Sirens in Rock

Pete Pardo macht es auf youtube vor, wie’s geht. Sein Sea of Tranquility ist so ein richtig unterhaltsamer Kanal für alte Music-Junkies. Da wird mit Lob und Tadel gearbeitet; werden Bands und Platten gelobt und verrissen; eingestanden, was man auch alles nicht mag als alter Radiomann usw. Die Mischung machts.

Neulich hatten die da das Thema: Best Songs by female Singer.

Und da packte mich die Lust, mal über MEINE derzeitigen „10 Besten“ nachzudenken.

Welche 10 packten- und packen mich heute noch, wenn ich sie höre?

Es soll hier also nicht um ganze Platten oder um den Star an sich gehen, sondern: Welche Songs lösen da so gewisse Gefühlsstürme, Gänsehautwellen, Erinnerungskaskaden usw. aus oder katapultieren dich im Geiste selber auf ne Bühne als begleitender Schlagwerkberserker oder Gitarrengott bei DEM speziellen Lied?

Bei nur 10 Nummern werden automatisch einige große Damen fehlen. Hätte ich das Folgende bereits letzte Woche geschrieben, wäre es anders ausgegangen. Also saisonale Wertung:

Platz 10:

Petula Clark „Downtown“ – obwohl sie LPs einsang – das ist DER Song, der von ihr übrigblieb. Der muss um’64 herum oft im Radio gelaufen sein. Ich hab ihn tief im Unterbewusstsein, als „Kindheitshymne“. Vermutlich hab ich damals bereits lauthals „Dauntaun dadeldidu dudup Dauntaun Dadeldidu dudup hi-ier“ ge„sungen“ oder das Ganze als Pfeif-Oratorium intoniert.

Ich verbinde damit Holzkastenradio-Sound bei Oma als Ferienkind und Schnittchen mit hartgekochten Eierscheiben drauf, wie man sie sonst nur zu Kindergeburtstagen bekam. Die Tage und vor allem Abende angefüllt mit Geschichten von Jugendstreichen meiner beiden Onkels und der einen Tante, deren Hinterlassenschaft aus den 50ern (alte ABC-Zeitungen, eine Mundharmonika, alte 1.Mai-Abzeichen) mir so ein ganz eigenes Oma-Idyll der 50er Jahre vorgaukelten. „Dauntaun“ klang so bombastisch mitreißend, aber auch so chic altmodisch, dass es für mich immer eine Hymne aus „alter Zeit“ war. Aber irgendwie waren meine Kindergarten60er ja auch altertümliche 50er, inklusive dem Scheiß-Fassonschnitt auf dem Kopf. (Bin ich erschrocken damals, als der versoffene Rooney den wieder in Mode brachte! Pfui!!!)

Und die Wirkung hielt: Das Lied hat alles, was ein Welthit braucht. Es malt dir New York an die Zimmerdecke, wenn du älter wirst. Die Stimme „strahlt“ wie ein frisch verliebtes Mädchen. Du tanzt automatisch wieder durchs nächtliche Leipzig und um jede Straßenlaterne herum – mit ihr, deiner Begleiterin – und alle 3 Schritte ein Kuss. Wie damals, anno’82, als Belami den Song „männlich“ coverten, aber an das Original erinnerten.

Platz 9:

Hypnotisch, elektrisierend, fordernd „wie Hölle“: Jefferson Airplane „White Rabbit“. Yeahr.

„Irgendwas mit Pillen einwerfen und Alice im Wonderland“, diesem unlesbaren Mädchen-Buch. Aber was für ein Song! Für mich der Inbegriff von Woodstock. Das war ja auch zu einer Zeit, in der ich noch das Schaukelpferd mit dem Wäscheleinen-Lasso fing. Also rückwirkend erst wahrgenommen, aber diese 2 Minuten Musik verändern die Welt! Das abschließende „Feed your head“ hab ich glücklicherweise immer anders ausgelegt, als es in den 60ern gemeint war: Bücher statt Drogen!  Und immer abseits des Weges suchen, dort findest du die Sensationen! Bewusstseinserweiterung der gesünderen Art.

