Mehr als nur’n Buch gelesen…(1)

Es ist Frühling. Und so’ne gewisse Sehnsucht verlässt uns Männer wohl nie. Schön, wenn es einen Autor gibt, der für dich leidet. Dann liest du das – und alles bleibt gut. Ob es mit der anderen eventuell sehr gut geworden wäre, wirst du nie erfahren. Egal. Du machst keine Fehler. Die Ehe hält.

Du hattest Futter für den Kopf. Nicht nur für die hormonelle Seite.

Tom Liwa taucht aus der Erinnerung auf:

Und die Frau, die ihr Leben
mit Dir teilt und Dich liebt –
manchmal ist sie Dir peinlich
und dann denkst Du es gibt
eine bessere Liebe für Dich
und dann fühlst Du Dich schlecht
und du hoffst, dass sie es nicht merken wird
na klar sie merkt es erst recht.

Für die linke Spur zu langsam
Für die rechte Spur zu schnell
Entlang der immergleichen
Leitplanken, Schilder und Zeichen

Spielhagen hat aus dieser Sehnsucht ein Lebenswerk gemacht, das ihn trug, und zu Lebzeiten zum meistgelesenen Autor Deutschlands und zum meistgelesenen deutschen Autor Russlands werden ließ. Also überall da, wo die Schwerenöter wohnen.

Aber Spielhagen machte aus seiner Teenie-Sehnsucht nach den entblößten Nacken unter Hochsteckfrisuren und dem schwebenden Gang jener Elfen in langen weißen Kleidern in Gutshausparks nicht nur Liebesschmöker, sondern ausgefeilte Gesellschaftsromane, die „Zeugnis ablegen“ von einer hochherrschaftlichen Zeit, die rammdösig in Richtung Abgrund fuhr. Er wartete damit nicht, wie ein gewisser Fontane bis zum Spätwerk.

Spielhagen sah scharf hin und legte manchem Protagonisten deutliche Sätze in den Mund. Ob 1862 oder 1890. Vor – oder – nach der Reichsgründung.

„Es wird zu Kriegen kommen, die all das zerstören, wofür Deutschland steht, was über die Jahrhunderte geschaffen wurde.“ (aus „Ein neuer Pharao“; 1890)

EZ6Die Einheit der Nation war ihm wichtig. Nötig. Seit 1815 überfällig. Jedoch –

Die Idee war gut – doch die Ausführung ließ zu wünschen übrig. Die pfuschten da ein Kraftwerk zusammen, das überhitzte; da die Ingenieure das Geruppel im Inneren überhörten, die Hände in den Schoß legten und lediglich hofften, dass es gut gehen möge. Das mag in der Gegenwart geradezu schrecklich aktuell wirken.

Wenn du einem Staat angehörst, in dem wichtige Reformen unterbleiben, dann kannst du nur Reißaus nehmen, auswandern; weit genug weg! Oder du musst mit all den Lemmingen um dich her mit nach unten – runter von der Klippe.

Spielhagen wurde mein Begleiter. Niemand hatte ihn empfohlen. Niemand kannte ihn. Und fast niemand wollte ihn kennenlernen, wenn ich ihn empfahl.

Ich hatte ihn 1981 im Antiquariat selbst entdeckt. Die beiden Bände standen hinter der Kasse im Regal und sahen verführerisch aus. Der Roman begann auf den ersten Seiten dramatisch und zog mich an. Der Preis war enorm: 30 Mark. Die drei Folgebände, die mir bis’89 noch ins Netz gingen kosteten zwischen 6 und 12 Mark. Bücher waren sehr preiswert in der Ehemaligen. Das Leseland wollte leben!

bücherwurm2

„Stumme des Himmels“ ist ein seltsamer Titel. Er führt in die Irre. Du glaubst Kitsch zu kaufen. Courths-Mahler lässt grüßen. Aber du lernst beim Lesen, dass der Titel von Jean Paul stammt – und der war im 19.Jahrhundert so eine Art Biermann oder Strittmatter. Ein Spötter, der gegen den gesellschaftlichen Stachel lockte.

Seine Metapher von den „Stummen des Himmels“ ist schwer melancholisch gemeint: Es sind Menschen, die entsagen. Menschen, die eventuell weitergekonnt hätten, als sie gingen; jedoch hätten sie Weggefährten in die Schlucht schubsen müssen, um freie Bahn zu haben …

„…diejenigen, die schweigen, die keine Schuld auf sich laden, um des eigenen Vorteils willen, anderen Leid ersparen, das sind die Stummen des Himmels.“

Jean Paul wurde nicht viel gelesen. Aber diejenigen, die ihn lasen – wurden Schriftsteller. Das ist wie mit dem Bananen-Album von Velvet Underground. Einer der größten Flops der Hippie-Ära – jedoch, „die 700, die in Amerika die Startauflage kauften, gründeten eine Band“, so wird erzählt.

Und so schrieb Spielhagen 1894 am Ende einer Schaffenskrise das Hohelied der Sehnsucht – einen seiner gelungensten Romane.

Es geht um Eleonore Ritter und Baron Ulrich von Randow. Sie lernen sich auf Norderney kennen. Sie sind Bade-Gäste in Zeiten, als Massentourismus noch nicht erfunden war. Es gibt also auch in Kurorten noch einsame Wege und ebensolche Cafés. Man trifft sich und treibt brave, unverbindliche Konversation. e.wolfJedoch hat diese von Beginn an den Touch der kleinen Besonderheiten. Man beginnt sich zu freuen, wenn man sich wiedersieht. Und man beginnt von beiden Seiten dem Zufall nachzuhelfen, damit dies auch ein drittes und viertes Mal gelingt. Es knistert!

Lies das im Frühling! Mitverlieben garantiert! Ich las das 1981 im Herbst – aber es war der Frühling meines Lebens!

Beide kommen sich verbal näher. Geschwister im Geiste. Dann reist man ab – in unterschiedliche Richtung. Eleonore nach Berlin, wo sie eine Stelle als Lehrerin oder Gesellschafterin sucht. Letzteres tritt ein – aber ihr neuer Arbeitsplatz führt sie im Sommer nach Pommern, wo sie somit Nachbarin ihrer Norderney-Bekanntschaft wird.

Das Baron Randow verheiratet ist und Kinder hat, hatte er ihr nicht verschwiegen. Er hat auch seine Familienumstände nicht beklagt, sondern durchaus die Rolle seiner Frau gelobt – nur erweckt Spielhagen beim Leser das Gefühl, dass jene Eleonore Ritter das perfektere Match gewesen wäre.

Es knistert heftiger. Bei Treffs, die nun beide eigentlich vermeiden wollen…

Man muss nicht nach Norderney, um …. Manch einem begegnet seine Eleonore auch am Arbeitsplatz. Die Gespräche lassen den Gleichklang der Seelen erahnen. Das Umfeld wird Nebensache. Hatten die Kollegen schon Wetten laufen, wie die Gutsherren bei Spielhagen: Na? Wann passierts?

Man kennt das. Auch in Werkhallen oder Büros. Es begegnet einem. Aber es muss sich nicht buchstabengetreu so abspielen wie im Roman.

Hertha von Randow oder Eleonore Ritter, Chiffren für Namen aus deiner eigenen Biografie – hundert Jahre später. Gute Bücher bleiben aktuell.  Anfang der 2000er hatte ich das ZVAB für mich entdeckt, mit seinem damaligen Spielhagenüberangebot zu kleinen Preisen: 2000, 2001, 2002 – Leserausch. Parallelwelt. Gott sei Dank. Keine Fehler begangen. Keine Patchwork-Stückelei veranstaltet. Nur die „Stummen des Himmels“ zum zweiten Mal gelesen. Medizin – die half.

In letzter Zeit las ich mehr Heyse. Aber der Thron gebührt Spielhagen. Unstrittig.

3 Gedanken zu “Mehr als nur’n Buch gelesen…(1)

  1. Es ist auffällig, wie einem Entdeckungen prägen können. Du fandest die Bände von Spielhagen in einem Antiquariat. Du findest Spielhagen besser as Fontane. Ich hatte einige TBs von Fontane beiläufig in einer Krabbelkiste gefunden und gelesen. Mir hat der, für mich damals, kritische Blick auf das preussische Bürgertum gefallen. Zudem mussten wir einige Gedichte von ihm in der Schule auswendig lernen.

    Ich habe dann einiges von ihm aus der Reihe nachgekauft. Anfangs wusste ich nicht, dass es Lizenzen von DDR Ausgaben waren, die von Gotthart Erler herausgegeben worden waren.

    Jean Paul hat seine Ironien indirekter geschrieben. Da muss man einiges nebenbei wissen, um seine Anspielungen verstehen und geniessen zu können.

    Was ich bei deinem Zitat des Textes von Liwa ziemlich daneben finde: seine Freundin oder Frau peinlich zu finden. Ich wüsste bzw. mir fällt kein Grund dafür ein. Selbst bei ehemaligen Freundinnen nicht.

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    • Ach komm! Peinliche Momente gibts doch jeder Zeit im Alltag.

      Ich sage nur Morbus Peter. 😁Fortgeschrittene Herbertitis. Oder mancheiner muss gar mit zur Kaisermania.🥴

      Das (oder ähnliches) kommt doch in den besten Familien vor.

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      • Ich vermute Maffey, Grölemeyer oder Roland… Ist mir nicht widerfahren.
        Was ich für mich geschrieben habe, gilt. Momente, die ich für mich im Nachheinein peinlich fand, die gabs natürlich.

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