Steve

(Kleine Erklärung am Rande: Von nun an erscheinen die Tokaihtotales in „Rentner-Beige“. WordPress hat jenen bisherigen Farbmix abgeschafft. Weiße Schrift auf grauem Hintergrund war plötzlich nicht mehr lesbar, wenn man ältere Beiträge anklickte. Deshalb musste ich wechseln.)

Wir sind ja die für die Klassik verlorenen Jahrgänge. Fidelitei und Koloraturen-Krietsch sind nichts für uns. Der Schulmusikunterricht gab sich mehr oder weniger Mühe, uns das nahe zu bringen und scheiterte nahezu komplett.

So let there be Guitar! One-two-three-four!

Triffst du heute Boomer im Symphoniekonzert oder in der Oper, dann sind sie „wegen Oma mit“ und sie reden beim Häppchen und Sektchen in der Pause über ihren neuen SUV oder Netflix-Serien, so als sei das gerade zu erlebende Kulturereignis gar nicht da. Dann klingelts und man begibt sich wieder auf die Plätze, um sich eine weitere Stunde zu langweilen.

Für unsere Jahrgänge gilt: Wenn Klassik, dann in verrockter oder verjazzter Form.

Manche von uns haben sich eine kulturelle Gegenwelt aufgebaut und versinken in einer Art Bluesologie oder ganz beatlesk, wie einst die Wagnerianer im Schmetteretäng. Sie lassen sich für finales Lennongelalle reichlich Geld aus der Tasche ziehen und lauschen diesem Crap dann auf schweineteuren Anlagen, die ein 4-Mann-Team zuvor ebenso schweineteuer per Klangschalenschwingungsmessung in die Mansarde justiert hat.

Sogar in die Tagesschau hat es dieses schief gepitchte Songrudiment geschafft. Weil „Beatles“ draufsteht. — Wer’s braucht! Ich nicht.

steve4Ich habe für mich – dieses Jahr so richtig – einen Künstler entdeckt, der mir zeitgleich meinen Oldfieldhorizont erweitert und erklärt, wie „Peer Gynt“ heute klingen würde, wenn Sibelius mit Rockinstrumentarium zu Werke ginge.

Die Rede ist von – STEVE HACKETT.

Spät stieß ich auf ihn, aber immerhin noch zu seinen Lebzeiten.

Hackett war mal vor 200 Jahren bei Genesis. Und sein Fluch sind Genesis. Denn gegen deren Schatten kämpft er nun ein Leben lang an.

Bei Genesis war er sozusagen der Harrison. Irgendwie wichtig – am Rande.

Und deshalb ging er, weil er mit seinen Kompositionsvorschlägen zu selten durchkam.

Aber er saß ja meistens auf einem Hocker zum Klampfen, war nie das Rockviech on Stage und deshalb hätte seinen Weggang wohl niemand bemerkt, wenn Collins nicht jene LP damals „…dann waren’s nur noch drei“ genannt hätte.

Hackett, der leibhaftige Nowhere Man.

Seine Eingebung, Tapping genannt, machte ein anderer groß. Van Halen ließ sich dafür feiern. Und man kann ihm glauben, dass er mit Sicherheit Genesis oder Hackett gar nicht kannte, sondern einfach der Zweite war, der von selber darauf kam und den Erfolg genoss, für den ersten gehalten zu werden.

Uralte Geschichte. Kennen wir ja vom Telefon, von der Glühbirne, dem Hinterlader und der Eisenbahn…

Hackett komponiert sich einen Wolf und bekommt die Hallen nur voll, wenn er mit „Genesis-Projekten“ unterwegs ist. Das ist jammerschade, denn seine Weiterentwicklung ist immens!

Mir ging es lange Zeit ähnlich, wie den meisten: Die „Acolyte“ is‘ ganz okay. Achselzuck – und aus.

Aber irgendwann schlägt jedem die Stunde.

Bei mir wars ein Dreischritt:

 „Out of the tunnels mouth“ – „The Night Siren“ – „Surrender of silence“. Peng!

Von der „Wolflight“ gefällt mir das Video zum Titelstück SEHR, aber die Musik kriegte mich dann doch nicht – und das lag vorrangig am Gesang und dem, was ich vom Text zu verstehen glaubte. Vielleicht fällt da noch der Groschen der Erkenntnis – später mal. Aber vielleicht wär das dann auch die eine CD zu viel, die den Gesamteindruck wieder zusammenhaut? Ich bleibe da vorsichtig.

