Bowie Years

(Fortsetzung von „Prora Klaps“ und „Irish Tour 2015“)

Bei Tower Records in Dublin 2015 steht ein deutscher Tourist im Laden und sieht Vinyl-LPs von Gallagher, Springsteen, The Band, Oldfield und Led Zeppelin. Als er den Laden betrat, war er auf 180. Aber dieser Anblick eines Paradieses aus alter Zeit ließ ihn sofort wieder „runter kommen“.

blog10a-011blogbild

DAS war es, was bis 89 das Land Kanaan gewesen wäre! Nun aber? 25 Jahre Wende – und selbst die CD scheint demnächst auszusterben.

Du bist aus der Zeit gefallen. Du gehörst nicht mehr dazu. Vorbei die lang anhaltende Sinnsuche, Plattensucht, philosophischer Tiefgang in Drogenlyrics gesucht, von der Zensur übersehene Denkprovokationen in Ostrocktexten gefunden… wen juckt das noch? Plattitüdenschmiede all over Deutschland! Wem heute ein paar Knüttelverse gelingen, der gilt unversehens als Songpoet.
In Zeiten von Revolverheld, Bourani, Catterfeld harren Berluc der Wiederentdeckung mit so Weisheiten wie:

„Zwei Flügel sind ein schöner Vogel
doch ein Flügel ganz allein
der kann so ganz ohne Mogel
doch kein Vogel sein!“

Früher oder später wird das irgend so ein Bendzko, Poisel, Naidoo covern, weil er meint, damit „allen Ossis“ einen Gefallen zu tun. Schwamm drüber, honey! Einfach weghören!

Er steht im Laden.
Vinyl kaufen?
Nö. Nich’ mehr in diesen Zeiten.
CDs? Auch nicht.
Der Goldsuchertrieb ist in den letzten Jahren sachte verebbt. Sicher gäbe es noch Neues und Abseitiges zu entdecken, aber nicht mehr für ihn.

Er fotografiert aus einem melancholischen Trieb heraus.

Bei „Wilson & Voigt“ in Berlin-Tegel hat es so ausgesehen. Im November’89. Mit dem Begrüßungsgeld in der Hand. Und dem Kulturschock im Kopp: Was wollte ich gleich mal schon immer? Von dort schleppte er im darauf folgenden Jahr so einiges mit heim. Die Nachholkäufe eben. Allen voran Reinhard Meys „20 Uhr“ Album. Nicht nur – aber auch wegen Troll.

Und dann streunt er so durch den Laden. Und sein Blick fällt auf ein Gesicht, das er allzu gut kennt:

DSC02865-001blogbild

„Fame“ 75! Das darf doch nicht wahr sein, dass diese Picture Disc hier steht. Ausgerechnet DIESE! Fame! Sein Song!

Die Jugendweihe war kein Vierteljahr her. Der neue Radiokassettenrecorder „Anett“ lief auf Hochtouren. Die Kassetten waren voll Glam-Rock und ein bisschen BTO, als eines schönen Wochenendes in der Hitparade von NDR 2 (direkt vom Plattenteller und mit „Politik für junge Leute“) die Ansage kam: „Und hier die Nummer 1 aus Amerika: David Bowie.“ Auf Gutglück gehen die beiden Daumen nach unten, die Aufnahmetasten sind gedrückt und „Fame“ spielt sich aufs Band. Gleich hinter „the bump“ von Kenny.

Das klingt so abgefahren geil, arrogant, zynisch, lustlos, hämisch nach „Leckt mich alle am Arsch!“ – das musste einfach einschlagen!
Auf dem Schulhof kennt das zunächst keiner. Seine erste eigene Entdeckung. Als es ein paar Tage später auch andere kennen, gefällt es fast niemand. Nun findet er es gleich noch mal so geil! Das ist MEINS! Muss keinem gefallen! Ist nur für mich!

In der Rückschau kommt es ihm nun so vor, als wäre „Golden Years“ gleich 14 Tage später auf seiner Kassette gelandet. Aber nee – da muss ja irgendwie ein ganzes Jahr dazwischen liegen. Die Zeit zwischen 8. und 12. Klasse sind eben die „schnellen Jahre“. „Sounds & Vision“ wird nur ein Mittelfeld-Hit. Dann kommt „Heroes“ – zur Hälfte in Deutsch! Reicht schon als Sensation. Auch wenn ihm anno 78 der Sinn noch gar nicht so richtig aufgeht. Aber „Die Army macht den Mann aus dir!“ – jaja. 1979 hat sie ihn ereilt. Die Asche und die Botschaft: „Die Mauer im Rücken so kalt … the shame is on the other side!… we can beat them for ever and ever!“ Wu-hu-hu-ho-ho-ho-Ha!

Bei der Fahne lernte er einen kennen, der Westplatten besorgen konnte. Der lieferte auf Bestellung (und für Ostgeld zu den üblichen Schwarzmarkpreisen damals) und bei dem hinterließ er eine Wunschliste. Wenn die Ware aus dem Westen bei der Mutter des Dealers eintraf, schickte diese sie an seine Mutter. Seine Mutter bezahlte dann per Postanweisung, (da er ja als Soldat keinen Personalausweis hatte) und wenn er von nun an auf Urlaub gelassen wurde, lag da immer ein Paket für ihn, das ihn abheben ließ.

Es ist soviel mehr, die Songs, die du von deinen Kassetten kennst, nun von Platten zu hören, die DIR gehören!

Wenn die Säcke gewusst hätten, welch schwunghaften Handel die paar Abiturienten im Schrutz-Regiment von Prora mit Konterbande abzogen!

Sie hätten sich gegrämt, wenn ihnen klar geworden wäre, wie allein sie mit ihrem verqueren Weltbild standen. Da konnten die Kompanien noch so oft um den Block marschieren und gehorsam„Im Regiment nebenan!“ brüllsingen. Im Geiste singt “das Innere Ich” gaaaaanz andere Lieder:

– „What will you do-hoo, will anything happen?“ (Blondie)
– „grab your things, i’ll come and take you home! He-he-back home!” (Peter Gabriel)
– “Zeeeeeeeit! Die nie vergeht!”(Perl)

„Ashes to ashes, punk to punkie, we know Major Tom’s a Junkie“; Bowie lieferte sogar den Song zum Epochenschnitt: nach der Fahne wird es andere Präferenzen geben!

Aber vorerst kommt erst einmal der zweite von sechs Urläuben in 18 Monaten. Diesmal kein 5tägiger Kompanieurlaub sondern nur VKU. Verlängerter Kurzurlaub. Freitagabend losfahren und Dienstag früh 6:00 Uhr wieder in der Kaserne sein. Das ist fast nichts, denn die Reichsbahn ist langsam, die Umsteigerei zeitraubend und von Rügen ist es weit ins Saaletal.

Egal. Uniform weg. Weit weg! Zivil an! Das Mutti-zu-Mutti-Paket hernehmen, die Lieferung kontrollieren: BINGO! Es hat geklappt. Plattenspielerdeckel hoch, Vater brüllt sofort prophylaktisch: „Leiser!“ Und ab dafür:

Ihm gehören von nun an „Station to station“/ „Low“ / „Heroes“! Das ist der Türöffner bei allen ortsansässigen Platten-Haien!

