Vieles ließe sich schreiben über die Schäbigkeit der Leitmedien im Umgang mit unseren Kultur-Ikonen.
Da wurde neulich Frank Schöbel superrüstig 80 Jahre alt, aber man
sendete nur die Gala zum 75. ein zweites Mal. Warum?
Zu brisant, dass er „das Maul aufmacht“ zwischen den Songs?
Reinhard Mey gings gestern ähnlich. Ne Reinhard-Gala? Jetzt in diesen Zeiten? Für den Erstunterzeichner des ersten Friedensaufrufes 2022?
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Um Gottes Willen! Was wird der singen! Wen wird der als Gäste heranholen!
Tackern wir 30 alte Filmschnipsel zusammen, mit seinen angeblichen 30 Greatest Hits! Natürlich nur den harmlosen Sachen!
RBB gestern Nacht. Der Skandalsender 2022. Immerhin war er wenigstens zu diesem schäbigen Almosen in der Lage. Besser als nichts.
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Reinhards Songs sind mein Lebenselixier seit 1971 oder 72, als er mit „Der Mörder ist immer der Gärtner“ in der „Aktuellen Schaubude“ auftrat!
Sein „20 Uhr“ live Doppelalbum war die erste Westplatte, die ich aufnahm. Und sie war eine von dreien, die ich gleich 1989 für Begrüßungsgeld kaufte.
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Deshalb hier nachträglich: Alles Gute zum Geburtstag. Bleib standhaft!
Und nun meine 20 Lieblingssongs von ihm.
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Die Reihenfolge ist eigentlich egal und abhängig von der Stimmung. Nur die ersten 5 sind wirklich die ersten 5.
20.Über den Wolken; klar; muss sein; nicht weil es ums Fliegen geht, sondern weil mich der Text mit all diesen fein formulierten Alltagsdetails an die Schulzeit und den UTP erinnert: Alle 14 Tage ein Unterrichtstag in der Produktion: Einerseits zwar sinnlos Teile entrosten im LIW oder Stahlkanten feilen, aber andererseits, blödeln, nicht stumm herumsitzen müssen, „in den Pfützen (des Werkhofes) schwimmt Benzin“… „Irgendjemand kocht Kaffee“… und die Freiheit wird plötzlich nicht grenzenlos aber groß, weil die Erwachsenen mitblödeln und dich eher selten zurechtweisen.
19.Die Eisenbahnballade; eine tolle Würdigung für eine tolle Erfindung; und die Höhen und Tiefen ihrer Nutzung; nicht ganz seine Idee alleine, denn eine ähnliche Hommage in Englisch gab es zuvor von Gordon Lightfoot – der war bestimmt der Inspirator.
18.Dr. Nahtlos, Dr. Sägeberg und Dr. Hein: Meys Talent Missstände lustig aufzubereiten und trotzdem deftig zu ohrfeigen – mehr als nur Blödelbarde zu sein, seine ganz große Gabe! 2015 Krankenhausaufenthalt meinerseits wegen Nierenstein, verbunden mit der Frage des behandelnden laotischen Arztes: „Wollen machen Hüfte? Sie alt jetzt. Hüfte wird kommen. So oder so. Machen jetzt? Sie entscheiden.“ Das Gesundheitswesen inzwischen so fertig, so runter, wie so viele andere Branchen auch. Mey hat das kommen sehen, den Unfug, der da wuchs -Neunzehnhundertneunundsiebzig! Das lass dir auf der Zunge zergehen!
17.Die Zeit des Gauklers ist vorbei; die feine Melancholie über die Endlichkeit des Seins. Die fehlende Würdigung des welterfahrenen Künstlers am Schluss durch den weiterziehenden Zeitgeist. Der durchaus irren kann…
16.Erinnerungen – du suchst sie wieder auf, die Orte vergangenen Glücks und es schmerzt, sie SO wiederzusehen. War es ein Fehler zurückzukehren? Zerstört das den Nimbus der Erlebnisse? All die Bausünden, die man dir in dein Kindheitsparadies geknallt hat? Peter Cornelius, Georg Danzer, City, Gerulf Pannach, Dan Fogelberg, Cat Stevens, – sie alle plagte dieses Problem. Und es wurden tolle Songs draus.
15.Lilienthals Traum – ein weiteres laaaanges Geschichtsepos. Der Flug-Pionier Otto Lilienthal verunglückte tödlich bei einem Gleitflug 1896 hier in meiner Region. Anlässlich des 100. Todestages schuf Reinhard dieses Lied, in dem er sich in Lilienthals Denkweise einklingt. Sehr gelungen. Historisches Einfühlungsvermögen. Eine Gabe, die der Allgemeinheit inzwischen verloren ging. Danke!
14.Caspar – nur schön in der Live-Version, weil da ein berührender Folksong; die Studioversion ist kaputt arrangiert und viel zu schnell gesungen. Ich hörte glücklicherweise die Live-Version zuerst: Sie stieß mich auf das hochinteressante Caspar Hauser Thema. Google, wenn du es nicht kennst. Jakob Wassermann schrieb über diesen Fall einen ebenso hochinteressanten historischen Roman. Lesenswert! Aber ohne Reinhard Mey hätt‘ ich den vermutlich nie gelesen. Übrigens auch ein Lieblingslied von Rudi Carrell.
