Zeitreise

Alte Leute werden bisweilen komisch. Wunderlich – sagte man früher. Dieser Tage könnte mein Enkel – so ich einen hätte – seine Mutter fragen:

„Warum hörten Opa immer die gleiche CD?“

„Weil das seine Jugend-Hits sind.“

„Was sind’n Jugend-Hits?“

„Lieder, die man mit 15 gerne gehört hat.“

„Ist Opa 15?“

„Nee. Er hat doch graue Haare.“

„Und’n dicken Bauch!“

„Sag ihm das blooooß nicht!“

Alte Leute kaufen seltsame Dinge. Zum Beispiel CDs. Immernoch. Dieser Tage die Neuveröffentlichung der „Old New Borrowed and blue“ von 1-9-7-4!

Die Zeit, in der ich zugebe, dass Slade ganz schön infantiles Zeug veröffentlicht haben – WIRD NIEMALS SEIN!

Ich mag die CD! Weil „We are all crazy now“ NICHT drauf ist. Weil man „My Friend Stan“, den Hit der Platte heute noch hören kann und weil sie so einige Nummern hat, die „ruhiger“ klingen als die Rammelhits von’73.

All diese damals unbekannt gebliebenen Nummern kriegen mich heute total:

Noddy Holders rauhe Sangeskunst, umgeben von so was ähnlichem wie Songstrukturen – das brauch ich grade, um mich „in guter alter Zeit“ verlieren zu können.

Die Platte hat einige Vorboten von „Far far away“ oder „In for a Penny“ zu bieten. Und genau das ist es für mich – zur Zeit!

Die „Slade in Flames“ kann man nicht hören, weil die bis auf eben das legendäre „far, far away“ und „How does it feel“ Vollmurks ist. Und die „Nobody’s Fool“ gabs nicht.

Wir sind damals 75/76 mit jeder neuen Radiobeute gewachsen. Fühlten uns Schrittchen für Schrittchen erwachsener, wenn wir den ersten „eigenen“ Led Zeppelin-Song auf Kassette hatten. Oder Who. Oder als werdender Musikspezialist: Buddy Holly!

„Ich hab jetz‘ „Rave on“ von Buddy Holly auf Band.“

„Or! Und? Wie klingde?“

„Hm. Klapprig. 50er Sound eben. Aber Drive hat’s schon.“

„Mussch ma vorbei komm‘. Muss’ch ochema hörn.“

„Kannste machen. Glei heute nachmittag? Du hast gesagt, du hast „Bohemian Rhapsody“ rauschfrei?“

„Gloar. Gannsde ham.“

Dieses Nachgrübeln über alte Vorlieben bringt es mit sich, dass einem die Verschiebungen bewusst werden. Was wurde mal als ganz „Heiß“ empfunden – und ist es heute nicht mehr? Was hat dir diesen oder jenen Namen vergrault?

Und so stampfen und klampfen Slade fröhlich vor sich hin, während meine Gedanken auf die Reise gehen.

Slade haben gehalten, mit mehreren Jahren Pause zwischendurch, in denen ich bisweilen auch schon glaubte: Das ist jetzt durch. Aber sie kamen immer wieder. Nicht ausrottbar der Slade-Kick von anno 73/74. Prägesound.

zeitreise3Los geht’s mit Foreigner. „Feels like the first time“ – noch bevor ich „mein erstes Mal“ überhaupt hatte – das kickte, trotz Punkzeit, enorm! „Cold as Ice“, die Nachfolgenummer im Radio, nicht so sehr. Aber durch „Heavy Rotation“ wurde sie uns nahezu eingeprügelt, und irgendwann gab ich nach. „Hot Blooded“ gefiel nicht, nervte; aber Foreigner waren nun „in“, also nahm man den Song mit. Besser schon „Double Vision“, so schon flüssig. Fahnezeit-Kulturbruch 80/81, anschließend die gefeierte „Foreigner IV“ als ganze Platte! „Urgent“! „Juke Box Hero“! Und den Hit dann noch -dank NDW- in deutscher Version von Willfried! KULT! Und passend zum Studienzeitende: „I wanna know what love is!“ Hach! Die Amiga-Lizenz-LP (Ne Best of) steht hier noch rum. In 33 Nachwendejahren kein einziges Mal gelaufen. Ich suche nach den Angelhaken von einst. Nix. Designer-Pop-Rock. 08/15. Eine schleichende-, aber nun vollständige Abnutzung hat Foreigner aus meiner Nach-Wende-Wahrnehmung ausradiert. Keine Platte gekauft all die Jahre. Keine CD. Und keine Lust auf Renaissance. Ein abgeschlossenes Kapitel.

