Scherbenkunde

oder: Aus – der Traum!

oder eben einfach: Rio & Ich

Ach, ist das ein Graus, sich diesem Thema zu stellen. Mit 64 Jahren. Aber ich wills mal bewältigen. Ich muss sortieren. Und dies hier ist der gefühlt 54te Versuch. Könnte lang werden. Da gilt es soooo viel abzuwägen!

Ich habe jede Woche eine andere Meinung dazu. Es ist verhext. Je nach dem, welche Songs mir gerade in den Sinn kommen. Vieles hält dem Test der Zeit nicht stand. Aber da sind auch all die anderen Lieder – die richtige Nuggets sind.

Die waren wichtig. Soooo wichtig! Damals in den 80ern in der Ehemaligen. Unvergessen das Konzert von Rio Reiser -noch vor dem Mauerfall- in Ostberlin und der Massen-Chor beim Refrain von „Der Traum ist aus“:

Tausend Ossis grölen beseelt: DIESES LAND IST ES NICHT! (Klick und genieß es ab 2:50 Minute)

Geschrieben war das einst gegen ein ganz anderes System, jetzt war es eine Unmutshymne gegen das Regime „der alten Männer“ von Wandlitz.

Er war so wohltuend provokant in einer bleiernen Zeit.

„Leute, lasst das Glotzen sein! Kommt herüber! Reiht euch ein!“ war DIE Demo-Losung im Oktober 89 als noch alles auf der Kippe stand; und sie klang, wie von Rio formuliert: Könnte glatt aus „Keine Macht für niemand!“ stammen.

Das ist zwar NICHT der Fall; aber die Wendemacher gaben allzeit zu erkennen, wer sie sozialisierte: Ton Steine Scherben und die Fehlfarben.

TSS fuhren so ab ’83 verspäteten Ruhm ein und endlich auch ein bisschen Geld, als Rio seine Solokarriere startete und begann, den Schuldenberg abzutragen. Zuvor hatten sie sich unter völliger Verkennung aller wirtschaftlichen Zusammenhänge ja existenziell komplett in die Scheiße geritten.

Ihre revolutionäre Phase vom Anfang der 70er war da bei der Band schon lange „durch“. In den 70ern herrschte ja striktes Scherben-Embargo auf allen Sendern von drühm. Und das Ost-Radio sah auch keine Veranlassung, puren Anarchie-Gesängen Airplay zu gewähren.

Reiser war ein Poet des Unmuts, des Aufstandes. Ganz und gar unblumig mittenrein in die Zeit des Tangerine Dream Wach-Komas und der Pril-Blumen. Und wie alle „Macher“, wusste er nicht, wohin es hätte hinterher gehen sollen, „wenn die Waffen schweigen“.  

Zehn Jahre später brachten seine frühen Songs den Stagnationsfrust und den unklaren Rebellenwust in unseren Köpfen in treffenden Versen zum Ausdruck. Das saß sofort. Konnte ständig zitiert werden. Wir inhalierten die „Auswahl I“, „Scherben“ und eben die beiden Solo-Alben. Was man halt so greifen konnte, dank ahnungsloser Omas, die da von der Westreise Konterbande mitbrachten, ohne kontrolliert worden zu sein. „Stiller Raum! Stille Nacht! Alles schläft! Nur WIR sind wach!“

Wir hielten uns dafür! Yeahr!

Aber wie wach war ER? Er träumte, wie in „Steig ein“ besungen, von einem Land ohne Geld. Er wollte „Keine Macht für niemand.“ Und streiken bis zum Sieg „und UNS gehört die Fabriiiiik!“ – und dann? Planwirtschaft kann er nicht gemeint haben! Je älter du wirst, umso mehr werden dir all die Leerstellen peinlich bewusst.

Eigentlich hätte ich ihn schon damals als guten Kumpel in die Arme nehmen wollen, wegen:

„Ich bin nicht frei, ich kann nur wählen, welche Mörder mich regiern, welche Räuber mich bestehln!“

Geil Alta! Voll auf die 12! – „In jeder Stadt, in jedem Land! Mach’ne Faust aus deiner Hand!“ 1988!

(Die Zeit der aufkeimenden „Revolutionären Situation“. Aber eben nicht, wie im Lehrbuch stand, im bösen „Mopol-Kannibalismus“ drühm, sondern hier bei uns; den „Siegern der Geschichte“, die laut Gorbatschow in einer Art „Agonie eines reaktionären Sozialismus‘“ lebten.)

Aber zugleich hätt‘ ich auch mit ihm drüber streiten wollen:

Keine Macht für niemand! Is aber och Kokolores! – Soll’n dann wer’n? Wenn keenor mehr sachd, wo’s langgeht? Hammvwer uns alle lieb, weil wir ja so gleich sind und so fair und selbstlos, oder was? Höre off!

Hättsd ma in Prora dienen soll’n! Die Parade von Schlagschlüsselschnauzen da hätte dir -eins fix drei- klar jemachd, was jeworden wär!

Wenn DIE kapiern, dasse keenor mehr einsammelt, wenn se Scheiße baun, dann hastes erläbd!

Bleib mir vom Halse mit Anarchie! Bakunin, Bakunin?! Höhöhö! Hör mir of! Das war ä Russe! Gucke dir Russland an! Dort wird lauter so ä Quark jeborn!

Anarchie-Gelüste haben mich nie gestreift.

„Ich bin der Antichrist! Ich bin ein Anarchist! Weiß nicht, was ich will, aber weiß was ich kriege! Ich will zerstörn – und dann mach ich die Fliege. Dennn iiiiiich bin diiiiiie Anarchiiiiiie!“ (Sex Pistols)

Punk mochte ich, weil er frech alle Phrasen durch den Wolf drehte, auch nicht weiterwusste, jedoch in der Übertreibung auch sich selbst auf die Schippe nahm: Wir meinen das nicht so ernst – aber wir kotzen uns frei! Selbstironie jedoch können die alternativen Kreise des Westens ja bis heute nicht.

