachgook hat sich aufgegeben. Er beschließt auf Indianerart zu sterben, sich einen Punkt auszusuchen, auf den er sich zurückzieht, um auf den Tod zu warten. Indianer können das, wird oft erzählt: Sie verweigern Nahrungsaufnahme, versenken sich in sich selbst, starren auf einen Punkt, bis das Herz aufhört zu schlagen.

Festus Haggan (aus „Rauchende Colts“; ARD frühe 70er) findet so einen völlig apathischen alten Mann in einer Höhle und will ihn am Leben halten. Er nimmt ihn mit in die Stadt, wo der Indianer angefeindet wird und weiter reglos im Saloon in einer Ecke hockt. Am Vormittag ist niemand in der Kneipe, aber unter dem Thresen steht ein Kinderbett mit einem kranken Mädchen, das im Fieber fantasiert. Da niemand da ist, springt der Indianer auf, nimmt das Kind und taucht es draußen in die Pferdetränke. Kaltwasserschock zur Fiebersenkung. Er rettet das Mädchen, soll nun aber gehenkt werden, weil der Plebs der Meinung ist, er habe es töten wollen. Festus merkt, dass es SEIN Fehler war, ihn mit in die Stadt zu bringen. Er bewahrt ihn vor dem ehrlosen Gehenktwerden und bringt ihn zurück zu der Höhle, wo er ihn fand, damit der unterbrochene Sterbevorgang seinen Lauf nehmen kann.

Chingachgook ist in den „Ansiedlern“ auch soweit. Sucht sich seinen Platz und versenkt sich in sich. Ein Waldbrand kommt ihm in die Quere. Wildtöter versteht, dass Motivationsparolen nicht helfen würden. Damit sein Freund nicht bei noch lebendigem Leibe verbrennen muss, packt er ihn sich auf den Rücken und trägt ihn aus der Gefahrenzone. Bumppo = Festus.

Der Freund ist somit unversehrt gestorben. Der Hund ist alt. Die Gegend wird fremd und fremder Tag für Tag. Bumppo geht. Als Christ kann er keinen Selbstmord begehen. Er streunt ziellos los. Über die Appalachen – in „die Prärie“. Es ist ihm bewusst, dass er zwischen den Stühlen sitzt. Er will keinen Treck mit Weißen in die Jagdgründe neuer Stämme mehr führen. Aber solche Trecks kommen auch ohne sein Zutun. Jeden Tag aufs Neue. Er trifft auf sie, ob er will oder nicht. Und er wird auch mit 80 noch in ihre Händel hineingezogen. Vorübergehend kann man Strolche daran hindern, die Welt noch schlechter zu machen. Aber es sind Pyrrhus-Siege. Manitous Welt versinkt. Eine Vermittlung zwischen Kulturkreisen… (listen to Marillion „FEAR“.)

 

Manchmal bekommt man mit, wie sich ein Schalter in einem selbst umlegt. Ich glaube, ich werde alt – und es steckt allerhand Natty Bumppo in mir.

 

Everett Ruess

Originaltext: Dave Alvin

deutsche Version: Bludgeon

 

Bin geborn als Everett Ruess

Gelte für tot seit 60 Jahrn.

Die Kiste war bereits mit 20

Ziemlich deutlich schon verfahrn.

 

Ganz weit draußen in den Badlands

Kappt ich die Leine ziemlich bald

Tanz nicht mehr nach eurer Pfeife

Ob ihrs versteht, das lässt mich kalt.

 

Ich wuchs auf in Kalifornien

Liebte Familie, Hund und Haus

Floh aber immer in die Sierra

Hielts daheim nie zu lang aus

 

Die Leute tratschten: „Issn Wilder.

Das verwächst sich sicher bald.“

Doch ich tanz nicht nach eurer Pfeife

Ob ihrs versteht, das lässt mich kalt.

 

So zähmt ich Mustangs bei den Cowboys

Sang Ghostsongs bei den Navajo.

Lern den Schlangentanz der Hopi

Malte Bilder, wurde froh.

 

Verkaufte alle meine Bilder

Für nen äußerst kleinen Preis

Tanzte nie nach eurer Pfeife

Wurd vom Jüngling bald zum Greis.

 

Ja, ich hass‘ die engen Städte

mit Neonlicht & Assiflut

Und ich hasse auch die Kirchen

Wo man Gott nichts Gutes tut.

 

Denn Gott ist draußen in den Canyons

Grüßts Schlangennest im Pinien-Hain

Ich weiß, ihr werdet‘s nicht verstehen

Und das wird auch nie so sein.

 

Es heißt, ich wurde längst ermordet

Oder bin erfroren irgendwo

Zerfetzt, gefressen von nem Puma

Oder geflohn nach Mexico

 

Mein Grab, das werdet ihr nie finden

Ein Grab, das muss auch gar nicht sein

Ich tanzte nie nach eurer Pfeife

bleib auch im Tode nun allein.

 

Aber am Ende ist das müßig

Hast du dein Leben froh gelebt

Ich tanzte nie nach eurer Pfeife

Und scheiß drauf, ob ihr mir vergebt.