zeitreise4Sadé Adú. „Smooth operatoooooooooor! Lover Booooooooooy! Coast to coast LA to Chicago; maximum joooooooy.“ Schön. Chic. Dekadent. Mitten in der NDW ein international neues Gesicht, das dauern würde, so schien es. Die Platte hatte heftig Airplay. Als ich sie hatte, kannte ich bereits fast alle Songs aus dem Radio. „Why can’t we live together“ war mein Lieblingstrack. So unterkühlt, abgehoben distanziert gesungen. Das hatte was! – Und „Your love is king“ fehlte, weil das schon LP Nr. 2 gewesen wäre. Die jungen 80er Jahre. Wir fuhren ab auf Interzone, Nina und Fehlfarben. Diskutierten Silly und Karussell. Grölten beseelt Renftsongs….feierten die beiden Regenwiese-Programme. Die so heftig waren, dass wir beide Male glaubten: Gleich kommt das Rollkommando und bricht die Veranstaltung ab! Angry young Men in Berufsfindungsphase; Studium genannt; aber es hatte auch seinen Reiz, schön chic, zerlumpt – in selbstgebatikter Maurerhose, Baseball-T-Shirt und 50er Jahre Sakko, behängt mit blechernen Abzeichen aller Art in Ermanglung von West-Badges  in der Leipziger „Bier-Bar“ im Halbdunkel, bei ein-zwei Tassen Eintopf und sieben-acht Bierchen im Gespräch mit dem ein oder anderen Gefährten die Welt zu retten, während der Laden beschallt wurde mit dem üblichen, einschläfernden Bar-Mix der Zeit: More than this, I’ll find my way home, wouldn’t it be nice, Fashons Its – putten on the Ritz – und eben „your love is king“; was der Wahrheit entsprach! Die „Love“ machte gerade im Wohnheim Seminarhausaufgaben; was kein männlicher Student je tun würde. Aber anschließend würde man sich wiedersehen: „Your love is wider, wider than Victoria Lake; your love is higher, higher than the Empire State…“ – You know what I mean? Sade hatte es drauf. Danach passte nur „Avalonnnn“; aber ich drifte ab. Das waren ja Roxy Music. Hach. Auch so ein abgelegter Fall.

Als ich das zweite Sadé Album geborgter Maßen in Händen hielt, um es eigentlich aufzunehmen, da gewahrte ich bereits: Nee. Die klingt ja 1:1 wie die erste. Ich kopierte also jenen Victoria-Lake-Song auf mein Resteband und verzichtete auf den Rest; sparte Platz für Kommendes von anderen Namen. Und leider blieb das so. Sadé bewohnte musikalisch eine Sackgasse und lief dort über die Jahre hin und her. Dem gesamten Pop-Jazz Ding der frühen 80er erging das so. Aus Working Week, ABC, Yazoo wurde auch nichts auf Dauer; hochgepuscht und fallengelassen; Sadé davon immernoch das Beste. Aber die Amiga LP von ca 1985, die original übernommene „Diamond Life“, steht hier nahezu ungespielt. Ich mag sie in der Erinnerung noch immer. Aber wenn das Popjazzfeeling in mir aufsteigt, dann greife ich eher zu Bensons 80er Jahre Sünden, die (mit der nötigen Altersmilde) immer besser werden, zum Ricky Lee Jones Debut, oder zu Don Juans Reckless Daughter. Die sind irgendwie besser gealtert.

Aller guten Dinge sinder Dreie: Queen. Kannst du noch „I want to break free“ hören? Oder „Radio Ga-ga“? Queen sind mittlerweile die abgedudeltste Band der Welt. Ihnen erging es Airplay mäßig schlimmer als den Beatles. Massenhaft Hits. Und alle, wirklich alle – „overplayed“. Die kommen mir aus den Ohren wieder raus!

zeitreise6Was war das herrlich, damals, anno’75 „Killerqueen“ zu entdecken; bei „Now I’m here“ auszurasten, „Bohemian Rhapsody“ endlich rauschfrei auf Kassette zu haben! Dann dieses „Opera“-Dings auf’ner dumpfen Band-zu Band-zu Band-Kopie geliehen zu bekommen und diese Soundruine trotzdem komplett nochmals zu überspielen: „Youuuuu are my best friend“…Now. Honey!? – Abwink.

Damals schon war zu merken, dass Queen dieses System: 3 oder 4 Single-Hits und dann Geräusch drumrum, um auf LP Länge zu kommen, schamlos steigerten. Eigentlich sind alle ihre Platten EPs, wenn man die Graupen rauskürzt. „Brighton Rock“ und „I’m in love with my car“ – das war schon 1976 Bandverschwendung, tonaler Sondermüll. Auf Queens „Jazz“ war das noch übler; dieses Missverhältnis zwischen „Hui!“- und „Gar nichts“- Nummern. Aber LP-Aufnahmen wollte man schlicht nicht verstümmeln. Also nahm man auch all den Mist mit auf und weil man wusste, was da so dabei war – hörte man sich im Endeffekt die Queen-Bänder kaum an. Entgehen konnte man ihnen ja trotzdem nicht. Abba und Queen. Queen und Abba. In den späten 70ern rauf und runter auf allen Sendern. Dazwischen noch 84 000mal „VMCA“ und fertig war der Sendeplan. Und in den 80ern wurden sie NOCH größer! Aber da begann es schon zu ätzen; ähnlich dem Phil Collins Overkill zur gleichen Zeit. Auf jeder Disco, jedem Rummel mindestens „we will rock you“, keine Sportsendung ohne „we are the champians“ und/oder „Don’t stop me now“. Es wurde schlicht zuviel. Man guckt zwar hin, wenn ein neues Video kommt; aber die Queen-LPs lässt man bei den Flohmarktdealern liegen. Ihre Fans sind Legion. Meine Antennen waren auf andere Sounds gerichtet, als die Mauer fiel und kurze Zeit später gruslige neue Queen-Videos auf MTV liefen. zeitreise5Wie hypnotisiert starrt man dann auf diesen ausgezehrten Rest, der einmal der bühnenbeherrschende Freddy the Great war! Die „Innuendo“ erschien.  Freddy starb – vor aller Augen! Show must go on! — Zeitchen später dann die lange Trauermesse in Wembley mit all den Berühmtheiten und George Michaels furioser Variante von „Somebody toooooooo Lo-ho-ho-ho-hoooooooo-hove!“ Ja, das war stark! Und dann das Brian May Statement: „Ohne Freddy keine Queen!“ Er hätte das durchhalten sollen!

Roy Black, Klaus Kinski, Freddy Mercury. Dieser Dreier-Tod 91/92 -ungefähr zeitgleich-machte mir zu schaffen: Drei Gesichter, die IMMER da waren! Begleiter durch Jahrzehnte! Belästern oder vergöttern – daran war man gewachsen! Auf einen Streich weg! So kurz nach dem Schwinden aller sonstigen Gewissheiten von vor 89/90! Nichts schien dauern zu wollen. Epochenbruch. Zäsur! Aber Memorial-Käufe gabs meinerseits trotzdem nicht.

Queen? Jeh mia weg du!

zeitreise2 (2)Dagegen erinnert mich Slades gut gebrülltes „Don’t blame me!“ wohltuend an die andern Krachkaskaden von ihnen, die ich nicht mehr hören kann.

Getdownandgetwithitstompyourfeet!

Dagegen: „Miles out of Sea“ so weit fort hier draußen gehört, malt die ferne Heimat an die Wand; und der gut gemachte Schrammelsound von „How can it be“ nimmt „far far away“ vorweg, DER Slade-Hit, an dem die meisten Erinnerungen hängen.

Das hymnische „When the lights out“ und die schöne B-Seite vom „Bangingman“ im Bonusteil schließlich gemahnen an all die verdrucksten Klassenfeten und die süßen Schulhofschwärme, aus der Zeit des „schweren Mutes“, als die Haare noch lang und die Röcke kurz waren…

Ja, das hörste dann so … in the year 2023… „After maaaaany hundred years.“ Und -schwupps- fällt dir ein, dass auch die Joey Dyser immernoch in der Sammlung fehlt.

Yeah. Damals war’s.

„And it’s ALLLLLL Right! Yeahr!“

7 Gedanken zu “Zeitreise

  1. Mit Genuss gelesen. (während des Lesens dachte ich, ob ich… eventuell gleichermassen in meinem Blog… – – aber ich brauche da womöglich doch noch ein Zeitchen für…)

    Slade war für uns Gymnasiasten ein No-Go-Kosmos. Noddy Holder – schon der Name und seine Auftritte sorgten für schenkelklopfendes Gekreische. Interessanter, zumindest anzusehen, fand ich jedoch Dave Hill von den Slade. Seine irren Gitarrenkonstruktionen. Und als ich mir eben zur Erinnerung nochmals „My Friend Stan“ angesehen habe, ist mir klar geworden, wie Paul Landers auf seinen merkwürdig rundgeschnittenen Ponni gekommen sein muss.

    Bei Queen liegen wir wahrscheinlich auf einer Welle. Queen I und Queen II waren wegen der damals noch ungehörten Gitarrenspielereien von Brian May interessant. Anfänglich, denn die wurden rasch langweilig. Die beiden Alben Opera und Races weckten nochmals ein wenig textliche Neugier schon durch die Anspielungen auf die beiden Filme von den Marx Brothers. Aber die sogenannte Böhmische Rhapsody war der Overkill an Unfug. Den Rest hast Du selbst ja dazu geschrieben.

