Staub gewischt auf alten Platten (1)

…oder: Die Hypes von gestern

(Im Weiteren werden die Begriffe „Platte“ bzw. „CD“ synonym verwendet; weil sie mir „wurschd“ sind.)

Es gibt ja bekanntlich bei allen Musicjunkies so besondere Suchtmittel. Platten, die man nicht gleich wieder ins Regal schiebt, sondern strapaziert. Immer- und immerwieder hören MUSS! Aber irgendwann erreicht man dann den inneren Eichstrich. Nun landen sie doch im Regal und – – – ? Die einen erleben einige Zeit später eine Renaissance und andere nicht.

Ich werd‘ mal so in loser Folge ne neue Reihe aufmachen: „Verwehtes Suchtpotential“. Oder „Schön war’s doch!“ Mal sehen, wieviele Teile es werden.

Der Bludgeon mag den alten klapperigen Rock&Roll; mehr noch den Doowop – und da kommt er ganz schnell auf einen dieser Alt-Zeit-Veteranen als „Vorgruppe“ für die nachfolgenden Fälle.

bild1aMike Berry. Den meisten Lesern da draußen sicher unbekannt. Seine Erfolgsphase lag im „Interregnum“ zwischen dem Elvis- und dem Beatles-Hype: 1961-64. Er gehört zu den Proteges von Joe Meek, dem Sound-Pionier jener Zeit. Ein wahrhaftig besessener Produzent. Meek suchte einen Buddy Holly Ersatz, denn DEM war er verfallen. Er fand Mike Berry – und es gehören schon Fledermausohren dazu, den Holly und den Berry zu unterscheiden. Mike Berry sang 1961 „Tribute to Buddy Holly“ ein und landete damit DEN Hit, der ihn unter Kennern immerhin wie ein One-Hit-Wonder durch die Zeiten reichte; obwohl er in den genannten Jahren auch mit anderen Meek-Singles einigermaßen erfolgreich war. Und genau DER Song war es, der mich an ihn band. Einst auf Kassette erbeutet, als das „Rock&Roll Museum“ auf NDR2 noch Pflichtsendung war und dann aus dem Archiv verloren, als auf Spule umgeswitcht wurde. Ein Verlust, den ich nie verwandt. Sucht. Unzählige Male im radiolosen Trabi selber gesungen. Allzeit textsicher: „Snow was snowin‘! Wind was a blowin‘! When the world said: Good bye Buddy!…“ Ouwwwww! Wohoowohoowohoo! Yeahahyeahayeh!

2009 oder 2010 herum war es soweit. Ich stieß auf Rollercoaster Records! Das Rollercoaster Lable in England scheint so ein Musikarchäologenverein zu sein, wie auch ACE-Records. Die finden lauter so „vergessene“ Sachen für Nischen-Hocker, wie mich. Und die hatten ihn! Mike Berry hatte 1998 so eine relaxte Lust-und Laune-CD aufgenommen. Neueinspielung alter Erfolge und ein paar Standarts.  Neueinspielungen galten ja gemeinhin als Musikkrätze. Chuck Berry und die Drifters sind mir da in besonders grauslicher Erinnerung. Nicht so in diesem Fall. Mike Berry macht das wie Dion DiMucci und wie Jack Scott etwas später: Er schafft es, die Sache „alt klingen“ zu lassen. Aber in der Soundklarheit der neuen Zeit. Die CD klingt frisch, kräftig und – herrlich! Sie tackerte sich einige Zeit in meinem Player fest. Die Familie konnte mich nun kopfschüttelnd allzeit „Wowwwww! Wohu-wohuwohu! Jejjjj! Jehi-jehi-je. We allways remember Ba-hadi!“ lallend durchs Haus schweben oder Laub harken sehen: Was hatter nur?

Sucht.

Aber: Im Bewusstsein des Faktes, dass es sich um Neueinspielungen handelte, wehte mich so ein kurzer Moment an, Purist sein zu wollen. Fast zeitgleich erschienen einige Joe Meek Sampler. Gute und schlechte. Unter anderem „The Alchemist of Pop“. Und da war endlich auch die Originalfassung von „Tribute to Buddy Holly“ drauf. Also kaufte ich auch den – und war prompt vom Pappsound jenes Doppeldeckers schwer enttäuscht. Der ging sofort wieder raus. Die Neueinspielung hatte gesiegt.

Es ist bisweilen schon kurios eingerichtet: Da hat man Yes, die Allmans, Benson, Elvis und wie die Großkopferten alle heißen im Regal stehen – aber wochenlang trällert der von der Welt vergessene Mike Berry sein ach so rockhistorisch-unerhebliches Spätwerk durch die Hallen und da is’so’n alter Graubart, der allweil mitsingt.

Anderes Thema: Als zweiten Fall eines kurzzeitigen – aber intensiven – Suchteffektes der Jahrtausendwende möchte ich Jerry Garcia und John Grisman erwähnen. „Shady Grove“(1996). Auch ziemlich zeitnah ’97 oder ‘98 gekauft.

Bild (3)bb

Jerry Garcia ist der Chef der Grateful Dead. Aber mit denen hatte ich es bisher nicht so. Obwohl – das kann eventuell noch kommen. Eine gute von denen hab ich immerhin. Garcia(git/bj) und Grisman(mandol/bj) klampfen sich hier ganz und gar folkig durch ein Sammelsurium englisch-amerikanischer Volkslieder. Sehr angenehm klingende Duette. Eine Platte für die ruhigen Momente im Leben, oder für Tage, an denen du Entspannung suchst. Die Platte wartet mit einigen Highlights auf – und mit einem superdicken Booklet. Jedem der 13 Songs wird eine Doppelseite gewidmet. Lyrics und Entstehungsgeschichte. Bild (4)Die Informationen verdienen das Prädikat „historisch wertvoll“. Wenn man das liest und dabei die Platte hört, dann ist das eine gesungene Geschichtsvorlesung. Z.B. bekommt man erklärt, warum „Whiskey“ auch manchmal „Whisky“ geschrieben wird und dass „Whiskey in the Jar“ zunächst ein amerikanisches Volkslied war, bevor es auswanderte und ein irisches wurde. Heute denkt bei dieser Nennung ja eh jeder an Thinn Lizzy.

In „The sweet sunny South“ klagt ein befreiter Schwarzer über Heimweh nach der Plantage, auf der er geboren wurde. Man erfährt, dass es sich dabei zwar um einen klassischen Minstrel-Song „für weiße Ohren“ handelt; aber auch, dass es jene Haltung unter Schwarzen nach 1865 durchaus gab. Das erinnert automatisch an die Bauern in Ostelbien nach Aufhebung der Leibeigenschaft 1810. Die wollten mitnichten nu alle in die Stadt und Handwerker werden. Die wollten da bleiben, wo sie sich auskennen. Das lehrt, die Dinge mal von’ner anderen Seite zu seh’n. Nicht alle Plantagenbesitzer und Gutsherren können Sadisten gewesen sein. Die neuen Freiheiten im „Anderswo“ erweisen sich als risikobeladen, verstörend. Dir werden nirgends „Goldene Brücken“ gebaut.

Wenn ich das hier so zum besten gebe, soll das nicht als Verharmlosung von Unfreiheit verstanden werden, sondern lediglich ergänzen, was im einseitigen Geschichtsbild fehlt: Vermutlich große Teile sowohl der befreiten Leibeigenen in Europa als auch der Sklaven in den USA wurden ihre Prägung nunmal nicht los. Und allerhand Ossis geht es ähnlich. 12 von 17 Mio. blieben nach Mauerfall im „Zonengebiet“. Das ist eine ganz ähnliche „Grand Ol’South“- Denke am Wirken, aus ganz ähnlichen Gründen wie nach 1865 in der Heimat von Dagobert Duck. Hammer-Sichel-Ährenkranz wurden 1989 aus den Fahnen geschnitten. Wurden jedoch schon 5 Jahre später zum Southern Cross der Ossis. Da war eine Fehlentwicklung im Werden. Manche sahen sie. Aber es waren immer nur die, die keinen Einfluss hatten. Es heißt, dass es ein Unglück gewesen sei, dass Lincoln gleich nach Kriegsende 1865 erschossen wurde. Er habe den Wiederaufbau des geschlagenen Südens planen wollen. Da dies nicht in vernünftiger Form geschah, sei die Kluft bis heute spürbar. Vielleicht war ja Rohwedder unser Lincoln?

