Mehr als nur’n Buch gelesen … (2)

Hammer oder Amboss sein!

Oder eher: Hammer UND Amboss?

Entscheide!

Unfreiwillig komisch, wenn ein Boomer diese Frage stellt. Wir sind die Generation Karriereverzicht. Nennenswert charismatische Politiker, Rocker, Schauspieler zwischen 1957 und 1964 geboren? Fehlanzeige.

DSC02995-002spielhagenSpielhagen stellte die Frage 1868 mit seinem vierten und höchstwahrscheinlich besten Roman, der genauso hieß.

„Hammer und Amboss“; Staackmann Verlag Leipzig; unzählige Auflagen bis 1930. Anfangs chic gebunden; später immer liebloser ediert.

War sein Sensationsroman „Problematische Naturen“ von 1861 praktisch seine Variante von Gustav Freytags „Soll und Haben“ – in BESSER! – so war „Hammer und Amboss“ sein „Hungerpastor“, ebenfalls in BESSER! Schon allein deshalb, weil es nicht um einen Theologenwerdegang „im Winkel“, sondern um eine weitaus zeitgemäßere Karriere in der Metropole geht.

Allerdings durchläuft Georg Hartwig bei Spielhagen relativ ähnliche Etappen orientierungsloser Suche wie Raabes Hans Unwirsch. Erfolgreich – aber weit weg von der Familientradition.

Da die Parallelen auch Wilhelm Raabe auffielen, wurde er ein ähnlicher Spielhagenfeind wie Freytag.

Spielhagen war in den genannten Fällen das eindeutig bessere Erzähltalent. Er gewann stets an der Ladenkasse, was sich in Auflagenanzahl und -höhe niederschlug.

Das Identifizieren des Lesers mit den Haupthelden fällt bedeutend leichter, als mit den allzu tugendhaften beiden Philistern bei Freytag und Raabe.

Georg Hartwig in „Hammer und Amboss“ – wäre der deutsche Film auf seiner Suche nach ernsten Themen nicht so Nazi-fixiert, wäre das längst verfilmt.

Ein besserer Name hätte sich für DIESE Figur in DIESEM Plot nicht finden lassen. Er ist ein Drachentöter im übertragenen Sinne(Georg) und „hart“ und „weich“(Hartwig) in Personalunion.

Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, der liebt und hasst, der sich in Fehler verrennt, kämpft und durch Fleißattacken wieder herauswurstelt. Und er ist ein Beobachter mit Scharfblick. Ein Kritiker seiner Zeit. Kein nachmärzlicher Adels-Lakai! Sondern ein Selfmademan, der, da er „von unten auf“ kommt, schließlich auch als Unternehmer soziale Verantwortung übernimmt. Das deutsche Gegenstück zu den Manchesterkapitalisten Englands. Idealistisch überhöht.

Es war mein zweiter Spielhagen. 1982 gekauft und gelesen. NDW-Zeit. Die Fahne ein reichliches Jahr erst her. – Jedoch: Reservisten-Intermezzo Pflicht vor dem zweiten Studienjahr: Nochmal 6 Wochen NVA. Da wurde alles kaum Vernarbte wieder aufgerissen – und der Hader mit der Entscheidung, ob das Studium überhaupt das richtige wäre, ging in die nächste Runde! Raus! Weg! Aber – verreck! – wohin nur?!

Mit 22 Jahren unter die 17jährigen Ungedienten an irgend’ner Berufsschule? Mit 25 dann Lebensende am Schraubstock im VEB Dingsbums? No way!

Und ich schlage diesen Roman auf und lese, wie Georg Hartwig kurz vor dem Abi von der Schule fliegt – und ausbricht! Weg! Fort! Bloß kein Lakai sein!

Booooaaarrrrr! Dieser alte Schmöker da schien mir mein nicht gelebtes Leben erzählen zu wollen!

Auch dass er Zuflucht findet bei Malte von Zehren, dem letzten „tollen“ Landjunker von Rügen, dem „Pascher-König“, der sich an nichts hält, außer an die Vorstellungswelt der Vorfahren, beeindruckt:

Es gibt kein Problem, das sich nicht durch’ne Kugel zur rechten Zeit lösen ließe!

Stärke statt Gewinsel!

Ketten werden knapper! (Renft’73)

Stoß auf die Tür aus Stahl! Die Tür, die in den Frühling führt! (Renft’74; Kult’82)

Ich will leben! Drum steig ich aus – und zwar HIER! (Vera Kaah’81)

Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar! … (Grauzone’81)

Ich war Georg Hartwig!

Jedenfalls – solange ich Band I las.

Die Malte-Kapitel gehen runter wie Öl! Spannend. Ein Spirituosen-Robin Hood auf Rügen.

Immense Einnahmen, Aushalten seines Bruders, des Steuer-Rathes Zehren; der sonst mies vom Staat bezahlt ein elendes Dasein würde führen müssen. Weiiit weg vom Lebensstandard derer von Zehren!

Aber dieser Schreiberling ist angefault von „Korrektheit“; und er hat keinen Mumm; will nicht mit hinabgezogen werden, wenn „alles mal rauskommt“ und so verrät der schwache- den starken Bruder. Dem drohen nun Verhaftung und Entehrung, drum liefert er sich einen wirklichen Kampf mit den Gendarmen, bei dem die Zehrenburg in Flammen aufgeht. Als die Jagd endet, fällt ein letzter Schuss, mit dem sich Malte von Zehren die weitere staatliche Entwürdigung erspart. Georg ist zu jung, um den gleichen Weg zu gehen. Komplize/Knecht/Faktotum des Pascherkönigs gewesen zu sein – das bringt 7 Jahre Zuchthaus.

Nun ist der Schulabbrecher ganz unten – jedoch „von unten auf“ erleben wir seinen Aufstieg mit.

Er muss erstmal begreifen, dass er auf einem Ritt in eine Art anarchistisches Märchenland war und nun das gesellschaftliche Korsett begreifen.

Und dann geht es in jahrelanger Plackerei „nach oben“:

Häftling; Industriearbeiter (Kesselschmied); sich isolierender Abendschüler, Ingenieur; Schwiegersohn des Kommerzienrathes Streber, dessen Tochter Hermine eine jener gelungenen Spielhagen-Feen ist; Unternehmerschwiegersohn und Erbe; Witwer; in zweiter Ehe dann Schwiegersohn seines Ziehvaters, des dritten von Zehren; des Zuchthausdirektors.

Dieser hatte erkannt, wie verderblich der Einfluss seines ältesten Bruders hier „an einer jungen Seele“ gewirkt hatte; so sieht er es als Pflicht, ein Zehren-Verschulden wieder gutzumachen: Er erleichtert Georg die Haftbedingungen auf eine pädagogische Art. Schwer Arbeiten einerseits; guter Lesestoff für die Abende als Futter für den Kopp; an den Wochenenden dann eine Art „Freigang bei Knast-Direktors“ – Kaffee-Runde im Familienkreis mit tiefgründigen Gesprächen, die Georg da abholen, wo er steht:

„Nirgendwo wird Jugend so planvoll verbogen wie bei uns.“

Ob mit der Knute oder mit rhetorischen Wattebällchen – der Satz stimmt einfach immer!

In den Hermine-Episoden arbeitet Spielhagen sich ein weiteres Mal an seinem privaten „Hedda-Komplex“ ab; hier gestaltet er sich die leidenschaftliche Beziehung zuende, die er einst abbrechen musste. Voller Zuneigung, Seelenverwandtschaft und Zärtlichkeit. Als sie stirbt und Paula ins Spiel kommt, ist das ein bedeutend „abgetrockneteres“ Verhältnis. Seine Theresa-Ehe. Paula ist die kluge Ratgeberin, nicht die gewitzte, erotische Elfe.

Die drei Zehrenbrüder sind eine gar auffällige Parallele zu den drei Götz-Brüdern bei Raabe im „Hungerpastor“ von 1863.

Bei Raabe, wie bei Spielhagen gilt: ein „Wildling“, ein Schlappschwanz vom Finanzamt, ein selbstloser Förderer.

„Götz“ ist eindimensional deftig gemeint: Götz von Berlichingen. Typen, die die Welt am Arsche lecken kann. Bzw. der Typ in der Mitte kann dir eher selbst den selbigen… Der drastische Raabe.

Spielhagen hat den vieldeutigeren Namen voraus:

Von Zehren.

fs4Ein ehemaliges Raubrittergeschlecht, das sich von den Tränen(Zähren) der Umgebung ernährte; die Mägde missbrauchte, die Bauern schlug, die Händler plünderte… nach Zeiten sitzen sie auf ihren Resten dahinschmelzenden Reichtums und zehren ihn auf… sie zehren von ihrem alten Ruf, der diesem oder jenem einen wohlklingenden Staatsposten bringt, aber sie vollbringen nichts von Dauer. Die Zeit zehrt sie aus und auf. Sie haben abgewirtschaftet. Ihre Zeit ist um!

Spielhagen, der zu spät gekommene 48er, wird hier ganz und gar bildhaft. Er lässt den typischsten Adelsvertreter alten Schlages mannhaft, aber als Verbrecher, untergehen.

Die lange Etappe des Sich-empor -Arbeitens wird real nachvollziehbar erzählt, ist aber nicht ganz frei von Unwahrscheinlichkeiten.

  • Da ist die Zuchthaushaft, die mit jeder Buchseite mehr einem Sanatorienaufenthalt ähnelt – mit vollumfänglicher Chefarztbetreuung. Zuchthausdirektor von Zehren adoptiert Georg nahezu.
  • fs3Da ist die Kesselschmiederei im Lokomotivenwerk; die erste Darstellung von Fabrikarbeit in einem bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts! Der Krach wird geschildert. Aber die Schattenseiten verschwiegen – oder nicht gewusst. Kein Arbeitsschutz; massenhafte Ertaubungen. Georg hämmert hier zwei Jahre mit und seinem Gehör tut das nichts! Nun ja. Es gibt so Lemmy-Kilmister-Typen, Richie Blackmore oder Buzz Dee Baur von Knorkator, die sind Tinnitus gefeit. Georg Hartwig muss so einer gewesen sein!
  • Georg umgeht das Bewohnen einer Mietskaserne im Wedding, indem er im Unland einer Großbaustelle, deren Investor verschwand, unbehelligt in einem halbfertigen Bau „instandbesetzt“ ungestört wohnen und abends studieren kann – um später „etwas sein zu können“.
  • Spielhagen isoliert seinen Georg also ganz bewusst vom verderblichen Einfluss asozialer Mithäftlinge während der Haft, als auch vom Gruppenzwang alkoholkranker Arbeiter in der Stehkneipe.

Stattdessen besucht Georg einen Jugendfreund, der mit Weib und Kind sauber geblieben, in so einem von Schmutz starrenden, dritten Hinterhof wohnt und sich da heraussparen will. Dermaleinst. Die Schilderung dieser Heloten-Unterbringung Anno 1868 ist ebenfalls ein unerhörtes Novum in der deutschen Literatur.

fs215 Stunden Arbeit und Hungerlohn. Heraussparen? Wie soll das gehen? Nur mit Sparsamkeit? Georg weiß inzwischen, dass eher Bildung dazu gehört um „fortzukommen“. Arbeiterbildungsvereine entstehen gerade. Jedoch sind diese Selbsthilfevereine mit ihren Alphabetisierungsangeboten nichts für den ehemaligen Fast-Abiturienten.

Und es gibt in jener Zeit, so ungeheuerlich das klingt, durchaus Beispiele von Industriearbeitern, die, weil sie durch Zuverlässigkeit und Fleiß auffielen, Förderung erfuhren und Ingenieure wurden; Patente entwickelten konnten auf Grund von Arbeitserfahrung. Allerdings kannst du diese Beispiele suchen, wie die Lotto-Gewinner unter Volksmassen. Georg wird so einer.

Er errettet das bereits halb ruinierte Werk seines verstorbenen Schwiegervaters Streber, indem er die Belegschaft zu Teilhabern macht, die dank Gewinnbeteiligung Ansporn haben, mehr verdienen, in besseren Wohnsiedlungen wohnen können, als für die Zeit typisch ist.

Hier schießt Spielhagen als Schöngeist widersprüchlich übers Ziel hinaus. Sein Idealismus opfert hier den Realismus auf. Er ist eben doch eher bei Goethe und dessen Edelmenschensehnsucht als bei Marx.

Dieses Happyend des menschenfreundlichen Industriellen ist 1869 Wunschdenken pur; irgendwo zwischen Lassalle und Saint-Simon und zum Scheitern verurteilt, führte jedoch 80 Jahre später in eine Sozialpartnerschaft, die „Wohlstand für alle“ propagierte; mehrere Jahrzehnte auch möglich erscheinen ließ und gegenwärtig vor der Auflösung steht. (Das Unternehmertum hatte 1945 in den Abgrund gesehen und ging im Westen vorübergehend auf Nummer Sicher; gönnte seinen Heloten ein kleines Stück vom Kuchen. Ab 1990 jedoch kehrte der Größenwahn zurück.)

Nun simmer wieder beim Georg Hartwig des Anfangs, bei Wohnungsnot und unbezahlten Überstunden. Die soziale Schere klafft. Die Masse säuft, wie die Arbeiter im alten Wedding; und (politische) Bildung fehlt – wie damals. Auch wenn jetzt alle das Smartboard anbeten, wie früher die Madonnen von Tschenstochau oder Lourdes.

Lemminge.

12 Gedanken zu “Mehr als nur’n Buch gelesen … (2)

  1. Seit ich auf den hiesigen Flüssen Teppiche von toten Fischen schwimmen sah – offene Schleusen von LaRoche und BASF am Rhein, von der vormaligen Hoechst am Main – und die Grünnen erschienen, um die Welt zu säubern von jenen und anderen Unwesen, wurde mein Blick wesentlich schärfer. Ich behauptete schon damals, dass wir, statt von NewAge und Wassermannzeitalter zu träumen, lieber erkennen sollten, dass wir noch immer mit einem Bein im Mittelalter stehen. Inzwischen bin ich davon überzeugt, dass wir nach wie vor mit zwei Beinen darin stehen. Vielleicht werden wir demnächst sogar bis zum Hals drin stecken.

    Gefällt 1 Person

  2. Die Industrie lernte Spielhagen bei seinen „Onkel“ August Mons kennen, der die erste Eisenbahn durch Thüringen baute. Und das Vorbild für die sozialreformatorischen Ideen ist Hermann Schulze-Delitzsch. Bei einer Rede vor tausend Zuhörern im Eldorado in der Berliner Thor­straße am 22. November 1863 wurde Lassalle ständig von Hochrufen auf Schulze-Delitzsch unterbrochen. Vielleicht suchte er deshalb den Duelltod.

    Aber ich teile Deine Begeisterung für das Buch. Nur mit den Weibern bringst Du immer alles durcheinander. Hermine heiratet unser Held nur, weil zu diesem Zeitpunkt Paula nicht bereit war. Und dass Du die schöne Konstanze unterschlägst, die noch wildere Tochter des „Wilden Zehren“!

    Gefällt 1 Person

  3. „Wir sind die Generation Karriereverzicht. Nennenswert charismatische Politiker, Rocker, Schauspieler zwischen 1957 und 1964 geboren?“

    Doch! Lindemann!!

    Like

  4. Is it always the „either/or“ that we deal with? Or one thing or its opposite? What if instead you could be both a rock and a hammer, at the right time. Not being just one thing but being two things together. This book looks very interesting. I don’t know this author and I will look for him in Italian but I don’t know if I will find him

    Like

    • Welcome here on my Blog. Hope, you find it (the book) and enjoy it. Spielhagen is a very unknown Author in Germany in nower days. He was very famous till 1914. Than his fame faded away. He needs to be discovered again. German Literature is more than Thomas Mann and Hermann Hesse.

      The „Hammer und Amboss“ Thing is the same like german Rapper Caspar sang in his „Grizzly Song“:

      Everyone is both in a lifetime. Sometimes Hunter, sometimes Bear.

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar