Lechtenbrink

Es gibt zweierlei Promi-Tote.

Die einen sterben – und man nimmt es zur Kenntnis, weil vielleicht länger schon nichts von ihnen zu hören war; weil sie halt das Alter hatten, weil sie eh nie so richtig die eigenen Kreise tangierten –

Und es gibt Promi-Tote, deren Sterbemeldung „Ballett im Kopf“ auslöst; weil sie wichtig waren, zu Zeiten, die einem selber wichtig waren, oder sogar noch sind.

Einer der letzteren ging gestern – Volker Lechtenbrink.

Mir gelang kein Nachruf. Zuviele alte Geschichten kamen hoch.

  1. Der Macher

Wie ich in anderen Beiträgen bereits durchblicken ließ: Wir Zaungäste von jenseits der Mauer waren in den 70ern von unseren Cousins und Cousinen „da drühm“, schwer enttäuscht, weil sich im Krautrock keine Konterbande finden ließ.

Die hatten da das bissel Lindenberg und das schien es schon gewesen zu sein.

Der Rest schien fröhlich vor sich hinzukiffen und die „Strukturen zu zerstören“ – in der Musik. Einem Spielplatz, der von der Politik gern überlassen wurde. Ommmmmmmh!

Ton Steine Scherben wurden medial bis in die ganz späten 70er totgeschwiegen, und so blieb uns nur Nachzuerzählen, was unsere Vorgänger(mehrheitlich des Englischen unkundig, weil „Kapitalistensprache“) von Wonderlands „Moscow“ herumphantasierten. Wir Spätgeborenen, inzwischen dank vermehrter Englischunterrichtszulassung deutlich versierter als die wirklichen Ost-68er, wiederholten das verschwörerisch grinsend; obwohl nichts davon zutraf, wie wir ja selbst hören konnten. Aber: Wir wollten den Kult pflegen!

„Außer Wonderland und Can ham die doch nüschd zustandejekrichd da drühm!“

Wann hätte man je dergleichen Sätze in einem Nachwendefilm zu hören bekommen?

Von Can kannten wir den „Spoon“ aus dem Radio und „Hunters and Collectors“ aus „Euro-Gang“(Titelmelodie); das war’s. Als dann endlich das „Tago-Mago“-Album im Bekanntenkreis kreiste, wollte niemand es kaufen – und ich nicht mal aufnehmen. Bandverschwendung!

Da liefen also diese Deutschrocksendungen auf HR3 und seltenerweise mal eine Ausnahmesendung auf NDR2, und da gelangten so Funde von Kraftwerk, Karthago, Jane, Atlantis für kurze Zeit auf das eine oder andere Band, weils irgendwie rockig klang, aber textlich lohnte sich das Hinhören nicht. Ein Ausreißer war „Illegal“ von Grobschnitt, aber das waren ja schon nicht mehr die 70er. Und gleich nach „Illegal“ fegte die NDW durch den Äther: Problem geklärt! Plötzlich Rock mit Aussage! Neubauten, Interzone, Fehlfarben…

Und wieso hat das was mit Lechtenbrink zu tun?

1976 erschien die LP „Der Macher“ und der NDR stand Kopf! Da schien endlich mal einer abseits von Schlagermüll und Liedermacherlyrik, diese Leerstelle neben Lindenberg auffüllen zu wollen. Deutsche Texte mit Anspruch auf Country bzw. irgendwo zwischen Pop und kalifornischem Softrock.

Der NDR spielte wohlweißlich den Titelsong zunächst nicht; denn der hat so ein missglücktes Arrangement mit viel Gebläse. Wie das Kristofferson-Original „The Maker“ auch. Nur jenseits des großen Teiches klingt sowas dann nach Mexico, also Urlaubsland und großer Freiheit. In Deutschland eben doch wieder nur nach Erntefestmugge – wenn nicht gar nach Marschmusik.

Der NDR spielte „Volker und das Kind“ und „Hilf mir durch die Nacht“ und hatte mich am Haken. Denn ersteres gefiel mir auf Anhieb und letzteres kannte ich von Telly Savalas.

Irgendwann tauchte dann auch „Leben so wie ich es mag“ auf. Klingt im ersten Moment nach Aus- oder Aufbrechen; ist kompositorisch erkennbar „Tulsa Time“, aber im Arrangement leider eben doch ein Rohrkrepierer wie Maffays etwa zeitgleiches „Samstag abend in unsrer Straße“ – ächz. Kastrierter Rock. Ungefähr wie Thomas Natschinski‘s Team 4 „aus der Zone“. Rummel-Mugge. Nix für’s Band!

Lechtenbrink verriet seinerzeit im Interview, dass seine Songs eigentlich Kris Kristofferson- bzw. Waylon-Jennings-Songs seien, deren textliche Güte ihm aufgefallen war.

Er blieb aber irgendwie auf halbem Wege stecken. Seine einmalige Stimme hätte super zu erdigerer Instrumentierung gepasst oder auch zu Las Vegas Bombast – aber er hatte sich eben leider auf diesen DieTieÄitsch-Gedächtnis-Sound mit Grummel-Voice festnageln lassen. Den „Steppenwolf“-Schritt vom Maffay wagte er nicht. Immerhin sorgte „Dort drüben die Dame“ von der Folge-LP „Der Macher 2“ nochmal für Neugier.

Lechtenbrink blieb im Radio präsent, aber es wurde immer schlagericher oder Sesamstraßig: „Oma auf der Wolke“ … „Ich mag“ usw. Musikalisch schien das Thema Lechtenbrink also nach einem Anfangsaufhorcher schnell vorbei zu sein.

  1. Die Brücke und Prora

Fernsehtechnisch jedoch ergaben sich im spät70er-West-TV zwei Knaller:

Eines schönen Tages ca 1978 schaltete ich das gemeinsame Vormittagsprogramm von ARD und ZDF ein und erwische, die filmische Umsetzung der Erzählungen meines Vaters über das Ende seiner ersten Schulzeit wegen Kriegsende und Volkssturm: „Die Brücke“!

Rumms! Was für ein Ereignis! Kriegsfilme kannten ca. 18jährige Ossis zuhauf, auch aus deutscher Perspektive gedrehte, wie „Werner Holt“ und/oder „Mama ich lebe!“, aber DAS DA -?-?-!! Wow! Soooo echt! Und ohne Zeigefingerei erschütternd! So nachvollziehbar!

Sieben HJ-tler werden in den allerletzten Kriegstagen einberufen und sollen an die Front. Günter Pfitzmann in Paraderolle, als altes Frontschwein, will die Knirpse nicht verheizen und setzt sie an ihrer Heimatbrücke ab, die sie „bewachen“ sollen. Er glaubt, somit seien sie außer Gefahr. Es kommt anders. Die Erziehung der Jungs rächt sich bitter…

Und einer der Sieben ist der 15jährige Volker Lechtenbrink. Da war er wieder.

Kaum von diesem Eindruck erholt, sendete die ARD „Bratkartoffeln inclusive“, ein englisches Bühnenstück für’s Fernsehen adaptiert. Hier geht es um die britische Armee und Lechtenbrink spielt einen Rekruten der „immer lächelt“.

„Lachen Sie mich aus?! Was gibt’s zu grinsen!“

„Nichts Sir! Das ist angeborn! Sir!“

„Ich zeig Ihnen mal, was angeboren ist! Vortreten!“

Schikane, Schikane. Geburtsfehler sind in den Dienstvorschriften nicht vorgesehen. Lechtenbrink grinst und grinst und muss grinsend heulen und zeigt grinsend zunehmende Panik und Verzweiflung – bis zum Tod. (Wenn ich es nicht falsch in Erinnerung habe.) Dampf, Druck, Reviere beim Barras. In aller Herren Länder! Und mir drohte die Einberufung. Mit all meinem sportlichen Unvermögen! Ich wusste: Das wird bei mir auch so. Im Unterbewusstsein wuchs die Angst bereits. Ich gestand sie mir nicht ein. Aber Desillusionieren konnte mich die NVA nicht. Dass es Scheiße wird, wusste ich vorher. Nur wurde es anders Scheiße – als erwartet.

Lechtenbrink in zwei sehr guten Anti-Kriegs-Filmen – quasi mein Aufklärer, neben Remarque, Plevier, Dix, Noll, Grümmer…

Komisch, dass in den Nachrufen seit gestern, an die „Bratkartoffeln“ nicht erinnert wurde. Oder?

So eine Darstellung einer „demokratischen Armee“? Ts-Ts-Ts…

Würde heute auch nicht mehr gehen. Und auch noch um 20.15 Uhr!

  1. Der Kuppler

Zurück von der Fahne und ein paar D-Mark in der Tasche, die gut eingeteilt werden wollten, inspizierte ich in den frühen 80ern oft Intershops: Da hing diese Lechtenbrink-Best-of -LP „Herz und Schnauze“ mit dem Bobtail Cover. Verführerisch. Ikonografisch irgendwie! Solche Hunde gab’s nur im Westen! Und die See da, das musste die Nordsee sein. Sylt vielleicht. Ostsee hatten wir selber. Die schied aus.

Gesehen hab ich die Hülle oft, gekauft hab ich die Platte nicht. Wegen – siehe oben. Musikalisch traute ich ihm nicht.