Dieses bierernste Links-Sprech, dessen Ohrenzeugen wir manchmal via Westfernsehen oder -radio wurden, ließ uns im Osten kopfschüttelnd kalt. Wir warteten auf die Musik nach dem „Wortbeitrag“, vom „Zerstören der Strukturen in der Musik“ und ähnlichen Wolkigkeiten. Und wie ernst und weise die sich gaben, wenn die so’n Blech erzählten! Wenn man richtig Pech hatte, dann spielten die nach solchen Salbadereien auch noch die Düüls oder Franz K – und da brach man die Aufnahme nach spätestens 90 Sekunden ab und spulte zurück. Wie konnte sich so eine Käse-Combo ausgerechnet nach Franz Kafka benennen! (Naja, heute gibt es so’n Wimmer-Duo, das Glasperlenspiel heißt. Hermann H! Guck nicht runter! Hör weg!)

Die Polit-Songs der Scherben erinnern daran – und auch an ihren dauerwiederholten einzigen TV Talk-Auftritt aus den frühen 70ern: „…und deshalb werde ich mal jetzt diesen Tisch zerstören!“ (Sprachs und drosch dann mit der Axt auf ner Tischplatte herum. Und dann ging der Tisch nicht kaputt! Peiiiinlich! Ein Werbespot von damals weiß: „Akryl ist klar wie Glasss! Aber viiiiel härter“. Der Reklame-Onkel da im Spot war klüger als der Sponti. Symptomatisch. Der Aufruhr schon im Ansatz Murks.

Die Rio-Solo Sachen, wie „Wer, wenn nicht wir“, „Alles Lüge“, und vor allem „Blinder Passagier“ wirken weiser. Vermeiden die perspektivischen Sackgassen der Anfangsjahre. Man reift halt, macht Kohle mit Niveau und brennt schließlich aus. Rio in noch jungen Jahren.

Nach dem „Blinden Passagier“ gierte ich nach der „Rio III“. Als ich sie hatte, war ich verblüfft, wie ausgelaugt mein Wende-Herold da wirkte: Das war textlich UND musikalisch „nüschd“.

In einem Silly-Interview hatte kurz zuvor Tamara Danz erzählt, dass Rio hätte ihre „Februar“-LP betexten sollen. Aber was er so anbot, sei nüschd gewesen, deshalb habe man entschieden, Gundermann zu fragen.

Freunde feierten dann später Rios „Durch die Wand“. Mich störte seine PDS-Mitgliedschaft und seine peinlich-ärmliche Wendekritik mit der Neuversion des „Königs von Deutschland“. Mitte der 90er hatte auch ich die Kohl-Kamarilla mehr als satt. Aber der Song war einfach nicht gut; Sillys „Traumpaar“ um Längen besser.

Als Rio starb, fiel mir deshalb Nik Cohn ein und sein großartiger Elvis-Nachruf von anno‘77:

„Er starb gerade noch rechtzeitig, bevor er sein eigenes Denkmal völlig ruinierte.“

Wo wäre Rio heute?

Würde man ihn „einfangen“ wie Lindenberg? Rio barfuß im Schloß Bellevue – die Steinmeierpranke schüttelnd – mit Verdienstkreuz am Sakko? Oder zu später Stunde Walzer tanzend mit Iris Berben oder Claudia Roth auf der Berlinale?

Würden die ihn überhaupt noch kennen wollen, wenn er weiterhin „Der Traum ist aus“ live zu Gehör brächte und die Masse freudig einstimmt: Dieses Land ist es nicht! -?!

Bliebe er bei DER Version? Wie plump misslänge dann die eventuelle Neuversion?

Oder zöge er ergraut und fast kahl, den umgetexteten „Rauchhaussong“ schmetternd und Müllcontainer abfackelnd mit dem Connewitzer Underground durch die Rosa-Luxemburg-Straße von Leipzig?

Fragen über Fragen…

Ich hätte mir gewünscht, dass er all diesen West-Puhdys (Gröni, Campino, Lindi, Peter…) hätte zeigen können, wie man in Würde altern kann: Mit einem feinen, melancholischen, selbstreflexiven Werk ala Robbie Robertson, Ian Hunter oder Bob Weir auf deutsch.

„Die Barrikaden sind leer…“, „So wie wir waren…“, „Sie johlen und sie jammern…“, „Dr. Sommer, wann kommst du wieder…“, „Auf und davon…“, „Kohl ist fort, nun sind sie alle so…“, „Komm großer schwarzer Vogel“ (Hirsch-Tribute) und „Stiller Raum (revisited)“.

Ein jeder malt sein Rio-Bild.

 „Auf dieser Insel ist nichts los. Hier wächst auf allen Steinen Moos. Hier sind die Zwerge riesengroß! Hau mit mir ab, mach die Leinen los.“

Für mich immernoch sein bester Song!

Er empfahl seinerzeit das Auswandern aus Westberlin. Und zog nach Schleswig-Holstein. Damals Stoltenberg-County. Der war der Friesen-Dregger! Das (damals) konservativste Bundesland abseits von Bayern! Brat mir einen Storch!

Nun: „Abhauen“ musste ich nie. Ich blieb im Osten und veränderte mich mit ihm. „Bundi“ zwoter Klasse. Im „Anders-Land“; das dem Westen ein Buch mit 7 Siegeln blieb: So uninteressant wie die Mongolei.

Alta! Was is‘ das jetzt geworden! Nun ist mir doch mehr Lobenswertes eingefallen, als ich anfangs dachte.

Aber hören muss ich ihn irgendwie doch nicht mehr. „Dated“ eben.

Schlaf gut, Rio! Bleibst ein guter! Denn du hattest keine Chance – ein Joschka zu werden! Prost!

Brechtology

aus gegebenem Anlass:

„Hinter der Trommel marschieren die Kälber.

Das Fell für die Trommel liefern sie selber.“ (B. Brecht)

Da kommen einem so Assoziationen ein:

„Scheiß auf den Ruf! Sie schachert nun!

Noch leben ihre Kinder.

Der Glaub‘ an Sieg ist opportun,

doch glauben ihn die Rinder.“ (von mir; frei nach Brecht)

Das eigentliche Lied der Mutter Courage ist auch nicht übel.

Nur veränderts die Welt nicht. Leider.

9jähriges!

Neunter Geburtstag meines Blogs; – und eigentlich könnte ich den Text vom achten hier einfügen.