„Kann ich deine Yes- (Genesis, Who, Zappa, what ever) LPs ausborgen zum aufnehmen?“
„Hm, was hast du zu bieten?“
„Bowie „Heroes“?“
„Aber gerne!“

Vorbei die Zeit des Bettelns, wenn man nichts zu bieten hat!
Das eigene Tonarchiv schwoll an.
Per Flohmarkt gelang der eine oder andere Beutetreffer aus dem 70er Jahre Schaffen des Meisters für die „Ausflipp-years“ des Studiums. „Rebel, rebel, face under mask…“

In den 80ern ging es Bowie künstlerisch nicht so gut. Das Provokante war weg. Deshalb hing eines Tages die glattgebügelt-ungefährliche „tonight“ sogar im Shop. Ein wenig Westgeld hatte ihm die Fahne auch eingebracht. Er kam so viel westlicher zurück, als er hingekommen war! Von wegen: „Der Mensch ist gut!“ und „allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten“! DER Drops ist gelutscht! Soviel Bruch, wie er in letzter Zeit in nur 2 Kompanien kennenlernen musste, hätte er in der ganzen Republik nicht vermutet.

Nun kaufte er die Shop-LP als Soundtrack für seinen Umzug in die Absolventenverbannung. Frisch verehelicht würde schon alles gut: „Everything’s gonna be alright tonight!“ und „Don’t look down“ verstand er damals als „Lass den Kopf nicht hängen“. Nach 3 Jahren wirst du dir wenigstens innerhalb der kleinen Täterätätä deinen künftigen Wohnort aussuchen können!
Ja, David! Du alter Weggefährte! „We’re climbing up the hill backwards“!

Und es kam so vieles anders als gewollt oder geplant.
Leben ist malen ohne Radiergummi… heißt es.
Und dann kann es auch passieren, dass man -eben noch wütend- vor deiner Picture Disc steht. Produkte, die die Welt nicht braucht! Aber: „Back where it all began!“ Die Allman Brothers mogeln sich ins Hirn.
Das ausgerechnet Du hier stehst, mit deinem Konterfei von damals, ist ein Zeichen! „The return of the thin white duke…“ Der Kreis hat sich geschlossen.

Kasse: Zahlen! Und raus.

25 Gedanken zu “Bowie Years

  1. Boah, das drückt mich erst mal in die Lehne: platt!
    Und jetzt weiß ich, warum ich (neben der Sprache natürlich) Ihren Blog vom ersten Eintrag an so mitreißend fand: Es ist die Wucht eines freien Geistes, der unter der Unterdrückung litt und sich nie
    damit abgefunden hat. Nach wie vor unter jenen leidend, die die Freiheit ihres Geistes gegen jeden Apfel und jedes Ei einzutauschen bereit sind.
    Mir scheint, dass es zu unserem Lebensalter gehört, dass sich Kreise schließen. Bei genauerem Hinsehen sind es Spiralen, denn wir sind nicht mehr die Alten. Der Kreis schließt sich sozusagen eine Runde höher. Und leitet die nächste Runde ein. Das Spannende ist, WER wir sein werden, wenn er sich dann wieder schließen wird. Stuf um Stufe gehoben und geweitet und doch immer wir selbst.
    Alles Gute!
    Ihre Leserin

    Gefällt 1 Person

    • Also, wenn ich mir Ihr Bildnis so ansehe, glaube ich, Schamesröte steht Ihnen nicht so gut. Vielleicht greifen Sie besser zu sonnen- oder windgegerbt.
      Wenngleich ich Ihr Menschen- und Weltbild nur bedingt teile und auch unsere ästhetischen Vorlieben kyffhäuserweit und völkerschlachtdenkmalhoch auseinander liegen – Menschen, die Ihren Geist gebrauchen (weil sie es gar nicht lassen können) begeistern mich einfach!

      Gefällt 2 Personen

  2. Als die beiden Grosstalente Westphal und Quadflieg noch lebten, erlebte ich sie mal lebendig im Staatstheater. Sie lasen aus dem Briefwechsel von Goethe und Schiller.
    Die fiel mir ebengrade ein als ich deine Bowiegeschichte las. Beeindruckend!
    Auch wenns grossmäulig klingt (pardong dafür): ich stellte mir vor wir beide würden auf einer Bühne sitzen (oder stehen) oder auf einem Marktplatz und würden unsere Bowiegeschichten erzählen.
    Meine begänne zwar früher und endete wohl auch eher, das jedoch macht nichts.
    Es käme auf die Schnittmenge an…

    Gefällt 1 Person

  3. Hört sich so an, als hätten Sie das Problem schon zufriedenstellend gelöst.
    Vielleicht „nackt – in Westernstiefeln“? (ganz weit runter duck)

    Like

  4. Auch wenn ich Deine Begeisterung für David Bowie so gar nicht teilen kann, so kann ich Deine Geschichte mehr als gut verstehen … zeigt sie doch einmal mehr, wie sehr Musik einen emotional durch all die Jahre begleiten kann.

    Seit 1965 ist bei mir diese Begeisterung für Musik ungebrochen, vermutlich weil sie eben auch seelische Tiefen erreichen und auch persönliches Erleben begleitet kann, wie kaum ein anderes Medium.

    Zu lesen, dass es dann Menschen wie Dich gibt, die da ebenfalls ganz intensiv eintauchen können, ist für mich immer eine Freude, ein Gewinn.

    Da fällt mir gerade ein, dass für mich der John Mayall so ein Weggefährte war und letztes Jahr spielte er nochmals in München und da gibt es dann so ein Foto von John Mayall und mir … und wie ein kleiner Kindskopf bin ich da fürchterlich stolz drauf *gggg*

    Gefällt 2 Personen

    • Jau, das passt schon sehr gut; auch wenn bei mir Blues im Allgemeinen und Mayall im Besonderen eher Randerscheinungen sind. Die späte Platte „Road dogs“ find ich gut. Was an „Laurell Canon“ so super sein soll, hab ich genausowenig kapiert, wie die Seltsamkeit, dass man das Led Zeppelin Debut mögen kann. Der Grund ist sicher im Zeitpunkt des biografisch späteren Einstiegs zu suchen. Die Hippie-Schiene war für meinereiner als „Oldiespender“ ab 1975 schon sehr interessant, aber zum selber Hippie sein war ich zu spät dran. (Die Mähne und die Bärte mögen – ja, Blumen – eher nicht, pazifistisch drauf sein – ja, das Geschwätz von der völlig freien Liebe – Verantwortungslosigkeit!; Eltern mit Vornamen ansprechen – FÜRCHTERLICH! usw.)

      Zu Mayall fällt mir noch ein, dass der legendäre „Cäsars Blues“ von Renft-ens Cäsar im Original eine Mayall-Nummer sein soll. „Cäsars Blues“ ist natürlich „ÜBERKULT“.

      Like

  5. Jetzt muss ich doch arg heftig schmunzeln, denn … das Debütalbum von Led Zeppelin ist für mich bis zum heutigen Tage eines der besten Debütalben überhaupt (ich sag da nur „Dazed And Confused“).

    Und ich gebe Dir recht: “Cäsars Blues” ist wirklich der Hammer und in der Tat eine Adaption von Mayalls „Room To Move“ (von dem Album „The Turning Point“) (gemischt mit „Parchman Farm“).

    Ich finde die DDR-Blues-Szene eh fürchtlich interessant … Höchste Zeit, mich damit mal wieder zu beschäftigen.

    Like

  6. Pingback: in memoriam David Bowie | toka-ihto-tales

  7. Danke für den Link zu diesem Beitrag. LESENSWERT!
    Ja, Musik hat sich in unsere Biographien gefressen. Und ja: Bowie: Ziggy Stardust und Aladin Sane. Station to station und JA: Heroes. Was für Werke! Was für Zeiten. Was für ein Musiker, was für ein Mensch. Irgendjemand schrieb als Bowie gestorben war: „danke, dass ich Teil der Zeit war, als Bowie lebte“. Das denke ich auch manchmal.

    Gefällt 1 Person

  8. Pingback: Prägendes Vinyl | toka-ihto-tales

  9. Pingback: Die 10 ersten Fantümer | toka-ihto-tales

Hinterlasse einen Kommentar