Let a little teefsin roll

…oder auch: The Rocking Brain of Bludgy!

In Zeiten von Marx und Lenin, als nichts langweiliger war, als immer die gleichen Phrasen vom Sieg der Arbeiterklasse papageien zu müssen, begann ich -in den Banden der Pubertät- die Rock&Roller für die besseren Philosophen zu halten. In ihren Songs steckten interessantere Weisheiten. Zudem musste man sie sich auch noch erst übersetzen:

 „Let’s all drink to the death of a clown!….Nobody needs here a Clown anymore!“

„Hey Boy! The time is right for a Palace Revolution! … What can a poor boy do, as to sing in a rock&roll band.“

„Now I got a reason to be wired! The Berlin Wall!“

Dann vergingen ein paar Jahre, in denen ich so meine Erfahrungen machte und erfuhr, dass diese Paradiesvögel ja eigentlich nur gefeiert werden wollten und auf alles andere sch*****.

„Lets drink to the hard working people…all that stuff; bullshit, but it sells tons of copies.“ (Keith R.)

Schade. Aber nicht zu ändern. Schön war’s doch, an gehaltvollen Texten, das eigene Englisch zu trainieren. Ich gäb was drum, an der Erschaffung eines der folgenden Alben beteiligt gewesen zu sein!

Hier nun 10 gehaltvolle LPs aus dem eigenen Erinnern. Bandprojekte only. Reed, Dylan, Hunter & Co. strictly ausgeklammert. Da hätte ja jeder allein schon mindestens 5 Meisterwerke in petto.

Die Reihenfolge ist pure Willkür und keine Rangfolge. Nur nummeriert, um den Überblick zu behalten.

Platz 10. Mekong Delta: „Classics“(1993). brain10bbEin Instrumentalalbum. Das musste deshalb rein in die Liste, weil ich nun mal so ein „Adaption-Guy“ bin und die Wertschätzung alter Meister durch Verrockung absolut liebe. Diese schwermetallenen Versionen hier sind für meine Ohren bisher der Gipfel solcher Klassikmodernisierung. Und wenn DER kein Niveau hat, der das hier verbockt hat – wer dann?! Es handelt sich zwar überwiegend wiedermal um Mussorkskis „Bilder einer Ausstellung“, jedoch nicht ausschließlich. Und es klingt erfrischend LEBENDIG.

Platz 9. The Who: „Quadrophenia“(1973). brain9Das Album besitze ich gar nicht mehr. Andernorts hab ich es aus musikalischen Gründen verrissen. Aus textlichen jedoch muss ich es preisen: Da beneidest du beim Heranwachsen all die coolen Hunde, die so viel tougher sind als du! – Denkst du so. Kopierst so dies und das. Hältst dich dann für was-weiß-ich. – Und am Schluss ist dein Idol ein Lift-Boy. Ein Lakai.

Das ist so genial im Film umgesetzt, indem ausgerechnet Sting, der damals gerade in der Superstar-Liga angekommen war, DIESE Rolle spielt! Man, war ich geflascht, als ich den Film in den 80ern sah. Ich hatte das Doppelalbum bereits auf Band. Beim Aufnehmen in der Hülle die Texte gelesen – und nicht kapiert. Irgendwas mit „Herumrocken; irgendwo in Brighton; auf komplett uncoolen Vespa-Kareten“, naja. Bei uns gabs die „Schwalbe“, den „Stoppelhopser“ für dickbäuchige Bauern. Auf der saß der Fahrer immer mit dem Arsch auf dem Sozius, weil sonst die Kniee an den starren Dreckschutz vorn stießen. Freundin hintendrauf mitnehmen, ging also eher nicht oder machte aufgrund der Sitzhaltung dann beide zum Obst. Da konnte mir auch dieses Plattencover keinerlei Rollerbegeisterung einimpfen. „Habicht“ und „Star“ waren „kuhl“. Die „Schwalbe“ nicht.

