Eines Abends in der zweiten Hälfte der 70er lief der Fernseher. Es war „Musikladen“-Tag. Das Diodenkabel war gesteckt. Das „Anett“ startklar. Der kleine Dakota nach Wachstumsschub und Skalpanpassung saß davor. Die Daumen auf den wichtigen Tasten. Aber wiedermal kam haufenweise Disco-Gülle. Erfahrungsgemäß musste aber irgendwann so ein rares Highlight kommen, das man nur hier zu sehen bekam. Und wenn es nur der „Beat-Club“-Oldie ist, der zu erwarten war.
Eine ganze Weile also – nichts. Plötzlich dieses Gesicht! Die Daumen gehen runter, die Tasten rasten ein und „Because you‘re mine, I’ll walk the line“ knurrt sich angenehm auf die Kassette. Der Typ sah aus wie Marshall Mat Dillon aus „Rauchende Colts“! Nur hatte er keine Knarren an der Seite, sondern eine Akustische vor dem Bauch, dann wie ein Jagdgewehr auf dem Rücken. Und diese Stimme! Dicht an C.W.McCall, dessen „Convoy“ vor gar nicht allzu langer Zeit eine Art Klassen-Hymne gewesen war.
Die Ehemalige rang sich Zeitchen später zur Veröffentlichung einer Amiga-Lizenz-LP durch. 1981. Mein Re-a-listment-Soundtrack als ich von der Asche kam. In der MHO hatte ich die Platte knapp verpasst, aber Snegows „Menschen wie Götter“ gekauft. Eigentlich hatte ich das lesen wollen, weil es mir schien, es könnte eine Symbiose aus historischem und utopischem Roman sein, aber dann gab ich beide Bände ungelesen hin für ihn – Johnny Cash.
Das Resi-Tuch noch um den Hals, die Tasche in die Ecke feuernd, stocknüchtern, weil ich den Entlassungstag genießen wollte, erreichte ich mein Kinderzimmer nach durchfahrener Nacht.
Plattenspielerdeckel hoch, Johnny’s Scheibe drauf, aufdrehen und sich selber fallen lassen. Like a „9 Pound Hammer“ sozusagen. Im Einschlafen seh ich noch Vaters Silhouette in der Tür, wie er wohl wieder „Leiser!“ einklagen wollte; aber heute sagt er nix. Sein Landser is „back from the barracks“.
„Call me (nüchtern) Ira Hayes, I will answer anymore, ‘cause the music drinkin‘ Indian is at home nomore at war.“ Sozusagen. Nie wieder Fischies! Nie wieder „faul ick denn?!“ Nie wieder „Tür aaaauuuufff!“
Nach ein paar Stunden Schlaf dann los zur Polizei, den Persi wiederholen. „Der liebe Resi“ will wieder zivil sein. Dort Typen wie ich, die dasselbe wollen und auch solche wie ich vor 18 Monaten, den Ausweis und die blaue Klappkarte zum Abgeben in der Hand. Deja vu. Dann zu Udo. Der ist arbeiten, also wieder heim … auf dem Plattenteller gewinnen diesmal Skorpio „Hey, hey jobarat! