You go your way, I go mine…
Wiedermal on the road. Alleine. Nächtens. A9. Stau frei, aber gut besucht. Altmännerdriving. Tempomat bei 105. Da die Halsschlagader Berlins jedoch eine einzige Baustelle ist, grenzt das schon an Raserei. Ich muss laufend auf 80 dimmen. Die Music rettet‘s one more time. Der Soundtrack stimmt. Dunkelheit. Scheibenwischer. 2017 unentbehrlich! Inzwischen gar nicht mehr so nervig wie früher. Gemütvolle Klangdiamanten umschmeicheln das Trommelfell. Mal roh, mal fein ziseliert. Sie verführen zum Grübeln. Sogar derart, dass ich mir einen Ruck geben muss: Bin ich Arthur Millers Handlungsreisender, der im Alter irgendwann nicht mehr weiß, in welcher Sorte Auto er sitzt und den Highway per 40 m/h blockiert? Dustin Hofmanns Paraderolle. „Tod eines Handlungsreisenden“! Da hupt‘s auch schon. Brummis überholen mich. Back to real life! Das ist hier kein 30er Jahre Buick und auch kein Trabi, du Träumer! Du hast nach der letzten Baustelle nicht wieder aufgetourt! Der Denkomat im Kopp läuft eh volle Pulle! Kurzer Sprint auf 140, vorbei an den Brummis, dann Tempo einrasten lassen bei 110 und die Grübelei kann weitergehen.
Es ist die zweite Tour zurück aus der alten Heimat innerhalb von 4 Wochen. Die Kontakte nehmen wieder zu. Klassentreffen war eine Woche vor der Wahl. Vierzig Jahre Klasse 10! Wie sich das anhört! (Alter Sack, du!)
Und dann hab ich diesmal Freunde from the north überreden können, sich das Saaletal anzugucken. Quasi Bloggertreffen Part 3 ohne Blogger. Fremdenführer one more time. Novum diesmal: Ehepaar mit 6.Klässlerin. Also Programmanpassung nötig!
Treffpunkt war wie immer die „unbezahlte Parke“ am Knast. Erster Eindruck Stacheldraht? Kann das gut gehen? Klar. Er spart gern. Sie stammt aus Ostberlin. Da ist das gewohnte Atmosphäre. Und die Kleine ist neugierig; gottlob noch nicht in der laaaangen Lustlosphase der Pubertät.
Erster Tag: Natürlich die Afterglow-Burgentour; diesmal mit einem Schwenk nach Eckartsberga: Geisterhaus. Passt zu Halloween, diesem aufgepfropften Amibrauchtum, und entpuppt sich als erlebenswerte Attraktion. Sehr einfallsreich und wirklich gruslig erfüllt der alte DDR-Bau in Nachwende-Umwidmung voll die Erwartungen. Vor 89 fand hier alljährlich das ZV-Lager für Studentinnen aus Halle und Leipzig statt. Zivilverteidigungspflichtlehrgang; Pflicht für alle Mädchen in den Semesterferien nach dem 1. Studienjahr. (Die männliche Hälfte der Studentenschaft musste in Seligenstädt nochmal 5 Wochen Soldat spielen.) Die holde Weiblichkeit im GST-Drillich kostümiert tankte hier mitunter gruslige Schikane-Erlebnisse seitens diverser Doktoranten, die unpassender weise meinten, einen auf Feldwebel machen zu müssen. Im Nachhinein eine von vielen Lächerlichkeiten der Täterätätä.
„Lichtblitz!“ (=Atomschlag) Volle Deckung hinter umgestürzten Schulbänken, Aktentaschen oder extra ausgehängten Zimmertüren…. Gone with the wind.
Heute tasteste dich an sehr spärlich beleuchteten Totenköpfen vorbei, läufst im Stockfinsteren durch etwas Ekliges, was dein Gesicht streift und dann beim Nachgreifen gar nicht eklig ist: Dünne Eisenstrippchen, massenhaft und andere Tests für den persönlichen Toleranzbereich mehr. Einmal Geisterhaus immer Geisterhaus.
Die Sommerrodelbahn hat glücklicherweise auch noch auf; Märchenlandpanorama inclusive.