Platz 8:

So. Nach den zwei Dingern, die sich sozusagen eher aus historischen Gründen an meine Fersen hefteten, nun zu den Nummern, aus MEINER ZEIT:

Beginnen wir mit Shirley & Company: Shame, shame, shame… Neintiensewentifeif! Ja! Muss sein! Simpel und genial! Ich stehe zu meinem schlechten Geschmack, was soll’s! Ich bin bekennender Rhythmosleptiker, aber bei DER Nummer muss ich tanzen! Diese dicke „Neschormuddi“ und der kettenbehängte Gammler da, hatten den elektrisierenden musikalischen Stein der Weisen gefunden!  Ohrwurm und Elternschocker. Anfang‘75 in der „Aktuellen Schaubude“ gesehen – und als dieser Neben-Hippie das erste Mal schrie, fand ich’s geil und meine Eltern packte das Entsetzen: „Neee!“(Mutter) und „Oh Gott! Wenn das der Führer noch erlebt hätte!“(Vater) und beide sahen mir in die strahlenden Augen und mich somit demnächst im Jugendwerkhof, wenn sie jetzt nicht gaaaanz dolle aufpassten, dass ich ihnen nicht verwahrlose. Dummerweise hatten sie das Fasson-Schnitt-Dogma gerade erst aufgegeben. Ächz! Und nun sah der Filius Frisurtechnisch schon fast so aus, wie der da im Fernsehen! „Aber mit Ketten um‘ Hals fangste mir jetze nich‘ oach noch an! Das kommt mer nich‘ in de Tüte! Das sag ich dir glei‘!“ (Vater kategorisch, also ernst gemeint.) Hm. Mist. Und bei meinem Cousin hatte ich gerade das erste Black Sabbath Poster meines Lebens gesehen! Und diese Kreuzketten da an den Hälsen! Fetzten doch total!

Platz 7:

Gloria Gaynor „Reach out I’ll be there“. Auch 1975. Endlich lange Haare und endlich Kassettenrekorder, also eigene „Heule“. Und eine der ersten selber aufgenommenen Nummern war eben diese. Zunächst lags nur am Trommelintro, dass ich sie auf der Kassette ließ. Dann sah ich SIE im Fernsehen. Gloria! Und seitdem kann ich englisch „dschie-ell-o-ahr-ei-ey“ buchstabieren. Glooooo-Ria! Nicht wegen Them, sondern wegen IHR; schockverliebt! Und ich hatte – seit ich 12 war – so einen „Hatifa“-Komplex. Ich hatte den Film mindestens 3x gesehen, „Osceola“ ebenfalls mehrfach; und Willi Meincks „Marco Polo“ gelesen. Dazu so einige Sidney Poitiers Filme, in denen es um Rassengleichheit in US-Äj ging. Und überall werden hübsche Sklavenmädchen befreit oder vor dem Klu Klux Klan gerettet. – Man könnte es auch das Boris-Becker-Syndrom nennen – Mangels Internationalität war das zu Mauerzeiten aber nicht auslebbar.

Platz 6:

Heart! 1975 zum Dritten! Das Jahr rasanter Geschmackswandlungen! Im Spätsommer live im Musikladen: Das erreichbarere Frauen-Ideal. Weniger exotisch. Weiß, dunkelhaarig und rockend. Ann Wilson. Seit „Magicman“ war der Bandname Heart eine zu beachtende Größe. Der Song ist toll, aber nicht umwerfend. „Barracuda“ war okay. — Ihre Übernummer wurde für mich: „Cooking with fire!“ von 1978! Yeahr! Da drischt sich nix ab. Das zündet immer! Die sind zwar aus Seattle und haben eine ganze Zeit in Kanada zugebracht – aber die kochen texanisch scharf! Ganz scharf!

Platz 5:

Und gleich nochmal ’78: Renaissance „Northern lights“. Annie Haslam. Die „Schwester in der Stimme“ von Maddy Prior und Sally Oldfield. Die Romantik hatte uns gepackt. Maddy und Sally kannten wir – und Stevie Nicks! Die Renaissance-Kenntnis allerdings konnten wir nicht haben. Airplay hatten die keins. Also – wie hätte ich sie entdecken können? Aber die „Song for all seasons“ LP, in den Nullerjahren ausgegraben, ist einfach wunderbar. Genesis mit Frauengesang. „Northern Lights“ ist dort der Ohrwurm, der gottlob nie zu Schanden geritten wurde im Dudelfunk, wie z.B. der „moonlight shadow“ ihrer Kollegin. Das ist genau die Musik, die die Erinnerungen an die andern drei befeuert, ohne dass man die auflegen muss. Somit bleiben auch die gehüteten Schätze geschont. Und es ist auch genau der passende Soundtrack für davonsegelnde Drachenschiffe beim Huna-Lesen oder zum Abfackeln von Römer-Lagern, wenn Alemannen und Vandalen den Limes berennen bei Felix Dahn. Und fern ab, auf dem verlassenen Thingplatz im Wald steht die Braut im Abendrot und singt für ihren Helden… Herrlich!

