Fjuhschn (II)

Weiter geht’s mit der Beschreibung phantasiebeflügelnder Klänge.

Jeder wird das kennen: Es gibt so Songs, da nimmt man Reißaus. Die sind so dürftig und auf Anhieb so nervig, dass man auf’s Radio schießen würde, wenn man Elvis wär.

Save your kisses for me, Rock Bottom, sorry I’m a Lady, Chiquitita, Jeans on, uhhhh la paloma punkaaaa…

Das ging aber schon in den 60ern los. Mit Zabatak und so Bands wie den Dave Dee Dosy, Biggy, Mick and Titch und den Archies. Von letzteren stammt „Sugar, sugar“, auch so eine musikalische Sondermüllnummer.

Aber: Manchmal greift ein gewitzter Musiker eines ganz anderen Genres sich so ein Unikum und bläst es auf und lässt es fliegen:

Und somit sind wir bei Jimmy McGriff und seinem Twofer „Soul Sugar“ und „Groove Grease“.

Erstens rockt der „Sugar, sugar“ in rockolympische Höhen, in denen die Archies nie gewesen sind aber anschließend fegt er mit seinem intelligenten Orgelgefauche und den Sax-Attacks seiner Band den Stall aus. Geil. 1970 und 1971 sind die beiden Platten passiert. Blacksploitation war angesagt, daher auch die zum Kauf motivierenden Cover, deren Idee sich wenig später die Ohio Players abgeguckt haben mögen.

Fusion 3

Der Grundrhythmus hat obendrein auf fast der gesamten Platte etwas von DDR-Fernsehballett und Emöke & Susan. Fusion 4Jedenfalls sieht man beim Hören automatisch die Damen mit ihren einprägsamen Hampeleien in äußerst knappen Outfits vor dem inneren Auge.  Ich denke mal Walter Kubiczeck, einer der Großkomponisten der Ehemaligen, hat davon gelebt, für’s „Unsichtbare Visier“ und das 70er Jahre „Kessel Buntes“-Intro den Jimmy McGriff zu beklauen.

McGriff war Jugendfreund von Jimmy Smith. Und das ist das Stichwort für die nächste Platte.

„Root down!“ (1972)

Fusion 2Ja, an der kommt man nicht vorbei, wenn man perfekte Fusion-Alben würdigen will. Jimmy Smith ist der Hendrix der Orgel. Der spielt alles. LPs in jedem Jazz-Stil; na gut – außer Freejazz. Und „Root down!“ ist sein Fusion Beitrag. Als die 1972 rauskam machte sie bereits Eindruck, obwohl die LP eigentlich ein Verbrechen war. Es ist ein Konzert-Torso. Irgendwer hatte zwar den richtigen Riecher jenes Konzert damals mitzuschneiden, dann aber fand sich keiner, der ein rein instrumentales Jazz-Doppelalbum (Orgel-Drums-Gitarre) für machbar hielt. Also verfiel man auf den dämlichen Einfall, die Tracks zu kürzen, auszublenden, Leerrillen zwischenzuschalten – fertig war ein Nachweis, dass Ol’Jimmy nach 12 erfolgreichen Jahren immernoch up to date war und mehr als das: Er zeigt John Lord, wo der Hammer hängt. Aber dem interessierten Hörer tropfte der Zahn: Wie mag sich das damals komplett angehört haben? Wie lange ging es nach der Blende noch weiter?

Wenn du „Root down“ nicht kennen solltest, dann stell dir vor, John Lord jammt mit Hendrix. Arthur Adams hat einmal zuviel „Band of Gypsys“ gehört, sich ein Wah-Wah-Pedal besorgt und fertig is „Son of Jimi“. Smith schießt ein Solo nach dem andern ab, Adams hält die Stellung bis es vorbei ist und dann kommt er: Shuffle and Wah-wah. Hendrix soll Funkrock erfunden haben. Adams setzt fort. Eine Rock-Messe! Mit ein bissel Werbung wäre das Ding in Zeiten des Prog um72/73 ein totsicheres Ding gewesen! Stattdessen damals jener LP-Stummel!

Dann das nicht für möglich gehaltene Wunder: In den 90ern setzte sich die CD durch – und die hat längere Spielzeit. Als das große Remastern alter Meilensteine in Mode kam, nahm sich jemand die „Root down!“ vor, beseitigte all die Kürzungsschandtaten – und schwupps liegt „Root down!“ seither in Doppelalbumlänge vor. Als Konzert ohne Leerrillen. Erst jetzt erlebt man zwischen den heimischen Boxen DEN Orgel-Rockjazz-Blizzard, der da 1972 stattgefunden hat. Geil!

Fusion 2c

Als ich mit ungefähr 45 Jahren zum ersten Mal die „Root down!“ hörte, da hatte ich den Augenblick, den alte Hippies mit 16 oder 17 hatten, wenn sie anno 1968 mit der nigelnagelneuen Hendrix nach Hause kamen, diese erstmalig auflegten und sich wegblasen ließen. Ich hatte schon wahrlich viiiiiel Musik durch meine Ohren gejagt, aber das da -! – das toppt alle Punk-Erinnerungen von weiland’78, als nichts geiler war, als die Pistols!

Plötzlich waren 30 Jahre weg. Es war wieder 1975 und ich sitz in der Wenzelskirche zu Naumburg wie so oft, wenn Orgelkonzert angesagt war. Die Kirche dunkel, nicht renoviert. Die Hildebrandt-Orgel, nach Vorstellungen von J.S. Bach entworfen, lange nicht restauriert. Man sagt ihr nach, seit der einen Zufallsbombe 1945 in nächster Nähe habe ihr Klang gelitten. Ich hör’s nicht, denn mir fehlt der Vergleich. Die Kantorin spielt Bach, Reger, Buxtehude etc.– und ich sitz auf der kleinen Seitenempore und träume von Kerzenlicht und Rauch-Show und einem Sound, der genauso hätte klingen müssen, wie auf DIESER Platte! (Oder eben wie ein Yes-Ersatzkonzert.)

Und noch ein Tastenhengst muss sein:

Eumir Deodato. Epochal seine „Prelude“- LP

Fusion 2 (2)mit DEM Fusion-Stück überhaupt: Also sprach Zarathustra.  Wie oft wurde der arme Richard Strauß nicht schon geplündert, zweckentfremdet als Konzertintro für Elvis, als Pyramiden-Doku-Filmmusike, als Bierreklame – und immer waren es nur jene hochdramatischen anderthalb Minuten vom Anfang seiner Tondichtung „Also sprach Zarathustra“. Strauß komponierte jenen Sonnenaufgang, dann quasi als Morgengymnastik eines Pilgers einen kurzen Walzeranklang und anschließend gute 40 Minuten ein durchaus anhörbares Orchestergewirr, allerdings ohne weitere einprägsame „Hooks“. Die Mühen des Pilgers. Deodato übernimmt den Sonnenaufgang und groovt anschließend sechs Minuten frisch drauflos, ohne sich um die Kompositionsvorlage weiter zu scheren. Ähnlich McGriff, der nach „Sugar, sugar“ sehr gelungen im Tritt bleibt, reiht auch Deodato ein Groove-Monster ans andere. Der Flow stimmt, die Gedanken reisen. Ausfälle keine. Geil.

And in the End comes, der Kniefall vor SBB.

DIE polnische Legenden-Band. SBB sind die davongejagte oder auch von selbst gegangene Band von Jeslaw Niemen, dem polnischen Hippie-Guru, Jazz-Papst, Ost-Zappa. Mitte der 70er kam es zum Bruch. Josef Skrzek, Antymos Apostolis und Jerzy Piotrowski starteten ins Ungewisse, als namenlose Musiker eines Superstars – und wurden prompt selber welche. Sie lernten von Mahavishnu, den Atomheartmother-Pink Floyd, Cream und Kraan; trainierten ihre Improvisations-Gene derart, dass beinahe jeden Abend, bei jedem Konzert, die immergleichen Stücke immer anders klangen, andere Längen hatten, jedes Mal ein anderer der drei als Solist glänzte. Zu Ostzeiten hatte ich drei LPs von ihnen und jede Menge Gier nach mehr.

Ich feierte seinerzeit den Erwerb der SBB III, IV und V in der „Polen-Information“ in Leipzig.

Und ich war entsetzt über die AMIGA-LP mit all den kurzen Stücken Pausenmusike.

Das Debut war genauso ein verkrüppeltes Konzert wie die Urfassung der „Root down!“; durch Kürzung verstümmelt. Und genau wie jene in den Nullerjahren auf CD nun in vollständiger Form zu haben.

Die zweite LP hatte mir nicht gefallen.  Erst die dritte klang sehr Genesis/Eloy-mäßig und deshalb stieg ich 1977 ein. Die Band hat eine spannende Geschichte. Sie hatte viel Erfolg in den 70ern; auch auf Westtourneen. Sie produzierte Radiokonzerte und LPs in Schweden, Westdeutschland, Ostberlin, Prag und Budapest. Die 22 CD Kiste von 2004 ist eine Schatzkiste. Drei oder 4 CDs sind entbehrlich. Drei weitere so mittelgut. 15 Stück sind Sternstunden! Es gab bisher keine lohnendere Kiste für mich!

Welche stellste da nu heraus? Keine.fusion 5

Sondern die schwarze Namenlose von 2012, die bei mir „Requiem“ heißt, wie der letzte Track. Skrzek und Apostolis haben sie als Duo eingespielt. Piotrowski ist nach USA ausgewandert. Es ist eine einzige Musikscheunensession, die alle ihre Schaffensphasen an die Wand malt, ohne eindeutig zu zitieren: Den frühen Rumpelprog mit Niemen, den krautgerockten transzendalen Mahavishnuschmäh der ersten beiden Platten unter eigenem Namen, die romantische Progphase von‘ 77, die dann‘78 kosmisch abhebt wie einst die SBB IV, die gitarrigere Nr. V klingt an und erinnert auch an die Doobie-Brotherige USA-Tournee — und schließlich Impros-Impros-Impros, wie in den 90ern. Aber immer harmonisch, sauber, mit Seele gespielt. Alte Männer schauen zufrieden zurück – und haben allen Grund dazu.

Ein musikalisches Inhaltsverzeichnis zur Kiste gewissermaßen.

(So. Bis hierher waren es 9 Künstler, deren Alben ich schätze. Versprochen waren 10 – Teil 3 folgt demnächst.)

2 Gedanken zu “Fjuhschn (II)

    • Ob ich die kaufen würde? Eher nicht.

      Titel:

      http://www.jpc.de/jpcng/poprock/detail/-/art/various-artists-hallo-22/hnum/11037858

      Was hat Hansi Biebl da zwischen „Funk and Soul“ zu suchen? Und Frank Schöbel mit seinem Omega Coversong? Soul? Echt jetz‘?

      Bei Joco dev höre ich so ein echtes DDR-Zensuropfer raus: Stapellauf ist eine Schimäre aus Wonderlands „Moscow“ und Deep Purple. Humpelt also gewaltig. Das ist lt. Max Herre Soul?

      Wo ist statt dessen „Kalif Storch“ von Magdeburg? Zugegeben ihre mieseste Nummer, aber astreiner Funk. Und wo 4PS „Ich wollte, wenn ich wüsste, dass ich könnte“, da grinst Stevie Wonder aus jeder Ritze.

      Nu hab ich mir diesen elend langen Amiga-Eigenlob-Sermon gegeben, in Erwartung der Titelliste…aber die verschwiegen sie. (Hab sie bei jpc gefunden.)= – Statt dessen solche Unverfrorenheiten wie
      „Einzelne Künstler berichten von Songquerelen.“ EINZELNE? Da könnt‘ ich mich schon wieder echaufieren!
      AMIGA hat soviel gute Musik- und Bandentwicklungen verhindert wie nur was.
      In den 80ern wurde mehr in den Rundfunkstudios produziert als in denen von Amiga, weil der Rundfunk toleranter war.
      Ein Ärgernis ohne Ende…

      Vllt mach ich aus dem Thema mal einen Post, was da alles fehlt, nie zustande kam, textlich verstümmelt wurde…

      Nach 1990 erschienen Amiga-Samplerreihen wie Sand am Meer: In Übelster K-Tel-Tradition:
      „Autobahn“ von Kraftwerk(Singleversion) konnte da auf „Uh la paloma blanca“ prallen.

      2022 haben nun gleich mehrere „West-Digger“ Ostmusik für sich entdeckt:

      Das hebt das miese Kompilier-Niveau von 6 auf 3; immerhin. Aber es ist noch ein langer Weg zur 1. Und wieso haben das Ossi-Archivare bisher nicht geschafft? Ärgerlich!

      Baer Family Records hat inzwischen 4 CDs (2DCDs) „Ost-Kraut!“ im Angebot. Da sind richtige Seltenheiten und Seltsamkeiten darunter. Aber selbst die werd ich nicht kaufen.

      Weil: Ostmusiksampler bau ich bessere. Hab inzwischen drei gebrutzelte fürs Auto, garantiert ohne Schrott dazwischen.

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