Die LP „Wer spielt mit mir“ kaufte ich dann aber doch. Der Liebe wegen. Da war halt eine Ann Wilson aufgetaucht. Im Studentenwohnheim hinter der Mauer. Und die Funken sprühten. Themen hatten wir zuhauf. Peinliche Schweigephasen lernten wir erst in der Ehe kennen. Nur mit dem Musikgeschmack jener Ost-Ann haperte es. Viel Schlager, wenig Rock. Ich brauchte ein erstes Weihnachtsgeschenk. Ich wollte punkten. Über Lechtenbrink hatten wir gesprochen. Wir mochten ihn beide aus unterschiedlichen Gründen. Er schien ein guter Kompromiss, zumal auf der Platte „bei dir müsst ich aus Eis sein“ drauf war. Lou Reeds „Walk on the wild side“, diesmal textlich extrem weit weg vom Textoriginal. Der Coup gelang. Wurde Zeitchen später noch mit Gittes „Ich bin stark“ untermauert. Was tut man nicht alles – im Ausnahmezustand. Live goes on! Manches gelang. Und manches nicht. „Leben = Malen ohne Radiergummi“, like Lennon said.

Dann fiel die Mauer. Wir traten unbekannten Verhältnissen bei, aber auch bunten Schaufenstern. Da war sooooviel aufzuholen! Kein Gedanke an „den Macher“!

Plötzlich wollten DIE den Sandmann abschaffen. „Zu staatsnah! Ist am Tag der Volksarmee mit dem Brückenlegepanzer gekommen – der muss weg!“, meinten die Sieger und ihre TV-Askaris, die um ihren Job bangten. Jedoch DA hatte das Ossivolk zum ersten Mal nach der unmittelbaren Wende so richtig die Schnauze voll: Unterschriften-Aktion in allen Kleinstadtläden! Von 17 Mio Ossis unterschrieben 20 – DAS musste ernstgenommen werden! Der Sandmann blieb, bekam aber West-Abendgrüße; unter anderem den „Tier-Babysitter“; anheimelnde Tiergeschichtchen, gesprochen von dieser Grummelstimme, die früher mal gesungen hatte: „Erst da hinten die Dame, dann du!“

Also war er wiederum da, in meinem Alltag und dem meines 3jährigen Sohnes und half uns gewissermaßen „durch die Nacht“ einer seltsamen Kahlschlagspolitik West.

Paar Tage später erlebte Deutschland in Somalia sowas wie eine erste Feuertaufe nach 1945. Noch im Bereich „rückwärtiger Dienste“ und soweit ich weiß ohne eigene Tote.  Plötzlich hatte ich „Feldpost“ im Briefkasten. Ein junger, sympathischer Bekannter hatte sich im Wendewirrwarr für „Nummer sicher“ entschieden, um der typisch ostdeutschen Arbeitslosigkeit zu entgehen und den „Bund“ gewählt. Nun war er „da unten“ im Feldlager an der Grenze zu Kenia – und „Bratkartoffeln inclusive“.

Nach der ersten Feldpost kaufte ich Lechtenbrink „Die großen Erfolge“. Ein durchwachsenes Sammelsurium. Denn:

Hörst du Jennings oder Kristofferson – siehst du den knarzigen einsamen Wolf vollbärtig hinterm Lenkrad, wie er seinen Pickup zwischen die Kakteen setzt und auf die nackte Hippie-Fee wartet, deren Chopper er schon hört (siehe Vanishing Point/Grenzpunkt Null).

Hörst du Lechtenbrink – sitzt du statt dessen wieder auf einer Silberhochzeit in der Kleingartensparte „Saaleblick“ zwischen deiner mehr oder weniger übergewichtigen Verwandtschaft, wayback in den 70s; und Oma Elfriede schiebt Onkel Erwin (Goldkettchen am Handgelenk, Westbesuch) übern Tanzboden; als Dankeschön für Tosca, Toblerone und die Heino-Kassetten; während draußen der Knudsen-Taunus zwischen Trabbis und Wartburgs parkt.

Seinen Historien-Touch hat auch das inzwischen.

Ein Wegbegleiter ist er nun mal – das lässt sich nicht leugnen – so oder so.

„Erst drüben die Dame“ hat es auf manchen meiner Sampler geschafft.

Und auch „Volker und das Kind“ find ich immer noch schön.

77 ist er geworden, las ich gestern.

Schlaf gut da oben, Alter!

Ein Gedanke zu “Lechtenbrink

  1. Lechtenbrink?
    Die Brücke! Prägend für immer.
    Als Sänger ist er an mir vorübergegangen.
    Und sonst?
    Seine Stimme mochte ich.

    „Mir gelang kein Nachruf. Zuviele alte Geschichten kamen hoch.“
    Aus persönlichen Erinnerungen entstehen häufig die ehrlicheren Nachrufe.

    Gefällt 2 Personen

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