Ob der 10. nächstes Jahr noch in „Friedenszeiten“ fallen wird – weiß man nicht.

Hätte nie gedacht, dass ich mal was FÜR Scholz empfinde. Wird er der nächste Otto Wels? Im unsäglichen Taurus-Gezerre ist er die letzte Chance der Rest-Vernunft und das macht Angst vor der nächsten Wahl.

Man wird noch Schulen nach ihm benennen und Alleen. In der nächsten Wiederaufbauphase. Wenn wir wieder Steine klopfen und Kartoffelschalen kochen wie unsere Eltern. Wenn’s dann wiedermal schiefging; das galoppierende Napoleon-Syndrom der Flintenweiber und Maulhelden.

Also reichlich Schlafwandler am Werk! Logo. (Ich könnt‘ so kotzen!)

Sie machen Druck. Ihre Auftraggeber haben sie gebrieft mit lauter Unsinn.

„Es soll ihr Schade nicht sein. Hier eine kleine Aufwandsentschädigung. Gewissermaßen Schmerzensgeld für das, was sich auf Insta über Sie ergießen wird, wenn Sie unsere Anliegen lancieren. Machen Sie bitte nicht den Köhler! Sie wissen schon. Ehrlichkeit hat sich noch nie rentiert. Sie schaffen das schon.“

Hinterher wird es heißen: „Wir konnten doch nicht wissen, dass…“

Was hab ich in letzter Zeit an „Ritter Runkel in Byzanz“ denken müssen!  Hannes Hegen & Lothar Dräger! So aktuell!

Die GEZ-Glosse

(Nachträgliche Ergänzung – siehe unten.)

Aktueller Anlass: Katze aus dem Sack. Die KEF-Kommission legte neulich ihre Empfehlung für die kommende GEZ Gebührenerhöhung vor, kommentiert von Kai Gniffke (ARD-Chef) in der Tagesschau, totgeschwiegen von ZEIT, SPIEGEL usw.

„58 Cent, das liegt deutlich unterhalb der Inflationsrate; also die Bevölkerung wird sogar noch entlastet.“ Zynische Opferverhöhnung.

Da es um mein Geld geht, darf ich auch eine Meinung dazu haben, wenn mir ein X als U verkauft wird.

„…ich bin noch im Stand; allein zu denken und verkneif mir das Parolen schrein.“(Reinhard Mey)

Lanz, Will, Miosga, Illner, Reschke, Böhmermann, Liefers, Plasberg, Gniffke, Himmler (sic!), Kerner, Silbereisen, Kiewel,… (Unvollständige Aufzählung.)… die Millionäre bitten zur Kasse. Falsch! Sie bitten nicht! Der „Beitragsservice“ holt sich das Schutzgeld, ob du willst oder nicht.

Die Millionäre erklären uns die Welt. Ihre Welt. Wir haben das zu akzeptieren.

„Iiiiich will imma a’tich sein! Ja, nur so hat man mich ge-he-rne!“(Feeling B) Schon klar.

Sozialneid?

„Ich bin lieb! Ich bin immer lieb! Zu allen Leuten lieb!“ (Pankow; denkwürdige Uraufführung des Songs in passendem Outfit seinerzeit.)

Bundesliga-Fußballer, TV-Stars von RTL & Co sind doch auch keine „Bürgergeldempfänger“!

Schon. Aber für die muss ich auch nicht zahlen! Und sie gucken nur halb so verkniffen in die Kamera, wie die in die Jahre gekommenen Talkshow-Matronen des ÖRR.

Der ÖRR funktioniert wie ein Oligarchen-Clan: Oben wird Cessna geflogen, Porsche gefahren und die Scheindebatte vom Qualitätsjournalismus aufrechterhalten, „der nun mal seinen Preis“ habe.

Der Nachwuchs der Großkopferten lernt im „Safe Space“ exklusiver Privatschulen weltoffen gemeinsam mit internationalem Millionärsnachwuchs. (Beschützt vor den Zumutungen herkömmlicher Schulklassen-Zusammensetzungen von heute.)

Version 1.0.0

„Die im Dunklen sieht man nicht.“(Brecht/Weill)

Unten arbeitet ein Heer von scheinselbständigen „freien“ Mitarbeitern für’nen Appel und’n Ei in höchster Willfährigkeitsstufe für die Volksdompteusen mit den schiefen Mundwinkeln.

„Es gibt derzeit keine einzige profilierte konservative Stimme im Chor der Kommentatoren des ÖRR.“ (Giovanni diLorenzo vor ein paar Jahren)

„Hauser und Kienzle“ wären heute undenkbar! Wie so vieles andere auch.

Die zogen Regierungspolitik in Zweifel! Im ÖRR zu bester Sendezeit!

Es war ein langer, langer Weg, das deutsche Fernsehen in Gänze – von Novottny, Pleitgen, Bednarz, Ruge, Friedrichs, Krone-Schmalz – auf „den heutigen journalistischen Stand“ zu bringen. Als Leistungssteigerung lässt sich das nicht verkaufen!

Die Millionäre sehen „beim besten Willen kein Einsparungspotential mehr“.

68 Rundfunksender. Gut 30 davon ohne messbare Einschaltquote. Keiner kann weg? Wirklich?

Wer würde ZDF-Neo vermissen? Welche Daseinsberechtigung hat 3sat noch in digitaler Zeit?

Wer ständig den ältesten Husten wiederholt, der könnte genausogut auch wieder stundenlang ein Testbild senden.

Und für all die Dinosauriere im Äther und die Sprenkelanlagen für die Topfpflanzen in den Sende-Palais nun bald 18,96 monatlich?

Mal ehrlich:

Wir wissen doch, dass das läuft wie bei der BAHN neulich: Während „unten“ noch gestreikt wird, knallen „oben“ die Sektkorken. Egal, wie marode die Firma gerade dasteht!

„Hoppla, die Welt geht unter! Ich sitz im Luftschutzbunker!“ (KIZ)

Wenn die „58 Cent mehr“ eingetrieben sind, dann gibt es erstmal einen großen Schluck aus der Boni-Pulle für -?

