Drei Alben

In einem Land vor dieser Zeit heute lebte ich einst dahin. Das Besondere an diesem Land war, dass es keine Schallplatten gab. Also es gab schon welche, aber – das war kompliziert:

Das Land hatte EIN Plattenlabel für Rock/Pop/Schlager und veröffentlichte für stabile 16,10 M landeseigene Volkskunstgesänge.

Zweimal im Monat kam es zur Unter-dem-Ladentisch-Verhökerung einer sogenannten Lizenz-Platte für ebenfalls 16,10 M. Dabei konnte es sich um irgendwen Großkopfertes aus dem Lager des Klassenfeindes handeln; Geräusche, die vom Klassenkampf abhalten, im Sozialismus aber genossen werden können; sagen wir Deep Purple, Who, Stones; aber auch um „so Zeuch halt“ ala Katja Epstein, Udo Jürgens, Roger Whittaker etc.

Da man die Platte seiner Begehr meist nicht im Laden bekam, erwarb man sie „unter der Hand“ für 30.-M oder im Tausch für eine Ungewollte, die man vorsorglich für diesen Fall gekauft hatte, weil es sie eben grade gab, als man im Laden war.

Die „richtigen“ LPs, von A&M, CBS, RCA usw. gab es nur auf dem Flohmarkt oder von jemandem, den ein guter Freund halt so mal eben kennengelernt hatte. Und die kosteten, laut Umtauschkurs 1:6 eben nun mal 120.-M (Ost).

Da Rundfunkempfang von „Feindsendern“ kein Problem und somit Norm war, wusste man immer, wann welches Idol welche Platte herausgebracht hatte; aber man wusste nie, ob man sie eines Tages mal auf dem Flohmarkt erwischen würde.

Flohmärkte blühten in den 80ern mehr und mehr auf. Und du bekamst dort fast alles, was in den Läden Mangelware war – und so einiges mehr!

Und so trug es sich zu, dass auch Merseburg einmalig einen Flohmarktversuch startete.

Sommer’83. Bei bestem Wetter und mit wenig Geld fuhr nun also ein Trabi voller studentischer Plattensüchtlinge die paar Kilometer gen Schlosspark.

Ich für meinen Teil hatte die Barschaft von 250 Mark dabei und wohl wissend, dass ich dann wieder vor einem Vinylstandort stehen würde, bei dem ich gern das Zehnfache gehabt hätte, war ich auf die Idee gekommen, meine Lizenzplattenbestände zu durchforsten, was eventuell entbehrlich wäre, um die Suchtbefriedigung wenigstens in diesem Segment noch ein wenig weiter steigern zu können.

Im Plattenbeutel unter meiner Schulter befanden sich nun also „Leo Kottke“ und „CCR“; damals gerade auf AMIGA erschienen, sodass sie eventuell noch gesucht sein könnten. Kottke gefiel mir in jenen textlastigen NDW-Jahren noch nicht so richtig (das änderte sich später sehr); und die CCR hatte ich mir überhört, sodass der Trennungsschmerz nicht allzu groß sein würde. Sollte sich gar jemand finden, süchtig wie ich, dann würde der eventuell je 40.-M springen lassen – und dann hätte ich bei etwas Verhandlungsgeschick Geld für „aller guten Dinge sinder Dreie“ von den RICHTIGEN!

Wir also rein da, löhnen das bissel Eintritt und ziehen getrennter Wege, denn keiner gönnte dem andern Funde, die ihm selber gefallen hätten und die er so nun wieder „nur“ aufnehmen konnte.

Ich wende mich nach rechts und gleich als zweiter oder dritter Anbieter steht da jemand mit einem Bettvorleger im Gras und darauf liegen 4 Alben. Welche weiß ich nicht mehr, denn ich hatte nur Augen für eins -BÄM! -:

dav

Ich wusste sofort, dass ich das gleich kaufe! Aber ich wusste ebenfalls gleich: Du bist noch keine 10 Schritte gelaufen und deine halbe Barschaft geht jetzt drauf! Du wirst noch vor größeren Kisten stehen! Aber überlegen und wiederkommen is’nich‘! Dann isse schon weg!

1978 -vor der Fahne- war „Bat out of hell“ erschienen – und nenne mir einen von meiner Generation, der nicht das große Sabbern gekriegt hätte, wenn man ihm die zum Aufnehmen anbot! Ich hatte sie -Prora-Dealer sei Dank- seit 1981 endlich auch auf Band und nun lag hier der zweite Streich des Big American Wahnfried!

Die Hülle war perfekt, beim Rausziehen der Platte glänzte alles, wie es sein soll! Problem: Ich kannte keinen Ton von diesem Album!

Die muss 1980 höllisch eingebrochen sein! Ich hatte das nicht mitbekommen können. 18 Monate „Ehrenhaft“ auf Rügen, da kommste zurück und denkst, es gibt international bloß noch Nik Straker und die Goombay Danceband, saach ich dir! Ostseewelle Rostock, das war seinerzeit auch sowas wie Folter!

Ich hatte zwar alles aufgenommen, was mein Langzeitkumpel Udo in jener Phase zu Hause so an musikalischer Beute machen konnte, aber von Meat Loaf war da nichts dabei!

„Is‘ die wie die Bat out of hell?“, frag ich also ziemlich deppert. Und der Verkäufer muss mich prompt für einen Idioten halten.

„Klar! Die is zwar nich‘ so bekannt – aber, wem die eene jefällt, der mag ooch die annere hier.“

Hab ich zu handeln versucht? Oder widerstandslos gleich die 120 gezückt?

Ich war in Trance!

Gleich nach dem Kauf wurde ich wieder unschlüssig: Was, wenn die verdient gefloppt is‘? Hast du dir jetzt Mist andrehen lassen?

Die Ängste waren unbegründet. Die Platte sollte in meinem Besitz ihre ganz spezielle Geschichte erlangen.

Musikalisch ist sie der „Bat out of hell“ tatsächlich ähnlich. Sie geht gut ab. Mini-Opern wie „Paradiese by the Dashboardlight“ allerdings fehlen. Aber Graupen gibt es keine.

