Leo’s Rock-Show

Und noch einer der vergessenen Giganten.

Kennst du dich in der Geschichte von Woodstock, Altamont, Isle of Wight, Fehmarn (usw.) aus?

All diese free Festivals der späten 60er Jahre, die Geschichte machten, um die sich Legenden ranken – und deren Veranstalter entweder Pleite gingen oder sich mit der Konzertkasse rechtzeitig dem Zugriff empörter nicht bezahlter Stars und Roadies entzogen?

Als Alt-68 oder später geborener Boomer kriegst du glänzende Augen, weil du weißt, wer da alles auftrat und die neue Zeit herandröhnen half! Begleitumstände – Wumpe! Der Sound verhieß Rausch und nicht nur der Sound. (Wie es heißt.)

Jefferson Airplane: „It‘s a new Dawn! Morning People!“

Hendrix, Cocker, Stones, Janis, Crosby SN&Y; usw…usw…

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Und all die Stars immer mit einem Bein im Knast, weil ihnen entweder obszöne Gesten passierten, auf die spießige Sheriffs nur zu warten schienen…oder weil sie nicht so genau wussten, in welchem Staat es jetzt wie genau war mit der Kiff-Toleranz: Weeeeeee looooove you!“

Oder kennst du Jackson Browne und sein Wunderwerk „Running on empty“? Und darauf den letzten Song: „Load out/Stay“? Wie er da beschreibt, wie einem Star zumute ist beim letzten Song des Abends, wenn er noch singt und hinter ihm die Roadies schon die Bühne abschrauben…

„And the seats are all empty…let the roadies take the stage…“

„Rock and Roll I gave you all the best years of my life…“, denkst du dann so melancholisch, obwohl das gar nicht von Ol’Jackson ist.

Abwink! Runnin‘ on! Runnin‘ on empty!

Und dann fällt dir dieses Buch in die Hände.

Dieses Buch von einem, der zu Lebzeiten Superstar war. Den (fast) jeder seiner Zeitgenossen kannte. Ungeheuer beliebt, weil volksnah, erfrischend frech und  unterhaltsam größenwahnsinnig im Reden.

Muhamed Ali? Meat Loaf?

Von beiden ein bisschen.

Die Rede ist von einem, der eine Elvis-Karriere hinlegte. Jedoch: Before the King was born!

Er sang nicht „Heartbreak Hotel“ und auch nicht „Bat out of hell“. Er war nicht mal Ami! Aber man mochte ihn da!

Sie hielten ihn „drüben“ für eine Art Preisboxer, der zufällig auch die „Lohengrin“-Arien hinbekommt:

1,96 m lang aufgeschossen und 140 Kilo Lebendgewicht; dazu der allzeit auf Knopfdruck zuschaltbare Killer-Blick: Das macht Eindruck!

Mit der geographischen Zuordnung allerdings hats der Ami schwer, wenn einer aus Mähren kommt. Wo mag das sein? Ist das nun „the brutal russian Singer from Vienna“ oder the czech Tenor, who wips 6 policemen in a row“?

Aus tiefster Armut aufgestiegen, von der Schule geschmissen, in mehreren kurzen beruflichen Intermezzi gescheitert, die Mutter am Stickrahmen tröstend – mit erzählten Tagträumen von kommender Berühmtheit, die alle Not beheben sollte, wartete er zwischen dem 14 und 20 Lebensjahr erstmal ganz naiv auf kommende Gloria! Aber vorerst „schrie er nur im Theater-Chor in Brünn an der Seite ehemals gefeierter Opernstars, die nun in der Provinz ihre letzten Jahre verdämmerten“. So auch Adolf Robinson; ehemaliger Wagner-Bariton in Bayreuth, nun Star eine Nummer kleiner, aber auch Gesangslehrer, Talente-Scout. Der wurde sein Sam Philips. Das Theater Brünn – sein Sun-Studio. Robinson entdeckte seine Stimme, schulte sie – und von da an ging es rasant bergauf. Denn dieser Müllers-Sohn singt nicht nur Heldentenor – er sieht auch so aus!

Berlin-Breslau-Wien-New York-Wien-Berlin. Sechsfacher Kammersänger, Ehrenritter des italienischen Königs. Mehrere USA-Tourneen mit der Metropolitan Opera.

Erste große Amerika-Tournee 1909, mit Caruso und Toscanini.

Und alles, was er in seinen Memoiren 1921 zum Besten gab, liest sich heute wie das Buch zur Platte, zur Jackson Browne-LP„Running on empty“ oder zur „Eagles live“ oder zu Joe Walshs Eskapaden in Zeiten von „You cant argue with a sick mind!“

Die Zeit vor dem ersten Weltkrieg hatte ihre Rock-Stars: Sie hießen Caruso und Slezak.

Wo sie auftraten, war die Bude voll. Stadienkonzerte waren noch nicht erfunden. Die „Concert-Halls“ konnten mitunter arg klein ausfallen. Im Mittleren Westen. Aber die Farmer kamen von weither um die „Opera Week“ in Tanglewood oder anderswo mitzunehmen: Vieh-Auktion, Othello-Arien, Line-Dance.

„Die Presse muss hier immer was über dich zu berichten haben. Schon deine Ankunft will gut geplant sein.(…) Also trat ich mit Ziege und Schildkröte vor mein Empfangskomitee hin und behauptete, nicht singen zu können, wenn diese Ziege nicht wenigstens hinter der Bühne auf mich wartete. (…) Der Amerikaner ist naiv. Er glaubt dir alles… Die Geschichte erschien unbezweifelt. … In Wahrheit hatte ich die Tiere von einem polnischen Juden aus dem Zwischendeck geliehen.“

Und:

„Niemand probt hier. Meine Desdemona lernte ich somit erst bei der Aufführung kennen…Das amerikanische Publikum ist kein pünktliches. Zum ersten Akt ist kaum jemand da. Während des 2. Aktes füllen sich die Reihen und im dritten leeren sie sich wieder. Niemand kennt hier eine Oper vollständig.“

Leo Slesaks Erstling „Meine sämtlichen Werke“ (1921) war als einmaliger Ausnahmebuchversuch „in schwerer Zeit“ gedacht. Aber der Erfolg verfolgte ihn auch hier: Bestseller! Und so schrieb er über die Folgejahre verteilt noch 3 weitere Bände.  Um den ersten Band soll es hier gehen. Er beinhaltet die „schöne Zeit vor dem Kriege, als wir alle viel weniger Probleme hatten als heute“. Aber der reife Leser von heute hat ein Deja vu nach dem andern:

  • Du schmunzelst über die Lehrer- und Militär-Verarsche im Feuerzangenbowle/Schwejk-Stil;
  • Wenn sein Konzertveranstalter mit der Konzertkasse durchbrennt, siehst du das Fehmarn-Debakel von 1970 vor dir, worüber es einen oft wiederholten Dok-Film gibt, weil da JIMI das letzte Mal live in Action zu bewundern war.
  • Wenn er seine Sänger-Kollegen „aufzieht“, zur Weißglut treibt: Hörst du tief in dir drin, wie sich Glenn Frey und Don Henley Dresche anboten – live on Stage 1980.
  • Wenn er behauptet nur in Gegenwart „seiner Ziege“ singen zu können, siehst du Maria Carry vor dir, die ein Weißes Sofa verlangt und Labrador-Welpen, sonst gibt es kein Interview!
  • Aber schließlich tourt der Weltstar für Inflationsgeldgage durch Ländereien, die mal zu seinem Vaterland gehörten, nun aber frisch erfundenes „Ausland“ sind. Er singt in Laibach und in Marienburg im nunmehrigen Jugoslawien, gerät nach Rumänien, dem Land, „das aus dem Vollen schöpft, das alles, aber auch alles zu seiner Verfügung hat, das durch den Krieg so riesengroß geworden ist.“ Bis er im dortigen Theater die Kostüme des Chores wiedererkennt: Diese edlen Panterfelle und die Brustharnische, „Uniformen der kaiserlichen Leibgarde (in Wien), wie ich erfuhr von einem sehr spekulativen Operetten-Direktor an den Bukarester Theaterdirektor verschachert. Mir drehte sich der Magen um.“
  • Jedoch gleich lenkt er wieder ab zu unterhaltsamen Darstellungen, auf welche Weise versucht wurde, ihn abzuziehen – und warum es hie und da tatsächlich gelang.
  • Besondere Beachtung verdient der warmherzige Nachruf auf Adolf Robinson, der 1921 starb, worüber sich sogar die Brünner Lokalzeitung ausschwieg, geschweige denn, dass sich in Bayreuth irgendjemand bemüßigt gefühlt hätte, seiner zu gedenken. Slezak verfasst hier -ohne Auftrag!- eine beindruckende, phrasenfreie, 5seitige Laudatio für seinen Entdecker, Nachhilfelehrer, Stimmausbilder & Berater. Wo gäbe es sowas heute?

Ein kolossaler Packen „Zeitgeschichte von einst“ unterhaltsam erzählt, von einem der dabei war. Als Star.

Von Deep Purple gibt es „I am a Leo!“

Meinten die Slezak?

Ich hör‘ schon auf.

So read  & rock it!

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4 Gedanken zu “Leo’s Rock-Show

  1. Eine schöne Erinnerung – klasse geschrieben!

    Beim Lesen drängt sich die Frage, ob tatsächlich alles schon mal da gewesen ist. Form und Inhalt. Die äussere Form ändert sich ständig, im Kern gibts kaum Neues.
    Deine Würdigung passt eventuell ganz gut dazu:

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    • Oh yeahr. Interessanter Link.
      Schließe mich Placebo an: Ich konsumiere keine aktuelle Popmusik.
      Bei Slezak taucht das ganze bekannte Begleitgebaren einer Tour bereits auf, das man kennt. Nur eben kann er sich noch ganz normal blackfacen um Othello zu geben, ohne dass irgendne woke Trulla hysterisch wird. Ach- und Groupies gibt es auch noch keine.

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      • Ich werde älter. Und ich merks auch. Bei aktuellen Sachen greife ich deshalb eher zum Altbewährten.

        Ob es früher keine Groupies gab, wage ich zu bezweiflen. Auch da waren die Formen wahrscheinlich nur anders. Spontan fällt mir dazu King Louis II. von Bayern ein, und wie der den Schauspieler Josef Kainz verehrte – ach Gottchen…

        Slezaks „Sämtliche Werke“ habe ich mir mal notiert.

        Gefällt 1 Person

      • Klar. Geliebt wurde immer. Aber dieses Girls hinter die Bühne winken oder dieses all zu offensichtliche Uschi Obermeier Ding, das gabs sicher nicht. Man(n) schlich da eher heimlich zur Mutzenbacher. Oder -eher für long terms- wechselte Frau Mahler- im Wortsinn den Gatten.

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