Und ohne „Shady Grove“ CD hätte ich darüber vermutlich nie nachgedacht.

Aller guten Dinge sinder dreie: Joan Armatrading. In den späten 70ern war das DER Hype schlechthin. Es gab damals eh zum ersten Mal so eine richtige Welle von Rockladies: Helen Schneider, Tanya Tucker, Rachel Sweet, Blondie, Rickie Lee Jones, Diane Diamond, Hazel O’Connor; Toyah Willcox; Nicolette Larsen, Laura Alan…

joan 1Und Joan Armatrading war von denen allen die Meistgespielte im Rundfunk. Und sie war auch stilistisch die Vielseitigste. Bis „Me, myself, I“ hatte sie einen Lauf. Dann verschwand sie schier aus der offiziellen Wahrnehmung. Ich hatte sie nie vergessen. Ich war dem „To the Limit“-Album verfallen, seit es 1978 erschien. Streng genommen ist das so ein richtiges Feminismusalbum. Aber mit 18 waren die Englischkenntnisse noch nicht so perfekt, um das zu merken und die männliche Phantasie erschuf sich zu Text- Rudimenten a la „Barefoot and pregnant“ und „get out my way, let me pass…“ ganz eigene innere Filme. Ich hatte eben viel Schreckenbach gelesen. Aber den kennt ja heute auch keiner mehr.

Musikalisch klang sie damals wie ne weibliche Version von Steely Dan.

Ich hatte das Album per Radiobeute einst fast komplett auf Band. Die Platte war nach 1990 unauffindbar. Die Armatradingfächer größerer Plattenläden elend bestückt.

Selbst das WOM hatte nur die eine „Best of“, die wohl jeder hat, der sich an diesen Namen noch erinnert. In den Zehnern des neuen Jahrtausends bot dann eines Tages die große Versandkrake aus dem Land der platten Klopse die „to the limit“ als Download an: Gemacht! Aber nur so’ne Datei auf dem Computer – das ist nichtmal die halbe Freude!  Deshalb kaufte ich die CD trotzdem noch, als es gegen 2020 endlich soweit war. Sucht!

Joan Armatrading – das war in den 70ern durchweg intelligente Musik zu intelligenten Texten. Die Ideen schienen unerschöpflich. Die Frau selbst war eine Augenweide. Bis „Me, myself , I“. Oje. Tiefe Augenringe auf dem Coverfoto und die Mugge —?! Medial gepriesen, wie nur was. Erfolgreichste Platte. – Naja. Mehr als der Titelsong und „All away from America“ war da nicht mehr drauf zu finden. 1983 hing die „Walk under letters“ im Intershop. Gott sei Dank kaufte ich sie nicht! Als ich sie Jahre später kennenlernte: Dasselbe Spiel! Der Titelsong ist ein Ohrwurm. Aber der Rest? Sie schielte, wie so viele gestandene Altstars der 70er, nach den modernen minimalistischen Sounds der 80er und – es kickte einfach nicht mehr. „Drop the pilot“ war noch eine letzte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Die LP dazu war wieder nix. Der Name verschwand aus der Wahrnehmung der Allgemeinheit. Tracy Chapmann erinnerte dann 1989 an sie. Die klang wie ihre Tochter! Im Zuge des Outings von Melissa Etherigde kam dann auch noch zu Tage, dass Joan Armatrading ebenfalls … Ächz! Und ich hab soooo für sie geschwärmt! Immerhin wird ihr „Rosie“ Song nun NOCH doppelbödiger. Time goes by. Attractivity goes funeral. The Music matters! Die „To the Limit“ und die „Show some emotion“ haben auf meinen Tonbändern, in meinen Playern im Laufe der Jahre drei intensive Rotations -Phasen durchlaufen und sind somit Spitzenreiter.

What we got – is the be-hest!

(Fortsetzung folgt. Irgendwann.)

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