    Zu Foreigner würde mir im Gespräch spontan allenfalls die Foreigner Suite von Cat Stevens einfallen. Weil Foreigner zu einem ganzen Reigen von Bands in dieser Zeit passt, die alle an mir vorbeigespielt haben. Foreigner, Rubettes, Mud, Abba, Bachman-Turner Overdrive, Eagles, Grand Funk Railroad, The Doobie Brothers, Earth, Wind & Fire, America ,, , , , , , , die müssten alle in 1975/76 passen – die Aufzählung ist keineswegs vollständig.

    Den Kracher finde ich die Erwähnung am Ende: Joey Dyser. Nie gehört, nie gesehen. Ich dachte, als ich dem Link folgte noch an Ironie. Aber dann las ich den Satz: „Und -schwupps- fällt dir ein, dass auch die Joey Dyser immernoch in der Sammlung fehlt.“
    Das hat dann doch für Staunen gesorgt. 😉

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    • Danke für die Blumen.
      Aber da gibt es nu allerhand Anknüpfungspunkte. Das könnte abendfüllend werden. Ich versuch es „Kurz“.

      Dave Hill der Bertolt Brecht des Glam-Rock. 🙂 Skalptechnisch.

      Deine Bandliste muss ich abändern: Foreigner passen nicht zum Rest, weil die erst 78 antraten. Die Doobies passen nicht dazu, weil sie in DER Aufzählung die anspruchvollste Musike machten, wie ich heute weiß. Damals in den 70ern rangierten sie bei mir auch nur unter „ferner liefen“. Aber die „Taken it to the street“ und die „Minute by minute“ die ergänzen schon sehr schön den Steely Dan Kosmos. (Aber das sind sehr späte Erkenntnisse meinerseits)
      Den Eagles hätte es knapp so gehen können, wie Queen. Aber dank ihrer Auflösung 1980 ebbte der Hype ab und inzwischen kann ich sogar „Hotel California“(den Song) wieder gerne hören. Die späte braune „Long Way out of Eden“ ist ein Meisterwerk; besonders CD 2 davon. Don Henley ist ein Philosoph, der zielsicher ins Schwarze trifft. Hätten die Amis Bildung, wüssten Sie, dass sie mit dem Werk sowas wie ihren „Faust“, ihren „Turm“ oder ihre „Kassandra“ bekommen haben.
      Zuviel Geist, dass es die „Meute“ gutfinden könnte.
      Marillions „Fear“ gehts heute ähnlich.

      Wie issn dein Schlusssatz gemeint? Lachste mich wegen Joey Dyser nu aus oder überrascht dich der Song aus andern Gründen?

      Das Lied war in Holland mitte 1975 Platz 1 und lief im Musikladen. Ich war 15 und verstand vom Text nicht viel mehr als „Many hundred Years“. Singt die von ihren Vorfahren? Von verschollenen Urgroßvätern auf See? Oder von verschollenen Goldsuchern drüben im Wilden Westen? – Assoziationen zu hauf.

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      • Meine Bandliste kannst Du für Dich gerne abändern, das ändert wenig an meiner Einschätzung und noch weniger an meinem persönlichen Geschmack. Und was Foreigner betrifft, sehe ich, wie unwichtig die Band für mich ist. Was machen da schon drei Jahre?

        Was ich nachvollziehen kann, ist, dass sich Geschmäcker verändern und Erkenntnisse erwachsen können. Das geht mir nicht anders wie Dir und den meisten wachen Menschen.

        Was meinen Schlusssatz betraf, lach(t)e ich Dich keineswegs aus wegen der Sängerin. Die Geschmäcker sind eben verschieden und das ist auch gut so. Ich weiss längst, dass die Bandbreite Deiner Musiklieben enorm ist. Das vielleicht verbindet uns. Insofern war es eher ein Erstaunen, dass auch ein Lied bzw. eine Sängerin wie Joey Dyser in Dein Beuteschema passt.

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      • PS: vielleicht sollte man mal eine Liste anfertigen von Liedern, die in unserer Jugend unsere Gefühle stark bewegten. Und diese Gefühlswallungen auslösten vielleicht deshalb, weil wir mangels elaborierter Fremdsprachenkenntnissen allenfalls einige Brocken des Textes verstanden haben 🙂

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  2. Die Replik habe ich auch so verstanden – unsere Scheuklappen sind sehr weit geöffnet, wir fokussieren unterschiedlich und das machts em Ende vielfältig und interessant.

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