Die Verfilmung brachte nun immerhin Licht ins Dunkel der Oden da auf dem Album. Aber: The Who hatten herrliche Hymnen des Aufbegehrens und Ausbrechens zu bieten, „Can’t explain“, „Won’t get fooled again“, „I’m free“, „Free me!“ – Nur: Keine davon befindet sich auf „Quadrophenia“. Mir fehlten die Hooks. Willst du Who, dann greifst du zu „Who’s next“ oder zur „Face Dances“ oder zum AMIGA Sampler mit den ganz frühen Hits. Die „Quadrophenia“ würde nur herumstehen. Obwohl die Story verdient hätte, gehört zu werden. Naja, von Ian Hunter gibt es „Boy“, eine Powerballade vom ersten Solo-Album, das ist die Message der „Quadrophenia“ in 6 Minuten.

Platz 8. Wishbone ash: „Argus“. Hervorragendes Album. Tolles Konzept vom Vergehen von Kriegsbegeisterung. 1972 hatten nun auch die Engländer den gebührenden Abstand zu ihrem eigenen Untergang. Nun ließ sich darüber singen. Der Weg von der Allmachtsfantasie zum „Wirf weg dein Schwert…“; die Wehrpflicht war eine Weile schon abgeschafft, die Kolonien futsch. Laaaange Streiks zermürbten die Wirtschaft. Eigentlich war England deutlich ärmer dran als Westdeutschland. Es erlebte kein Wirtschaftswunder und blieb hochverschuldet in Amerika. Eigentlich hätte das Album die Band zu Superstars machen müssen – aber es blieb beim Achtungserfolg in Kennerkreisen.

Platz 7. Haggard: „Awaking the Centuries“(2000). Ein Nostradamus-Album. haggardAber was für eins! Allein das Hörspiel-Intro! Das ist schon die halbe Miete. Aber das Album an sich ist die bisherige Krönung all des Mittelalterrocks, der in den 90ern entstand und rasant auswucherte. Pest und Hexenwahn in Einklang gebracht und alle Düsternis kommender Jahrhunderte angedeutet: Death-Metal-Growl trifft Elfen-Sopran; Cello und Laute ringen mit der Bathory-Bass&Drum-Wut. Immerwieder herrlich anzuhören. Schade- schade, dass die so sehr Geheimtipp blieben. Ich hätte ihnen die Millionen gegönnt, die sie nicht einfuhren. Anderserseits: So bleibt das Haggard-Phänomen eben MEINS! 3x live erlebt! Hach. Seufz – und glücklich wegdämmer…

Stunden später:

Platz 6. Pere Ububrain6 (2002). Ja, „jetze kommt der schon wieder mit der „St. Arkansas“!“, werden Stammleser denken. Mir ist bewusst, dass ich bereits zwei Loblieder auf diese Platte sang. Ich weiß, dass es von denen auch andere CDs gibt! Aber die hier ist DER KNÜLLER! Die darf in so einer Liste nicht fehlen. Ich kaufte sie 2013. Dann ging ich ins Kino und sah „Nebraska“, diesen Road-Trip von (leicht dementem) Vater und erwachsenem Sohn. Diese Metapher auf das Leben, das am Ende niemand mehr wertschätzt, weil nur dieses starrsinnige Häuflein Elend übrigbleibt, nach 30-40 Jahren ehrlicher Plackerei. Und Platte und Film verwoben sich aufs Feinste. Ich selbst steckte noch im Berufsleben. Und alle diese Andeutungen auf diesem Album holten mich da ab, wo ich stand. Schnauze voll. David Thomas verpasste dieser Unlust-Opera den schlitzohrigen Titel „St Arkansas“, also „Heilige Provinz“ oder aber auch „‘s ain’t our cancer“: Musiker ham’s besser! Fahren weiter, als bis zur nächsten Kreuzung, an der dein Laden steht, in dem du tagein-tagaus auf Kundschaft wartest… oder eben die Schule, in der sich die immergleichen Blödheiten wiederholen und steigern, während dein Humorlevel versiegt.

Platz 5. Eagles „Long Road out of Eden“(2007). Wurde kurz gelobt als Auferstehungsalbum einer sehr feinen Band. Dann kapierten die Mainstream-Journalisten die Texte und ließen es fallen: In der Hauptsache ging das gegen SIE! Also schnell wieder auf „Hotel California“ zurückrudern. … Hör dir mal den Titelsong an und achte auf den Text. Und noch besser wird es in „Frail Grasp on the big Picture“; frei übersetzt: „Fehlende Puzzle-Teile im großen Bild“. Don Henley bringt hier auf den Punkt, was Van Morrison anderthalb Jahrzehnte später auf den Nenner bringt: „They got many details, but you never get wise.“ Daher die Suche nach immer anderen Informationsquellen. Mit SPIEGEL und ZEIT – kommst du nicht weit!

Abgesehen von diesen beiden Songs steckt die Doppel CD zusätzlich randvoll mit Szenen aus dem Leben alter Männer jenseits der 42, erfolgreich und abgekämpft; sodass sie sehr gut in jede Sorte Alltag dieser Altersgruppe passt.

Platz 4. Pink Floyd: „Wish you were here“(1976). Nee, ich erzähl‘ jetz‘ nich‘ die Syd Barett Story. Das Album ist ein seltsam gut geschlossener Songzyklus, der textlich nur das wesentlichste skizziert. Sie greifen hier den Ansatz von „Time“ von der Vorgänger Platte auf und „walzen ihn aus.“ Junge Leute träumen vom eigenen Aufstieg. Vom Umkrempeln der Welt. Vom Angehimmelt werden. („Shine on, you crazy diamond“ (Part1)), dann geraten sie „in die Maschine“; ins Getriebe des Berufes, willkommen geheißen und zurechtgestutzt. Wenn du dann parierst und dich von deinen Träumen verabschiedet hast, dann kann es schon mal vom Chef ne „Zigarre“ geben oder einen Orden. Je nachdem, ob du vor oder hinter „der Mauer“ wohnst. Sie locken dich. Mach weiter so! Du bist anscheinend auf dem richtigen Weg! Aber du erkennst dich nicht wieder. Und zu Hause in deiner kleinen Butze, drehst du dann am Radio und vermisst den Sehnsuchtsmenschen an deiner Seite (wie ihn später Silly als „Großen Träumer“ besingen werden); du wünschtest „er wäre da“ , der oder die Gleichgesinnte; Old Shatterhand & Winnetou; Bonnie & Clyde. Du liierst dich; schon; aber „tell blue sky from rain…“; schließlich gehst du ins Bett und deine Gedanken arbeiten sich noch einmal durch den Müll des Tages, wie eine Schrottpresse, oder eben, wie die Gilmore-Gitarre am Beginn von „Shine on, you….(2); bevor du einschläfst. Ein Album – das sich niemals abdrischt.

Platz 3. Opeth: „Watershed“ (2008). Kennst du das, wenn jemand Familiengeschichte aufarbeiten will, ohne jedes Quäntchen Einfühlungsvermögen in frühere Zeiten oder andersartige staatliche Gegebenheiten? Und dann immer diese selbstgerechte nachträgliche Couragiertheit: „Ja, da hätte er doch…müssen! Na, da wär ich doch zur Partisanenhöchstform aufgelaufen!“ Talk is cheep. Diese Maulhelden waren nie in vergleichbaren Situationen wie ihre Vorfahren oder wie ihre unverstandenen Ostverwandten zu Mauerzeiten. „Warum nehmt ihr das in Kauf? Warum haut ihr nicht ab?“ – „Nimmste mich mit im Kofferraum?“ – „Nee, lass ma‘ lieber.“ Courage zum Nulltarif. Ewig lebt der Wendehals.

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Opeth aus Schweden widmen ihr letztes Death-Metal-Album einem solchen Thema. Der Hintergrund ist der, dass der Bandleader einen Stapel alte Briefe erbte, als sein Großvater starb, bei dem er vaterlos aufwuchs. Und aus diesen Briefen erfährt er ein Geheimnis, über das Großvater zu Lebzeiten nie sprach. Der war allzeit das Idol des kleinen Rockers. Und nun? Da ist auf der Platte von einem „Läuseking“ die Rede, der mit schönen Lügen lockte und „für den man loszog“ um „schuldig zu werden“ und „um schließlich zu töten“. Die Platte wird nicht deutlicher. War der Großvater da in Schweden ein sehr früher Hippie, der in den Drogensumpf gezogen wurde, dealte und so zum Mörder wurde? Oder war er einer der skandinavischen Freiwilligen in der Waffen-SS, die 1945 noch die Reichskanzlei verteidigten? (Konnte man zeitgleich mit Erscheinen der Platte im SPIEGEL lesen.) Wie geht es einem Enkel, wenn er solcherlei posthum erfährt?

Er steht an der „Wasserscheide“: Großvater verachten, als undankbarer Enkel? Geht das? – – – Oder Großvater weiterhin verehren, obwohl er gemordet hat? Wäre das besser? – Die Platte gibt keine Antwort, weil es keine gibt. Ich finde die Metapher von der „Wasserscheide“ genial.

Opeth gelang hier ein Gesamtkunstwerk: Growls der teuflischen Seite „alter Zeiten“ ringen mit klarem Gesang der Gegenwart; brutales Gedonner und Wishbone-Ash-Gitarren-Zitate aus dem „Argus“-Zyklus. Es fällt mir schwer, eine perfektere Platte zu benennen.

Platz 2. Various Artists: „White Mansion“(1978). brain2John Dylan, Steve Cash. Komische Doppelung berühmter Nachnamen mit scheinbar falschen Vornamen. Aber die beiden heißen wirklich so. Sie sind die Chefs der Osark Mountain Dare Devils, die aus den 70ern eine Reihe starker Country-Rock-Platten hinterließen. Diese zwei holten sich Waylon Jennings und dessen Frau Jessy Colter ins Boot und vertonten sowas ähnliches wie „Vom Winde verweht“ als Konzeptalbum. Clapton zupft unauffällig auch mit. Wiederum geht es um Kriegsbegeisterung am Anfang – und wie sie vergeht. Also „Argus“ Part Zwo gewissermaßen. Zeitlos anwendbare Texte. Dem Kanonenfutter erzählt man nie die Wahrheit, worum es eigentlich geht. Mit heutigen Ohren gehört, mit dem Ukrainekrieg im Nacken (und seinen totgeschwiegenen Ursachen), Gänsehaut pur.

brain1Platz 1. Marillion: „Fear“(2016). Steht für „Fuck everybody and run“. Und es ist ein wunderbares Antiglobalisierungsalbum, dessen Texte bis jetzt noch niemandem aufgefallen zu sein scheinen. Hör mal hin oder genieß das Booklet. Du wirst staunen. Das ist die Lage! We are the leavers. Genug verraten. Erschließ es dir – oder lass es bleiben. Was es nutzt? Der Welt nüschd. Aber dir selber vielleicht, denn du bist mit deiner Denke dann eventuell nicht mehr ganz so sehr allein.

4 Gedanken zu “Let a little teefsin roll

  1. Deine Listen gefallen mir. Zwar nicht unbedingt musikalisch. Macht aber nix. Bei Quadrophenia kann ich gut zustimmen: Film und Texte klasse. Musikalisch halte ich mich jedoch lieber an ältere Stücke von den Who.
    Wer bleibt schon ewig kreativ?
    Mit Wishbone Ash war es ähnlich: bis Wishbone Four oder There´s a Rub hatten sie ihre Ideen ausgespielt. Von da an ratterte die Bartwickelmaschine. Wishbone Ash hatten tolle Balladen und mit zwei Leadgitarristen hatten sie einen unverwechselbaren Sound. Ich erinnere mich an ein grandioses Konzert.

    Interessant was du schriebst zu den Gedanken und Gefühlen, die Musik und/oder Texte in Gang setzen bei relativ orientierungslos dahin pubertierenden Jugendlichen. Aber irgendwann setzt unweigerlich der Blick für die Realität ein und manche bisherige Magie wird gnadenlos entzaubert.

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  2. Danke für den Tipp mit den White Mansions, als alter Fan der Ozark(!) Mountain Daredevils muss ich da wenigstens mal reinhören. Auch wenn ich Dir den Gag mit Dylan und Cash leider kaputt machen muss, der Mann heißt John Dillon. Aber eigentlich egal, weil Aussprache ja zählt, nech… 🙂

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