Am Freitag ging es durch die Medien: Dieter Mann 80jährig gestorben. Mein Unterbewusstsein las automatisch:
Gatt ist tot.
Den Lebenslauf von Dieter Mann sollen andere rekapitulieren. Für mich war er der Gatt.
Gefühlt war Dieter Mann in jedem DDR-Film dabei. Eins der allgemein bekannten Gesichter: Drinda, Krug, Wischnewski, Böwe, Schubert, Köfer, Mann…
Aber eines Tages, so 1978 herum, schaltete ich den Fernseher an und erwischte die 17.Juni Episode aus einem Film der „Auf der Suche nach Gatt“ hieß. Und da blieb ich dran – denn 17. Juni ’53, das war eher ein Thema für die ARD. Im Osten tabu! Kurz abgehandelt im Geschichtsunterricht:
Faschistischer Putsch. Von drüben gelenkt. Durch „die Freunde“ beendet. Aus!
Und nun also DDR-Schauspielgesichter, die die 50er Jahre Ostberlins aufleben lassen! Mit so ziemlich allem, was dazugehört: Da gibt’s den jungen Bau auf-bau auf-Idealisten, die mit sich hadernde Arztfamilie: „Abhauen oder bleiben?“; Abendschulkurse, die Blitzkarrieren ermöglichen, weil ja Fachkräfte in allen Bereichen fehlen – und so eben auch ein junger, kritischer Bergmann Journalist werden kann…
Erik Neutsch schrieb die Romanvorlage anlässlich des 20. Jahrestages der DDR und wirft in dem Buch schüchtern und durchaus zensurkompatibel (mit lauter Rückziehern abgefedert) die Frage auf, warum die alten Erbauer des Staates verstummen (wie sein Gatt) und in der neuen Generation dieser alte Klassenkämpfer-Idealismus wie ihn Gatt hatte, nicht mehr vorkommt.
Neutsch ist ein gebranntes Kind, was Zensur und ideologischen Ärger angeht. Sein Roman „Spur der Steine“ wurde 1965 verfilmt. Und der Film wurde zum Politikum. Sein „Gatt“ wird 1969 (unter Ulbricht) somit sicherheitshalber als undruckbar abgelehnt, darf 1973 (unter Honecker) aber doch erscheinen und 1976 wird er als Fernseh-2-teiler ebenfalls verfilmt.
Dieter Mann, Horst Drinda, Barbara Dittus und Horst Schulze erweisen sich als Traumbesetzung.
Der Film, von dem ich nicht wusste, dass da noch ein zweiter Teil dazu gehört, erzeugt genau die Atmosphäre, die ich aus Erzählungen der Verwandtschaft kannte. Nur die Deutschlandtreffen fehlten. An die konnte ein Film aus dem Jahre 1976, ein Jahr nach Helsinki nun eben nicht erinnern. Naja, ne kleine Dosis Rock&Roll wär auch noch schön gewesen, aber …
Was willste machen?
Andererseits bekommt der Film so einen überdeutlichen Wahrheitsanstrich dadurch, dass Gatt mit einem Dienstwagen-EMW zum Interview-Termin fährt und die Scheißkarre eben Panne hat und von einem Bauern mit Pferd die Kyffhäuser-Serpentine hinaufgezogen wird. Die EMWs waren zwar sehr schön, aber verschrien als zu teuer und zu störanfällig.
Horst Drinda als Redaktionsleiter gibt den Exilrückkehrer, der für DIE SACHE gelitten hat. Seine Frau bleibt die stumme Kampfgefährtin von einst, die nun an seiner Seite die Privilegien genießt und Kaffee nachschenkt. Genau diesen Typus pausbäckigen Schuldirektor, Parteisekretär, Nachbarn kannte jeder aus dem eigenen Erleben. So der Typ, dem man lieber schnell recht gab, um dann keinen Knatsch zu haben.
Gatts Abendschulbekanntschaft, die Arzttochter Ruth, hasst ihren selbstherrlichen Vater, den zynischen Halbgott in Weiß. Aus spätpubertärem Generationskonflikt heraus lässt sie sich von Gatt für DIE SACHE des Sozialismus begeistern und im unterschied zu Drindas Frau wird sie berufstätig.
Soweit die erwartbaren Bestandteile der Handlung.
Aber dann werden auch Fässer aufgemacht, die man in einem Ostfilm so nicht vermutet:
– Gatt kritisiert seine Genossen, dass sie sich am 17. Juni in ihren Redaktionsstuben verstecken und feige auf die Russen warten, die retten sollen, was sie selbst durch Untätigkeit versaut haben. Heu?!
– Gatt legt sich mit einem (seiner Meinung nach) korrupten Werkleiter an, der den Plan nicht erfüllt. Der ist zwar arrogant von oben herab dem Arbeiterschreiberling gegenüber, hat aber auch Recht mit seinen Argumenten, dass er nicht produzieren kann, wenn die Zulieferer nicht liefern. Schließlich vergraulen ihn Gatts fortgesetzte Hetzartikel in den Westen. Eine Fachkraft, die ohne dieses dogmatische Kesseltreiben, gar nicht gegangen wäre. Also: Kommunisten, die die falschen Leute jagen! Hallo? DDR 1976?! Wieso ist das ganze Filmkollektiv nicht längst in Bautzen?
Weil es da auch noch einen zweiten Teil gibt.
Und der sollte wohl alles wieder einfangen, was der erste Teil angestoßen hat. Der zweite Teil ist durchweg mies. Gatt, der noch in Teil 1 seine Ehe auf idiotisch ideologische Weise ruiniert hat, – als Genosse! – „stalkt“ seine Ex-Frau, die inzwischen glücklicher verheiratet ist, Mutter und Ärztin wurde. Er muss begreifen, dass es kein Zurück gibt. Dass er verloren hat.
Was sich soweit noch ganz brauchbar nach Konfliktstoff anhört, wird im Film jedoch total überfrachtet, mit lauter sozialistisch-moralischen Grundsatzdiskussionen. Der Zuschauer bekommt hier 90 Minuten hölzernes Parteitagsdeutsch. Man schleppt sich von Floskel zu Floskel.
Hatte Gatt 1 gezeigt, was DDR-Film kann, wenn man ihn lässt,
so zeigte Gatt 2 wie DDR-Film ist, wenn man dreht, wie man soll.
Über den zweiten Teil jubelte sicher nur die Altherrenrunde in Wandlitz, alle anderen schalteten auf ARD oder ZDF um, wenn er lief.
Wenn man es schafft zu verdrängen, dass es diesen zweiten Teil gibt, dann erlangt Teil 1 in „jetzig Zeiten“(Wader) sein aktuelles Eigenleben. Wohin führt gut gemeinter Hypermoralismus? In die Irre! Hüte dich vor humorlosen fanatisierten Scholastikern! Die DDR-Geschichte zeigt: Die Tatkräftigen werden vergrault oder passen sich mundtot der allgemeinen Passivität an. Laut dröhnen die Phrasen der Weltverbesserer durch den Äther. Die Masse schweigt – und schaltet ab.
…oder guckt auf anderen Sendern. Bis heute.
Ossis mit DDR im Blut spüren schneller, wenn es plötzlich anfängt, ganz offensichtlich nach Flüssigbohnerwachs zu riechen, wie auf den Fluren der Bürobaracken von einst. You know, what I mean?
Die GEZ-Gebühr zahlen wir, wie weiland den DSF-Beitrag. Um Ruhe zu haben.
Gatt ist tot.
Habe neulich mal wieder „Ich war neunzehn“ gesehen, mit dem Mittzwanziger Dieter Mann in einer schönen Nebenrolle.
Zum DEFA-Schaffen ein Zitat von Günter Gaus: „Das Maß an Freiheit lässt sich ablesen an der Zahl der Lippenbekenntnisse, die einer leisten muss, damit man ihn in Frieden lässt.“
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/warum-ich-kein-demokrat-mehr-bin
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Unbedingt anklicken!
Sehr starker Artikel.
Warnung an Abiturienten des 21. Jahrhunderts: Er ist lang und fordert einiges an Wortschatzkenntnis ab!
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