 

taken from the Album „Ashgrove“

Mattotaupa fährt heim

You go your way, I go mine…

Wiedermal on the road. Alleine. Nächtens. A9. Stau frei, aber gut besucht. Altmännerdriving. Tempomat bei 105. Da die Halsschlagader Berlins jedoch eine einzige Baustelle ist, grenzt das schon an Raserei. Ich muss laufend auf 80 dimmen. Die Music rettet‘s one more time. Der Soundtrack stimmt. Dunkelheit. Scheibenwischer. 2017 unentbehrlich! Inzwischen gar nicht mehr so nervig wie früher. Gemütvolle Klangdiamanten umschmeicheln das Trommelfell. Mal roh, mal fein ziseliert. Sie verführen zum Grübeln. Sogar derart, dass ich mir einen Ruck geben muss: Bin ich Arthur Millers Handlungsreisender, der im Alter irgendwann nicht mehr weiß, in welcher Sorte Auto er sitzt und den Highway per 40 m/h blockiert? Dustin Hofmanns Paraderolle. „Tod eines Handlungsreisenden“! Da hupt‘s auch schon. Brummis überholen mich. Back to real life! Das ist hier kein 30er Jahre Buick und auch kein Trabi, du Träumer! Du hast nach der letzten Baustelle nicht wieder aufgetourt! Der Denkomat im Kopp läuft eh volle Pulle! Kurzer Sprint auf 140, vorbei an den Brummis, dann Tempo einrasten lassen bei 110 und die Grübelei kann weitergehen.

Es ist die zweite Tour zurück aus der alten Heimat innerhalb von 4 Wochen. Die Kontakte nehmen wieder zu. Klassentreffen war eine Woche vor der Wahl. Vierzig Jahre Klasse 10! Wie sich das anhört! (Alter Sack, du!)

Und dann hab ich diesmal Freunde from the north überreden können, sich das Saaletal anzugucken. Quasi Bloggertreffen Part 3 ohne Blogger. Fremdenführer one more time. Novum diesmal: Ehepaar mit 6.Klässlerin. Also Programmanpassung nötig!

Treffpunkt war wie immer die „unbezahlte Parke“ am Knast. Erster Eindruck Stacheldraht? Kann das gut gehen? Klar. Er spart gern. Sie stammt aus Ostberlin. Da ist das gewohnte Atmosphäre. Und die Kleine ist neugierig; gottlob noch nicht in der laaaangen Lustlosphase der Pubertät.

Erster Tag: Natürlich die Afterglow-Burgentour; diesmal mit einem Schwenk nach Eckartsberga: Geisterhaus. Passt zu Halloween, diesem aufgepfropften Amibrauchtum, und entpuppt sich als erlebenswerte Attraktion. Sehr einfallsreich und wirklich gruslig erfüllt der alte DDR-Bau in Nachwende-Umwidmung voll die Erwartungen. Vor 89 fand hier alljährlich das ZV-Lager für Studentinnen aus Halle und Leipzig statt. Zivilverteidigungspflichtlehrgang; Pflicht für alle Mädchen in den Semesterferien nach dem 1. Studienjahr. (Die männliche Hälfte der Studentenschaft musste in Seligenstädt nochmal 5 Wochen Soldat spielen.) Die holde Weiblichkeit im GST-Drillich kostümiert tankte hier mitunter gruslige Schikane-Erlebnisse seitens diverser Doktoranten, die unpassender weise meinten, einen auf Feldwebel machen zu müssen. Im Nachhinein eine von vielen Lächerlichkeiten der Täterätätä.

„Lichtblitz!“ (=Atomschlag) Volle Deckung hinter umgestürzten Schulbänken, Aktentaschen oder extra ausgehängten Zimmertüren…. Gone with the wind.

Heute tasteste dich an sehr spärlich beleuchteten Totenköpfen vorbei, läufst im Stockfinsteren durch etwas Ekliges, was dein Gesicht streift und dann beim Nachgreifen gar nicht eklig ist: Dünne Eisenstrippchen, massenhaft und andere Tests für den persönlichen Toleranzbereich mehr. Einmal Geisterhaus immer Geisterhaus.

davDie Sommerrodelbahn hat glücklicherweise auch noch auf; Märchenlandpanorama inclusive.

Die Eckartsburg-Besichtigung glaubte ich einleiten zu müssen mit dem Satz: „Gleich kommen wir zur Unansehnlichsten der hiesigen Burgen.“ Und erschrecke, als wir die letzte Burgbergbiegung nehmen: Wow! Irgendwer muss hier sattsam nicht nur Bausubstanz gerettet-, sondern längst Verlorenes wiederaufgebaut haben! Sapperlot! Ich hätte vorher recherchieren soll‘n! Mein letzter Besuch hier ist 45 Jahre her! Ich rudere also zurück und fotografiere selber begeistert mit.

Anschließend ist noch Zeit für Rückfahrt im Hellen, Bürgergarten und Innenstadt bevor es dunkelt und Tagesresümee im Ratskeller.

Tag 2: Reformationstag. Der Dom ist vormittags wegen Gottesdienst zu. Also switschen wir zur Rundbegehung, schlendern zur Wenzelskirche, wo es das letzte Mittagskonzert 2017 gibt, und fahren zur Schönburg Mittagessen. Dort liegen Flyer aus:

Heute Abend INDIANERkonzert! Direkt auf der Burg! Herrlich.

Indianer gab es hier zuletzt 1964! Aus Plaste! Wenn wir sie mitbrachten. In den Kindergarten!

Aber leider muss mein Besuch morgen wieder arbeiten und vorher diese 300km schaffen. Er will deshalb rechtzeitig zurück…. Nach dem Essen Dombesichtigung.assisi Es dunkelt bereits. Einkehr ins Dom-Cafe´. Rückkehr zum Knast, wo das Auto der Gäste steht. Ein weiteres Mal hab ich dem Saaletal ein paar Besucher zuführen können, denen der Trip gefiel.

Das Wetter war entgegen den Vorhersagen prächtig für einen 31. Oktober. Als der seltene Anblick einer weiteren brandenburgischen Autonummer in Naumburg im Dunkel der Nacht entschwunden war, gab ich mir einen Ruck und fuhr wieder zur Schönburg. Das Saaletal ist für mich längst zum Indianerland der Erinnerungen mutiert. Nun will ich bei Original-Wildwestklängen gemütlich, wenn auch allein, nostalgieren. Vielleicht lern ich einen zweiten Douglas Spotted Eagle kennen! Das wär’s! Der Typ, der zu erwarten ist, gehört zum Stamm der Menominee. Nie gehört. Aber er hat Songs gegen diese Pipeline da, die ein Dakotaheiligtum gefährdet. Also gehört er zumindest in den Dunstkreis „meines“ Stammes, der neuzeitlich berichtigt Lakota heißt.

 

(Die Bilder zeigen die Eckartsburg. Die Schönburg gibts hier)

Das Konzert ist mit 30 Leuten schlecht besucht. Der Menominee wird begleitet von seinem Sohn als Perkussionisten.

„Der mit dem schwarzen Wolf geht“, heißt zwar auf indianisch wirklich so, sieht aber eher aus wie Carlos Santana mit Schiebermütze verkehrt rum und Oberlippenbärtchen. Leider spielt er nicht so. Es ist eine Krux, die ich bei Indianerbands (Redbone, Little Wolf Band u.a.) schon mehrfach erlebt habe: Es geht mir einmal mehr wie mit westdeutschem Krautrock der 70er. Da ist immer mal ein allzu kurzer schöner Moment, aber viel Gegniedel und Gehudel, das nicht richtig rockt und auch nicht richtig melodiös die Tränen zieht. Dabei hat er kurz vor Schluss doch „Thats alright Mama“ und ein ca. 10minütiges Chuck-Berry-Gedächtnis-Medley in petto! Geht doch! Andererseits, wenn er zu einer seiner Flöten greift – reicht ein Ton! Und schon siehst du den Adler über dem Death-Valley kreisen! Oder über Büffelherden im Grasland. Herrlich. Da klappt es immer mit dem Flow! Warum nicht on Guitar?

Er moderiert freundlich. Er verdient sich sein Geld schwer. Er spielt fast 3 Stunden! Leider mehr Gitarre als Flöte. Er verabschiedet anschließend sein Publikum mit Handschlag und signiert CDs. Obwohl mich seine Musik nicht fliegen ließ ins Traumland der Plaste-Indianer, war es immerhin ein Event auf der Burg für mich – nach 50 Jahren! (Alter Sack Part 2!) Ich gehe zufrieden den Burgberg hinab, genieße das malerisch beleuchtete Dorf bei angenehm trockenem, windstillen Wetter. Das Auto steht am Dorfeingang. Mehrere Ortsfremde sind zur Burg hinaufgefahren und kämpfen nun auf dem Rückweg mit der abschüssigen 180 Gradkurve unten an der Auffahrt. Sie behindern sich gegenseitig. Schadenfroh nehme ich die Treppe und habe eine stressfreie Heimfahrt ins Elternhaus.matto-taupa

Am Abend darauf fahre auch ich gen Norden. Das Programm meiner neuerlichen Nachtfahrt bestreiten: Van Morrison, Ian Hunter, Atlanta Rhythm Section, Nazareth.

Letztere eröffnen das Nachtprogramm mit den ersten drei Tracks von „Snakes and Ladders“. Ein vielfach missachtetes Album. Mein zweitliebstes von ihnen! „We are animals!“ passt zum gerade gehabten Lesestoff: „Vor Sonnenaufgang“ von Hauptmann! Die Verwahrlosung der Verhältnisse in Oberschlesien im Kohleboom des späten 19. Jahrhunderts. Das passt zur Entsolidarisierung seit der Wende in der „galoppin‘ Globalisäjschn“ wie Arsch auf Eimer. Deshalb mischen sich die Gedanken da auf der finsteren A9 mit den Eindrücken des Klassentreffens von vor 4 Wochen. Ich kenne seitdem die Rentenbilanzen einiger Klassenkameraden von einst. Die 90er, die bösen 90er! Arbeitsplatzverlust und Umschulungsmoulinette der kolonialen Art: PC-Kurse mit Pappendeckeltastatur, weil gar keine Computer da waren; Floristenausbildung um des lieben Friedens willen, damit die Statistik des Arbeitsamtes „stimmt“ usw. Nun kommt der Tag des Aussteigens in spürbare Nähe. Plötzlich hören sich Beträge zwischen 600 und 800 Euro immer bedrohlicher an. Aber es war kein Abend des reinen Frusterzählens: Sondern es gab reichlich „Weeste noch?“

Inzwischen sind 4 Songs von Ian Hunter durch. Der letzte war „Man overboard“ mit der Zeile „Ship’s goin‘ down on the wrong side of town“, was mich wegholt vom Schicksal anderer hin zum eigenen. S Häusel steht im falschen Eck von Deutschland.