Bleiben wir bei den oben genannten dreien:

Als die „Tunnels Mouth“ CD erschien, geriet sie mir als Beifang in die Sammlung. Es war so dieses „Kunden die X gekauft haben, interessieren sich auch für Y“ Ding. Ich erwischte so eine Deluxe Edition mit einer Bonus-CD hinten dran mit ein paar Genesis-Neuaufgüssen. Die hätte es nicht gebraucht, bis auf „Fourth Firth of the fifth“. Für’s Auto brannte ich mir eine Sicherheitskopie des Albums und pappte diesen einen Track hinten dran – und das rundet das Album dann wunderschön ab.

„The fourth firth of the fifth“ ist bei Genesis schon die ergreifendste Nummer, hier aber kommt das finale Gitarrensolo noch eine Stufe himmlischer rüber als in der Originalversion. Das lässt dann auch verschmerzen, dass sich Hackett auf seinen Alben mit einem relativ schwachen Sänger zufriedengibt, dem die Gabriel-Dramatik komplett fehlt, und der auch sonst keine Wiedererkennbarkeit in der Stimme mitbringt.

Hackett ist Vollblutmusiker. Text und Gesang sind ihm Beigemüse. Ein Triangel-Effekt im Arrangement. Seine Ausdrucksform ist die Musik.

steve1Als ich 2010 in den Hackett-Kosmos einstieg, war ich noch berufstätig. Der Überlebenskorridor verengte sich in jenem Jahr derb und die Platte hat diese Befreiungsmomente: Raus aus dem Tunnel! Licht!

Selten wurde eine LP treffender benannt. Eine Fahrt mit dem Orientexpress soll Inspirator gewesen sein. Wenn man das weiß, kann man Kara Ben Nemsi reiten sehen. Oder aber den Kopf ganz eigene Wege gehen lassen und dann kommst du eventuell bei „Peer Gynt“ raus und der „Morgenstimmung“ dort. Dieses erhebende Erhabene! Das Werbefernsehen brachte mich einst an Sibelius. Eine Jever-Reklame war’s. Ich wollte wissen, was das für eine tolle Musik ist, bei der die Windjammer da am Horizont hingleitet, bevor das Etikett eingeblendet wurde. Zeitchen später dann „Finlandia“ von der Stern Combo Meissen. So wurde mir Sibelius wichtig.

Kennst du das? Schnauze voll – und gute Musik, die dir erstmal ne Weile filigran was vorklampft und sich dann hocharbeitet in dieses kraftspendende Widdly-widdly-Jauuuuul!? LICHT und WEITE!

Nach dem letzten Ton könntest du barfuß Türen eintreten, Vorgesetzte erschießen oder in Polen einmarschier‘n! So eine Platte ist das!

steve2Dann verbesserte sich die berufliche Situation wieder und ich glaubte, ihn nicht mehr nötig zu haben. Wrong! Es verging ein Zeitchen, jedoch die finalen Gewitterwolken kündigten sich an. Da sollte Nachschlag her und das wurde die „Night Siren“ mit den Polarlichtern auf dem Cover. Blind gekauft und zunächst – enttäuscht. Schwieriger als die „Tunnelplatte“. Keine schnelle tonale Bluttransfusion. Sie lag nach zwei oder drei Erschließungsversuchen halt herum. Im letzten Herbst jedoch tat sich was:

Du bist jetzt alt und draußen! Du hast Zeit! Nimm sie dir, diesen Brocken zu erschließen! Und siehe – es gelang: „50 Miles on the North Pole…“ Wieder eine Stern Combo Brücke „Der Kampf um den Südpol“! Anderes Weltende, aber ähnliche Gemütslage. Dann fiel mir beim nächsten Hördurchgang auf, dass Track 1 wie „Kashmir“ von LedZep klingt, jedoch nicht im Sinne von Plagiat, sondern so’ne Art Weiterentwicklung. Und dann klappte es auch mit dem Rest: Die Polarlichter, Indien, Nordpol…  Es heißt, dass der liebe Steve sehr viel Zeit auf Sardinien zubringt, was ihn zu einem Wanderer zwischen mehreren Kulturkreisen macht. Sicher schippert er per Jacht an beide Festlandsküsten zum Shoppen, zum Essen gehen, um Straßenmusik zu genießen, oder für die eine oder andere Jamsession. Da ist dieser Maghreb-Touch in seiner Musik, ohne nun allzu sehr in Weltmusik abzudriften. Man könnte glatt seinen Frieden machen, mit all den Orientalisierungen um einen her, wären da nicht die nächsten Clan-Schlagzeilen, Crackverkäufe, Halloween-Unruhen usw. Musik verbindet. Kann Neugier wecken. Kann dich auch zurückholen ins Hatschi Halef Omar Idyll. Für eine Weile. Den Schut immerhin richtete der Herrgott selbst.

