Nanci

Ja, komische Schreibweise.

nanci 1Eine der schönsten CDs, die ich besitze, ist „Hearts in Mind“(2004) von Nanci Griffith. Nicht verwechseln mit der on/off Frau von Don Johnson. Die hieß Melanie Griffith.

Nanci G. lernte ich kennen über einen Tribute-Sampler für Waylon Jennings; so um 2010 herum. Nie zuvor gehört, aber seitdem nie wieder vergessen.

Nach dem Song auf dem Sampler sollte es mehr von DIESER Stimme sein! Aber beim Reinhören in diverse Proben zeigte sich, dass sie mehr im Folk als im Country zuhause war und da war mir die instrumentale Umrahmung zu mild. Zarte Stimme und allzu zarte Musik – blasser Eindruck. Das Finden einer geeigneten Nachschlagplatte wurde also schwieriger als gedacht.

Dann wurde es die „Hearts in Mind“. Ein Volltreffer. Ein melancholischer Songzyklus der Spitzenklasse. Genug Schlagzeug drunter, um nicht einzuschlafen. Wer Emmylou Harris sagt, sollte auch Nanci Griffith sagen. Texte allesamt von literarischer Qualität. Nicht alle Songs von ihr geschrieben, aber alle scheinen von ihr zu erzählen. Vielleicht hat sie es wie Tanya Tucker oder Reinhardt Lakomy gemacht: Erzähle deinen Textern dein Leben – die finden dann die passenden Verse.

Über die Sehnsucht nach einem „simple life“, vom Standpunkt einer geschiedenen, fünfzigjährigen Single-Frau, die gerade den Krebs besiegt hat und nun ihre Mutter pflegt; da kann man die Sehnsucht spüren – nach dem ganz großen späten Ding, das hoffentlich noch kommt!

Eventuell war es jene Reise – nach Vietnam! So viele Jahre nach dem großen Desaster,;wo man heute beim Essen erzählt bekommt, wie 1954 die Leichen den Saigon-River herabgespült wurden von diesem „distant war“ gegen die alte Kolonialmacht; und sie erzählt weiter, dass ihr Freund Michael 1968 genau da landete, und hinterher wiederum von Leichen im Saigon-River sprach. „Und alle diese Seelen schwimmen da nun, die französischen und die der Viet Minh und auch die all der american boys … Könnte man daraus nicht lernen – im 21. Jahrhundert?“ 2004 herausgekommen!

Sie spricht Irak und Afghanistan nicht an. Sie singt einfach 2004 über Vietnam-Eindrücke. Als Touristin in Ho Chi Min City, im Gedränge der Metropole, mit ihrem Begleiter, der ein Kumpel ist, ein Ami, im Rollstuhl… Großartiger geht’s nicht!

Dann singt sie über „Ted und Sylvia“, allem Anschein nach ihre Eltern, und die Art und Weise, wie sie sich trafen. Damals – in den frühen Fifties. Draußen war Korea-Krieg, aber drinnen trafen sich Ted und Sylvia. Zeittypisch erklingt Klarinettenmusik zu Easy Listening Jazz. Bert Kaempfert Style. Prompt ruft mir das die weit weniger melodischen Hinterlassenschaften Woody Allens und David Bowies auf eben diesem Instrument wach. Schnell verdrängen! Erinnerungen an Doowop-Goodies und alte „Magazin“-Reklamen sind allweil besser. Passen auch besser zum Sound.

Aber Vietnam lässt sie nicht los. Der Song „Ol’Hanoi“ steht „the heart of Indochine“ an Eindringlichkeit in nichts nach: Wo ist es hin, das altvertraute Bild einer Stadt voller Rikschas und Marktgeschrei? Verdrängt von Motorrädern. „In the words of Graham Greene, like the quiet American“ – sucht sie ebenfalls nun nach „sacred streets“ im lauten Hanoi von jetzt.

„Der stille Amerikaner“ stand im Bücherschrank meines Vaters. Ich las ihn und vergaß ihn. Mit mir hatte das nichts zu tun. Amerikanischen Lesern ist das näher.

Wer kennt den Roman heute noch? Graham Greene, der „Nestbeschmutzer“. Der Castro-Versteher. Der Duvallier-Ankläger. Der Vietcong-Sympathisant. Dem CIA war er ein Dorn im Auge. Trotzdem konnte er frei und berühmt alt werden. Musste sich nicht jahrelang in einer Botschaft verstecken. Eins seiner Bücher wurde mit Peter Ustinov erfolgreich verfilmt. Der Assange einer anderen Zeit! Danke Nanci!

Futsch ist alles Typische, was das alte Indochina einst ausmachte: die Fahrradmassen, die Lotus-Stoffe, die leisen Seitenstraßen. Sie findet nichts davon. Aber ringt sich durch zum Abschiednehmen von den alten Vorstellungen: „wer sucht sie noch – wie einst Graham Greene“?nanci 2

Der zweite Teil des Songzyklus ist sehr privat gehalten.

Banal wird’s aber nicht: Da wird die heimatliche Kleinstadt gelobt und abgewatscht in bester Randy Newman Manier. „I love this town – like an unmade bed…“; oder in „before“ an die unerfüllte Liebe gedacht, zu der es nie kam, obwohl es doch damals so geknistert hat. Dem aufmerksamen Ossi fällt dann sofort „Ein Mädchen wie du“ von Transit ein und die Gänsehaut ist garantiert! Song-Nugget reiht sich an Song-Nugget. Graupen gibt es keine. Der reinste Assoziationsrevolver!

Und schließlich die ruhige, aber umso eindringlicher wirkende Ballade von jenem blauen Planeten, der soviel Schönheiten zu bieten hat, aber nicht zur Ruhe kommt – weil er seit ewigen Zeiten ein „Big Blue Ball of War“ ist.

  1. Es schießt wieder – nahe der alten Region… träumen wir halt weiter.

„Wann wird man jej verstehjn…“

Im August las ich von ihrem Tod. Nachrufe über sie waren dünn gesät. Deshalb musste das hier in diesem Jahr noch was werden.

Nanci Griffith. (06.07.1953 – 13.08.2021)

Schlaf gut.

Ein Gedanke zu “Nanci

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