Van Morrison setzt fort. Enlightenment. Hier nun wieder packt mich die Zeile „still I‘m souverreign, thats my problem“. Jedenfalls verstand ich sie jahrelang so. In Wirklichkeit singt er aber „suffering“ statt „souverreign“. Irgendwie trifft beides nicht mehr zu. Trotzdem gefällt mir der Song. „Enlightenment don’t know, what it means“. Ich winke mit ihm ab.

„So into you … it was voodoo nothin‘ else…“ Die Herren in den weißen Anzügen aus „Szene77“ legen mir mit dezentem Laid-back-Sound nahe, die Dinge wieder sonniger zu sehen. „I am captured by your styyyyyle…“ Nachtgedanken der angenehmen Art: Der Reigen der „Kayleighs“, der „Irene Wilde“s, der „Entschuldige i kenn‘ di!“- Fälle beginnt. Ausgerechnet Bernd hatte auf dem Heimweg vom Klassentreffen das Thema angeschnitten:

„Weeste noch? Wir damals bei euch da ohm in Nachbars-Garten? Die Fetenzeit! Gesoffen und geliebt. Ralle wurde s erschde Ma‘ Bappa. Wassn aus der Freundin von Carrie gewordn? Weest du da was? Is die verheirat? Hat die Kinder?“

Ich wusste nichts. Konnte mich nicht mal an eine Freundin der Gastgeberin erinnern. Aber er hatte dieses Thema angeschnitten und prompt gingen mir meine eigenen Sehnsuchtsfälle von einst durch den Kopf. „You shot me down“ von Nazareth hält die Stimmung. Genesis „Afterglow“ folgt und  katapultiert mich innerlich 150 km zurück in den grünen Tunnel. Song und Gegend nunmehr auf ewig eins! Gefolgt von Meeresrauschen und Nazareth einmal mehr: „Helpless“. Eigentlich Neil Young. Klar. Aber McCafferty und seine Burschen haben es im kleinen Finger: das Talent, wenn es ums Covern geht. Ich nehme mir zum hundertsten Mal vor, eine „Private Best of“ zusammenzustückeln mit all den Hits von denen, die keine waren.

Plötzlich hupt‘s. Brummis ziehen vorbei. Ach du Scheiße! Keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr und ich bin noch bei 80! Mal kurz Peddl on the Mettl. Dann wieder gemütliche 110 und „Shenandoah“ von Van the Man lässt mich wieder abtauchen, in Erinnerungen versinken. Sehnsuchtsorte von einst: Shenandoah „on the wide Missouri“, „Oh Missouri! Bring mir den — Liebsten zurück“ (Gojko-Zeiten), Tanglewood, Santa Fe‘, Black Hills, gleenes Gino, chroßes Gino…Game over, … neulich Wiedersehen mit all den Nasen, „den Helden von früher, die heut (keineswegs) Beamte sind“; dazu die alte Aula, mit dem kolossalen Stadtbild, dessen Mittelteil von Ecke stammt.

 

AG Kunst. 1976. Gemeinschaftswerk. Die andern durften Vorder-und Hintergrund ausmalen. Wenigstens das blieb von ihm übrig. Luggie am Klavier. Links auf der Bühne. Wie anno‘74; zur „Jugendstunde“, die unsre erste Disco wurde. Dank Luggies Band, die unserer unausstehlichen Klassenlehrerin zu wild und zu westlich war. Nur den „Scheißhausrock“ spielt er nicht mehr. Es ist ihm sichtlich peinlich, als ich ihn darauf anspreche und Thomas prompt den Text rezitiert.

Ich grinse in die Nacht und dreh ein bisschen lauter:

‚Tis seven years
Since last I saw you
Away you rolling river
‚Tis seven years
Since last I saw you
Away, I’m bound away
‚Cross the wide Missouri…………

„Über den Missouri“ heißt auch der letzte Band der „Söhne der Großen Bärin“. Toka-ihto wurde ich keiner. Mein Sohn hätte das Zeug dazu. Also bin ich Mattotaupa, der fern seines Stammes leben musste und dem Alkohol zum Opfer fiel. Hm. Da fallen mir diverse Becherovka aus jüngerer Vergangenheit ein. Man kann ja nie wissen…

Mattotaupa fährt erstmal nachhause.

Winnetou reloaded(Karl May V)

Experiment gelungen. Die TV-Sensation 2016 ist perfekt. Auch der 3. Teil hält Wort!

Er beginnt zunächst mit einer recht platten Darstellung einer Familien-Idylle des frisch verheirateten Old Shatterhand, der eine Ranch gegründet hat und eine Scheune bauen lassen will. Dazu wirbt er 3 polnische Zimmerleute an, die erst ihre Vorurteile gegen Indianer ablegen müssen, was dadurch geschieht, dass Shatterhand sie darauf hinweist, dass er aus Sachsen kommt „an der Grenze“ und man dort davor gewarnt wird, nach Polen zu fahren „in das Land der Diebe“.

Dies sind nicht die antipolnischen Klischees des May’schen Jahrhunderts, in dem obendrein Sachsen gar keine Grenze zu Polen hatte. Wer Lust hat, konnte also wieder allerhand dechiffrieren.

Santer jr. und Santer sen. – zwei Schurken mit Macht, die nicht viel voneinander halten. Wer den Spielfilm über George W. Bush gesehen hat, weiß, worauf das anspielt. Auch dass Santer jr. einen (Indianer-)Erdöl-Krieg auslöst, der ihm letztlich nichts bringt, ist mehr als nur ein Hinweis auf Zeitkritik.

Aber der Oberschuft (Santer, der jüngere)ist diesmal der facettenreichste Schurke. Eine klare Steigerung von Film zu Film.

Er ist zunächst ein Künstler ohne Fortune, wie Hitler und Goebbels welche waren, der deshalb das Metier wechselt. Da er geschäftlich ebenfalls nicht zu Reichtum kommt, geht er über Leichen(Tod des Pokerspielgewinners) und betreibt Politik auf eigene Faust(Anwerbung seiner Killertruppe)

„Ich brauche skrupellose Killer! Männer, die keine Hemmungen haben! Männer, die schießen ohne Fragen zu stellen! Es wird sich lohnen! Ich mach euch reich!“

Nach jedem Satz gibt es Jubel in der Kneipe.

„Und jeder von euch muss glühender Verehrer von Richard Wagner sein!“

Der Jubel bricht ab.

„Ein Scherz. Nur ein Scherz!“

Und eine überdeutliche Anspielung auf Hitler und Himmler mit ihren Kult-Fimmeln, die sie allzu gern ihren Paladinen von SA und SS eingetrichtert hätten, was sich als nicht machbar erwies.

Wer diesen Schlüssel zu den tieferliegenden Botschaften fand und nun erwartet, dass lediglich die 12 Gröfaz-Jahre Pate standen für einen Bilderreigen entstehender Völkerverständigung nach großer Katastrophe, irrt, denn meisterhaft geben sich hier Anspielungen des Stalingrad- und Irakkriegzeitalters die Hand.

Der Film ist eine sehr gelungene Allegorie auf die Zweigesichtigkeit des Menschen geworden. Der Ethiker (Shatterhand) und der (neoliberale) Geschäftsmann (Santer; Vater+Sohn). Shatterhand hat keine Kinder. Der alte Santer schon. Auch wenn dessen Filius ein – seinem Leben angemessen – unprätentiöses Ende findet; vergessen und (nicht mehr) verehrt: Das Böse ist potenter.

Der Ethiker gewann im Film, obwohl er faktisch betrachtet mehrfach die schlechteren Karten hatte:

Er findet zufällig beim Brunnenbau Erdöl auf der Ranch; will den Fund vertuschen, da er weiß, dass dies der Untergang der Apachen wäre; wird aber von Santer jr. beobachtet, der ihm die Ranch zunächst abkaufen will. Moralisch integer lehnt Shatterhand alle Angebote ab – und erntet Krieg.

Der homo economicus gibt niemals auf.

„Die Zukunft hat sich längst gegen Sie entschieden!“ (Santer jr.)

Leider wahr. Die Ausrottung der Indianer und die dabei genutzten Erbfeindschaften der Stämme untereinander ergeben die Blaupause für das „Große Spiel“ der Santers der Weltpolitik; und das Ausspielen alter arabischer Stammes-und Religionsfehden gegeneinander bis auf den heutigen Tag.

Der Film liefert in eindringlichen Bildern den Kampf um die Utopie der Gemeinschaft aller Stämme des roten Mannes. Schon May wünschte sich dies und wusste, dass er auf verlorenem Posten steht.

Er ließ deshalb Winnetou scheitern und im letzten Moment zum Christen werden. Wenigstens DAS sollte (nach May) möglich sein. Die Verfilmung des 21. Jahrhunderts aktualisiert, indem sie Winnetous letzte Worte in Bezug auf die Freundschaft zwischen zwischen Weiß und Rot verändert:

„Wir sind nicht das Ende! Wir sind erst der Anfang!“

Schön wär’s! Guck auf die Indianer! Guck auf die Araber! Guck auf die Chinesen, die gerade erst die Industrialisierung nachspielen, inclusive allen Umweltverschleißes … das Böse hat das bessere Waffenarsenal:

„Ich will lieber EINMAL lichterloh brennen als langsam zu vergehen!“ brüllt Santer in Nöten, als er in der Ölpfütze steht und Shatterhand bereits die Fackel hält.

Oops! Kenner wissen: Das ist zitierter Neil Young! „Better to burnout, than to fade away!“ Und das einem Verbrecher in den Mund gelegt, der kurz zuvor davon träumt, amerikanischer Präsident zu werden? Sie kämpfen mit allen Waffen, denn Skrupel sind ihnen fremd. Reagan wollte mit „Born in the USA“ Wahlkampf machen. Anderen Songs erging es in anderen Staaten ähnlich. Scheiß doch auf den Text!