13.Gib mir Musik – Klar; das muss der Musikjunkie in der Bestenliste haben! Die Töne, die dich leben lassen! Ohne Musik – wär ich längst tot.
12.Vernunft breitet sich aus über der Bundesrepublik Deutschland – der Punkt an dem der „nette“ Reinhard bissig wurde. Am Ende der 90er. Eine sehr sarkastische Vision. Heutzutage ferner denn je.
11.Eine Antrag auf Erteilung eines Antragsformulars – gleiche Kerbe, aber noch humorvoll geohrfeigt 1978; zeitlos; uns an nicht gemachte Hausaufgaben erinnernd. Das einst effektive Deutschland nun kaputt verwaltet. 1978 schien das noch reparabel zu sein. Siehe Pointe des Songs.
10.Was gibt’s schöneres auf Erden als Politiker zu werden – hör’s dir an. Selbsterklärend.
9.Sei wachsam – selbe Kerbe; geschrieben in der „never ending“ Kohl-Epoche, der die „never ending“ Merkel-Epoche folgen sollte; dazwischen das Schröder-Gestümper. Wollen wir mal nicht hoffen, dass 16 Jahre Merz drohen!
8.Narrenschiff – ja ich mag den galligen, altersweisen Reinhard Mey und dieses Lied besonders. Nicht jedes Alterswerk von ihm ist ein Knüller, manche Graupe passierte auch ihm – aber hier war er noch voll dabei: Genialer Rundumschlag!
7.Der alte Bär ist tot (und sein Käfig leer). In Memoriam Troll & Anka, den beiden Braunbären im Tierpark Bad Kösen. Kindheitsfreunde. Tiermärtyrer in viel zu kleinem Gehege (wie ich heute weiß), aber befreien wollt‘ ich sie damals schon.
6.Eh meine Stunde schlägt – (möchte ich im Stehen sterben); ein melancholisches Nachdenken über das Ende in jungen Jahren; nach dem Miterleben/Miterleiden des langen Endes meines Vater ein ganz wichtiges Lied für mich.
5.Alle Soldaten woll’n nach Haus. – Klar; das muss in die Spitzengruppe bei einem wie mir, mit Prora-Klaps; und das ist es auch, was ihn die Gala kostete: man stelle sich vor, er singt das heute und lädt sich schlitzohrig die Strack-Zimmermann und den Röttgen in die erste Reihe des Publikums ein! Und dann kommt noch sein Freund Hannes und singt „es ist an der Zeit“! Qualitätsfernsehen hätte sowas draufgehabt! Kamera auf die „Ehrengäste“. Man wird ja noch träumen dürfen!
4.Die Würde des Schweins (ist unantastbar) – das Lied, das mich fast Vegetarier werden ließ. Ich schaffs nicht. Man wird einfach nicht satt, so ganz ohne Fleisch ab und an. Aber -wie auch „Kadaverstern“ von Heinz Rudolf Kunze- eine ganz wichtige Mahnung ans Tierwohl in Zeiten der Hühner-, Puten-, Schweine-KZs. Ja, die sollten überwunden werden! Das forderte schon Grzimek in den 70ern! -Ja, macht Fleisch teurer, damit wir es seltener essen! Aber beseitigt auch nachweislich diese fürchterlichen Einrichtungen „industrieller Fleischproduktion“ und verschiebt sie nicht bloß in Zweit-und Drittstaaten! Ein frommer und nicht durchsetzbarer Wunsch. Ich weiß. Leider. Da sind wir dann wieder bei Platz 11. – Kommt nie.
Und nun die großen 3 Individualitätshymnen:
3.Mein Achtel Lorbeerblatt – „…und mache, was ich will“; der Muntermacher: Besinne dich auf DICH! Du musst nicht angepasst buckeln. Brav in der Tretmühle verharren. Da werden immer Arschlöcher sein, denen deine Nase zu weit links im Gesicht ist, oder „zu weit rechts erscheint sie dem andern und das gefiele ihm nicht“. Befreiend zu hören, damals mit nicht ganz 15 Jahren vor der Musiktruhe des Klassenkameraden. Und ein Leben lang „im Sinn“ behalten, wie die verbliebenen zwei:
2.Bevor ich mit den Wölfen heule – „rechnet nicht mit mir beim Fahnen schwenken ganz gleich, welcher Farbe sie auch sein, ich bin noch im Stand allein zu denken und verkneif mir das Parolen schrein.“ Zeitlos. In Zeiten wie diesen.
1.Aus meinem Tagebuch – ich will hier raus, ich hab genug, ich bin schon viel zu lange hier, ich springe auf den nächsten Zug und lasse alles hinter mir… Selbsterklärend. Verdienter erster Platz. Auch -und gerade wegen – des letzten Verses.
Mag sein, dass Lieder NICHT die Welt verändern. Aber gute Songs machen das Leben erträglich.
Danke Reinhard!
PS Sommer 2023: Kenner könnten nun meckern: Wieso taucht in deiner Liste KEIN Song der „Einhandsegler“-Platte auf?! – Ja, die Schmach sei eingestanden: Im Dezember 2022 kannte ich das Album noch nicht. Ich habs deshalb hier extra gewürdigt.