15 Alben – 5 geachtete Geächtete

Bisweilen gab es unter Studenten unserer Jahrgänge den Wettbewerb: Wer findet die grauslichste Musik schön? Wer ist also intelligenter als der Rest, weil er „kompliziertere Strukturen goutiert“. (Feuilleton-Schwatz)

Den einen trieb es in den Krautrock, den andern zu Miles Davis und wieder andere trainierten sich die Oper an. Also – die richtige Klassik. Ich hab das alles versucht, sogar die genialen Dilettanten gemocht, im Postrock gewildert, mir „intellektuell“ den Blues erklären lassen – und am Ende hörste doch wieder Doowop, Las Vegas Elvis und „Rumours“.

Ich übertreibe. Aber die Tendenz stimmt.

Deine Ohren wissen selbst, was ihnen guttut.

Spaß macht allerdings, andere Leute ab und an zu verblüffen, weil man sich zu „entsetzlichen Werken“ oder Bands bekennt, nachdem man zunächst Gleichklang auf gehobener Ebene hergestellt hat:

„Waaaaas? Dein Ernst? So’n Mist findest du gut? Warum bloß?“

Dann erst gibt es die wirklich guten Gespräche, weil dann auch andere sich aus ihrer Deckung trauen.

„Ja, wenn du DAS zugibst, dann beichte ich dir auch, dass ich immer noch die „Marleen“ LP von der Rosenberg suche, Vinyl, und dafür sogar richtig Geld bezahlen würde, wenn ich rankäme.“

Schauen wir also im Folgenden mal in die „Schmuddel-Ecke“. Was genießt Bludgeon so an Musik, was Musikjournalisten und Pseudokennern so richtig die Fußnägel wellt:

Platz 5

Der Miles Davis Fail „Tutu“ von 1987.

„Huuuuu! Der Meister auf dem Weg in den Pop!“ – „Wer rettet jetzt das Angedenken an Bitches Brew? An Cooljazz? An Rockjazz?“ – „Die andere Heroen aus der Ecke hauen ja auch alle ein Mistalbum nach dem andern raus!“ – „Mit diesem Album manifestiert sich: Das ist das Ende des Jazz!“ Und so weiter und so fort.

Ich bin ein Kind des Glamrock. Mit fast 18 erwischte mich der Punk noch – will sagen: Ich hasse Bläser! Vor allem Blechbläser! – Das Saxophon in „Bakerstreet“ oder in „Urgent“ geht gerade noch in Ordnung. Ich bin ja ein tolerantes Kerlchen. Eine Handvoll Chicago-Tracks und der eine oder andere Blood Sweat and Tears Song – von mir aus. Aber mehr darfs nicht sein! Trompeten und Posaunen nerven wie Hölle!

Und dann steh ich anfang 1988 in meinem Niederlausitz-Dorf-Plattenladen und kaufe „Tutu“!

Der Stapel lag da so. Unbeachtet zwischen Ladenhütern von Reform, Uschi Brüning und Horst-Krüger-Septett. Ich nahm die mit. Könnte eventuell später doch noch vertauscht werden. War ja ne Lizenzplatte.

Zu dem Zeitpunkt kannte ich den Titeltrack. Der hatte so ein Edgar-Wallace-Film-Feeling irgendwie:

Rumms: Blick auf die Skyline von London – diedummdummdiedeldummm schwebt die Kamera in eine enge Gasse – Rumms: Leiche Nr.1…diedummdummdiedeldum, ja, wer war’s denn bloß? … usw.

Und auf der LP geht das so weiter. 8 Stücke. Ein Flow. Das letzte heißt „Full Nelson“.

Da gibt es 1987 so einen angesagten Typen, der Prince Nelson heißt und die Welt gerade mit „Sign of times“ verblüfft hat. Und Jugendradio DT64, der mit Abstand beste Sender der Ehemaligen, brachte es an den Tag, dass da der schwarze Rock Star Nr.1 den schwarzen Jazz Star Nr.1 verehrt hat und ihm diese Komposition überließ. Jazz Star Nr.1 nahms als Herausforderung in dieser Art eine ganze LP zu fabrizieren. Rumms! Und er revanchierte sich und schickte Rock Star Nr. 1 auch ein paar Töne. Der erschuf daraufhin „Lovesexy“ – unter Zuhilfenahme der gestopften Davis-Trompete. Fantastische Symbiose in beiden Fällen!

Aber der Moderatorenspott war ihm seinerzeit sicher:

„Miles Davis im quietschbunten Prince-Kosmos! Ob der alte Mann inzwischen auch Spagat übt? Weiß man nicht!“

„Das ist eine Jazzplatte für Leute, die keinen Jazz mögen.“

Yepp. Für mich. – – – Is‘ voll aufgegangen die Rechnung.

(Naja. Understatement: Bissel Bigband Easy Listening Jazz und Fusion darf es schon sein, ab und an. Hab dann so Jazz-Tage, wo ich nur sowas höre.)

Was die schreibenden Aburteiler außer Acht ließen: Die Platte lockt Leute wie mich an! Was hat denn der sonst so gemacht?

Ich lernte 1987 „Bitches Brew“ kennen – und lieben. Für ne Weile. Lange hielt es nicht. Auf dem Dorf findest du da auch schwerlich Gesprächspartner.

Ich lernte, dass das ganze Mahavishnu Orchestra bei ihm spielte. Selbst Benson tauchte da‘69 mal auf! Was für eine beeindruckende Hexenküche. – Leider viel Trompete dabei.

Es blieb bei der „Tutu“. Aber die musste als CD später auch noch sein. Und während ich das hier schreibe, läuft sie bereits zum dritten Mal wieder – repeat-repeat-repeat…

Miles!

Davis!

Nächster Fall:

Ganz ähnlich Miles D. war sein Ex-Kollege aus alten „Bitches brew“-Tagen 1987 drauf.

Die Band von damals hatte ohne ihn weiter gemacht und viel Ruhm eingefahren: Das gepriesene, „musikalische Erleuchtung bringende“ Mahavishnu Orchestra! Es schob die Grenzen zwischen Rock und Jazz erfolgreich immer weiter. 1975 dann die Trennung. Drei von 5 machten erfolgreich Solokarriere, einer von ihnen -John Mahavishnu-, der sich nun wieder bieder John McLaughlin nannte.

John McLaughlin & the Mahavishnu Orchestra „Adventures in Radioland“ heißt die Platte, die da nun anno’87 auf dem Markt erschien und die gleich doppelt als Etikettenschwindel angesehen wurde.

  1. Außer McLaughlin ist keiner der alten Orchestra-Veteranen dabei;
  2. Die Musik klingt nicht mehr so wie vor’75, weil unter anderem die Geige fehlt und zu allem Übel ein zeittypisches electric-drum-kit zum Einsatz kommt.

Nun war das alte Mahavishnu Orchestra ein ganz besonderer Fall der Rockjazz Geschichte. Was für die einen der tonale Olymp frickeligen Improvisierens war, hörte sich für die andern an wie Katzen quälen.

Es war also nie jedermanns Sache, was unter dem Namen Mahavishnu da so in Rille gepresst worden war – und das war es 1987 eben auch nicht. Insofern stimmte die Namensgebung schon!

Auf DT Jugendradio gab es ein Sendeformat „Das besondere Album“. Dort wurde alle 14 Tage donnerstags nachts eine Westplatte der gehobenen Güteklasse gesendet und vor jeder LP Seite wurden die Titel und Hintergrundinformationen zur Platte gegeben.

Z.B. Joni Mitchell „Hejira“, Pat Metheny „First circle“, Lou Reed „New York“ und eben auch das Mahavishnu Orchestra „A.i.Radioland“.

Damals erzählte der Moderator sinngemäß das Folgende:

„Geliebt wird die Platte von der Jazz-Kritik nicht. Mir gefällt sie. Hier wird durchaus gelungen mit Zeiteinflüssen von heute gespielt. Die Titel sind…“

Und dann hieß auch noch einer der Tracks „the wall will fall“!

Nicht, dass ich das 1988 geglaubt hätte, aber dass die Musikredaktion frotzelte und mal wieder Zensur unterlief, war bereits Mode geworden und sorgte erfolgreich für Senderbindung.

Spontan grinsend drückte ich „Aufnahme“ und es entrollte sich ein Sound, der irgendwie Phil Collins und Depeche Mode minus Dave Gahan(weil niemand singt) dabei zeigt, wie man Doldingers „Das Boot“ Soundtrack und „Jan Hammers „Miami Vice Theme“ verrühren kann.

In Wirklichkeit hämmern hier Danny Gottlieb on drum, Jonas Hellborg on bass, Mitchell Forman on keyboards herum. Und der alte John McL. hält sich im Gegensatz zu früher erstaunlich zurück. Bill Evans kommt für einen Track noch mit dem Saxophon vorbei. Das war’s.

Ich liebe diese ungewöhnlichen Klänge, die nicht nerven und nicht langweilen. Eine Platte auf der man immerwieder eine neue Soundfinesse entdecken kann, die man nicht überkriegt.

Jimi Hendrix hätte vermutlich ähnlich gespielt, wenn er die 80er erlebt hätte.

