Heyse „Das Ewigmenschliche & Ein Familienhaus“ (1910)

Heyse, der dreiundneunzigste… Er lässt mich halt nicht los.

Diesmal also: „Das Ewigmenschliche & Ein Familienhaus“ von 1910.IMG_20240117_152127bb

200 Seiten das erste, 70 Seiten das zweite Geschichtlein. Nicht Roman und nicht recht Novelle, denn überraschend ist da nix.

Warum schreibt einer mit 80 Jahren nach seiner letzten Glanzleistung („Erschaffung der Venus“) 1910 noch so ein Buch?

Ein Werk der inneren Verunsicherung. Ein Plot, der nicht trägt. Ein Zweitwerk hinten dran gepappt, was bei allen Schwächen doch noch etwas flüssiger erzählt daherkommt, als die 200 Seiten zuvor.

JETZT! – haben ihn die Scharfmacher der Literaturgazetten da, wo sie ihn haben wollen. Selffullfilling Prophecy! Seit zwei Jahrzehnten sprechen sie ihm Gestaltungskraft, Phantasie, Talent ab. Auf DIESES Werk trifft das zu.

Und das Schlimmste ist: Er traut ihm selber nicht! Warum veröffentlicht er’s dann?

Zu Beginn stellt er die Chose so dar, als habe da jemand „einem bekannten Dichter“ ein Manuskript gesandt, mit der Bitte um Durchsicht, Einschätzung und eventuelle Weitergabe an einen Verleger. Also „will sagen“: Das Kommende ist nicht von mir!

Zusätzlich verleugnet er sich so halb hinter „einem bekannten Dichter“.

Er will nicht der sein, der das schrieb und auch nicht so richtig der, der das Geschreibsel für Wert befand und weitergereicht hat. Und so bekommt auch das zweite Stück den Charakter eine Entschuldigungsversuches.

Soweit die ersten Eindrücke beim Lesen.

In einer zweiten Grübelrunde jedoch stellt sich das Ganze etwas günstiger dar:

Es hat so kritische Ansätze, die gefallen. Er lässt die Hauptfigur grübeln über das schnelle Vergehen des Ruhmes von Geibel und Auerbach; 1910 zwei „Stars von gestern“. Prompt musste ich an die Konsalik- und Hohlbein-Pyramiden bei Karstadt 1990 denken. Wo sind sie hin. Selbst Grass ist „vorbei“.

Max Stirner bekommt sein Fett weg, wie Nietzsche in „Über allen Gipfeln“. Das war vermutlich Heyses Hauptanliegen. Wer diesen Verführern folgt, wird selber einer – und vertut sein Dasein!

Er verkündet in einem zweiten Vorwort zudem, dass das Manuskript von einem stammt, der einsah, dass es zum Schriftsteller nicht reicht. Trotzdem hofft er nun aber seine Lebensgeschichte der Nachwelt zu erhalten. Dazu passt, dass das Ganze abgefasst ist, wie das Werk eines Anfängers mit großer Ambition. Also Inhalt und Form im Einklang. Mithin eben doch wieder Gestaltungskraftbeweis.

Interessant ist aber eher nicht, was sich da als Märchen für Erwachsene entrollt, sondern die essayistischen Beigaben, die grüblerischen Monologe über Kunstbetrachtung. Wann ist man Künstler; wann Dilettant? Wie kommt man als „Dutzendmensch“ im öden Brotberuf klar, wenn man doch eigentlich hoch hinauswollte? Warum lassen sich scheue, aber anständige Menschen von großspurigen Blendern so leicht beeindrucken? Was sind die Reize der Provinz gegenüber der Metropole? Eigentlich also steckt „viel drin“.

Darüber hinaus jedoch:

Handlungsabläufe vorhersehbar, die Charaktere Schablonen; manche Episoden seltsam flinke Glattgeherei … keine Spur des Meisterpsychologen von einst.

Ein paar spezielle Auffälligkeiten unter Heysekennern (kleiner Scherz):Bild (2)

1.Eine gut erzogene, sich aber eingesperrt fühlende Cousine des Ich-Erzählers wird verführt, brennt schwanger durch, taucht als erfolgreiche Tingeltangelsängerin wieder auf, macht Karriere als Operettensängerin, während ihr unverheirateter Cousin nun das Kind adoptiert, „weil ihn das glücklich macht“ und sie es dann nicht mehr sehen muss, da es dem Verführer ähnelt. Hm. In „Mei Bübsche“ (1905) findet sich der Kern dieser Episode deutlich besser zusammengezurrt.

Hinzu kommt: Er brachte den Verführer einst ins Haus. Und niemand wirft ihm das hinterher vor. Er kannte die Veranlagung jenes Hallodris und schwieg. Und hinterher hat er auch keinerlei Schuldkomplex deshalb. Der Tugendbold!

2.Die junge Lehrerin im Plot ist eine blasse Kopie der starken „Tante Lene“(1906) aus der „Victoria regia“-Sammlung.

3.Der Schuft im Stück ist der Wiedergänger des noch ungeläuterten Erk von Friesen aus „Über allen Gipfeln“.

Heyse ist also dem Folgezwang erlegen, wie Rockstars nach einer Hit-LP: Was ihm im Venus-Roman gelang (Zweitverwertung einer früheren Novelle); sollte hier schnell nochmal klappen – und führte zur Bruchlandung.

Zweifel beschlichen ihn mit Sicherheit bereits beim Schreiben. Jenes Tarnungsvorwort „des bekannten Dichters“ ist mMn ein nachträglich ersonnener Kniff, die Mängel der folgenden „Romnelle“ zu kaschieren.

„Das Ewigmenschliche“ hätte somit nicht sein müssen. Das beste Zitat findet sich auf der letzten Seite:

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Der lebenserfahrene Greis sieht das Schifflein „Deutschland“ unverfroren aufs Riff zusteuern. Er mahnt bescheiden, hilflos – ungehört. Er sah die Nietzsche-Auflagen steigen und die eigenen sinken. Kannte er die Friedenskongresse der Bertha von Suttner?

(Heute heißt es wieder, man müsse sich an Kriege gewöhnen. Wehrhaft werden! Der Russe kommt! Träume vom „Endsieg gegen Russland“ schießen wieder ins Kraut. Die Welt soll erneut neu aufgeteilt werden. Mir scheint, wir haben wieder 1910. Mit Laptop und Wärmepumpe.)

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In „Ein Familienhaus“ repariert ein alter Consul im Ruhestand ein bereits auseinanderbrechendes Verlöbnis zweier junger Leute. Sie Katholikin, er Protestant; ihre Mutter – die Jugendliebe des Consuls. Zum Schluss wohnen alle in derselben Villa.

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Das hätte eine letzte Meisternovelle werden können, wenn Heyse dem Beichtvater eine größere Rolle zugedacht hätte, stattdessen stellt er ihn zwar anfänglich als Hauptproblem „Vons Janze“ hin; lässt ihn im weiteren Handlungsverlauf aber einfach durch die Maschen fallen. Die noch in religiösen Grabenkriegen trainierte Umwelt, in Form von heuchlerischen Betschwestern, giftnatternden Nachbarinnen, pikierten Schulkameraden desgleichen.

Auch dieses Werklein ist also keins für die Bestenliste.

Und so findet sich der Band nun neben „Crone Stäudlin“, dem anderen missratenem Werk des Meisters.

Ins Horn seiner Kritiker stoße ich trotzdem nicht.

8 Romane; ca.180 Novellen; – da dürfen durchaus mal 2 Bände „daneben gehen“.

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