Richtig! Für all die verkniffenen Mundwinkel der Chefetage im Deutschen Rentnerfernsehen. Und das Mahagoni-Echtholz-Laminat für die im Bau befindliche neue Sendezentrale ist dann -gerade so- auch noch drin! Und erst dann wird darüber nachgedacht, ob nun auch Kötzschenbroda, Perow(Darß) oder Winsen(Luhe) mal einen eigenen „Tatort“ spendiert kriegen. (Nachweis für „Angebotsverifizierung“!)

Gibt es eine wählbare Opposition, die diesen Fernseh-Kleptokraten einen Riegel vorschiebt?

Siehste.

Zum Kotzen.

Noch Fragen, Kienzle?

Business Insider! Übernehmen Sie!

PS: Die frühere Version dieses Textes sprach von 63 Cent. Das wurde berichtigt. Inzwischen kommt hinzu, dass die KEF Vertreter derzeit durch die Landtage ziehen und die Erhöhungsempfehlung verteidigen mit dem Argument, der ÖRR sei sonst „unterfinanziert“. Gleichzeitig deckte die Frankfurter Rundschau auf, dass es der KEF nicht möglich war, die Ausgaben der Sender lückenlos nachzuvollziehen, da zu Ausgabepunkten x und y keinerlei Buchführung vorliegt. Das muss ich nicht mehr kommentieren.

Ferner wird durch die aktuelle Diätenerhöhung im Bundestag deutlich, wie „unterfinanziert“ unsere Regierungsoberhäupter sind. Selbst der Kanzler bekommt nur rund die Hälfte des letzten Gehaltes von Tom Buhrow, der 400 000 Euro Jahresgehalt gehabt haben soll. Zahleiche „kleinere“ Intendanten liegen zwar nicht so hoch wie er, aber immernoch deutlich über den Ministergehältern. (Das ist in „unterfinanzierten“ Unternehmen eben so usus.)

Sechs Landtage verkündeten im Sommer 2023, dass eine weitere Erhöhung der GEZ „den Wählern nicht vermittelbar sei“. Ob es nur Theaterdonner war, oder wirklich zu 6facher Ablehnung demnächst führen wird, bleibt abzuwarten. Der Landtag Brandenburg immerhin lehnte die GEZ-Erhöhung in einer Art Testabstimmung bereits nahezu einstimmig ab. (Lediglich die kleine Fraktion der Grünen stimmte dafür.) Bleibt abzuwarten, ob er das durchhält, wenn die tatsächliche Abstimmung fällig wird. Dem ÖRR bleibt dann die Klage vor dem Verfassungsgericht, wie bereits bei der letzten Erhöhung.

Das große Abtreten

Geht’s euch auch so? Dieser Tage sterben so Leute, wo du bei all den Nachrufen, Trauerfeiern, Staatsakten denkst: – – – ?!

Neulich erst der Beckenbauer. Klar – Volksheldenmannschaft’74!

Aber der große kleine Bomber Gerd starb vor Jahren als ein Niemand und der Beckenbauer nun als der Übervater? Geht’s noch?

Die Welt ist nicht gerecht.

Nun das Gleiche in der Musik!

Im Planck Studio entstanden großartige Platten. Musik der westdeutschen Rockgeschichte: Grobschnitt, Harmonia, Zeltinger, Interzone…

Conny Planck starb – wie Gerd Müller. War da was?

Gestern Tagesschau und alle sonstigen Medien: JAUL! Frank Farian ist tot! Breaking News! BoneyM-Einspieler. Schweighöferfilmzeig.

Ist das gerecht?

Farian hatte den Midas Touch. Er war ein Musik-Rumpelstilzchen: Stroh zu Gold spinnen! Das konnte er!

Und von der Königin das Kind: Knebelverträge für die Sängerinnen bzw. Hopskasper, die diese Tanzmausbeglückungsklänge präsentieren mussten. Liz Mitchell hat sich weit unter Wert verkauft. (Verkaufen müssen.)

Ein Wegweiser für Bohlen. Tonale Umweltverschmutzer.

Sein Meat Loaf Album „Blind before I stop“ ist vermutlich heute noch kein goldenes, so dürftig klingt es.

Buttstedt anno’87; Pferdemarkt. Also Flohmarkt, denn die DDR hatte zu jener Zeit kaum Pferde. Ich knie an einer Plattenkiste voller Hardrock Kram, der mich null interessierte. Da: Ich erkenne ein mir wohlbekanntes Gesicht! Meat Loaf! Ich bin, was den betrifft, zu jener Zeit noch Maniac!

Die „Bat out of Hell“ auf Band, die „Dead Ringer“ als Vinyl, nun also Schlag 3 „Blind before I stop“. Ich preise mich glücklich, denn es ist eine BULGARTON Pressung im klassisch dünnen Papiercover. Also NUR 40 Ostmark; nicht 120 wie für Westvinyl! Die Rückseite kyrillisch bedruckt; egal. Gekauft.

Als die Klänge mein Kinderzimmer füllten und von Song zu Song die Enttäuschung wuchs, da las ich auf dem unteren Rand der Rückseite auch die Bescherung in bulgarisch-russischen Lettern. Produkcia: Frank Farian.

Oh Schreck lass nach! Daddy Cool hat mich verarscht!

Sollte ich eines Tages da oben ankommen und meine Götter abklappern: Elvis, Rory, St.Georg, ja trotz allem auch den Dead Ringer: Marvin Lee Adday, – dann geh mir bloß aus’m Weg du!

Über Tote soll man nicht schlecht reden?

War ja bloß die Wahrheit! Ich hör schon auf!

Von mir aus – schlaf gut.

Heyse „Das Ewigmenschliche & Ein Familienhaus“ (1910)

Heyse, der dreiundneunzigste… Er lässt mich halt nicht los.

Diesmal also: „Das Ewigmenschliche & Ein Familienhaus“ von 1910.IMG_20240117_152127bb

200 Seiten das erste, 70 Seiten das zweite Geschichtlein. Nicht Roman und nicht recht Novelle, denn überraschend ist da nix.

Warum schreibt einer mit 80 Jahren nach seiner letzten Glanzleistung („Erschaffung der Venus“) 1910 noch so ein Buch?

Ein Werk der inneren Verunsicherung. Ein Plot, der nicht trägt. Ein Zweitwerk hinten dran gepappt, was bei allen Schwächen doch noch etwas flüssiger erzählt daherkommt, als die 200 Seiten zuvor.

