Nachdenken über einen seltsamen ZEIT-Artikel

Peter Tauber ist Hesse, Ex-Offizier der BW und Ex-Generalsekretär der CDU (unter Merkel gewesen)

Der Hesse Tauber weiß nicht, dass sein Landesverband traditionell der konservativste (manche sagen „reaktionärste“) abgesehen von Straußns CSU war. Viele der alten Eisenbeißer kamen aus Hessen: Dregger, Hohmann, Koch, Gauland…

Der Ex-Offizier Tauber kennt nicht die zweifelhafte Praxis der Kasernennamensverleihung aus der Adenauerzeit und der „umstrittenen“ Traditionskabinette dort vor Ort (Mölders, Manstein, Rommel, …)

Der Ex-Generalsekretär Tauber kennt nicht die Werdegänge einiger Vorgänger, vor allem Biedenkopfs und Geislers.

So jedenfalls mein Eindruck nach dem ich heute „Wir bleiben Mitte!“ las.

Sein Essay (Zeit-Online, 4.10.2021) über den anstehenden Wandel der CDU bietet allerhand Wunderliches.

Er enthält Aussagen wie:

  1. Wenn die Union die starke Kraft der bürgerlichen Mitte bleiben will, dann braucht sie diese Ehrlichkeit mit sich selbst.

Stimmt, aber dann:

  1. Die Debatte, man müsse die Union nach rechts verschieben, war falsch. (…) Denn nur die politische Linke in Deutschland kann ein Interesse daran haben, wenn die CDU die politische Mitte preisgibt. Der Ruf, die CDU müsse Wähler am rechten Rand des demokratischen Spektrums binden, ist also vergiftet.

Nein. Im Gegenteil. Diese Auffassung ist das bisherige Erfolgsrezept der Vor-Merkel-CDU gewesen.

Früher gab es da mal eine clevere Aufteilung von Gesinnung: Konservativ – reaktionär- faschistoid.

Konservative Kräfte mit Angst vor allzu abrupter Veränderung sind immer Mehrheit gewesen. Dieser Konservativismus wandelt sich auf dem rechten Rand ins Reaktionäre. Möchte also nicht nur „konservieren“ sondern das Rad ein Stück zurückdrehen, weil frühere Verhältnisse irgendwann und in diffuser Verklärung mal als besser angesehen werden. Und DAHINTER erst kommen die Faschisten/Nationalsozialisten als rabiater Rest. Vor Merkel waren die Reaktionären der rechte Flügel der CDU. Der rabiate Rest blieb allein und splitterte sich auf in NPD, DVU, Wehrsportgruppen usw.

Somit blieb diesem rechten Rand nicht viel. Reaktionäre Anwälte, Richter, Studienräte, Polizisten waren in die CDU eingebunden, denn niemand strafte sie für ihre Reden. Bei Abstimmungen unterlagen sie meist rein demokratisch und akzeptierten das. Manchmal fuhren sie auch Erfolge ein, wie beispielsweise beim Thema §218, oder der Erschwerung der Wehrdienstverweigerung.

Rückblende: Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP)der Weimarer Zeit war reaktionär; sie konnte mit der NSDAP überhaupt nicht. Sie sah sich als Elite und den Hitlertrupp als Plebs. Zur Harzburger Front kam es 1931 auf dem Papier zwar trotzdem, aber siehe Hugenbergs Unmut über Hitlers erste Koaltionsregierung am 30.Januar 1933, deren Teil er mürrisch wurde – sind dokumentierte Fakten, die zeigen, dass es normalerweise ein tiefes Mistrauen zwischen gebildeten Reaktionären und eher instinktgesteuerten „Haudraufs“ gibt. Die Angst des Bürgers vor dem Assi, auf dem Schulhof wie im Parlament. Hat aber jener Plebs erst die Macht errungen und zeigt er weiterhin Härte, so kann er sich plötzlich vor zu Kreuze kriechenden Schnellbekehrten nicht retten. Peinliche Selbstauflösung aller bürgerlichen Parteien nach dem Ermächtigungsgesetz.

Adenauers CDU, hervorgegangen aus der Zentrumspartei, zog nun nach 45 alles an, was sich durch Engagement von mehr oder weniger großer Mitläuferschuld reinwaschen wollte. Das waren nicht so sehr die dumpfen SA-Schläger, sondern der bürokratisch erfahrene Mittelbau des NS-Staates. Also akademisch gebildete Kader. Globke, Filbinger, Kiesinger, Oberländer, Gehlen, … die Politik sah demnach aus: Schlussstrichdiskussion über NS-Verbrechen; Reaktivierung von Wehrmachtsveteranen für die Bundeswehr… Verbreitung des Märchens von der im Kriege „saubergebliebenen“ Wehrmacht… Vergabe seltsamer Namen an Kasernen… sie recyclten die Goebbels-Idee der letzten Kriegsphase, die „Warnung vor der Roten Flut“ …

Kurz: Die CDU ist Adenauers „braunes Wasser“ gewesen, mit dem er das Land wusch.

„Man wirft mir vor, ich wüsche mit braunem Wasser. Ja, aber wenn ich doch kein anderes habe!“ (Adenauer)

  1. Bei den Wählerinnen und Wählern der AfD ist für die CDU nichts zu holen. Versuche wie in Thüringen mit Hans-Georg Maaßen als Kandidaten sind gescheitert. Und zwar kläglich.

Quatsch. Nur eine Volksfront aus SPD, Grünen und in letzter Minute auch Linken führte zur Bündelung „strategischer“ Wählerstimmen für den SPD-Kandidaten. Ohne all diese Propagandatrommeln, bei normalem Wahlvorgang, wäre sicher ein anderes Ergebnis entstanden.

Bei der AfD befindet sich der gesamte verprellte rechte Wähler-Flügel der alten CDU.

  1. Seit ihrer Gründung war die CDU die Partei der deutschen Einheit und der europäischen Einigung. Beides waren Visionen, politische Ziele. Heute sind sie Wirklichkeit.

Und weil die heute Wirklichkeit ist, verschweigen wir mal klammheimlich, dass im Herbst ’89 eigentlich auch in der CDU niemand mehr an eine WV gedacht hat. Lediglich Kohl hielt daran fest. War es seine Prägung in den Nachkriegsjahren? Oder die Biografie seiner Frau? Sein 10 Punkteplan überraschte die eigene Partei im Winter 89 wie später der merkelsche Schlag gegen die Kernkraftnutzung. Die Paladine waren geschockt und mundtot.

Zuvor war der 17. Juni immer weniger gefeiert worden. Der Kommunistenfresser Strauß bereicherte sich 1983 lieber an der Provision für jenen Milliardenkredit an Honeckers angeblich gar nicht existierenden Zonen-Staat. Biedenkopf und Geisler wollten modernisieren und „neue Themen setzen“ – wurden allerdings von Kohl seinerzeit kaltgestellt. Dass Biedenkopf dann König von Sachsen wurde, ist ein Paradebeispiel politischer – na – nennen wir es Flexibilität.

  1. Viele Mitglieder wissen wenig über das historische Werden der Union und ihren Gründungsimpuls als Sammlungsbewegung und Kraft des Neuen. Die CDU war in einer so zerrissenen Gesellschaft, wie es die deutsche nach dem Krieg war, 1945 ein Versprechen und etwas Unerhörtes. Die CDU war die Partei der ausgestreckten Hand und nicht der geballten Faust.

Und weil so viele tatsächlich nichts wissen, über die Werdegänge in den ersten 20 Nachkriegsjahren, da lassen wir das mal so aussehen, als wäre Adenauers „ausgestreckte Hand“ so eine Art ständiger Kirchentag gewesen: Alle haben sich lieb und grenzen sich „mit äußerster Trennschärfe“ nach rechts ab. Beate Klarsfeld lacht sich tot.

  1. Was bedeutet das programmatisch? Die Idee eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres für alle in der jungen Generation ist Ausdruck dieses bürgerlichen Staatsverständnisses, das Verantwortung und einen praktischen Patriotismus zur Grundlage einer freien Gesellschaft macht. Darauf kann die CDU sich besinnen oder daran wieder anknüpfen.

Praktischer Patriotismus entsteht also durch ein soziales Pflichtjahr. Superidee. Ironie sollte man kennzeichnen! Wer Patriotismus will, muss Gründe schaffen, weshalb man patriotisch sein soll. Worauf darf man noch stolz sein? Ist nicht alles von früher – NS, Rassismus, Holocaust? Das liegt im Argen! Die Wurzeln demokratischer Tradition werden nirgends gründlich vermittelt. Geh auf die Straße und frage die Leute, wer Erzberger, Blum, Haecker, Müntzer war! Wo kommt die Regenbogenfahne eigentlich her und wofür stand sie ursprünglich? Warum waren die Befreiungskriege eben nicht der präfaschistoide Alptraum, der deutsch-französische Freundschaft verhinderte, sondern eine durchaus demokratische Volkserhebung?!

Weiß sowas heute jemand? Ach wozu denn! …

(In Berlin Kreuzberg will man dieser Tage gerade alle Namen dieser Heldenzeit von den Straßenschildern tilgen. Yorck-, Blücher-, Tauentzien-…; weg damit! Klar, Kreuzberg; die brauchen orientalische Namenspatrone nun.)

  1. An der Parteibasis sind die Diskussionen ähnlich: Wenn Stadtverbände erklären, sie würden das Plakat mit dem Kanzlerkandidaten nicht aufhängen, dann haben die Funktionäre vor Ort ja leider genug schlechte Vorbilder in Land und Bund. Ihr Verhalten ist falsch und auf Dauer tödlich.

Nö. Wenn sie keine Ausreden haben, warum nun gerade DER mit dem wenigsten feedback an der Basis Kandidat wurde, und warum nur der Vorstand gefragt wurde, und was der Vorstand eigentlich von Demokratie und Dienst am Wähler hält…dann ist das richtig, die Reizfigur aus der Schusslinie zu nehmen. Einer, der vor der Flut, alle Katastrophenhilfen abschafft, dann drei Wochen die Bundeswehr helfen lässt, sie aber baldigst wieder abberuft – und der dann beim Ortstermin blöde Witze reißt – während die Toten noch nicht einmal unter der Erde sind, der ist nicht mehr vermittelbar!

  1. Die Erneuerung der Partei kann nicht aus dem Konrad-Adenauer-Haus kommen. Sie muss in den Kommunen beginnen. Dazu müssen gesellschaftliche Gruppen anders eingebunden und angesprochen werden. Die Ressourcen der Partei und ihres Umfeldes müssen darauf ausgerichtet werden. Die ehrenamtlichen Mitglieder haben auch den Anspruch, mehr Gehör zu finden.

Soso. Also Basisdemokratie? Keine Anweisungen von oben? Ein frommer Wunsch. Wie stehen die Chancen, korrupte Abgeordnete loszuwerden? (Rezo-Video 3) lehrt, dass der Verbonzung nun jahrzehntelang Tür und Tor offenstanden – und dass es an „jungen Wilden“ fehlt, die per Parteirevolte daran etwas ändern könnten.

  1. Es hilft nichts, wenn die Parteibasis über die Funktionäre schimpft, wenn die Funktionäre die Schuld beim Vorsitzenden suchen und der Vorsitzende sich über mangelnden Rückhalt beklagt.

Sagen wir es konkreter: Die SPD-Regierung hat unter Schröder ihr Wählerklientel verraten und eine lupenreine FDP/CDU-Politik gefahren. Merkel hat die CDU sozialdemokratisiert bzw. (leicht) begrünt. So entstand Verwirrung und massive Enttäuschung hüben wie drüben in allen Lagern.

Also wäre der Laden dringend aufzuräumen, indem wieder jeder Verein das tut, wozu er irgendwann einmal gegründet wurde und somit wären auch die klassischen Wählerschichten zurückholbar.

Aber auch das wird frommer Wunsch bleiben. Ich weiß. Früher verschwanden bei Wahlen unterlegene CDU-Potentaten schnell in der zweiten Reihe. Selbst diese Form der Selbstreinigung gibt es heute nicht mehr.

6 Gedanken zu “Nachdenken über einen seltsamen ZEIT-Artikel

  1. Zitat: „Viele Mitglieder wissen wenig über das historische Werden der Union und ihren Gründungsimpuls (…)“.
    Einiges über den Gründungsimpuls der CDU ließe sich im Ahlener Programm nachlesen, das in seiner antikapitalistischen Ausrichtung von den heutigen CDUlern als verfassungsfeindlich angesehen werden muss.

