Do yo remember
All the trouble in time
In September
Anger waiting in line…
(frei nach Earth Wind and Fire)
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Yeah man! Ich bin draußen! Und ich habe, wie mir unlängst erst bewusst wurde, ein enormes Privileg:
Ich habe Zeeeeeeeeeiiiiiiiit!
Ich war 5 Tage auf dem Darß. Im September! Im eigentlich beschissensten Monat des Jahres! So jedenfalls in meiner Branche, der ich bis vor ‘nem knappen Jahr noch angehörte.
Nun lerne ich die Reize der Nachsaison schätzen:
An der Segafredo-Tasse sitzen und an die Kollegen denken, die sich gerade placken mit all dem Mist, der dir bisher jeden September so zuverlässig vergällte …
In Ermanglung beruflichen Kleinkrieges könnte ich mich nun ersatzweise über jede weitere TV-Sendung dieses Karl-Eduard von Sch-Lanz aufregen und böse „poasten“. Aber – das Wetter ist zu schön. Vor allem in jenen Tagen am Darß neulich. Obwohl es pausenlos junge Hunde regnete, da, wo unser Hotel war. Ein Widerspruch? Wennde mobil bist, nich‘! Hie Weltuntergang, da Sonnenscheinidyll. Jedes Fischerkaff hatte da SEINE eigene Klimazone. Indianersommer. Drive on!
Und Blanche Kommerell lud zur Buchlesung nach Wustrow. Die Eenah aus „Söhne der großen Bärin“ (DEFA 1966); erste Nebenrolle mit 16. Ich sah ihn erst zwei Jahre später. Im Film war sie immernoch 16. Die erste Dakota-Fee, die mir gefiel. Damals. Walter küsste noch Leonid.
„Die Erinnerung ist das Paradies aus dem man nicht vertrieben werden kann.“ (Volksmund irgendwie.)
Im Kopf sangen Transit: „Sommertage. Und Ferien an der See. Da kann man endlich machen, was man will!“, Novalis klinken sich ein „Manchmal fällt der Regen eben lang!“, dann ist aber auch schon eine kräftige Woge Achim Reichel heran: „Trutz blanke Hans!“ und „Een Boot is noch buten!“
So schoss ich eben all die Fotos, frei nach dem Motto:
„Fliegende Pferde landen am Strand. Sie kamen übers weite Meer. Keiner weiß woher.“ – in all seiner Doppeldeutigkeit. Passend hierzu sahen wir am Horizont über dem Wasser jene Katastrophe, die nicht die unsere war. Ein Vorgeschmack auf die bevorstehende Amerikanisierung des Wetters hier around, demnächst. Und ein Sinnbild des Krieges „vor der Haustür“.
Windhosen gehörten bisher für uns ostdeutsche Boomer ins MOSAIK, genau wie jene malerischen Hannes-Hegen-Wolken ein kurzes Weilchen später.
Long, long gone.
„DER Sommer ist längst vorbei. Spürst du nicht der Winter kommt und er nimmt dich fooooort.“(Kiev Stingl 1973/78, git: Achim Reichel)
Des Wetters wegen blieb es nicht beim Darß-Aufenthalt. Kleine Fluchten führten zu neuen ungeplanten Eindrücken: Barth. Kleine, feine Boomtown mit geleckten Fassaden und deutlich freundlicherer Cafe-Haus-Bedienung als in Wustrow.
Stralsund. Spielhagen-Stadt. Ein paar Kapitel seiner „Problematischen Naturen“ spielen hier. Der Eindruck ist ein zwiespältiger. Geteilt wie MEIN Naumburg. Es gibt Stadtteile, die dem Wende-Boom ein einladendes Äußeres verdanken. Man meint, die Stadt sei aus ewigem Dornröschenschlaf erweckt worden und mausere sich zur Perle – wenn man in der Nähe des Ozeaneums flaniert. Wir waren dies‘ Jahr allerdings direkt in der Altstadt – und die wirkt so zugeparkt und vergessen mit ihren schiefgelatschten Trottoirs, wie der Lindenring von Naumburg.
Dieses Zwitterdasein von halb-chic und halb-morbide symbolisiert unser Ostschicksal des Steckengebliebenseins; irgendwie nicht mehr DDR, aber auch nie im Westen angekommen.
Watt willsde mach’n? Magst’n Köhm? Odeé liebeé n Eisbecheé?
Zurück in Wustrow gießt es grad nicht. Ohne Schirm erreichen wir also die „Kaiserliche Post“, das Gästehaus, das mit einer Ausstellung des Nestors der Aktfotografie der DDR lockt. Gerhard Vetters „Studien am Strand“ – (Erstauflage 1968; sechste und letzte Auflage 1973) das bestgehütete Geheimnis in gut sortierten Bücherschränken unserer Väter.
„Gucks dir an, wenn wir nicht da sind.“, lautete der erzieherische Hinweis seinerzeit. Gesagt, getan.
„Tonight’s the night! Everything’s alright…“
Vielleicht wollte die aufstrebende Touristenmetropole in der Nachsaison Ersatz schaffen, für all die nun im Straßenbild fehlenden Sommer-Feen.
Schöne Impressionen, habbsogar manches wiedererkannt, wiedererobert aus längst vergangenen Besuchen in Wüstrow, bei der Oma.
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Ein schöner Bericht. Vor- und Nachsaison kann ich nur empfehlen. Was dann noch oder schon geschlossen hat, bringt kaum Verluste.
Der grösste Vorteil: weniger Menschenmassen. (Oder sollte ich schreiben: kleinere Menschenmengen?)
Das von dir beschriebene „Zwitterdasein“ hat, was rurale und urbane Zonen betrifft, ebenfalls einige Vorteile. Es gibt noch viel zu entdecken, an dem viele andere Touristen achtlos vorbeidüsen.
Ach, Stralsund. Wir lieben die Stadt. Bei mir hat sie inzwischen Wismar auf hintere Plätze verwiesen. Und „Zur Fähre“ muss es einfach sein zu vorgerückter Stunde.
Von Gerhard Vetter habe ich einiges gelernt, besonders was die Fotografie unter schwierigen Lichtverhältnissen betrifft.
Überhaupt: seh ich die Ostsee brauch ich kein Meer mehr
…
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