Fall 3:

Da war diese Band, die es ewig gab, die es immer knapp verpasste, zu den ganz Großen aufzuschließen, deren LPs immer Moderatorenlob einfuhren, deren Gitarren-Soli-Verzahnung von vielen Berufsgitarristen für „unspielbar“ gehalten wurden, die trotzdem melodiös zu Werke gingen, die kluge Texte boten … von denen du aber nie jemals irgendwo einen Fan getroffen hast.

Die Rede ist von – Wishbone ash.

Und die Rede ist zudem von ihrem ersten richtigen Flop-Album, das zunächst zwar gelobhudelt wurde, wie alle Vorgänger, nachdem es aber noch mehr in den Verkaufszahlen einbrach als diese, bald schon als Beispielplatte genannt wurde, wenn die Punk-Behauptung von den „langweiligen alten Fürzen“ bewiesen werden sollte: „Front page news“.

Wishbone Ash waren über den großen Teich gegangen und zusätzlich noch ganz durch, durch das „gelobte Land“ nach Kalifornien und hatten dort ein Album eingespielt, das sich anhörte wie „the missing piece“ zwischen Fleetwood Mac „Rumours“ und Doobie Brothers „takin‘ it to the street“.

Damals spielte „Duett“ auf Berliner Rundfunk eine halbe Stunde einen LP-Querschnitt daraus, der mir auf Band geriet, zwischen einen ebensolchen von Bob Marleys „Babylon by Bus“ und Supertramps „Breakfest in America“ – die letzte Etappe des Penne-Soundtracks vor der Asche-Zeit (Manche nannten es „Ehrendienst“; Zynismus aus.) Funeral Anthems of a Youth. Take the long way home! – Who killed Bambi? – Like a Bat out of hell I’ll be gone-gone-gone…

Supertramp wurden derart abgedudelt, dass ich sie heute nicht mehr brauche. Vom Reggae bin ich auch weg. Was blieb, sind die Songs der „Front Page News“. Die CD, von mir ab 1993 gesucht, war so rar, dass es Jahre dauerte, sie zu ergattern.

Die Band schien alles wiederaufzulegen und zu remastern, nur DIE nicht! Die Entzugserscheinungen nahmen zu. Da war es dann noch ein letztes Mal, dieses Gänsehaut-Gefühl, als ich die CD endlich hatte und einlegte und das bekannte Intro erscholl, das mich irgendwie immer auf „Ringelrei’n“ bringt:

You made me feel good
After all this time,
Welcomed me home
With my name in lights,
Took me by the hand,
Shook away my fear,
Brought back the memory
Of those earlier years.

Yeaaaaaahr. Alles wird gut!

Da drehen sich dann wieder die Jupiter-Spulen im Geiste oben auf dem Bücherschrank und links und rechts hängen die beiden gleichgroßen Elvis-Poster wie Altarflügel. Das Physikbuch fliegt von Wand zu Wand, weil die Hausaufgaben schon wieder nicht aufgehen… damals DAS ELEND … heute HERRLICHE ERRINNERUNG!

Fall 2

Es gibt in Musikzeitschriften ab und an diese „Polls“. Beste Progrockalben aller Zeiten; Einkaufszettel zu Band X (Was muss/kann/darf ins Regal – und was nicht…)

Und wenn es um Yes geht, dann glaubt man zu wissen, was als „übelster Ausschuss“ unweigerlich abgewatscht werden wird. – Verblüfft war ich in den 90ern, bei Erstkontakt mit derlei Bringer vs. Nieten-Album-Listing, dass die „Tales from Topographic Ocean“ bestenfalls als „durchwachsen“ oder „umstritten“ oder gleich als „Lusche“ der Frühphase abqualifiziert wurde.

„…hat Längen…“, „wäre als LP ganz gut gewesen, als Doppelalbum ist das nichts…“, „Andersons Größenwahn erschuf das jämmerliche Tales-Doppelalbum…“, „…keine Gruppendynamik, nur Gedudel…“, „Wakeman weiß auch nicht, was die Botschaft ist“  usw.

Ich hatte es gerade (1994 herum) erworben, das Yes-Sehnsuchtsalbum des Ostens; weil ich es seit Mauerzeiten mochte – und zwar sehr! – Und nun dieser Quatsch im „Eclipsed“, in der „Rock“ oder in der „Good Times“ und das gefühlt alle 2 Jahre wieder.

Der Osten hatte viele Artrock-Fans. Wer eine Oma hatte, die in den Westen fuhr, der ließ sich Artrock(heute: Prog) Alben mitbringen. Nur gab es da das Problem, dass Rentner zwar reisen durften, aber ohne Devisen. Sie mussten sich „drühm“ also von der Verwandtschaft aushalten lassen bzw. von den 100.-DM Begrüßungsgeld das Plattengeld für den oder die Enkel abzwacken. Und da ja jeder in der Ostfamilie einen mehr oder weniger kleinen Wunsch hatte, wurde es eng. Und das bescherte mitunter falsche Mitbringsel. Denn für Oma war das immer nur „eine Schallplatte von diesen englischen Gammlern wünscht er sich“. Wunschzettel hin oder her.