Du fühlst dich wohlig erinnert an den „No Quarter Weg“, den Page&Plant in den 90ern gingen. Oder „Talking Timbuktu“ von Touré & Cooder. Das war früher mal exotisch, weil weit weg – aber inzwischen rückt es einem auf die Pelle, in einer Art, die einem mehr und mehr suspekt erscheint. Und so wird das Hören von den Hackett’schen „Nacht Sirenen“ eine Tour de force durch Wunschvorstellungen und Realitäten. Hoffnung und Misere! Klänge von heute für das JETZT. Es könnte alles so harmonisch sein, wie es bei Hackett klingt, wenn wir uns gegenseitig nur die Gitarrengriffe zeigten. Der Mensch – das vernunftbegabte Wesen. Aber dann zappst du dich durch die TV-Kanäle, bestehend aus Mord & Totschlag – und bist geerdet. Jedoch der innere Film wird nicht müde, Bilder hochzuholen, die ich längst vergessen glaubte, immer wenn die Platte läuft. Nun war sie da, die Hackett-Sucht. Da passiert Entwicklung! Vom „Tunnel“ zur „Siren“ ist eine große Schippe Anspruch draufgelegt worden! Von der Orient- zur Weltreise!

steve3Und vollends wird die Weltreise zur Timetunnelfahrt durch die Musikstile, wenn du zur „Surrender of Silence“ greifst. Einmal quer durch alle Epochen und Kontinente. Bach trifft auf Dakota-Dance; melodiöse Artrocksoli auf afrikanische Hochzeitsrhythmen. In „Natalia“ wird diffus ein Marsch in die Verbannung durchs ewige Sibirien skizziert. (Da wird von „broken Balalaikas“ gesungen, aber keine im Arrangement zuvor verwendet! Error! Error! – Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.)

In „Wingbeats“ befindest du dich irgendwo in Kenia oder Tansania auf einem Dorfmarkt unter Bambus berockten Eingeborenen, die sich an ihrem folkloristischen „Belelele, lalalalal“ berauschen, bis die Hackettgitarre da durchfährt wie der Jeep vom „Daktari“. Gefühlvoll. Nicht brachial! In Gedanken sitzt du wieder 10jährig im „Kleen Gino“, wayback im Saaletal; streichelst den Kopf von Elsa, deiner zahmen Löwin – und Du wirst nicht fertig mit entdecken und erinnern…

Ihm hier geht es ganz ähnlich, wie mir.

Drei Hackett-Alben hintereinander, das ist abwechslungsreicher, als drei Oldfield-Alben hintereinander zu hören.

Das ist Globetrotting im Ohrensessel. Sparsam und nachhaltig; und in Bludgeon House in ganz durchschnittlicher Anlage abgespielt! Ganz ohne Klangschalen-Messtrupp. – Call me „Asket“!

Hackett hätte es verdient, in „Aspekte“ oder „TTT“ ein Special zu kriegen, wenn Bildungsauftrag nicht nur die übliche Schimäre wäre.

Aber nee. Der „epochale“ letzte Furz der Beatles got it – und schaffts sogar in die Tagesschau. Hier und jetzt. Ein ausgewrungener Teebeutel als Weltsensation.

Glasperlenspiel 2.0

PS: Leider etwas zu spät entdeckt: Diese Rezension.

12 Gedanken zu “Steve

  1. Also mit dem ganzen Artrockgedöns kann ich nicht wirklich viel anfangen. Am Freitag gehe ich mit Donna und Donnatella zum Symphoniekonzert in Mainz. Ich Babyboomer, in Begleitung meiner 16 jährigen Tochter. Außerdem höre ich fast nur noch echte Klassik, weil bis bis auf weniges alles andere langweilig vorkommt. Ach so, Jazz darf es auch gerne sein.