„Wer bist du denn? Kein Weißer und kein Indianer! Ein Nichts! ICH wäre beinahe Präsident geworden, aber du?!“ (Santer jr.)

Homo Economicus vs. Ethiker. Manche Duelle brauchen keine Colts.

Shatterhand hält inne. Der klassische einfache Showdown hat sich überlebt. Einen Santer jr. zu flambieren bringt nichts. Sowas wächst immer wieder nach. Winnetou wird nicht simpel 1:1 in der Ölpfütze gerächt, sondern Shatterhand schleppt die verdreckte Präsidentschaftsanwärter-Karikatur, zu dessen Vater, um diesen zum Verzicht auf die Ölfelder und damit auf das Land der Apachen zu zwingen. Zähneknirschend unterschreibt Adorf, der bereits in den 60ern den Santer spielte:

„Mr. Shatterhand? Sie – ein gemeiner Erpresser?!“ (Santer sen.)

Das kennt der Ethiker, wenn er mit dem Rücken zur Wand stand und sich nun der Waffen der Gegenseite bedienen will! Plötzlich appelliert der Strolch mittels ethischer Phrasen!

Aber Shatterhand ist dem Zynismus gewachsen:

„Wilkommen in Amerika, Mr. Santer!“

Grandios.

Der Film schließt trotz Winnetous Tod mit einem optimistischen Schwänzchen, wie auch die meisten DDR-Indianerfilme, trotz gegenteiliger historischer Faktenlage: Gojko rettet seinen Stamm.

Shatterhand wird Oberhäuptling der geeinten Stämme des roten Mannes.

Das streichelt das Gerechtigkeitsempfinden jüngerer Zuschauer und unbelesener Cineasten; lässt jedoch die älteren Karl-May-Leser möglicherweise melancholisch an „Winnetous Erben“ denken; jenen Band aus Karl Mays Spätwerkphase, der gut gemeint war, aber am Vorabend des I.Weltkriegs nicht überzeugte und deshalb heute vergessen ist.

Viele Prominente starben 1912, einer von ihnen May; der Mahner. 1914 war Krieg.

Viele Prominente starben 2016, einer von ihnen Cohen, der Mahner. 2017 ist sicher.

Guten Rutsch!

Winnetou reloaded (Karl May IV)

Eigentlich wollte ich gar nicht zu jedem Teil was schreiben, aber: Es ist einfach zu großartig!

Zunächst jedoch sei dies vorausgeschickt: Ein May-Western ist kein „Der mit dem Wolf tanzt II“. Es geht hier nicht um Völkerkunde oder Echtheit. Allerdings geht es auch nicht nur um Abenteuer für die ganze Familie. Ein May-Western sollte aufgreifen, dass im imperialen Größenwahn der vorletzten Jahrhundertwende mit all seinem Überlegenheitsdünkel ein Schriftsteller erfolgreich Menschlichkeit propagieren konnte. Betonung auf erfolgreich! May konnte das und die neue Verfilmung – auch.

Werkstreue ist ihr wurscht. Der zweite Teil kommt in zeittypischem schlechten Deutsch daher:

„Winnetou – das Geheimnis vom Silbersee“. Ächz! Genitiv verrecke! Klingt fast so schlimm, wie das ständige „An Weihnachten…(kommt Winnetou ins Fernsehen)“. Aber damit hat sich‘s auch schon in Sachen Kritik. Der ganze Rest ist nur zu loben.

Berger und Rümelin schrieben das Drehbuch. Stölzl hatte die Regieeinfälle. Ein Feuerwerk der Zitate geht ab. Youngsters von heute kriegen das nicht mehr mit. Gottlob bin ich alt – und Ossi.

Wessis kennen die ostdeutsche Indianerliteratur nicht. Ihnen entgeht ungefähr die Hälfte der Einfälle:

Start: Winnetou und Old Shatterhand fangen Mustangs. Winnetou fix, Shatterhand braucht länger. Die Kamera hat somit Zeit, die Erinnerung an das Intro von „Spur des Falken“ (DEFA 1968) aufzubauen. Das war einst der spannendste der DDR – Western. Super Einstieg!

Die Helden kehren ins Indianerlager zurück. Plötzlich fällt mir die geschickt gemachte auffällig unauffällige Färbung der Zelte auf: Von oben nach unten schwarz-rot-gold! Alle! Wenn das kein Lacher ist! Ein Hinweis auf einen deutschen Western! Jetzt macht es automatisch auch Sinn, wenn Winnetous Schwester, sich wie eine emanzipierte Häuptlingin gibt. Bei den Indianern eine Medizinmännin? Ganz bestimmt nicht! Deutschland allerdings kennt das.

Nscho-tschi möchte Shatterhand indianisch ehelichen, dieser lehnt ehrerbietig ab, da er glaubt, kein Apache werden zu können. Eine ähnliche Szene gibt es in den „Söhnen der Großen Bärin“ als Toka-ihtos Schwester dem Indianer-Scout Tobias ihre Zuneigung zeigt und ebenfalls abblitzt.

Shatterhand kehrt kurzzeitig in die Welt der Weißen zurück, erfährt aber, dass seine indianischen Freunde in Not geraten sind und eilt unter Mitnahme des Henrystutzens ihnen zu Hilfe.