Die Eckartsburg-Besichtigung glaubte ich einleiten zu müssen mit dem Satz: „Gleich kommen wir zur Unansehnlichsten der hiesigen Burgen.“ Und erschrecke, als wir die letzte Burgbergbiegung nehmen: Wow! Irgendwer muss hier sattsam nicht nur Bausubstanz gerettet-, sondern längst Verlorenes wiederaufgebaut haben! Sapperlot! Ich hätte vorher recherchieren soll‘n! Mein letzter Besuch hier ist 45 Jahre her! Ich rudere also zurück und fotografiere selber begeistert mit.
Anschließend ist noch Zeit für Rückfahrt im Hellen, Bürgergarten und Innenstadt bevor es dunkelt und Tagesresümee im Ratskeller.
Tag 2: Reformationstag. Der Dom ist vormittags wegen Gottesdienst zu. Also switschen wir zur Rundbegehung, schlendern zur Wenzelskirche, wo es das letzte Mittagskonzert 2017 gibt, und fahren zur Schönburg Mittagessen. Dort liegen Flyer aus:
Heute Abend INDIANERkonzert! Direkt auf der Burg! Herrlich.
Indianer gab es hier zuletzt 1964! Aus Plaste! Wenn wir sie mitbrachten. In den Kindergarten!
Aber leider muss mein Besuch morgen wieder arbeiten und vorher diese 300km schaffen. Er will deshalb rechtzeitig zurück…. Nach dem Essen Dombesichtigung. Es dunkelt bereits. Einkehr ins Dom-Cafe´. Rückkehr zum Knast, wo das Auto der Gäste steht. Ein weiteres Mal hab ich dem Saaletal ein paar Besucher zuführen können, denen der Trip gefiel.
Das Wetter war entgegen den Vorhersagen prächtig für einen 31. Oktober. Als der seltene Anblick einer weiteren brandenburgischen Autonummer in Naumburg im Dunkel der Nacht entschwunden war, gab ich mir einen Ruck und fuhr wieder zur Schönburg. Das Saaletal ist für mich längst zum Indianerland der Erinnerungen mutiert. Nun will ich bei Original-Wildwestklängen gemütlich, wenn auch allein, nostalgieren. Vielleicht lern ich einen zweiten Douglas Spotted Eagle kennen! Das wär’s! Der Typ, der zu erwarten ist, gehört zum Stamm der Menominee. Nie gehört. Aber er hat Songs gegen diese Pipeline da, die ein Dakotaheiligtum gefährdet. Also gehört er zumindest in den Dunstkreis „meines“ Stammes, der neuzeitlich berichtigt Lakota heißt.
(Die Bilder zeigen die Eckartsburg. Die Schönburg gibts hier)
Das Konzert ist mit 30 Leuten schlecht besucht. Der Menominee wird begleitet von seinem Sohn als Perkussionisten.
„Der mit dem schwarzen Wolf geht“, heißt zwar auf indianisch wirklich so, sieht aber eher aus wie Carlos Santana mit Schiebermütze verkehrt rum und Oberlippenbärtchen. Leider spielt er nicht so. Es ist eine Krux, die ich bei Indianerbands (Redbone, Little Wolf Band u.a.) schon mehrfach erlebt habe: Es geht mir einmal mehr wie mit westdeutschem Krautrock der 70er. Da ist immer mal ein allzu kurzer schöner Moment, aber viel Gegniedel und Gehudel, das nicht richtig rockt und auch nicht richtig melodiös die Tränen zieht. Dabei hat er kurz vor Schluss doch „Thats alright Mama“ und ein ca. 10minütiges Chuck-Berry-Gedächtnis-Medley in petto! Geht doch! Andererseits, wenn er zu einer seiner Flöten greift – reicht ein Ton! Und schon siehst du den Adler über dem Death-Valley kreisen! Oder über Büffelherden im Grasland. Herrlich. Da klappt es immer mit dem Flow! Warum nicht on Guitar?
Er moderiert freundlich. Er verdient sich sein Geld schwer. Er spielt fast 3 Stunden! Leider mehr Gitarre als Flöte. Er verabschiedet anschließend sein Publikum mit Handschlag und signiert CDs. Obwohl mich seine Musik nicht fliegen ließ ins Traumland der Plaste-Indianer, war es immerhin ein Event auf der Burg für mich – nach 50 Jahren! (Alter Sack Part 2!) Ich gehe zufrieden den Burgberg hinab, genieße das malerisch beleuchtete Dorf bei angenehm trockenem, windstillen Wetter. Das Auto steht am Dorfeingang. Mehrere Ortsfremde sind zur Burg hinaufgefahren und kämpfen nun auf dem Rückweg mit der abschüssigen 180 Gradkurve unten an der Auffahrt. Sie behindern sich gegenseitig. Schadenfroh nehme ich die Treppe und habe eine stressfreie Heimfahrt ins Elternhaus.
Am Abend darauf fahre auch ich gen Norden. Das Programm meiner neuerlichen Nachtfahrt bestreiten: Van Morrison, Ian Hunter, Atlanta Rhythm Section, Nazareth.
Letztere eröffnen das Nachtprogramm mit den ersten drei Tracks von „Snakes and Ladders“. Ein vielfach missachtetes Album. Mein zweitliebstes von ihnen! „We are animals!“ passt zum gerade gehabten Lesestoff: „Vor Sonnenaufgang“ von Hauptmann! Die Verwahrlosung der Verhältnisse in Oberschlesien im Kohleboom des späten 19. Jahrhunderts. Das passt zur Entsolidarisierung seit der Wende in der „galoppin‘ Globalisäjschn“ wie Arsch auf Eimer. Deshalb mischen sich die Gedanken da auf der finsteren A9 mit den Eindrücken des Klassentreffens von vor 4 Wochen. Ich kenne seitdem die Rentenbilanzen einiger Klassenkameraden von einst. Die 90er, die bösen 90er! Arbeitsplatzverlust und Umschulungsmoulinette der kolonialen Art: PC-Kurse mit Pappendeckeltastatur, weil gar keine Computer da waren; Floristenausbildung um des lieben Friedens willen, damit die Statistik des Arbeitsamtes „stimmt“ usw. Nun kommt der Tag des Aussteigens in spürbare Nähe. Plötzlich hören sich Beträge zwischen 600 und 800 Euro immer bedrohlicher an. Aber es war kein Abend des reinen Frusterzählens: Sondern es gab reichlich „Weeste noch?“
Inzwischen sind 4 Songs von Ian Hunter durch. Der letzte war „Man overboard“ mit der Zeile „Ship’s goin‘ down on the wrong side of town“, was mich wegholt vom Schicksal anderer hin zum eigenen. S Häusel steht im falschen Eck von Deutschland.
Van Morrison setzt fort. Enlightenment. Hier nun wieder packt mich die Zeile „still I‘m souverreign, thats my problem“. Jedenfalls verstand ich sie jahrelang so. In Wirklichkeit singt er aber „suffering“ statt „souverreign“. Irgendwie trifft beides nicht mehr zu. Trotzdem gefällt mir der Song. „Enlightenment don’t know, what it means“. Ich winke mit ihm ab.
„So into you … it was voodoo nothin‘ else…“ Die Herren in den weißen Anzügen aus „Szene77“ legen mir mit dezentem Laid-back-Sound nahe, die Dinge wieder sonniger zu sehen. „I am captured by your styyyyyle…“ Nachtgedanken der angenehmen Art: Der Reigen der „Kayleighs“, der „Irene Wilde“s, der „Entschuldige i kenn‘ di!“- Fälle beginnt. Ausgerechnet Bernd hatte auf dem Heimweg vom Klassentreffen das Thema angeschnitten:
Ich wusste nichts. Konnte mich nicht mal an eine Freundin der Gastgeberin erinnern. Aber er hatte dieses Thema angeschnitten und prompt gingen mir meine eigenen Sehnsuchtsfälle von einst durch den Kopf. „You shot me down“ von Nazareth hält die Stimmung. Genesis „Afterglow“ folgt und katapultiert mich innerlich 150 km zurück in den grünen Tunnel. Song und Gegend nunmehr auf ewig eins! Gefolgt von Meeresrauschen und Nazareth einmal mehr: „Helpless“. Eigentlich Neil Young. Klar. Aber McCafferty und seine Burschen haben es im kleinen Finger: das Talent, wenn es ums Covern geht. Ich nehme mir zum hundertsten Mal vor, eine „Private Best of“ zusammenzustückeln mit all den Hits von denen, die keine waren.
Plötzlich hupt‘s. Brummis ziehen vorbei. Ach du Scheiße! Keine Geschwindigkeitsbegrenzung mehr und ich bin noch bei 80! Mal kurz Peddl on the Mettl. Dann wieder gemütliche 110 und „Shenandoah“ von Van the Man lässt mich wieder abtauchen, in Erinnerungen versinken. Sehnsuchtsorte von einst: Shenandoah „on the wide Missouri“, „Oh Missouri! Bring mir den — Liebsten zurück“ (Gojko-Zeiten), Tanglewood, Santa Fe‘, Black Hills, gleenes Gino, chroßes Gino…Game over, … neulich Wiedersehen mit all den Nasen, „den Helden von früher, die heut (keineswegs) Beamte sind“; dazu die alte Aula, mit dem kolossalen Stadtbild, dessen Mittelteil von Ecke stammt.
AG Kunst. 1976. Gemeinschaftswerk. Die andern durften Vorder-und Hintergrund ausmalen. Wenigstens das blieb von ihm übrig. Luggie am Klavier. Links auf der Bühne. Wie anno‘74; zur „Jugendstunde“, die unsre erste Disco wurde. Dank Luggies Band, die unserer unausstehlichen Klassenlehrerin zu wild und zu westlich war. Nur den „Scheißhausrock“ spielt er nicht mehr. Es ist ihm sichtlich peinlich, als ich ihn darauf anspreche und Thomas prompt den Text rezitiert.
Ich grinse in die Nacht und dreh ein bisschen lauter:
‚Tis seven years
Since last I saw you
Away you rolling river
‚Tis seven years
Since last I saw you
Away, I’m bound away
‚Cross the wide Missouri…………
„Über den Missouri“ heißt auch der letzte Band der „Söhne der Großen Bärin“. Toka-ihto wurde ich keiner. Mein Sohn hätte das Zeug dazu. Also bin ich Mattotaupa, der fern seines Stammes leben musste und dem Alkohol zum Opfer fiel. Hm. Da fallen mir diverse Becherovka aus jüngerer Vergangenheit ein. Man kann ja nie wissen…
Erster Kommentar!
Immer noch irgendwie „auf Empfang“…
Danke für die persönlichen Einblicke; ohne Frage, das Leben rundet sich.
Und danke, wie immer, für die Einblicke in die Ostmannseele.
Alles Gute!
E.
LikeGefällt 1 Person
Bei Indianerbands bin ich ähnlich skeptisch, die Sympathie war da, hat aber nie ganz gereicht. Und indianische Folklore kann ganz schön hart sein auf Dauer, ob ich da drei Stunden durchgehalten hätte?
Wahrscheinlich aber länger als bei Nazareth *fg*
LikeGefällt 1 Person
Es ist nahezu unmöglich, zu diesem verdichteten und wahrhaftigen Text meinen Senf dazuzugeben…es geht mir sehr nahe, was Du schreibst, es ist mir, als läge Dein Herz offen da zwischen den Worten, zwischen den Zeilen, da gibt es nichts hinzuzufügen, es ist wie es ist.
Hab Dank für die wundervolle Musik, die ich noch nicht kannte und die meinen Eindruck noch verstärkt.
Für die Zukunft hoffe ich natürlich, daß Du Deine Stadt/Land/Fluß – Führungen auch weiterhin betreibst, denn da tun sich ja noch Welten auf bezüglich Burgen und Geisterhäuser an der Saale hellem Strande, nicht wahr, und weißt Du was, Mr. Blu, überhaupt ist Afterglow zuhause nicht dasselbe wie im Blätterdom auf dem Weg zum Himmelreich…
LikeGefällt 1 Person
Wow!
LikeGefällt 1 Person