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    • Okay. Mr. Ausnahme. Glückwunsch, wenn ihr da alle freiwillig hinwollt. Sinfonien gehen auch bei mir mittlerweile. Nicht alle. Jedoch, wann immer ich in derlei Klassik-Tempeln war, erging es mir, wie oben beschrieben. Musical ausgenommen, da tickt Publikum anders. Aber die klingen für mich inzwischen eins, wie’s andere.

      Prog-Liebhaberei ist allerdings tatsächlich eher ein Nischen-Ding. Mittlerweile.

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      • Meine Erfahrung hier ist, dass es die auch hie gibt, aber sie sind eher die Ausnahme. Es gibt natürlich viele, die noch älter sind als ich, aber auch recht viele junge Leute, die scheinbar einfach so kommen. Ich hatte schon immer Interesse an Oper und Kammerorchester, seit ich aber selbst musiziere und Töchter habe, die auf einem recht hohen Niveau Klavier und Klarinette spielen, habe ich nochmal einen ganz anderen Zugang dazu gefunden. Was mir aber schon noch gefällt, sind die frühen Genesis Sachen. Neuen Zugang zu so alten Sachen, wie z.B, Marillion, ELP etc. finde ich aber eher nicht.

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      • Schade um Marillion. Bei ELP geht es mir ähnlich. Dass sich junge Leute in Klassiktempel verirren, hab ich auch erlebt. Aber einer von 50 oder 100 tut das wegen der Musik. Auch wenn er/sie selber gut Hausmusik spielt. Das traf auch auf meine beiden zu.

        In der Playlist hatten die Beethoven, Bruckner oder Liszt nicht.

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  2. Wassn da passiert? Rentnerbeige ging ja noch. Aber das ganze Kommentardingens ist jetzt in Blockschreibweise wie der „neue editor“ in wp. Grauslich. Vielleicht solltest du den alten, den „klassischen Editor“ verwenden. Oder du hast vielleicht das theme gewechselt.

    Huch – gutenbergscher Block Zeilensprung: seis drum ?Type / to choose a block?

    Eine schöne Würdigung für Steve Hackett. 1975 war für den jungen Genesisfan die Voyage eine Pflichtveranstaltung. Und die 78er Please don´t touch ebenso. Aber unter den anderen Gitarristen, die mich damals sehr interessierten, war er lediglich ein guter Stilist. Was mich jedoch wirklich störte, waren die Gesänge. Die passten so garnicht zur Qualität seines Gitarrenspiels. So geriet er mir aus dem Blickfeld.
    Ich habe vergessen, wann das war, da tauchte er mir wieder auf. Aber da war nichts als Genesis.
    Ich werde nach deinem Bericht mal Ausschau halten nach den drei erwähnten Alben. Rentner haben zwar keine Zeit, aber Musik geht schon noch.

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    • Zu den Kommentareingebemasken: Das kapier ich auch nicht. Hab vorhin kaum geschafft, Esperanzas ersten Kommentar zu beantworten. Wenn ich auf dieses blauweiße + gehe, bekomme ich gar keinen alten Editor mehr vorgeschlagen.

      Inzwischen beginne ich mich dran zu gewöhnen, dass man die erste Zeile des Kommentars eben mitten in das Eingabe-Fenster haut und nicht mehr oben an den Anfang.

      Themewechsel? Hab ich nicht gemacht, oder nicht wissentlich. Sondern nur alle Farbschemen durchprobiert, die vorgeschlagen werden, wenn man auf das Repariersymbol klickt. Und weil es da nur blau auf blau, popelgrün, leichenweiß und augenkrebs erzeugende Rot- und Pinktöne gab, hab ich dieses Rentner-Beige „gewählt“.

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        • wahrscheinlich nur irgendwao aufn falschen Knopp gekommen…
        • ich würde das Netz nach einer Korrektur durchsuchen…
          Katastrophe das.
        • Ich habe mir den alten Editor als Lesezeichen gesetzt. Anfangs wollten sie die Anwender für den neuen Editor zwingen. ass es den „klassischen Editor“ noch immer gibt, sagt einiges über den Blockeditor der Blockheads von Programmieren aus.

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