JETZT! – haben ihn die Scharfmacher der Literaturgazetten da, wo sie ihn haben wollen. Selffullfilling Prophecy! Seit zwei Jahrzehnten sprechen sie ihm Gestaltungskraft, Phantasie, Talent ab. Auf DIESES Werk trifft das zu.

Und das Schlimmste ist: Er traut ihm selber nicht! Warum veröffentlicht er’s dann?

Zu Beginn stellt er die Chose so dar, als habe da jemand „einem bekannten Dichter“ ein Manuskript gesandt, mit der Bitte um Durchsicht, Einschätzung und eventuelle Weitergabe an einen Verleger. Also „will sagen“: Das Kommende ist nicht von mir!

Zusätzlich verleugnet er sich so halb hinter „einem bekannten Dichter“.

Er will nicht der sein, der das schrieb und auch nicht so richtig der, der das Geschreibsel für Wert befand und weitergereicht hat. Und so bekommt auch das zweite Stück den Charakter eine Entschuldigungsversuches.

Soweit die ersten Eindrücke beim Lesen.

In einer zweiten Grübelrunde jedoch stellt sich das Ganze etwas günstiger dar:

Es hat so kritische Ansätze, die gefallen. Er lässt die Hauptfigur grübeln über das schnelle Vergehen des Ruhmes von Geibel und Auerbach; 1910 zwei „Stars von gestern“. Prompt musste ich an die Konsalik- und Hohlbein-Pyramiden bei Karstadt 1990 denken. Wo sind sie hin. Selbst Grass ist „vorbei“.

Max Stirner bekommt sein Fett weg, wie Nietzsche in „Über allen Gipfeln“. Das war vermutlich Heyses Hauptanliegen. Wer diesen Verführern folgt, wird selber einer – und vertut sein Dasein!

Er verkündet in einem zweiten Vorwort zudem, dass das Manuskript von einem stammt, der einsah, dass es zum Schriftsteller nicht reicht. Trotzdem hofft er nun aber seine Lebensgeschichte der Nachwelt zu erhalten. Dazu passt, dass das Ganze abgefasst ist, wie das Werk eines Anfängers mit großer Ambition. Also Inhalt und Form im Einklang. Mithin eben doch wieder Gestaltungskraftbeweis.

Interessant ist aber eher nicht, was sich da als Märchen für Erwachsene entrollt, sondern die essayistischen Beigaben, die grüblerischen Monologe über Kunstbetrachtung. Wann ist man Künstler; wann Dilettant? Wie kommt man als „Dutzendmensch“ im öden Brotberuf klar, wenn man doch eigentlich hoch hinauswollte? Warum lassen sich scheue, aber anständige Menschen von großspurigen Blendern so leicht beeindrucken? Was sind die Reize der Provinz gegenüber der Metropole? Eigentlich also steckt „viel drin“.

Darüber hinaus jedoch:

Handlungsabläufe vorhersehbar, die Charaktere Schablonen; manche Episoden seltsam flinke Glattgeherei … keine Spur des Meisterpsychologen von einst.

Ein paar spezielle Auffälligkeiten unter Heysekennern (kleiner Scherz):Bild (2)

1.Eine gut erzogene, sich aber eingesperrt fühlende Cousine des Ich-Erzählers wird verführt, brennt schwanger durch, taucht als erfolgreiche Tingeltangelsängerin wieder auf, macht Karriere als Operettensängerin, während ihr unverheirateter Cousin nun das Kind adoptiert, „weil ihn das glücklich macht“ und sie es dann nicht mehr sehen muss, da es dem Verführer ähnelt. Hm. In „Mei Bübsche“ (1905) findet sich der Kern dieser Episode deutlich besser zusammengezurrt.

Hinzu kommt: Er brachte den Verführer einst ins Haus. Und niemand wirft ihm das hinterher vor. Er kannte die Veranlagung jenes Hallodris und schwieg. Und hinterher hat er auch keinerlei Schuldkomplex deshalb. Der Tugendbold!

2.Die junge Lehrerin im Plot ist eine blasse Kopie der starken „Tante Lene“(1906) aus der „Victoria regia“-Sammlung.

3.Der Schuft im Stück ist der Wiedergänger des noch ungeläuterten Erk von Friesen aus „Über allen Gipfeln“.

Heyse ist also dem Folgezwang erlegen, wie Rockstars nach einer Hit-LP: Was ihm im Venus-Roman gelang (Zweitverwertung einer früheren Novelle); sollte hier schnell nochmal klappen – und führte zur Bruchlandung.

Zweifel beschlichen ihn mit Sicherheit bereits beim Schreiben. Jenes Tarnungsvorwort „des bekannten Dichters“ ist mMn ein nachträglich ersonnener Kniff, die Mängel der folgenden „Romnelle“ zu kaschieren.

„Das Ewigmenschliche“ hätte somit nicht sein müssen. Das beste Zitat findet sich auf der letzten Seite:

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Der lebenserfahrene Greis sieht das Schifflein „Deutschland“ unverfroren aufs Riff zusteuern. Er mahnt bescheiden, hilflos – ungehört. Er sah die Nietzsche-Auflagen steigen und die eigenen sinken. Kannte er die Friedenskongresse der Bertha von Suttner?

(Heute heißt es wieder, man müsse sich an Kriege gewöhnen. Wehrhaft werden! Der Russe kommt! Träume vom „Endsieg gegen Russland“ schießen wieder ins Kraut. Die Welt soll erneut neu aufgeteilt werden. Mir scheint, wir haben wieder 1910. Mit Laptop und Wärmepumpe.)

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In „Ein Familienhaus“ repariert ein alter Consul im Ruhestand ein bereits auseinanderbrechendes Verlöbnis zweier junger Leute. Sie Katholikin, er Protestant; ihre Mutter – die Jugendliebe des Consuls. Zum Schluss wohnen alle in derselben Villa.

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Das hätte eine letzte Meisternovelle werden können, wenn Heyse dem Beichtvater eine größere Rolle zugedacht hätte, stattdessen stellt er ihn zwar anfänglich als Hauptproblem „Vons Janze“ hin; lässt ihn im weiteren Handlungsverlauf aber einfach durch die Maschen fallen. Die noch in religiösen Grabenkriegen trainierte Umwelt, in Form von heuchlerischen Betschwestern, giftnatternden Nachbarinnen, pikierten Schulkameraden desgleichen.

Auch dieses Werklein ist also keins für die Bestenliste.

Und so findet sich der Band nun neben „Crone Stäudlin“, dem anderen missratenem Werk des Meisters.

Ins Horn seiner Kritiker stoße ich trotzdem nicht.

8 Romane; ca.180 Novellen; – da dürfen durchaus mal 2 Bände „daneben gehen“.

Bilanz 2023

Prost Jemeinde.

Jahresend-Predichd. Diesjah‘ janz unlusti‘!

Jestann in Paris jab et wieda „Einzelfall-Tote“. Also ehn. N deutschen Touristen. 24 Jahre alt.

Heute ließ unse Außenministarin vakünden, det „Hass und Jewalt bei uns (in Europa) keen Platz ham.“

Sieht ma ja, wie Recht sie hat. Hust.

Die Fälle läppann süsch europaweit und vahageln mia den Humor.

Hiermit nehm ick Abschied von ehne liebjewoane Rubrik.

Rückschau ßu halten üba die diesjährige Deppenparade vabiet ick mia, bevoa et ßu spät is.

In unse ßeiten wird det imma brisanta, wennste noch denken kanns.

Gloohm sollste. Beruijungssprüche, wie den oben. Und dir abkassian lassn. Sonst nüschd.

Et wüad lauta dummes ßeuch vakündet und wennste watt dajejen sachst, biste Nazi.

Und mitte dumme Meute nachplappan, watt de ßeitung so vabreitet, det will sich mia ehm nich. Schließli habbick Lehmserfahrung. Die vabiet ick mia nich!

Ick schließ ma dem Somuncu und dem Schreiber Konstantin an. Die ham sich beede diesjahr „Schweigen füa imma“ vaordnet. Also im publizistischen Sinne. Und ihre Stimmen wurden prompt medial auch nich vamisst.

Wenn unse obastn Stanzomaten die Bücha vom letztaren jelesen hättn, hättn se sich am 7. Oktoba nüsch wundann müssen, watt da allet duach unse Jroßstädte tanzt. Hat nüschd bewirkt, die Dinga ßu schreim. Also bewüagt et och nüschd, wenn ick mia hia den Mund vabrennen tu.

Witze wollma beim besten Willen ßu die janze Scheiße, die so looft, keene mea einfalln. Also lass ick dett.

Pispers schweigt nu schon 8 Jahre. Die „Anstalt“ wurde flügellahm. Dieta Nuhr lässt si‘ noch jagen. Ma’sehn, wie lange noch. Dann macht er den Steimle.

Und denne….

Klappe jetz! Amen.

Prost Jemeinde.

Rülps.

Eine Begegnung der 3. Art

Wie eine Spinne am Rande ihres Netzes lag die Industriegemeinde Effenhahn am äußersten Rand der Niederlausitz. Damals- zu Mauerzeiten. Hinter ihr war nur noch Polen. Vor ihr eine Hand voll Dörfer, die ihre Kinder täglich in Schulää noach Effenhahn schickten.

Die Schulää verschliss Lehrer. Nicht wegen „unmöglicher“ Schüler, sondern wegen der „Absolventenlenkung“. Sie fuhr immer auf Verschleiß mit vielen Vertretungsstunden, da ungefähr 2 Stellen pro Jahr nicht besetzt werden konnten. Jährlich wurden neue Absolventen pädagogischer Hochschulen „zugewiesen“, aber nie genug und fast jeder, der seine 3 Pflichtjahre rumhatte, wollte weg.

Der Bezirk Cottbus erzeugte notorisch wenig eigene Abiturienten mit Berufswunsch „Lehrer“ und musste deshalb mit „sich in Verbannung wähnenden“ Berufsanfängern von sonst woher Kader-Löcher-stopfen.

Einer davon war ich. Vier Jahre lang.

Die Gemeinde verdankte einem Fernsehkolbenwerk ihr Herausgehobensein aus der Schar der umliegenden Dörfer. Bildröhren. Also Quecksilberverwendung unter industriell stagnierenden DDR-Bedingungen. Gefahr. Hier wurden Säuglinge geboren, die Defekte aufwiesen, von denen die Mütter nicht wussten: Verwächst sich das noch oder bleibt das so? Hier bekamen Schüler Krebs.

Trotzdem war das Werk der UTP Bereich für die Schule. Es war ja fußläufig zu erreichen.

Nun ist es weg.

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Wo es stand, stehen heute Photovoltaik Paneele und gewähren einen weiten Blick.

Auch das ganz alte erste Werk, das 1985 noch auf der anderen Straßenseite stand, halb eingefallen, und in dem sich Lost Place mäßig noch die Wäscherei befand, ist komplett abgerissen. Ein asphaltierter Fahrradweg führt nun durch eine parkähnliche Landschaft Richtung Hunsdorf.

Der Ort insgesamt ist sehr viel schöner als vor’89. Irgendjemand verwaltet hier mit sehr viel Geschick.

Und wenn die drei, fast leergezogenen, Wohnblocks am Bahnhof abgerissen sein werden, wird er noch schöner sein.

Wende gut, alles gut?

Auf den zweiten Blick möchte man mit STS singen: Wo san all die Menschen hin?!

Werk weg, Arbeit weg; Menschen weg. Die Bewohnerzahl dürfte sich MEHR als halbiert haben.

Dem Werk nachzutrauern verbietet sich, der oben skizzierten Missstände wegen.

Aber die Melancholie erfasst einen eben doch, wenn man nach Jahren hierher zurückkehrt, all den Leerstand sieht und dieses Haus vermisst und jenes.

Das, indem jener Schüler wohnte, den ich einst in meine Wohnung ließ, damit er mir Robbie Robertson aus dem Radio aufnimmt, während ich eine „wichtige“ Sitzung nicht schwänzen durfte, steht leer. Daneben das vom Schulhausmeister auch. Die ehemalige Poststelle: Leere Fenster.

Aber alle Vorgärten gepflegt, die Hecken gestutzt. Die Fahrbahn in Schuss. Dazu die Buntheit des Herbstes…

Eine scheene Leich‘.

Nicht weit bis zur Schule! Mich treibt es hin.

Im Sommer’89 hatte ich mir meinen Wegzug erkämpft. Im Herbst brach der Staat zusammen.

Nach der Wende war die Wilhelm-Pieck-Oberschule zur Grundschule herabgestuft worden. Die älteren Jahrgänge mussten dann nach Spremberg oder ins benachbarte Dauben.

Ich wurde alle 5 Jahre zum Klassentreffen meiner „Ersten Truppe“ eingeladen und war fast immer da.

Immer an einem Herbstwochenende. Ich kenne also den Anblick des leeren Schulhofes und des stillen Gebäudes. Die letzten beiden Male war ich nicht bei den Treffen dabei. So ergibt sich eine Lücke von 15 Jahren.

Und nun erwartete mich das:

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„Meine“ Schule als Ruine! Darauf war ich nicht vorbereitet! Ein Bau aus den frühen 80ern, als Schule immer gut ausgestattet, würde immer seine Nutzung finden, so dachte nicht nur ich.

Nun eine Burgruine des Sozialismus. Verwunschen. Verwahrlost.

Vorn – pro forma verschlossenes Gatter, aber hinten herum – auf.

Und so stand ich inmitten meiner Wirkungsstätte, wie ein Veteran nach einem Krieg.

Ich ging hinein – und die Geister der späten 80er spukten.

Die Büste von Wilhelm Pieck in der Eingangshalle fehlte.

Die Stimmen der Schulfürstin und ihrer Stellvertreterin hallten aus der Vergangenheit herauf.

Die Fachberaterin Deutsch stürzte sich wieder -aus dem Sekretariat kommend- auf mich, um ein weiteres Mal unangekündigt zu hospitieren. Die Fürstin registriert hinter ihr aus der Tür lugend, grinsend meinen Gesichtsausdruck.

Da sie an meinem Unterricht nichts finden, werden sie hinterher wieder andere „schwerwiegende“ Lehrerverfehlungen meinerseits auflisten:

  • Ich habe einen Kaugummikauer die ganze Stunde ignoriert!
  • Ich habe am Stundenende „Stühle hoch!“ angeordnet, was auch geschah; jedoch unterließ ich es, auch diejenigen hochstellen zu lassen, wo keiner saß!
  • „Und sehen Sie nicht, dass da hinten unter der Bank noch Papier liegt!“

Sammelbare „Katastrophen“ seinerzeit; die in ihrer Summe zur Verlängerung der Absolventenzeit reichen sollten.

Andererseits: Wenn ein beliebter Lehrer, dessen Unterricht läuft, der morgens von Schülern strahlend begrüßt wird: „Wir ham nachher wieder Vertretung mit Sie!“ andauernd Hospitationsbesuch erhält, dann merken auch Schüler und Eltern, dass was nicht stimmt.

An jedem 12. Juni (Lehrertag) erregte ich Aufsehen, weil ich zwei Schüler brauchte, die mir mittags die Blumensträuße, Kristallschalen (und was man einem Lehrer damals sonst so schenkte) heimschleppen mussten.

Und so wuchs mein Ruf. Ich erlebte hier so ein „Club der toten Dichter Ding“. Ich war der Schul-Krawczyk. Geliebt von unten; von oben gejagt.

Der um seine Versetzung kämpft, derweil die Frau 300 km weit weg die eigene Mutter pflegt.

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Tja, – und dann stehste 2023 wieder in deinem leeren Klassenraum und hörst Stimmen: Pointen einer alten Zeit.

„Herr Findeisen?! Wie schreibtmorn Pablik imädsch limititt?“

Und dann gehste wieder –fh5

über die Treppe der Eingangshalle in den Hof; und siehst den kleinen 5.Klässler wieder vor dir auf der untersten Stufe stehen, der dich eines Tages warnte, als du auf Arbeit kamst:

„Herr Findeisen! Die Frau mit dem bösen Gesicht ist wieder da! Die will doch nachher bestimmt wieder zu uns!“

Und so war’s auch. Hospitation. Die Dame weilt noch zum Strategiegespräch bei der Fürstin im Sekretariat. – Du selbst hast vor der 5.Klasse noch eine andere Truppe zu unterrichten. Aber du weißt, was dir nachher blüht. Ein weiterer Schultag würde abstürzen. Denn ein weiteres Mal würdest du zum Auswertungsgespräch gebeten. Und erneut würdest du verkniffen schweigen, dir lauter Kinkerlitzchen anhören und stoischen Blickes nicken. Ich begann, ein Faible für Hexenverbrennungen zu entwickeln.

Wir sind – was wir gelebt haben.

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Und so stand ich schließlich in der Buswendeschleife hinter der Schule. Der Regen hatte aufgehört, exakt als ich die Schulää verließ. Ein Schelm, wer das als Metapher nimmt. Ich machte Fotos und sah noch ein letztes Mal hoch, zu den heil gebliebenen Fenstern von Raum 307 und wusste immer noch nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

(Alle Orts- und Personennamen geändert.)

Ossi-Tag auf ARD

Aus aktuellem Anlass ergänzt. (Siehe unten!)

Der 3. Oktober steht ins Haus. Und somit schwungvolle Sonntagsreden. Die passen dann wie gewöhnlich nicht zur Stimmung im Volk, jedoch ist es 2023 NOCH ersichtlicher, da seit Monaten der AfD Homerun im Osten in immer neue Höhen geschrieben wird, was die Machtzentralen ab 30% nun doch laaaangsaaaam in Unruhe versetzt.

Darum war gestern „Ossi-Tag“ auf ARD. Einmal im Jahr müssen die Wessis da halt durch. Wie damals zum 17. Juni Jubiläum – das war ihnen auch „wurschd“.

Und jene ererbte Wurschdigkeit war auch gestern wieder TREND. Kein Tiefgang im Film und die üblichen Floskeln im Gerede danach.

20.15 Uhr. „Hört uns zu!“ (Jessy Wellmer auf Reisen im „Busch“.)

21.00 Uhr: „Hart aber fair“ Die Diskussion zum Film.

Die Besetzung: Mit Göring-Eckard, Chrupalla und Voigt, dem CDU-Chef Thüringens gleich 3 Ossis in der Runde. Wow. Hinzu gesellten sich zwei Journalistinnen von Stern und Spiegel. Wovon Frau Hähnig von der ZEIT ebenfalls Ostwurzeln hatte. Frau Wellmer glänzte durch Abwesenheit. Und nun folgte da eine gute Stunde Palaver in Köln über den Osten – unter Umgehung aller Hauptprobleme.

Das also ist die qualitativ hochwertige Information, die der ÖRR so für uns bereithält? Danke.

Bilanz: Die übliche Oberflächenkratzerei, diesmal immerhin unter Verzicht auf zahnlose Pöbler, wie sonst. Ansatzweise geschieht Kritisches. Wird aber heruntergebrochen auf ein tarifliches Bezahlungsproblem, das ein Mopedschrauber zu Beginn des Films anspricht. Auch Steffen Baumgart, der Trainer des 1.FC Köln, darf sich Luft machen, dass er es satthabe, sich von Wessis erklären zu lassen, „wie sein DDR-Leben war.“ Jedoch erfährt man nicht, was jene beiden Seelower AfD Befürworter konkret plagt, die da ansprechen, dass „es so ja nicht mehr weitergehen kann“.

Auch beim Oschmann-Interviewschnipsel erfährt man nichts Substanzielles, worin denn nun die Sensation seine Bestsellers zu suchen wäre.

Gezeigt werden in Gänze idyllische Hintergründe, vor denen (sanft) gemault wird.

„In die Platte“ oder in die „Tafel“-Treffpunkte ging Frau Wellmer nicht.

Auch gab es trotz Rundreise durch Neu5land keinerlei Kameraschwenk über verödete kleinstädtische Marktplätze mit gelegentlichem Rollatorverkehr… die horrende Überalterung ganzer Regionen blieb unangesprochen.

Keine Kolonnen geparkter Tagespflege-Kleinwagen vor Wohnblocks, in denen vereinsamte Rentner wohnen, deren erwachsene Kinder weit weg im Westen leben.

Altersarmut? Scheint es auch keine zu geben. Sie war auch kein Thema. Obwohl gerade hier die allergrößte Angst steckt:

Die Boomer gehen in Rente. Das sollte mittlerweile auch der allerletzte Dödel begriffen haben.

Was nicht begriffen wird, weil es kaum bekannt ist, da es verschwiegen wird:

Ost-Boomern fehlen in der Regel 10 Jahre Erwerbstätigkeit. Sie arbeiteten in Niedriglohnregionen in Lehrberufen, die wenig Rentenpunkte bringen. Das heißt: Bei 40 Arbeitsjahren kämen sie auf ca. 1400 Euro Rente. Da 10 Jahre ABM, Umschulung, ABM fehlen, enden sie bei 850 Euro, bei 900 Euro.

Wir reden hier nicht von ein paar tausend Fällen! Wir reden von Millionen Rentnern in nächster Zeit.

Das heißt: ICH rede hier davon. Die Qualitätsmedien nicht!

Die DDR „vergaß“ ihre Rentner einfach. Die Renten waren ein Witz. Das ist so geblieben. Nicht für alle, aber im Osten mehrheitlich.

Wer davon sprach, dem fehlte der „Klassenstandpunkt“. Das ist auch so geblieben. Heißt heute nur anders.

DDR Deja vu.

Man hätte den Osten in den 90ern ja zur „Sonderwirtschaftszone“ machen können. So ähnlich, wie das „Zonenrandgebiet“ vor’89. DER Kritikpunkt immerhin wurde angesprochen. Von Chrupalla. Und war somit leicht zu übergehen.

Er sprach auch die „DDR-Deja vus“ an, worauf ihm Frau Göring-Eckard staatstragend in die Parade fuhr: „Sie könne alles sagen, was sie denke!“ Nun ja. Sie denkt ja auch nicht soviel. Das Kölner Studiopublikum applaudierte. In Leipzig oder Dresden wäre gelacht worden.

Die halbe Sendezeit in „Hart aber fair“ ging für die dreifache Ringelpietz-Runde drauf, wie verwerflich die Abstimmung im Erfurter Parlament zur Senkung der Grunderwerbssteuer nun gewesen sei. Herr Voigt möge doch nun bitte Buße tun! Das drängendste Problem dieser Tage im Osten! Für Wessis.

Resultat: Salbungsvoller Schmus wie immer: „Wir sollten doch alle gemeinsam rhabarber-rhabarber…“  – „Alles zum Wohle unserer Demokratie!“ (Mit maroden Schulen, Straßen, Bahn-Netz…und abgeschirmten Bonzen, die keine Sozialabgaben leisten.) Das nächste DDR-Deja vu.

Frau Wellmer hat funktioniert wie die blonde Musterschülerin, die zu den Lehrern überläuft. Sie hat die Spielregeln verstanden. Einen bestellten Film abgeliefert, in bewährter Manier. Demnächst erhält sie einen „Tagesthemen“- Posten. Als Ossi.

Na also! Dem Osten geht es gut!

PS: Wichtige nachträgliche Erläuterung! Da dieser Tage das scheintote Gremium „Ostbeauftragter der Bundesregierung“ in Nachrichtensendungen von sich reden macht und verkündet, dass die „Angleichung der Renten in Ost und West“ vollbracht sei, könnte mancher Leser nun glauben, ich hätte weiter oben gesponnen, mit meinen Rentenaussagen.

Fakt ist, dass seit diesem Jahr tatsächlich die gleiche Anzahl Rentenpunkte pro Erwerbsjahr und Beruf bei der Berechnung in Ost und West zugrunde gelegt werden. Die 10 Jahre „Umschulungs- und Zusammenbruchslücke“ in den 90ern im Osten (von denen weiter oben die Rede ist) jedoch schließt das nicht. Und da die Mehrheit der Ossis (weit) „untertarif“ bezahlt wurden, liegen den Berechnungen nach wie vor geringere „letzte“ Einkommen zu Grunde. So steht der Dachdecker im Ruhestand in Hessen trotzdem weiter besser da, als der in Sachsen, bei gleicher Anzahl Arbeitsjahre.