Als ich sie vor Udo aus dem Beutel ziehe, kriegt der glasige Augen: „Ooooor! Und wer malt mir das Cover jetz‘ in Lämsgröße übbers Sofa?“

„I’m gonna love her for both of us“ … „more than you deserve“… lebenskluge Studentenhymnen! Alles wahr! Soundtrack einer Lebensphase!

dav

Anfang’89 verbüßte ich mein viertes „Zusatzabsolventenjahr“ hinter Cottbus als Strohwitwer, während meine Frau weit weg daheim ihre Mutter pflegte und unser erstes Kind windelte – alle Versetzungsanträge und Eingaben abgeschmettert – und kein Bonze hatte ein Einsehen auf Familienzusammenführung! Dementsprechend war ich drauf, als diese letzten Kommunalwahlen abgehalten wurden:

Ich ging hin, nahm den Zettel, legte ihn auf die Urne und begann Namen von der Liste zu streichen.

Die Wahlkabine war – wie üblich – zu weit weg und mit Stühlen verstellt.

(Komme da jetzt, was da wolle! Hat sich was mit braver DDR-Bürger! Ich hörte da so eine Speckbacke im Anzug flüstern: „Wen streicht‘n der?“ Von den andern gabs diese typischen Blicke: Ist Ihnen klar, was Sie da gerade getan haben?!)

Leckt mich! 5 km von der polnischen Grenze! Noch weiter östlich könnter mich nich‘ verbannen. Schlesien is‘ futsch!

Dann stopfte ich den Wisch in den Schlitz und ging -leicht zitternd vor Aufregung- heim. Wird’s noch Theater geben? Oder bin ich eh schon „durch“? Zuhause legte ich die „Deadringer“ auf: Peel out, peel out! I‘m sick and tired of waiting in line! – und fand mich strax wieder gut!

Wenn ich an den Wochenenden das Pflegeelend meiner Schwiegerfamilie erlebte, war ich immer aufs Neue der „Real Deadringer for Love“, auch wenn Olle Ami-Bulette das ursprünglich anders gemeint hatte.

So bekam diese Platte ihre Unverzichtbarkeit! Aber‘83 da im Schlosspark war daran nicht zu denken.

Es ist im Leben prima eingerichtet, dass man nicht vorausschauen kann. Würde man mit 23 sehen, durch welchen Mist man noch zu waten hat, man würde keine 30.

Also lebte ich den Moment: Meine Zweifel an der Richtigkeit jener Kaufentscheidung wuchsen mit jedem Schritt.

 Und die Verunsicherung begann sogar zu sieden, als ich 100 Meter weiter vor zwei Typen stand, die in zwei großen Pappkisten an die 500 begehrte West-Platten feilboten!

Ich kann bis heute nicht erklären, wie solche Anbieter zustande kamen: Zwei Fernseherkisten voll Rockgeschichte im Bestzustand! Ladenneu! Waren das Einbrecher im Rundfunkarchiv? Stasischergen, die die Paketbeschlagnahmungen verhökerten? Oder nur skrupellose Schröpfer von Westverwandtschaft?

Es waren keine Ausländer! Sie sprachen akzentfrei unsern Slang!

Der Stand ist umlagert. Ich drängle mich rein. Erwische gleich die „Who are you“, halte sie erst mal fest, will aber noch an Überblick gewinnen:

Neben mir flippt einer so eine lange Plattenreihe durch. Die gesammelten Werke der Scorpions, so scheint es, Rainbow und Maiden auch dabei, die greift einer von der Seite gleich raus. Egal. Da: Bowie! Aber der Typ flippt drüber weg. Gott sei Dank!

„Warte mal kurz!“ hör ich mich auf Autopilot sprechen, flippe zurück, ziehe die Bowie und schieb die Who an die Stelle rein: Es ist die „Diamond Dogs“! Was für ein Cover! Und „Rebel Rebel“ ist drauf!

dav

Heinz Rudolf Kunze hatte zu der Zeit auf NDR2 gerade eine Sendereihe „Bowie – der Favorit“ laufen – und er besprach dort alle LPs mit reichlich Hörbeispielen! Ich hieperte deshalb auf die „Hunky Dory“, aber die „Diamond Dogs“ erschien mir seinerzeit als die zweitbeste der Vor-Fame-Phase!

Treffer! Bezahl und weg!

Aber – Geld alle. Für den letzten 10er würde es kein Vinyl mehr geben und nach meinem Beutelinhalt war ich noch kein einziges Mal angesprochen worden.

Fluchtartig verließ ich diesem Stand des Überangebotes: Hach, da hatten die sogar die Kiss „Alive!“ und Floyds „the piper at the Gates of dawn“! Von Rainbow wär die „Long live Rock And Roll“ auch verführerisch gewesen! Bloß weg hier!

Erst mal ne Wurschd, um den Adrenalinpegel zu senken.

Die „Diamond Dogs“ gefiel mir jahrelang ganz ausgezeichnet. Sie passte in die 80er, obwohl sie da schon 10 Jahre auf dem Buckel hatte: Aber all die Apocalypse-Anspielungen – das hörte sich extrem aktuell an – in Zeiten von „99 Luftballons“,„Berliiiin! Du kotzt mich an!“ und „Weltsendeschluss“! Viel ist davon nicht übriggeblieben. Höre ich sie heute seltenerweise einmal, dann merke ich, was Kunze seinerzeit schon erzählte: Gesammelte Bruchstücke eines Drogenwracks, das sich künstlerisch gehörig übernommen hatte. Er hatte zu lesen begonnen und wollte nun aus Orwells „1984“, Kubricks „Clockwork Orange“ und Shakespeares „Hamlet“ das eigene große Überwerk erschaffen: Doppelalbum, Buch und Film. Allerdings wurde er Opfer seiner Stimmungsschwankungen und verwarf immerzu seine Vortagsideen. Übrig blieb eine LP mit „Rebel Rebel“, „When you Rock and Roll with me“,„1984“ und allerhand katastrophenschwangeren Füllseln.

Hat halt so jedes seine Halbwertzeit. In den 80ern machte mich die Platte glücklich!

Ein paar Parkrundenspäter steh ich wieder vor einem, der so ein Allerlei aus Ost-Platten und Kram auf einer Decke anbietet.