Allerdings spielt das Gewehr im weiteren Verlauf des Films ebenso wenig eine Rolle, wie Chingachgooks schickes Silberbüchsenplagiat 1967 im gleichnamigen DEFA-Film.

Dann kommen die Bösewichte ins Spiel; und die nächste Überraschung: Der Oberschurke ist kein „roter Cornel“, sondern ein mexikanischer Strolch mit Knarre und Gitarre, der obendrein aussieht wie Andreas Bourani und El Loco heißt. Er bekommt ausreichend Spielraum, um wirken zu können und macht deshalb eine deutlich bessere Figur als die beiden Bösewichte im 1. Teil.

Seine stümperhafte Musikalität bringt die Erinnerung an Harry Hurry aus „Chingachgook – die Große Schlange (DEFA 1967)“ auf, der sich dort in einer Szene auf den Tisch in der „Biberburg“ schmeißt und „Wer reitet so spät nach Littlefield“ anstimmt. Andererseits könnte man auch an Fonda oder Bronson denken: Hey, Bourani! Spiel mir das Lied vom Tod!

Noch deutlicher wird der Bezug zum Überwestern vom Harmonica Frank, wenn Sam Hawkens als wichtige Nebenfigur die sparsame Prostituierte Peggy besucht, der noch ein paar Dollar fehlen um einen Gemischtwarenladen zu eröffnen. Er gibt ihr das fehlende Geld und kehrt später in ihren tatsächlich eröffneten Laden zurück, wie Cheyenne(Jason Robards) zu Jill (Claudia Cardinale).

Während dort jedoch Jill als unberührbare Erotica die Leinwand beherrscht und Cheyenne (von ihr verschmäht) letztlich angeschossen stirbt, kommt hier ein Happyend zwischen den beiden ramponierten Wildwest-Zeitzeugen zustande.

Der Clou aber ist die Art, wie der Schatz einst in den See kam und auch wie er nun gefunden wird.

Winnetou und Old Shatterhand sind in Gefangenschaft von El Locos Bande und müssen für die Mexikaner tauchen. Da ihr Luftvorrat nicht reicht, konstruiert Ingenieur Karl May eine Taucherglocke aus einem großen Fass und einer Seilwinde. Die Idee stammt 1:1 aus – dem MOSAIK; Heft 172-174 und 192. Damals eine Hegen/Dräger Reminiszenz an den 1973 immer noch offiziell verpönten „Schundliteraten“ aus Radebeul. Also auch in diesem Teil der Neuverfilmung schließt sich da ein Kreis, diesmal indem zwei ostdeutsche Kulte miteinander verwoben werden.

Allerdings wird im Film trotz dieser hilfreichen Maschine noch kein Schatz gefunden. Denn noch eine Anspielung will verwoben sein: Der Zugang zur Schatzhöhle liegt unter Wasser. Ganz so wie der aus der Schloß Rodriganda-Saga, den dort Dr. Sternau findet.

Als Winnetou, Shatterhand und Nscho-Tschi aus der Höhle fliehen, kommt es zu einer Schießerei zwischen den Helden und der Bande. Winnetou erbeutet hier die Silberbüchse, die einem der Verbrecher gehörte. Dieser erwähnte kurz zuvor: Jeder Silbernagel steht für einen toten Gegner. Ganz so, wie Sans Ear in Winnetou III für jeden Erschossenen eine Kerbe in seinen Gewehrkolben schnitzt.

Schließlich sind alle Strolche tot, die Helden frei und Shatterhand wird Winnetous Schwager.

Klare Steigerung gegenüber Teil 1.

Wird’s ein Hattrick? Oder ist die Schatzkiste der Zitate nun leer?

Winnetou reloaded (Karl May III)

Festtagsprogramm 2016: Die Zeiten ändern sich. Das Gute bleibt?

Nicht ohne Gezeter. Helene Fischer vs. Winnetou. Wer würde zum Erdogan der Fernbedienung? Gelingt es der weiblichen Übermacht den Papa an den Computer-Katzentisch zum Streamen oder zeitversetztem Späterguck zu verdonnern? Wenn sein Blog doch heißt, wie er heißt und jene legendären grünen Bände bis heute das Wohnzimmer schmücken, entgegen allen modernistischen Entlibrisierungsversuchen der weiblichen Mehrheit?!

Quotentechnisch gewann die atemlose Schlagerdrossel deutschlandweit. Im Hause Bludgeon nicht.

In meinem nun 101. Post zum 3.Mal auf Karl May zusprechen zu kommen, ist anlässlich der Neuverfilmung gar kein schlechtes Thema, deucht mir.

Zu Weihnachten 2016, am 1. Weihnachtsfeiertag ereignete es sich, dass Winnetou und Old Shatterhand einen Moment lang wieder auferstanden.

Für eine neuerliche Indianer Renaissance besteht keine Hoffnung. Das begänne schon bei der Wortklauberei der politisch korrekten Benennung schwierig zu werden: Ich bin indigener Amerikaner! Du bist einwandernder, xenophober Mittelständler! Connie wird amtierende Häuptlingin und einer muss den schwulen Marshall spielen! … Das wäre dann zwar KiKa-sendefähig, würde aber keinen Spaß mehr machen. Außerdem besitzen all die dicken Kinder vor ihren Laptops und Tablets längst kein Huppe-Seil mehr, mit dem sie die Gefangenen an der Teppichstange fixieren könnten. Teppichstange? Hä? Wie spricht man das aus? Tippitschständschi? Und was war das mal früher? Alternativ existiert auch keine Wäscheleine mehr in Muttis Haushalt. Hier und da eventuell Kabelbinder unter den Ehebetten, aber um nachzusehen müsste man sich bücken, denn der geizige Weihnachtsmann hat wieder keine Drohne gebracht… Probleme ohne Ende.

Ich schweife ab. Zurück zu Karl May.

Es handelt sich um ein Wunder mit Ansage, denn Monate vorher bereits wurden zahlreiche PR-Register gezogen, damit dieser Reanimierungsversuch auch ja ausreichend vielen Leuten bewusst werde.

So erfuhr man immerhin davon, dass Philipp Stölzl als Regisseur seine Hand im Spiel hatte. Und der ist Kennern seit „Goethe!“ (2010) bestens bekannt. Der schaffte es damals, mir, als bekennendem Goetheverächter, eben jenen „Dichterfürsten“ auf menschliches Studentenmaß herunterzubrechen und somit näher zu bringen. Ich hätte diesem Film damals gern den Erfolg von „Fuck ju Göthe!“ gegönnt. Aber, tja. Die Mär vom „Volk der Dichter und der Denker“ wird trotzdem weiter überstrapaziert.

Wenn nun aber DER  Stölzl für DIESES Unterfangen zuständig ist, dann wird das was!

Und siehe da – es wurde!

Mays Vorlage wiederfuhr zwar eine weitere Umdrehung in der Modernisierungsmoulinette, das bekam ihr jedoch durchaus.

Ohne Henry-Stutzen, ohne Silberbüchse, ohne religiöse Bekehrungsgespräche, aber mit zwei Hauptdarstellern, die in ihre Rollen passen, drehte man da, wo die Winnetou-Film-Saga nun mal hingehört: an den altbekannten Drehorten in der Prärie Kroatiens; mit der beibehaltenen Böttcher-Musike, und mit reihenweise Zitaten aus den Indianer-Altverfilmungen Ost- und Westdeutschlands.

Gojko Mitic als Intschu-Tschuna; Apachen, die Lakota sprechen und mit Untertiteln übersetzt werden; Dakota-Kleidung und Dakota-Bestattungsriten stellen den Bezug zum unvergessenen Toka-ihto her oder schicken dich auf die “Spur des Falken“. Vorausgesetzt, du bist über 30 und Ossi.

Gojko, als alter Apachenhäuptling, verhandelt mit den Bleichgesichtern und erscheint dazu im großen Dakota-Häuptlingsputz. Eine ähnliche Szene gibt es mit dem jungen Gojko 1966 in „Söhne der großen Bärin“. Er bekommt wieder ein Glas Feuerwasser angeboten und schiebt es mit dem Handrücken auf die Seite. Die gleiche Geste wie 50 Jahre früher als junger Toka-ihto im Fort am Niobara. Sekunden später wird er am Verhandlungstisch erschossen; stirbt ein ruhmloses Ende, das den Sohn in die Rachespur setzt. Die Szene lässt hier die Erinnerung an Toka-ihtos Filmvater Matto Taupa anklingen. Ein Oscar würdiger Regie-Einfall: Nun selbst ergraut, schließt sich hier ein Lebenskreis: Die erste und die letzte Rolle. Einst rächte er. Nun lässt er rächen. Er gibt den Stafettenstab weiter an Nik Xhelilaj. Der neue Winnetou ist wiederum ein Balkanbewohner mit Superstar-Aura. Aber wir haben nicht mehr 1962. Für eine Serie von verfilmten Häuptlingsbiografien gibt es keinen Markt.

Die alten Winnetou-Verfilmungen waren extrem erfolgreich. Sie verkitschten zu ihrer Zeit den Stoff jedoch sehr in Richtung Heimatfilm-Sehgewohnheiten. Als Ossi-Zaungast jener Zeit war es mir vergönnt, durch die Gojko-Streifen geprägt zu sein, bevor ich mit ca. 15 Jahren um ‘75 herum erstmals den „Schatz im Silbersee“ im Westfernsehen sah. Ich war somit aus dem eigentlichen Zielgruppenalter raus und merkte mit dem geschärften Urteilsvermögen des Pubertierenden, dass „unsere Filme“ echter wirkten. Pierre Brice und Lex Barker wurden als West-Stars zwar hingenommen, die Shatterhand-Melodie blieb Hit, die Krone aber behielt allzeit Gojko Mitic. Auch unsere Schufte waren fieser: Allen voran Jiri Vrstala, Hanjo Hasse und Rolf Hoppe.

Die Haupthelden der Neuverfilmung entsprechen in angenehmer Form einer berichtigten Sicht auf den Wilden Westen. Die Schufte der Neuverfilmung schwächeln. Sie erhielten zu wenig Entfaltungsspielraum. So bleiben sie Abziehbildstrolche wie ihre Vorgänger in den Pierre Brice Filmen.

Trotzdem hat die neue Verfilmung eine ordentliche Schippe Realismus draufgepackt bekommen.

Sie ist 5fach für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Möge sie einige davon bekommen!