Old Men’s Music (1)

Dieser Tage kickt bei mir ein alter Mann des Rock&Roll mit seinem letzten Werk vor dem Dahinscheiden.

„Way to Survive“ (2015)

Jack Scott starb 2019 mit 83 Jahren. Seine beste Zeit lag zwischen 1959 und 1964. Zwar hatte er zuvor ein paar erfolglose Singles aufgenommen und auch danach noch Platten veröffentlicht; jedoch seine Mittelfeldpopularität der frühen 60er schwand schnell dahin.

Sicherlich tourte er auch in den 70ern und 80ern noch durch die Lande und durchlitt das Schicksal des Volksfestbespaßers. Hier eine Tanke eröffnen, dort eine neue Walmartfiliale; für ein paar Dollar…

Diese lange Zeit liegt im Dunkel der Spekulation.

1960 -1965 füllte er eine Marktlücke: Für alle, die den 50ern nachtrauerten, war Elvis als Schnulzier und Film-Dilettant nur unzureichender Trost. Buddy Holly tot, Eddie Cochran tot, Chuck Berry im Knast, Jerry Lee Lewis fast, Gene Vincent mit gebrochenen Beinen Langzeitinvalide – die ganze erste Reihe des Rock&Roll also futsch: Chance für die zweite Kohorte.

Jack Scott 1963/64 klingt so wie Elvis bzw. Buddy Holly bis 1959 klangen. Er kann problemlos wie sie, schnell und langsam gleichermaßen. Seine Balladen klingen ernst, nicht schmalzig. Und die Studio-Kracks um ihn herum beherrschen ihr Handwerk; inclusive der Tontechniker. Hier geht’s nicht mehr um den schnellen Dollar durch flitzfingriges Geschrammel und Geklapper, sondern hier wird voller Sound erzeugt. Schönes krass getrenntes Stereo – Beatles-Style. Gitarre links, Backinggroup rechts; Jack und der Drummer in der Mitte. Jack Scott’s Stimme ist so ein Mittelding aus Elvis und Buddy Holly. Die Arrangements mit all den raumfüllenden „A-a-a-a‘s“ und „O-ho-ho’s“ der Backgroundsänger lassen an die Jordanaires denken.

Ich verdanke die erste Bekanntschaft mit seinem Schaffen dem „Rock and Roll Museum“ auf NDR2 in den 70er Jahren. Werner Voss. Inzwischen verstorben und selbst Kult. Der Rock and Roll- und Doowop-Papst des Nordens. Schöne Schwerpunktsendungen, tolle Mischung von Bekanntem und Obskurem, und lehrreiche Faktenvermittlung über Ursprünge, Werdegänge, Macken und Aufnahmebesonderheiten…Unvergessen die 3 Sendungen über Joe Meek! Interessanter ging nicht!

Eines Tages „Später Rock and Roll der frühen 60er“ – und -peng- „Burning Bridges“ von Jack Scott hat den mit Abstand besten Sound. Eine Bombast-Schnulze. Der Name blieb hängen. 1978 herum startete Mike Batt mit dem  London Symphony Orchestra sein Classic Rock Konzept. Ich war Fan, trotz Punk! Jack Scott hätte da hineingepasst!

JSCOTT1Um 2010 herum ging mir dann eine Baer Family CD „Jack Scott on Groove“ ins Netz. Lauter Aufnahmen aus der Zeit NACH dem Höhepunkt 1963; aus den Jahren 1964-65 und zwei-drei unveröffentlichte von damals. Aber interessant und abwechslungsreich.

Dann schleppten sich die letzten Arbeitsjahre in öder Plackerei dahin. Jack Scotts Mittelfeld-Mugge war nicht wild genug für Frustventil und nicht melancholisch genug für seelische Besänftigung. Er hatte keine Chance gegen Neil Young, Robbie Robertson, Yes und George Benson. Zeitchen verging…

…bis der Musikjunkie von anno 78 sich dieser Tage mal wieder um die länger nicht genutzten CD Bestände kümmerte. So stieß ich auf Ol’Jack und war auf’s neue angefixt.

Grinsend genoss ich die „on groove“ ein paar Mal; ließ Werner Voss‘ schläfrigen Hanseaten-Slang in meinem Innern auferstehen; gedachte der „Brennenden Brücken“, die hier fehlen; machte mich deshalb „im Netz“ auf die Suche und- geriet an die „Way to survive“. Schwupps war’s um mich geschehen.

JSCOTT2Nach all den Jahren der geschwundenen Bedeutung nun plötzlich ein Album, dass einen leicht zerzausten alten Mann mit Vollbart und E-Guitar zeigt. Spielt der jetzt auch so? Ein altersweiser Billy Bragg des alternative Country?

Jein. Scott macht hier mit 80 natürlich nicht den Bragg der Peel-Sessions, aber auch Bragg musiziert inzwischen mit Band und schreckt auch nicht mehr vor Bombast zurück.

Scott hat sich hier 12 Songs vorgenommen. Zwei eigene, 10 Coverversionen. Soweit man per Youtube mit den Originalen vergleichen kann, gewinnt er.

„Trouble“ natürlich musste ich nicht erst guhgeln. Das is‘ die alte Kampfansage von Elvis aus „King Creole“, dem Film. If you lookin‘ for trouble, you come to the right place! Für mich auf DIESER Scheibe der Höhepunkt! Jack Scott macht hier nicht den Elvis, sondern den Dave Alvin, den Wüstenrocker, der da im Dead Valley aus dem rostigen Pickup steigt, weil da das Auto von seinem Nebenbuhler steht, das Panne hat. Er weidet sich an dessen Gesicht, und läd die Knarre durch…

Seine Stimme ist gealtert, aber nicht tatterig geworden. Seine Balladen klingen immer noch angemessen vorgetragen. Schmalz-Entwarnung! Und die Studio-Kracks haben auch diesmal wieder einen erstklassigen Job getan: Hier mal bissel Hall, wie einst im Treppenhaus von Elvis’ns „Heartbreak Hotel“, da mal bissel Duanne Eddy Blingggg drunterlegen, schließlich noch eine Prise messerscharfe Gitarren-Licks im Hintergrund oder auch mal als Sekunden-Solo in der Bridge. Alles nie zu lang, nie zu laut, nie zu simpel. Erlesen. Rund. Sophisticated! Schnalz!

Alte Männer Musik. Vermächtnisalbum. Klänge die Stimme jugendlicher, könnte es von anno’63 stammen.

 „A boom boom -hey hey -wiggle on out!“

Nun sind wirklich alle Brücken zwischen dir und deinem Erdendasein gekappt, Alter!

Muss dir gesteh’n, dass ich anfangs dachte, dass das mit den brennenden Brücken eine Rache Nummer von Elvis’ns altem Gitarristen ist. Hab dich mit Scotty Moore verwechselt. Sorry dafür.

Halte dich in Ehren.

Bin der letzte vermutlich.

Bis dann irgendwann.

Rock on!

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4 Gedanken zu “Old Men’s Music (1)

  1. Spätes Konzert in Las Vegas. 2016. Nichts weniger als solider R´n´R aber auch nicht mehr. Gefällig in einem Mix sicherlich auch bei einem Roadmovie.
    Wahrscheinlich, das entnehme ich Deinem Bericht, tauchte dieser Mann zum falschen Zeitpunkt mit der „falschen“ Musik auf. Wir haben erst ab etwa 1972 wieder R´n´R ausgegraben und gehört. Aber nicht für lange.

    Gefällt 1 Person

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