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  2. Spielhagen schildert in Platt Land und Noblesse oblige und zwei Theaterstücken die Befreiungskriege als – um es mit Deinen Worten zu sagen – „präfaschistoiden Alptraum“. Räuber und Mörder nutzten die Gelegenheit, und wer Rousseau gelesen hatte und sich für die Ideale der Französischen Revolution begeistert hatte, lief Gefahr, vom Mob gelyncht zu werden.

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    • Stark übertrieben – und somit falsch. In Platt Land gibt es diese eine Verbrecherfamilie, die sich quasi besitztechnisch „adelt“. Noblesse oblige müsste ich erst wieder lesen.
      Überall, wo eine Gegenbewegung gegen irgend ein Unrecht den Kopf erhebt, ist auch die Wahnfraktion dabei. Jedes gute polit.-hist. Ereignis hat negative Begleiterscheinungen. Spielhagen stellt mitnichten die Befreiungskriege als solche INSGESAMT in Frage. Er weint der frz.Besatzung keine Träne hinterher. Er schildert ergreifende Einzelschicksale, die es eben auch auf Gegnerseite geben kann.

      Das ist eben die Kunst des Realismus: Dort steht der Feind. Aber nicht jeder von denen ist ein Monster.

      Erinnere dich an Plevier „Stalingrad“ – aus deutscher Landserperspektive geschrieben – von einem Exilkommunisten in Moskau. Wollte der Hitler entschuldigen? Nö, sondern deutsche (Nachkriegs-)Leser „bei ihrer Denke abholen“, um ihnen die Augen zu öffnen. Unbeschadet durfte das Buch hochgelobt in der SBZ sofort 1946 erscheinen. Dann kamen die Missversteher (die machten das so ähnlich wie du oben. Die Wehrmachtsoldaten waren zu „normal“, zu wenig Monster, also Vorwurf: mangelnder Klassenstandpunkt usw.) – und die Folge war: Der Kommunist rettete sich vor dem Gulag durch Flucht in den Adenauerstaat.

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      • Ganz falsch und ein ganz schiefer Vergleich. (Leider fällt mir kein stärkeres Wort ein.) Die Wehrmachtssoldaten brachten Tod und Versklavung; Napoleon brachte bürgerliche Freiheiten. Und Spielhagen hat die Unfreiheit nach den „Befreiungskriegen“ immer im Blick.

        Die Folgen der Unfreiheit und Misswirtschaft in Hamburg (die nach den „Befreiungskriegen“ wieder erstand) zeigt der Choleraausbruch in Hamburg 1892. Die geldgeilen Hamburger „Patrizier“ hatten keinen Pfennig für die einfachsten sanitären Vorkehrungen ausgegeben. Im preußischen Altona gab es dagegen sauberes Trinkwasser. (Vielleicht hat ein früherer Ausbruch der Seuche Spielhagen zu Noblesse oblige angeregt.)

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      • Nächste Runde:
        „Napoleon brachte bürgerliche Freiheiten“, von denen 90 % bis 1815 nichts hatten.Denn 90 % waren Bauern und die blieben sogar dann in gewohnter Abhängigkeit in ihren Dörfern, als Leibeigenschaft(auf dem Papier) schon aufgehoben war. Bürgerrechte einklagen, wenn der Gutsherr der Richter bleibt, ging ja ooch nich‘!

        Er brachte Tributlast, Vergatterung zur militärischen Bündnistreue bis Moskau, Kontinentalsperre, also Brexit ähnliche Wirtschaftsverwicklungen und Schmuggler-Boom. Der normale Mensch erlebte ihn nur als Forderer, als Verheizer der jungen Männer, als Plünderer….

        Er wurde als „Befreier“ empfangen, aber das Blatt drehte sich rasant. Denn seine Soldateska ernüchterte die Gastgeber.

        So ähnlich wie die ukrainischen Bauern 1941, die der Meinung waren, die Wehrmacht käme als Befreier .
        Die Milizen glaubten das lange; die Mehrheit jedoch war schnell geheilt.

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