Nichts desto trotz: Yes-, Genesis-, Floyd-LPs waren nach und nach einigermaßen reichlich in die Ehemalige gelangt, die Doppelalben fehlten – aus dem obigen Grund.

So kannten alle Proggies in meinem Umfeld also fast alles von Yes, bloß die „Tales“ nicht.

Als ich in der Niederlausitz saß, abgeschnitten von meinen Leipziger- und Naumburger Bezugsquellen und nur zweimal im Jahr nach Plauen kam, zwecks Musikdrogennachschub vom Flohmarkt dort, da trug es sich zu, dass mir als Kontakt ein Pärchen beschert wurde, welches ebenfalls Westvinyl besaß, dessen Großteil sich aber in zweifelhaftem Zustand befand. Die besaßen ein knisterndes, aber abspielbares Exemplar der „Tales“. Checkpott! Und sie besaßen Albert Hammonds LP von der „Free electric Band“ in besserem Zustand als die „Tales“.

Wenn du auf Entzug bist und der nächste Plauen-Termin ist noch weit, dann nimmst du alles, was du kriegen kannst, um es aufzunehmen: Hammond hatte ich bis dahin unter „unerheblich“ verbucht. Nun saß ich mit den geborgten Alben zu Hause, nahm die „Tales“ auf, kapierte die Texte nicht, las also derweil die Hammond Texte – und war bas erstaunt. Der tucke-tucke-train-Albert hat’s ja richtig drauf! „Smokey Factory Blues“! Hammer für unzufriedene Werktätige des Stagnationszeitalters! Genau auf die 12! Und vor allem „Rebecca“! Was für eine herrliche Darstellung eben gehabter erstmaliger Klassentreffen mit all den Scheidungserlebnissen der anderen und Seltsamwandlungen vom Punk zum Spießer. Vom Aschenputtel zum Star oder andersrum. Also musste auch davon eine Aufnahme ins Archiv!

Seither wenn die „Tales“ laufen, tritt der pawlowsche Reflex ein: Give it all up for music in a free electric Band! Irgendwie wurde Hammond der 6 Mann von Yes.

Und wenn das mal nicht der Fall ist, dann hakt sich die Songzeile vom „zerstörten Lied“ fest:

„What happened to this song – we once knew so well!“ = „Wer hat mein Lied so zerstört?“ Daliah Lavi. Das erzeugt die früh70er Wochenend-Nestwärme von daheim. „Schaubude“ gucken dürfen, „willst du mit mir gejn, Wind und Sterne verstehn“; „Butterfly, my Butterfly“; „How do you do, nana“ Carell, Ohnsorg-Theater… die Eltern teilen die Schokolade zu…vielleicht schaff‘ ich mit bissel betteln, aufbleiben zu dürfen, ob nach dem „Wort zum Sonntag“ noch ein Western kommt, oder „Godzilla“…

Die „Tales“ sind zu lang, zu hohl, zu sonstwas? Blödsinn! Keine Minute! Ein Sound-Angebot, das mit der eigenen Phantasie zu füllen ist! Wer keine hat, der kann nur pseudoakademisch mäkeln.

Bleibt noch die Nummer 1:

And the winner is – Philly-Sound!

Was gaaaaar nich‘ geht ist all die Philly-Gülle, die Vorstufe des Discomülls!

Unerhebliche Fließbandmugge von Gamble & Huff gecastete Typen. Hast du einen Song – hast du alle. Die LPs dieser Eintagsfliegen bestehen aus einem Hit und lauter schnell hingeschluderten Graupen. Nenne mir ein zweites brauchbares Lied von Shirley & Company, von Jigsaw, von George McCrae!

Jaja. Und doch liebe ich diesen Philly (Doppeldecker-)Sampler, den ich mal billig an der Tanke erstand.

Dirty ol’man, let’s clean up the ghetto, shaft, rock the boat, the hustle, everybody gonna disco stomp, … alles eingespielt mit großem Orchester, nix Billig-Samples! – Ich hab den fürs Auto umgestaltet und Claptons „swing low sweet chariot“ und „in for a penny“, „thanx for the Mem’ry“ von Slade sowie Bowie’s „Fame“ drunter gemixt; so klang „Musik nach der Schule“ auf HR2 und NDR2 wayback then, when Erich kisses Leonid.

…a Slade-Song a day keeps the doctor away…

In diesem Sinne:

Only the strong survive!

Chears!

Hinterlasse einen Kommentar