Platz 4:

Klar, Tamara Danz muss rein, in die Liste: MEIN Silly-Song, der mir immer zuerst einfällt, ist der „große Träumer“ von der „Liebeswalzer“-LP 1986. Monströs! Ermutigend! Ein Kraftquell von Song! Stagnationszeit-Sound der späten 80er. Als ein Staat an seiner eigenen Dussligkeit verendete. Und kein Jota weniger Aktualität seither.

Platz 3:

Doro Pesch. Aber welcher Song von den vielen guten?

In mein Bewusstsein geschrien hat sie sich zwar mit „Catch my heart“, das war am Ende ihrer Warlock-Zeit. Und eine absolute Augenweide war sie ja lange-lange auch. Aber den Song würde ich heute nicht mehr als so umwerfend empfinden, wie 1988. Da kam später einiges, was besser war. Zum Beispiel „Let love rain on me“. Und wenn du das Video siehst, weiß du automatisch, warum Bludgy der Heyse-Leser und Burgen-Pilger an DER Nummer nicht vorbeikommt.

Platz 2:

Momentan gerade richtig angesagt in Bludgys rollin‘ Rockpalast auf 4 Rädern ist eine andere alte Frau: Suzi Quatro. Mit ihrem absolut besten Song aus späten Tagen – „In the spotlight“ von 2012. Gänsehaut sofort! Die Thematik: Die Brüche des Lebens, vorgeführt am Künstlerproblem, mehrfach gescheiterter Ehen, weil der unprominente Teil sich auf lange Sicht nicht mit der eigenen Bedeutungslosigkeit an der Seite eines Stars abfinden konnte. „… and in your Spotlight – i don’t know, what to do!“ Und dann kommt das Gitarrensolo, der Anschlag auf die Tränendrüsen! Diese 30 Sekunden, die sich in dein Hirn rammen, die du dann wieder einen Tag lang vor dich hin summst. Geschrieben vom alt-ehrwürdig ergrauten Andy Scott von Sweet, tief nachempfunden eingesungen von einer vom Leben gebeutelten Suzi. Da sind dann all die altbewährten Melancholic-Melodais  von damals wieder da: Teenage Dream, in for a penny, Rebeeeeeecca, oh Claire, die Balladenseite der „Atlantic crossing“, yes if you think to know, how to love me, the last farewell …. Und wenn der Song endet, zerdrückste ein Tränchen im Knopfloch. Repeat! Repeat! Repeat! Nee ich brauch von ihr keine Platte, aber DEN SONG! Zurzeit täglich!

Platz 1:

Mein Platz 1 ist ein Song aus einem Live-Konzert, das es vermutlich NIE als CD geben wird, weil es das auch nie auf Platte gab: 1981 oder 82 bewarb der NDR2 die Tatsache, seine Hörer mit einem kompletten Live-Konzert von Joan Armatrading zu erfreuen. Die war damals mit „me, myself, I“ sozusagen kurz hinter ihrem Höhepunkt.

Also hatte ich zum Termin ein leeres Band aufliegen und nahm das Ereignis mono aus der Kofferheule auf.

„Live in Den Haag“ 1981 oder 82 bestand überwiegend aus Songs von ihren beiden Platin-Alben „Show some emotion“ und „to the limit“ und wurde beendet mit „willow“; doppelt so lang wie sonst und einem Massen-Chor, der dir Gänsehaut in Schockwellen über den Rücken trieb und in den Augenwinkeln die Dämme brechen ließ: Das ereignete sich lange vor den Chören auf Rod Stewarts „Absolutly live“, war damals also ein neues Phänomen – und der Moderator quatschte in den Schlussapplaus noch rein: „Beeindruckend, wie die sonst so kühlen Holländer hier mitsingen.“

Hach. Gone with the wind. Futsch ist das Bandarchiv. Aber die Erinnerung blieb. Und jedesmal, wenn die normale Studioversion seither im Auto läuft, muss ich hinterher zwangsweise für ein paar tausend Holländer einspringen und die Windschutzscheibe anbrüll‘n:

Sheeeeelter in a the storm….your willow, … willow, when the sun … comes…out… sheeeeelter in a storm… your willow… willow…when the sun is out…

Rock on!

10 Gedanken zu “Sirens in Rock

  1. Die ersten beiden Alben von Joan Armatrading sind auf jeden Fall interessant. Gute, starke Songs, etwas gebaut, etwas unbeteiligt, viel Kalkuliertes, wie’s mir scheint, aber dennoch aus einem Guss.

    Gefällt 1 Person

    • Für mich fing der ganze Armatrading-Hype erst mit der „show some emotion“ an. (Szene78 TV-Auftritt) Und gemeinsam mit dem Debut-Album von Ricky Lee Jones war das mein Einstieg in den Jazz. All diese Vertracktheiten aus dem bombastischen Artrock heruntergebrochen auf filigranes Gitarrengefrickel: The Clap in Long-Version. Da war’s dann auch nicht mehr weit bis zur George Benson Mania.

      Gefällt 1 Person

      • Auch ein Vergleich mit Joni Mitchell ist vielleicht nicht fehl am Platz. Joan Armatrading hat eine umfangreiche Stimme mit reizvollen Kontrasten. Die Musik swingend locker, eher etwas jazzig, aber auch mal ein wenig starr.

        Like

      • Das auf Anspruch Gequälte höre ich eher bei Joni Michell. Ich finde von der 2 Platten gut (Hejira“ und „Don Juans r.d.“). Aber Begeisterung war es nie. Im Gegensatz zu Joan Armatrading. Joni fehlen so bissel die einpräsamen Melodien. Da bleibt außer „circle game“ nix, was einem spontan einfallen würde.
        Auch stört mich bei Joni das blumig Verquaste in manchen/den meisten? Texten. Da geht es bei Joan realistischer zur Sache. Besonders auf der „to the limit“.
        Und musikalisch: Bei der Armatrading in den 70ern klingt das alles wie „hingetropft“, ungeplant – aber siehe: es hört sich gut an. Ich finde, Benson spielt genauso.
        Leider ging das bei Joan ab der „Walk under letters“ Platte verloren. Da verlor ich dann ein bissel die Lust, sie weiter zu verfolgen. Der Titelsong is ja noch ein toller Konzerteröffner (1995 gesehen), aber die Platte ringsrum enthielt – – – Ausgebranntheit. Ich sollte mich eventuell mal um die ganz späten Sachen kümmern. Gelobt wurden die ja immer.

        Like

    • Nein. Bisher nicht. Danke für den Tipp. Heißt die Platte “Stepping out?“ Die war nicht zu kriegen, als ich vor 2 Jahren meine letzte intensive Armatradingphase hatte.

      Like

    • Hab gerade geguhgelt und siehe da: Me,Myself, I -Solo-Tour (2015) – Hach, die kenn‘ ich. Die is nix. Solo meint wirklich solo. Klingt elend. Die hatte ich sogar mal downgeloaded und dann gelöscht, um den Reinfall zu verdrängen.
      Aber trotzdem danke.
      Ich sollte mich endlich mal wieder kümmern.

      Like

  2. Eine interessante Zehnerliste. Bis Platz neun bin ich mit im Rennen, wobei der neunte Rang bei mir viel weiter vorne liegen würde.

    Das beste an Joan Armatrading fand ich ihre Ovation GItarre, die ich damals auch gerne gehabt hätte. Auf ihren Auftritt im Rockpalast war ich sehr gespannt. Nach zwei, drei Nummern hatte sie sich jedoch in mein musikalisches Abseits gesungen/gespielt. Das spricht allerdings nicht gegen diese Künstlerin.
    Ich hatte mich in den 1970er Jahren musikalisch anders entwickelt und mein Kompass nadelte in eine andere Richtung. Folglich folgte ich auch einigen der Discodamen nicht, die für Dich noch immer von Bedeutung zu sein scheinen.

    Doro Pesch? Kannte ich allenfalls dem Namen nach. Nach der verlinkten Klangprobe werde ich mal hören, was diese Musikantin so alles musiziert hat.

    Vielen Dank für das Vergnügen mal ganz andere Stücke anzuhören. Immerhin dachte ich dabei an meine persönliche Zehnerliste und wer dabei wohl auf welchem Platz landen würde. Jane Relf auf dem ersten Album von Renaissance wäre mit Sicherheit dabei.

    Gefällt 1 Person

    • Nun die Discodamen sind Philly-Damen, das mag zwar die Vorstufe zu Disco gewesen sein, aber ich mache da einen Unterschied für mich: Philly-Sound = richtige Orchester, warme Arrangements = gut, Disco = effiziente Minimalcombo oder eh gleich alles über ein Keyboard gejagt = Müll; daraus ergibt sich Gloria und Barry White hui — und Sister Sledge, BoneyM usw. pfui.

      Zu Doro die Empfehlung: Die „Classic Diamonds“; ihre Streicherplatte, ist richtig empfehlenswert. Auf Platz 2 würde ich die CD „Warrior Soul“ setzen. Oder auch die gelbe von 1990, die nur „Doro“ heißt.

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar