Old Men’s Music (5)

2004, gleich bei Erscheinen in Deutschland, stolperte ich im Radio über eine wohlwollende Rezi eines damals aktuellen Albums namens „Ashgrove“. Alles was da erzählt wurde und vom Album selbst zu hören war, schrie: Kauf mich!

Gehört, getan!

Eine Woche später: Du cruiset mehr oder weniger freiwillig durch Brandenburgs Weite und lauschst DIESEN Stories – Herrlich!

Dave Alvin „Ashgrove“ (2004)

Es passt alles nahtlos, als wär‘s ein Konzeptalbum.

Der Drifter auf reisen…

Allein on the road erinnert er sich an „Ashgrove“, den Aschengrund, aus dem er stammt, der ihm Prägung verpasste, da wo die Eltern nun „unter der Erde sind“, wo die alten Blues-Helden, die da halbblind und pleite sich an jeder Straßenecke die Seele aus dem Leib spielten, in all die Youngsters den Virus der Musiksucht pflanzten. Der Virus, der bleiben würde – als Kraftquell, als Lebenselixier.

Aber der „Ashgrove“ war gar nicht der Hauptanlass, sich in den Ozean der Töne zu verlieren. Die Sucht ist älteren Datums. Aus der Zeit, in der der Drifter noch als Steppke neben seinem Vater im zerschrammten Pickup durch die Lande fuhr. Das Autoradio gab den Geist auf. Vater kaufte einen billigen Weltempfänger an der Tanke, drückte ihn dem Sohn auf den Schoß und der – schloss dieses „Plastic Silver 9 Volt Heart“ prompt in sein Herz: „You click it on and than the Music starts“… Yeahr, da kam das her! Wie hatten sie beide da bei C.W.McCall‘s „Convoy“ herumgealbert: Wieviel von dem Geknurre verstehst du?

Startschuss zum Losblödeln:

„In the sparkle Moon on the 6th of June with Peggy half and half…“

„sniff it and ramble the Reverend on cook‘em up and hear him caw.“

Oder erst „The Streak“! „…So naked as a plumber!“

„Mach das ja nicht nach!“ hatte Vater grinsend verlangt!

Der Kleine hatte grinsend sein T-shirt angehoben, es wieder sinken lassen:

„On the Next Stop! Gas Station!“ hatte er gefrotzelt.

Und Dad hatte sich kurz die Hände vor’s Gesicht geschlagen. „Oh my God!“

Und dann hatten sie beide gelacht.

So viele Jahre ist das her. Aber das waren Prägefahrten.

Vor Kurzem erst hatte er sich auf nem Flohmarkt wieder so einen Weltempfänger andrehen lassen. Irgendwie aus Heimweh nach den alten Zeiten! Dann hatte er ihn im Auto eingeschaltet, ausgeschaltet, in den Mülleimer entsorgt. Er hatte sich erträumt, dass aus dem alten Ding auch gleich die alten Radioprogramme wiederertönen würden. Ach ja, das ging ja gar nicht! Nix Eagles, Billy Swan, John Denver oder Partrigde Family Werbung. Es war ja nicht mehr 1975. Taylor Swift all over. Puh! Nee! Aus- und weg! Und „Thank God, I’m a Country Boy!“

Ja, Vater. Mit dem war er herumgekommen. Damals. Arizona, New Mexico, the real Mexico, bis Acapulco; und Süd-Kalifornien kreuz und quer.

Und dann war da jene geheimnisvoll-stille Kellnerin an der Raststätte kurz vor Albuquerque. Nur Vater brachte sie zum Reden. Das glotzten die Thekenfliegen! In die war Vater verliebt. Er freute sich jedes Mal auf die Pause dort. Aber eines Tages war sie weg. Niemand wusste was. Ist sie weggezogen? Verheiratet? Hat sie mittlerweile Kinder? Wo genau mag sie wohnen? „Down the Rio Grande“? Vater hatte das lange beschäftigt. Er sprach im Schlaf mit ihr. Es wurde der erste Song, den der Drifter schrieb. Als er den Text Vatern vorlas im Auto, wischte der sich die Augen und knurrte: „Haste gut gemacht, Junge.“ Mehr Lob war nicht drin. Aber das reichte auch. Vorerst.

Der zweite Song wurde der über „Everett Ruess“. Vater wusste viel über den. Er erzählte oft von ihm und nannte ihn „Spinner“; aber für den kleinen Drifter war es der „Träumer“; der imaginäre Begleiter. Einer, der ihm sehr sympathisch war! Der zog einst mit zwei Maultieren mutterseelenallein durch die Sierra. Der lebte von der Hand in den Mund, vom Bildermalen. Man sagt auch, dass er sich die Heilmethoden der Hopi abgeguckt haben soll und dass er damit hier und da jemandem die Arztkosten erspart hat. Eines Tages fand man das Maultier, das sein „Packpferd“ war, mit zerissenem Zügel und all seiner Habe. Von ihm und dem anderen fehlt jede Spur. Aber es hatte ja auch keiner Veranlassung, richtig zu suchen.

Geht es nicht uns allen so? Das eines Tages nur das Packpferd übrig bleibt?

Manchmal war es „eng“. Da wussten sie beide nicht, wie sie die nächste Tankfüllung bezahlen sollten. Sie brauchten doch den Ford für ihr Business! „A Little Import/Export“, you know? Da gibt es immer Auftragsfuhren. Manchmal ist es besser, nicht zu wissen, was in den Paketen oder Kisten drin ist. Man ist nur der „Kutscher“ nicht der „Krämer“, you know? Acapulco-Albuquerque und zurück. Oder auch mal rauf nach Vegas. Weite Strecken, weite Liebe. Schlafen auf der Ladefläche. Unterm Sternenzelt. Familienleben gabs nicht. Mutter hatte das Weite gesucht; während Vater bemüht war, „den Dollar zu machen“; sie hatte die Tochter mitgenommen; die machte inzwischen Schwierigkeiten, hatten sie erfahren, aber eben nicht genau welcher Art die waren. Vater & Sohn waren allein auf Gottes weiter Flur…

Years gone by. Vater wurde alt; Drifter lernte Gitarre spielen. Vaters Geschichten geronnen ihm immer mehr zu Songs. Er trug sie Vater vor und bald schon in den Raststätten, an denen sie hielten, vor Publikum. Da kamen allerhand Münzen und 1 Dollar Scheine zusammen! Das war ein angenehmes Zubrot. Weil das Spielen auch Spaß machte. Es gefiel ja. Es kam an.

Vater Hirn verwirrte sich. Drifter hatte mal was von Alzheimer aufgeschnappt und beobachtete Dad‘s Ausfälle zunehmend besorgt.

Die Schübe wurden heftiger. Sie tauschten die Rollen. Nun fuhr der Drifter und Dad saß auf dem Beifahrersitz, titulierte ihn dauern als „Greg“ und nahm ihn als seinesgleichen. Dabei lagen doch 30 Jahre zwischen ihnen, und Greg war Vaters Kumpel aus der Sandkiste, der schon längst erschossen war.

Schließlich strandeten sie in diesem billigen Motel, das vaters letzter Hafen werden sollte; natürlich nah am Rio Grande. Der Drifter hatte so eine Krankenschwester aus dem Ort aufgetrieben, die alle Tage gucken kam, ihn wusch, etwas abwechslungsreicher Brei kochte, als der Drifter das gekonnt hätte.

Vater in klaren Momenten: „The Man in Bed isn’t me!“ Dann hatte er so Aufrappler.

Und dann machte er die Schwester an, als sei er 18 und stünde vor dem Liquor-Store mit der Gang und Entenschwanzfrisur.

Der Drifter schämte sich für ihn, aber die Schwester war das gewohnt, zwinkerte ihm zu und schüttelte sachte den Kopf:

„Hoffen wir für uns alle drei, dass er bald erlöst wird.“

dave a1Der Mann, der da 56 Jahr alles im Griff zu haben schien, der immer wieder einen Ausweg fand, der Katzengleich nach jedem Fall auf die Beine kam, verging – und schlief schließlich für immer ein.

Der Drifter rang sich durch und ging eines Tages in diesen Wolkenkratzer von der Columbia. Und siehe: Die nahmen ihn!

„Ashgrove“ erschien. Wurde Grammy nominiert. Wies den Weg, wie es weitergehen könnte.

So jedenfalls MEIN Film zur Platte.

Klar: „In Wahrheit ist alles ganz anders.“ Aber, wer will schon Wahrheit, wenn sie doch so ödet?!

Falls doch, kannste ja, bei Wiki nachschauen.

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