Und da lag dann noch – SIE!

dav

AMIGA’77. In den 70ern verpasst, dann kurz vor der Fahne immerhin noch aufgenommen. LP mit Überlänge! Herrlicher Sound! Prägemelodaien am Fließband! Keine Graupen! „Bring back my yesterday“ war das zentrale Langwerk darauf, inclusive dem gesprochenen Intro, das auf späteren „Best ofs“ immer fehlt!

Ich weiß, ich weiß! Barry White! Das ist nicht der Name, der unter Althippies, Bluesern und Punks der ersten Stunde Anerkennung genießt – aber – fuck it! Zu MEINEN Göttern gehört er! ICH MUSSTE diese Platte haben!

„Willst’n für die?“

„Dreißch Morg.“

Ich ziehe aus meinem Plattenbeutel Kottke und CCR.

„Und wenn de dir eehne davon aussuchst?“

„Oi!“

Natürlich nimmt er die CCR.

Barry White wollte nie jemand von mir aufnehmen. Aber durchsichtig gespielt hab ich die! Und wie!

Nach der Wende kaufte ich „Barrys Gold“ auf CD mit sehr ähnlicher Zusammenstellung – aber o weh! Der Yesterday-Monolog fehlte! Also gingen die Barry-Käufe „notgedrungen“ weiter. Bis zur „Rhapsody in White“ – DIE ist die Beste! MEIN Sound der Pubertät! Da ziehen sie alle im Geiste noch mal vorbei, die damals Rang und Namen hatten:

Carrell, Elefantenboy, Eddies Vater, Otto-Show, Butler Parker, Margret Thursday, Belle und Sebastian, Daniel Boone – und eben auch so Alltagsbilder einer anderen Zeit: Die Bierbüchsen-Pyramide! Das Kohlebunkern, wenn uns der Wintervorrat in die Einfahrt gekippt wurde! Vaters Kofferheule plärrt Deutschlandfunk dazu. Der bringt Wortbeiträge ohne Ende und zwischendurch plötzlich mal: Standing in the shadow of love-love-love- waiting for the heartache above….“

Exactly my point of view‘73/74!

Oh yeahr!

One ticket please. She’s at home. Yeahr, she’s at home…

dav

Bowie Bilanz

Staub gewischt auf alten Platten.

Nichts bleibt wie es war. Alte Vorlieben weichen neuen. Eine Binse. Aber – die alten waren einfach mehr und hielten länger. Kommt heute angestaubt Empfundenes in ein paar Jahren eventuell zurück?

Ich beschrieb bereits, wie mich anno‘75 „Fame“ geradezu umgehauen hat. Das traf einen Nerv. Meinen Nerv. Den Nerv meiner damaligen pubertären Ablehnungshaltung gegenüber – äh – ja eigentlich allem.

Die Ablehnung der anderen gegenüber diesen seltsamen Klängen verstärkte den Effekt.

Das war MEINS!

Bowie wurde ein Langzeitidol für mich. Heutige Playereinsätze seiner Scheiben sind jedoch eher selten.

Mit zunehmender Reife trennst du viel besser Tiefsinn von Scharlatanerie. Und die alten Provokateure haben heftig Haare gelassen.

 „Die Geister der Kindheit verabschieden sich eben hinten am Ende des Korridors am Tor der Zeit“ (Fogelberg)

Bowie war so eine Art Begleiter aus der EOS-Zeit über die Fahne hinweg in’s Studium, und von dort noch in die Erwachsenenphase des Berufslebens. Er war der erfolgreiche Blender mit dem Hang zu karikierter Melancholie, an dessen Sounds du dich durch schwierige Phasen deiner eigenen Entwicklung hangeln konntest. Bis es nicht mehr nötig schien oder besser: Bis die Götter wechselten.

Einst machte er sich rar im Radio. Das „Fame“ überhaupt gespielt wurde, war eher die Ausnahme. In Deutschland war er bis „Heroes“ nicht massenkompatibel. In Amerika Platz 1, aber bei unseren Cousins und Cousinen „drühm“ nicht vermittelbar. „Golden years“ kam noch, „sound and vision“ und eben die halbdeutsche „Heroes“-Nummer und dann war da auch noch dieses kuriose Weihnachtslied mit Bing Crosby. Das war’s dann eigentlich bis zur Fahnezeit.

Keine dolle Ausbeute, aber viel Gerede um den Superstar da in Berlin und seinen Kumpel Iggy Pop, der noch viel weniger Sendezeit erhielt.

Ganz knapp vor der Einberufung gerieten mir ein paar Nummern der „Lodger“ aufs Band. Seltsames Zeug, das nicht zünden wollte und zum „Schönhören“ war keine Zeit mehr. Prora calling.

Die Lodgerstücke ähnelten denen von Iggys „New Value“-LP, aber sie klangen als seien sie die übriggebliebenen Reste. Iggys Platte war zuvor ebenfalls im Rundfunk eingehend besprochen worden, wobei einige Beute-Tracks abfielen und die hatten die Nase deutlich vorn.

Von „Fame“ bis „african nightflight“ waren es also 4 Jahre Fantum.

Und es wäre niemals so lange geworden, wenn ich Wessi gewesen wäre und mir 1975 die „Young americans“ gekauft hätte. Denn auf der Platte fetzt „Fame“ und der Titelsong geht auch noch, aber der Rest – puhhhhhhh, das war eine ziemliche Enttäuschung, als ich sie ende der 90er/anfang der Nullerjahre endlich kennenlernen konnte.

Ja, Old Davy hat so seine Schaffenskrisen. Das Image fing viel auf. So scheint es mir heute.

Ich war high, als ich damals im Fahne-Urlaub vor den drei LPs saß:

mde

Station to station – Low – Heroes – endlich MEINE!

Die Armeezeit hatte mir „meinen Dealer“ beschert. Er, ich, ein angehender Schauspieler und ein Pastorensohn, 4 Abiturienten unter Assis – klar, dass das zusammenschweißt. Rüdiger hatte reichlich Westverwandtschaft und ebenso reichlich Geschäftssinn. Als er hörte, dass ich willens wäre, die üblichen 120 Mark pro LP zu zahlen, sprach er kurz und schmerzlos: „Mach ma Liste.“ Er hatte mir versprochen, wenn die Ware bei ihm angekommen wäre, seine Mutter zu instruieren, an meine Mutter Pakete zu schicken. Bezahlt hab ich mehr oder weniger mit meinem Wehrsold. Herbeigesehnt der Brief von zu Hause: „Rüdigers Paket ist da.“

Ich mit einem Mal – King on the Block! Wenn ich erst wieder draußen wäre, würde nur noch gelten:  Das is‘ der Typ mit den Bowie-Platten!

Das war sowas wie ein Ritterschlag! Lindenberg-, Genesis- oder Beatlesplatten konnt’ste überall mal kriegen, aber Bowie — den gab’s nur bei MIR!

Gott sei Dank wusste ich den LP-Titel der „Fame“-Platte nicht, nur deswegen hatte ich die nicht bestellt.

Auf die „Low“ war ich am neugierigsten gewesen, weil mir „sound and vision“ ursprünglich am besten gefiel.

Die A-Seite der Platte hielt auch, was der Song versprach: Es rumst ordentlich und in todesschwangerem Bariton grummelt Bowie üble Botschaften a la „always crashing in the same car“ und ähnliche Idyllen herunter. Ab und an bricht die Stimme in zickiges Gemecker aus, um gleich wieder tiiiief abzustürzen. Nina, heute die Großmutter des Punks, sang so ähnlich.

Aber dann drehst du die Platte um und – verstehst die Welt nicht mehr. Rausch-dudeldudel-schweeeeb – ab und an quäkt ein Saxophon; scheint sich zu beschweren, dass ihm gerade Gewalt angetan wird, denn der Spieler kann’s nicht.

Nirgends Text. Keine Melodie. Und was will er denn in „Warzawa“? Jeans kaufen wie ein Ossi?

Würde ich mir das schönhören können? 120 Mark für ne Platte, von der nur die A-Seite fetzt! Anschiss, verdammt!

Ich griff zur „Heroes“. A-Seite startet okay. Ich dringe bis zum Titelsong vor und beiße die Zähne zusammen. Verdammt! Die deutschen Strophen gibt es also nur auf der Singlefassung.

Nix mit „ICH! Ich bin dein Könnik! Und Duhe! Du Könnigin! Waaaahnsinn! Wird uns heilen! Dann sind wir Helden für alle Zeiteeeeen!“

Dann – B-Seite. Und fast wie bei der „Low“ fast alles instrumental. Aber – Erleichterung macht sich breit – deutlich schöner. Und dann noch dieses Hundebellen hinten im Mix, ungefähr in der Mitte:

Gerade vor dem Urlaub mussten wir Glatten eines Sonntags das Wegesystem auf einem der Schießplätze neu abstechen. Wir waren unter uns. Die Kapos waren ebenfalls Anfänger und hatten noch mehr Tage vor sich als wir. Ein gemütlicher Arbeitseinsatz mit Frühlingswetter und Pausen. Und in einer davon hörte ich Kirchenglocken aus der Ferne und ein Weilchen später einen Dorfhund schimpfen. Es war ein Idyll. Wir hatten es im Unterbewusstsein: Die große Härte war nach den ersten 6 Monaten vorbei. In ein-zwei Wochen kommen neue Glatte. Die Zwischenhunde werden EK‘s und wir rücken auf als Zwio’s. Von nun an werden die Neuen die Kotze wischen müssen…

Die Bowieplatte zuhause hält diesen Moment fest. Bis heute.

Bliebe noch die „Station to Station“. Die entpuppte sich als die geschlossenste von den dreien. Auf beiden LP-Seiten wird gesungen. Der Titelsong und „TVC15“ sind gleichwertige Brecher, die die LP-Seiten eröffnen. „Golden Years“ ist eh klar: Klasse! Und auf beiden LP-Seiten bekommt er es hin, abschließend in ganz ruhigen Songs ganz „gefährlich“ zu wirken. Die Minuspunkte sind die fast 5minütige Graupe „Stay“ und die ohnehin Elvismäßige Kürze der Platte.

Der Zwio-Sommer 1980 kam, ich wurde versetzt und Spießschreiber, alle 4 waren wir nun in unterschiedlichen Einheiten. Immerhin: an den Wochenenden jagte einen nun keiner mehr zum Küchendienst oder zum Schießplatz umgraben. Wir lagen also FKK am Landser-Strand vor der Kaserne, badeten, lasen und schlossen neue Geschäfte ab.

mde

Nach der Fahne sah ich dann zum ersten Mal das „Ashes to ashes“-Video mit dem Clochard in der Brandung und mich traf der Schlag: Major Tom als Clown im seichten Wellengang – der Ostsee vor Prora! Das drängte sich einfach so auf und war so verdammt nah, dass ich die LP damals nicht wollte. Denn Prora – das war in übler Weise deutlich mehr als FKK und Platten dealen! Da stellten sich sofort auch all die anderen Bilder ein, an die man nicht erinnert werden wollte!

„Ashes to Ashes, Punk to Punkie, we know Major Tom’s a Junkie strung out in heaven’s high hitting an alltime low“

geradezu beängstigend exakt der Punkt an dem ich mich 1981 befand.

Was haben wir zu EOS-Zeiten die Pistols gefeiert! Und Clash…und nicht zu vergessen Blondie!

Aber nun? Nach der Fahne?  Was würde die Zeit bringen?

Zum Schritthalten mit der Musikentwicklung waren die sechs Urläube von der Fahne zu kurz gewesen. Die Standortradios hatten mit Pflastern gekennzeichnete Senderskalen, damit keiner Westen hört. In Prora eh ein Witzvorhaben. Da kriegste eher Dänemark!

So blieb sommers nur diese dämliche Ostseewelle-Rostock mit Abba und Goombay Danceband in Dauerschleife und in der dunklen Jahreszeit die „üblichen“ Sender der Ehemaligen.

Du kamst wie „auf null gestellt“ nach den 18 Monaten zurück. Und da war vor allem die NDW, als Ventil zur Linderung deines Prora-Klapses: „Ich gehe nicht mehr! Nach Cuxhaven! Nein! Neineinein!“

Im Radio liefen die Singles „Fashion“ und „Scary monsters“ zwischen Ideal-, Interzone- und Spliff-Stoff, und hatten keine Chance dagegen anzustinken. Obwohl gerade der Text von „Fashion“ einer von Bowies besseren ist, aber das entging mir. Wenn Klartext zu haben ist, brauchst du keine Fremdsprachen-Messages in verblümter Form. Einer von jenseits des Atlantik schaffte es doch in unsere Lauscher: Neil Young donnerte zeitgleich seine „shots!“ ab, auf einer Platte, die passenderweise Re-ac-tor hieß! Das brachte die Rache-Amok-Gelüste von Fahnerückkehrern besser auf den Punkt!

Dagegen Bowie am Strand von Prora und diese melancholisch-ruhige Keyboardmelodai? Passte nicht! Noch nicht. Die Zeit war noch nicht bewältigt! 6 Jahre später hatte ich die Platte dann doch. Und sie wurde zum all time fav! Das Ganze klingt mir heute wie eine gutkonzipierte, dekadente Militärverarsche-Party – it got nothing to do with you if one can grasp it – und die vielfüßigen Trappelgeräusche zu Beginn der A- und der B-Seite erinnern an die Ratten in der Bataillonsküche, wenn früh um 5e dort das Licht eingeschaltet wurde.

„So where’s the moral
When people have their fingers broken
To be insulted by these fascists
It’s so degrading
And it’s no game

Shut up!
Shut up!“

Ich werd‘ auch das Gefühl nicht los, dass die „Scary Monsters“ klingt, wie die „Lodger“ zuvor hätte klingen sollen.

Bowie schloss mit „Scary monsters“ 1980 seine relevante Phase sauber ab und begann anschließend zu schwächeln. „Cat people“ kam raus. Im Giorgio Moroder Mix. Ächz! „This is not America“ mit Pat Metheny… nun ja, die Moderatoren priesen es… ich brauchte eine Weile um mir dieses stromlinienförmige Gelalle schönzuhören. Aber im Endeffekt kam es doch auf der positiven „Haben-Seite“ an.

Seine Kreativitätsreste verstreute „der schöne Dave“ bis auf Weiteres auf Nebenprodukte: Absolute Beginners, Dancing in the streets, under pressure… Er war nun Schnösel geworden. Der Schicki-Micki-Dancer. Einer der seltsam schlecht in seine eigenen Videos passte. Und was jetzt erst auffiel: Der keine Botschaften hatte!

Zum Fremdschämen – das „Let‘s dance“ Filmchen mit den Aborigines! Wie er da frischgefönt und onduliert in der Arme-Leute-Disco steht und das Elend der Welt in diese billig-Phrase: „put on the red shoes and dance the blues“ eindampft –  … da verstehste dann die Welt nicht mehr! Mit solch einem Mist zu kommen, nach „Scary Monsters“!

Zu meiner Schande sei’s gestanden: Ja, ich habe die „Let’s Dance“ seinerzeit komplett aufgenommen und das Band auch immerhin häufiger angehört als Tull’s „Stormwatch“ oder Barclay James Harvests „Turn of the tide“; aber nach der Wende blieb sie ungekauft und wurde auch bis heute nicht vermisst.

Eine andere Hausnummer ist da die „tonight“. Die kaufte ich im Intershop im Cottbusser Bahnhof ganz zu Beginn meines Berufslebens und die wurde somit Soundtrack des ersten Dienstjahres ganz dahinten im Sorbenwald. Abgeschnitten vom Westfernsehen, sah ich dazu keine dämlichen Videos. Somit blieb die Platte für mich, was sie vorgab zu sein: Ein Gruß aus den Metropolen der Welt! Mit ganz viel Trost:

mde

„Don’t know who else came to kneel
On this empty battlefield
But when I hear that crazy sound, I don’t look down
From Central Park to shanty town…“

Ja und dann guckste wie er auf die Einschusslöcher in deinen Blütenträumen, die sich einfach nicht realisieren lassen.

Heute purer Erinnerungssound an all die Fahrten nach Plauen zum Flohmarkt und die lange Reihe von Schätzen, die ich dort heben konnte. Gib mir Musiiiiik-Musik-musik…..

Zwei alte Großtaten von Bowie waren auch dabei: „Diamond Dogs“ und „Aladin Sane“. Aber die kriegen später mal einen Post.

Nach „Tonight“ war für mich Schluss mit Bowie. Für die Nachfolge-LP schämte er sich schon kurz nach Erscheinen selber, weshalb die Tour seinerzeit auch nicht nach der Platte, sondern nach dem einzig verwertbaren Song darauf „Glass-Spider-Tour“ hieß. Ein verdienter Flop.

Schweigen wir sie tot. Die Tin Machine Phase ist besser als ihr Ruf, ging aber seinerzeitnicht nur bei mir völlig unter. Bowie den Popper hatte eben nicht nur ich satt. Mit „Hours“ und „Heathen“ hätte er mich dann fast wieder gehabt, aber wenn du Bowie hören willst, welche legst du dann auf? Hat da „heathen“ wirklich eine Chance, wenn die „Hunky Dory“ oder die „Heroes“ gleich danebensteht?

Und vor allem: wie oft hast du noch Lust auf Bowie im 21. Jahrhundert?

Im Player rotieren eher

Onkel Neil und Onkel Lou, Sister Ann W. kommt noch dazu,

Dan, Barry und Waylon sind oft dabei,

YES und Eagles einwandfrei!

Und klingt ein Sampler gar so schön,

dann liegts an : „Faaaaaaaaaame! Whats your name?! Whats your name?!“

in memoriam David Bowie

1. Steht ein NVA-Soldat des 1. Diensthalbjahres 1980 zu Hause in seinem Zimmer. Urlaub. Nur 2 Tage. Die Uniform gerade vom Leib gerissen. Die lange Unterwäsche noch nicht. Das graue Wolltuch, das himmelblaue Hemd, die schwarze Schlipsatrappe, die zivilen Schlabberklamotten, die gleich angezogen werden sollen und Packpapier bilden das Chaos auf dem Fußboden. Auf der Liege aber herrscht Ordnung:

Da liegen 5 LPs. Oldfields “Tubular Bells“, Jackson Brownes „Running on empty“ und

Bowie zum ersten: „Station to station“
Bowie zum zweiten “Low”
Bowie zum dritten “Heroes”.

Als erste läuft die „Low“ auf dem Plattenteller, wegen „sound and vision“ und weil sie von den 5en am meisten abgeht, während er eine nach der anderen in die Hand nimmt, herumdreht, sich an den ladenneuen Covern weidet. SEINE!

„Komm essen, Lanzer!“ ruft Vater, „und mach leiser!“ Weder noch. Er braucht jetzt kein Essen und den Nachsatz hat er nicht gehört.
Sooooweitweg vom Erdboden!

2. Ein frisch gebackener Berufsanfänger steht ein paar Jahre später im rätselhaft verbauten neuen Hauptbahnhof von Cottbus. Absolventenverbannung. Er soll eigentlich den Bahnsteig suchen, wo der Zug abfährt, der ihn für mindestens 3 Jahre an die völlige Peripherie der Täterätätä bringen soll. Aber da oben auf der Galerie des Bahnhofs lockt der Intershop. Also erstmal rein da. Westgeld darf man nicht verschwenden. Es ist rar und zu Wucherkursen ertauscht. Aber da hängt —- Bowie! Die „Tonight“, von der er zu dem Zeitpunkt gerademal „Loving the alien“ kennt. Leider ist „This is not america“ nicht mit drauf, das ebenfalls gerade reichlich Airplay hat. Er kauft ihn trotzdem, den Verbannungsbegleiter, und siehe da: everything would be alright, tonight!
3. Ein gut verdienender Werktätiger im Lande der willkürPlauen1lichen Eriche hat sich den Flohmarkt in Plauen in zeitlich großen Abständen zur schönen Gewohnheit gemacht. Diesmal ist er mit etwas magerem Portemonnaie unterwegs. Er hat aber noch einen Beutel mit Tauschplatten unter dem Arm. Er ertauscht sich so den Soundtrack „The Falcon and the snowman“. Warum wohl?! „This is not! America! Shalalala….“
Bereits schwebend auf dem Teppich der Glückshormone droht der jähe Absturz, denn:Plauen 2
Als das Geld alle ist, steht er vor einer ausgebreiteten Decke im Gras, da sitzt einer, der die „Scary Monsters“ anbietet. Fuck! Pleite! Hoffentlich kann der Typ Elvis Costello oder die Talking Heads gebrauchen. Er kann. Er entscheidet sich für die „Fear of music“ und der Werktätige zieht mit einer weiteren Bowie davon! 6er im Lotto! Der Teppich hebt wieder ab und bringt ihn heil nach Hause.

….ich weiß, dass ist kein richtiger Post…

…es musste einfach raus….

denn: Heute starb DAVID BOWIE.

Das Grübeln der alten Männer

Da war mal ein Interview:

„Frank, warum klingt die Musik der Mothers so scheußlich?“
„Kein Akkord kann scheußlich genug sein, um die Scheußlichkeit unseres Systems auszudrücken.“ (Zappa ca. 1968)

Zeitchen verging.

Ein großes Zeitchen!

Da erschien zunächst diese CD, die von fast niemandem wahrgenommen wurde und die somit keine Wellen schlug: Robbie Robertson „Wie ich ein Genießer mit Durchblick wurde“ und auf dieser sowieso genialen Platte befindet sich ein Song, der besonders aufhorchen lässt: Es geht darum, welcher Selbsttäuschung und Selbstbeweihräucherung die progressiven Hippiekünstler unterlagen, die glaubten, mit dem Ende des Vietnamkrieges würde nun ein neuer goldener Tag heraufziehen – aber UNSERE NACHT HATTE GERADE ERST BEGONNEN. Ein lohnender Denkansatz.

Dann erschien da dieser Song „Einfache Menschen“, in dem in noch grelleren Bildern als zuvor im unselig missverstandenen „Rocking in the free world“ beschrieben wird, was da schief geht in Gods own country:

…da steht einer am Fenster,
raucht ne dicke Zigarre;
Villa, Jacht, Privatbahn
und in der Hand eine Knarre.
Er dealte mit Waffen
für den Underground,
armierte die Leute,
denen er heut’ misstraut…“

Und dann gibt es noch Ian Hunters Warnung vor den „Kleingeistern“.

Treppen aus Beton
geben nicht nach.
Sie verlangen Respekt,
du empfindest die Schmach.

Alte Mauern
stürzen herab,
auf verwirrte Köpfe .
Bereiten das Grab.

Väter verschwunden, Mütter geschafft
Die Krüppel und die Irren – alle gestraft

Es scheint als habe
Nichts wirklich mehr Zweck
Die Reichen werden reicher
Und arm bleibt im Dreck.

Die Häuser verlassen,
die Strassen sind tot
uns aber befehligt
nur der nächste Idiot.

Wiedermal läuten die Glocken für eine bessere Zeit
Doch ich ahne oder weiß: Die kommen wieder nicht weit

Irgendwann kam was abhanden
Weiß nicht genau was oder wann
Die Youngsters fühlen sich funky.
Die glauben noch dran.

Es kommt auf wirklich
Gar nichts mehr an
Alles stagniert
Huch: der nächste ist dran.

Ehrerbietig tönts wieder: ER würde uns retten.
Ich hör’s und ich denke: Werd lieber nicht mehr drauf wetten.

Die Hälfte aller Wähler geht nicht mehr wählen, und wird ohnehin gern aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Wenn man von Schule spricht, meint man Gymnasium. Berufswahl bedeutet Universität. Die anderen 50 % der Gesellschaft sitzen „geplagt von Sozialneid“ in ihren Wohnsilos und solange man die Kriminalitätsstatistik fälschen kann, besteht kein Handlungsbedarf.

Chris de Burgh dachte auf seiner „Hands of man“ CD (2014) über die Schlacht von Agincourt nach: Dem normalen Europäer eher nicht geläufig. Sie wurde 1415  geschlagen. England gegen Frankreich.
England ist bis heute stolz auf diesen damaligen Sieg. Der erste Sieg der Langbogenschützen! Wunderwaffe damals? Pfeil und Bogen waren schon lange bekannt, aber lediglich Jagdwerkzeuge. Ferntötung galt als unritterlich. Bis Agincourt. Hurra – ein Sieg. Aber bereits am Ende des 100jährigen Krieges. Indem England letztlich unterlag. Jeanne d’Arc. Einer Frau. Einem bisher nicht ernst genommenen Feind. 2016 durchaus ein interpretierbares Gleichnis.

In die Kerbe der trotzigen Rückzugsgesänge reiht sich auch Rod Stewart ein. I’ll always find my way back home. Das Zitat am Ende des Songs stammt aus einer Churchillrede zu Beginn des II.Weltkrieges. Ein weiteres Agincourt für England. Siegermacht 1945! In einem zusammenbrechenden Kolonialreich.

Mystisch düster dräut uns 2016 schließlich Bowie herein: Blackstar.

Er steckt uns eine einsam brennende Kerze auf. In der Villa von Ormen. Heute noch ein Erdgasfeld vor Norwegen. Bald schon das letzte Refugium der Menschheit? Hier ist noch Atmosphäre. Oder ist das eine künstlich geschützte Dunstglocke unter dem Meeresspiegel? Das Video lädt ein, den Kadaver von Major Tom zu finden, den niemand mehr zuordnen kann, weil niemand mehr den Ausgangssong kennt, der ihm einst Leben verlieh. Die Augen sind uns verbunden. Künstliche aufgesetzte Pupillen erlauben uns begrenztes Sehen. Bloß keine Zusammenhänge checken! Ein paar Unbedarfte zucken im Sound.

Da brennt dieses einsame Licht. Auch am Tage der Exekution. Wenn Frauen niederknien und trotzdem strahlen. Denn nun ist der Tote ein Märtyrer. Wer ist das?

Als er starb ist etwas verrutscht. Der Sinn kam abhanden. Jemand anderes nahm seinen Platz ein. Wie lange kann jemand lügen, indem er große Reden schwingt?

Und weiter in sprechenden Bildern: 3 Vogelscheuchen am Kreuz. Golgatha. Jesus erlöste uns durch seinen Tod? Die Scheuchen sind bekleidet. Aus den Rissen der Lumpen quillt Stroh. Gedroschenes Stroh. Der Phrasensalat der Heilslehren. Jemand nimmt ihren Platz ein. Ein Mädchen bringt den Schädel von Major Tom. Die nächste Heilslehre zur Bemäntelung alter Fehler. Andere Mädchen beten ihn an und recken die Fäuste. Männer sind keine mehr da.

(Kennt Bowie Pirincci?)

Da brennt ein verborgenes Licht in der Villa von Ormen…

Bowie Years

(Fortsetzung von „Prora Klaps“ und „Irish Tour 2015“)

Bei Tower Records in Dublin 2015 steht ein deutscher Tourist im Laden und sieht Vinyl-LPs von Gallagher, Springsteen, The Band, Oldfield und Led Zeppelin. Als er den Laden betrat, war er auf 180. Aber dieser Anblick eines Paradieses aus alter Zeit ließ ihn sofort wieder „runter kommen“.

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DAS war es, was bis 89 das Land Kanaan gewesen wäre! Nun aber? 25 Jahre Wende – und selbst die CD scheint demnächst auszusterben.

Du bist aus der Zeit gefallen. Du gehörst nicht mehr dazu. Vorbei die lang anhaltende Sinnsuche, Plattensucht, philosophischer Tiefgang in Drogenlyrics gesucht, von der Zensur übersehene Denkprovokationen in Ostrocktexten gefunden… wen juckt das noch? Plattitüdenschmiede all over Deutschland! Wem heute ein paar Knüttelverse gelingen, der gilt unversehens als Songpoet.
In Zeiten von Revolverheld, Bourani, Catterfeld harren Berluc der Wiederentdeckung mit so Weisheiten wie:

„Zwei Flügel sind ein schöner Vogel
doch ein Flügel ganz allein
der kann so ganz ohne Mogel
doch kein Vogel sein!“

Früher oder später wird das irgend so ein Bendzko, Poisel, Naidoo covern, weil er meint, damit „allen Ossis“ einen Gefallen zu tun. Schwamm drüber, honey! Einfach weghören!

Er steht im Laden.
Vinyl kaufen?
Nö. Nich’ mehr in diesen Zeiten.
CDs? Auch nicht.
Der Goldsuchertrieb ist in den letzten Jahren sachte verebbt. Sicher gäbe es noch Neues und Abseitiges zu entdecken, aber nicht mehr für ihn.

Er fotografiert aus einem melancholischen Trieb heraus.

Bei „Wilson & Voigt“ in Berlin-Tegel hat es so ausgesehen. Im November’89. Mit dem Begrüßungsgeld in der Hand. Und dem Kulturschock im Kopp: Was wollte ich gleich mal schon immer? Von dort schleppte er im darauf folgenden Jahr so einiges mit heim. Die Nachholkäufe eben. Allen voran Reinhard Meys „20 Uhr“ Album. Nicht nur – aber auch wegen Troll.

Und dann streunt er so durch den Laden. Und sein Blick fällt auf ein Gesicht, das er allzu gut kennt:

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„Fame“ 75! Das darf doch nicht wahr sein, dass diese Picture Disc hier steht. Ausgerechnet DIESE! Fame! Sein Song!

Die Jugendweihe war kein Vierteljahr her. Der neue Radiokassettenrecorder „Anett“ lief auf Hochtouren. Die Kassetten waren voll Glam-Rock und ein bisschen BTO, als eines schönen Wochenendes in der Hitparade von NDR 2 (direkt vom Plattenteller und mit „Politik für junge Leute“) die Ansage kam: „Und hier die Nummer 1 aus Amerika: David Bowie.“ Auf Gutglück gehen die beiden Daumen nach unten, die Aufnahmetasten sind gedrückt und „Fame“ spielt sich aufs Band. Gleich hinter „the bump“ von Kenny.

Das klingt so abgefahren geil, arrogant, zynisch, lustlos, hämisch nach „Leckt mich alle am Arsch!“ – das musste einfach einschlagen!
Auf dem Schulhof kennt das zunächst keiner. Seine erste eigene Entdeckung. Als es ein paar Tage später auch andere kennen, gefällt es fast niemand. Nun findet er es gleich noch mal so geil! Das ist MEINS! Muss keinem gefallen! Ist nur für mich!

In der Rückschau kommt es ihm nun so vor, als wäre „Golden Years“ gleich 14 Tage später auf seiner Kassette gelandet. Aber nee – da muss ja irgendwie ein ganzes Jahr dazwischen liegen. Die Zeit zwischen 8. und 12. Klasse sind eben die „schnellen Jahre“. „Sounds & Vision“ wird nur ein Mittelfeld-Hit. Dann kommt „Heroes“ – zur Hälfte in Deutsch! Reicht schon als Sensation. Auch wenn ihm anno 78 der Sinn noch gar nicht so richtig aufgeht. Aber „Die Army macht den Mann aus dir!“ – jaja. 1979 hat sie ihn ereilt. Die Asche und die Botschaft: „Die Mauer im Rücken so kalt … the shame is on the other side!… we can beat them for ever and ever!“ Wu-hu-hu-ho-ho-ho-Ha!

Bei der Fahne lernte er einen kennen, der Westplatten besorgen konnte. Der lieferte auf Bestellung (und für Ostgeld zu den üblichen Schwarzmarkpreisen damals) und bei dem hinterließ er eine Wunschliste. Wenn die Ware aus dem Westen bei der Mutter des Dealers eintraf, schickte diese sie an seine Mutter. Seine Mutter bezahlte dann per Postanweisung, (da er ja als Soldat keinen Personalausweis hatte) und wenn er von nun an auf Urlaub gelassen wurde, lag da immer ein Paket für ihn, das ihn abheben ließ.

Es ist soviel mehr, die Songs, die du von deinen Kassetten kennst, nun von Platten zu hören, die DIR gehören!

Wenn die Säcke gewusst hätten, welch schwunghaften Handel die paar Abiturienten im Schrutz-Regiment von Prora mit Konterbande abzogen!

Sie hätten sich gegrämt, wenn ihnen klar geworden wäre, wie allein sie mit ihrem verqueren Weltbild standen. Da konnten die Kompanien noch so oft um den Block marschieren und gehorsam„Im Regiment nebenan!“ brüllsingen. Im Geiste singt “das Innere Ich” gaaaaanz andere Lieder:

– „What will you do-hoo, will anything happen?“ (Blondie)
– „grab your things, i’ll come and take you home! He-he-back home!” (Peter Gabriel)
– “Zeeeeeeeit! Die nie vergeht!”(Perl)

„Ashes to ashes, punk to punkie, we know Major Tom’s a Junkie“; Bowie lieferte sogar den Song zum Epochenschnitt: nach der Fahne wird es andere Präferenzen geben!

Aber vorerst kommt erst einmal der zweite von sechs Urläuben in 18 Monaten. Diesmal kein 5tägiger Kompanieurlaub sondern nur VKU. Verlängerter Kurzurlaub. Freitagabend losfahren und Dienstag früh 6:00 Uhr wieder in der Kaserne sein. Das ist fast nichts, denn die Reichsbahn ist langsam, die Umsteigerei zeitraubend und von Rügen ist es weit ins Saaletal.

Egal. Uniform weg. Weit weg! Zivil an! Das Mutti-zu-Mutti-Paket hernehmen, die Lieferung kontrollieren: BINGO! Es hat geklappt. Plattenspielerdeckel hoch, Vater brüllt sofort prophylaktisch: „Leiser!“ Und ab dafür:

Ihm gehören von nun an „Station to station“/ „Low“ / „Heroes“! Das ist der Türöffner bei allen ortsansässigen Platten-Haien!

„Kann ich deine Yes- (Genesis, Who, Zappa, what ever) LPs ausborgen zum aufnehmen?“
„Hm, was hast du zu bieten?“
„Bowie „Heroes“?“
„Aber gerne!“

Vorbei die Zeit des Bettelns, wenn man nichts zu bieten hat!
Das eigene Tonarchiv schwoll an.
Per Flohmarkt gelang der eine oder andere Beutetreffer aus dem 70er Jahre Schaffen des Meisters für die „Ausflipp-years“ des Studiums. „Rebel, rebel, face under mask…“

In den 80ern ging es Bowie künstlerisch nicht so gut. Das Provokante war weg. Deshalb hing eines Tages die glattgebügelt-ungefährliche „tonight“ sogar im Shop. Ein wenig Westgeld hatte ihm die Fahne auch eingebracht. Er kam so viel westlicher zurück, als er hingekommen war! Von wegen: „Der Mensch ist gut!“ und „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten“! DER Drops ist gelutscht! Soviel Bruch, wie er in letzter Zeit in nur 2 Kompanien kennenlernen musste, hätte er in der ganzen Republik nicht vermutet.

Nun kaufte er die Shop-LP als Soundtrack für seinen Umzug in die Absolventenverbannung. Frisch verehelicht würde schon alles gut: „Everything’s gonna be alright tonight!“ und „Don’t look down“ verstand er damals als „Lass den Kopf nicht hängen“. Nach 3 Jahren wirst du dir wenigstens innerhalb der kleinen Täterätätä deinen künftigen Wohnort aussuchen können!
Ja, David! Du alter Weggefährte! „We’re climbing up the hill backwards“!

Und es kam so vieles anders als gewollt oder geplant.
Leben ist malen ohne Radiergummi… heißt es.
Und dann kann es auch passieren, dass man -eben noch wütend- vor deiner Picture Disc steht. Produkte, die die Welt nicht braucht! Aber: „Back where it all began!“ Die Allman Brothers mogeln sich ins Hirn.
Das ausgerechnet Du hier stehst, mit deinem Konterfei von damals, ist ein Zeichen! „The return of the thin white duke…“ Der Kreis hat sich geschlossen.

Kasse: Zahlen! Und raus.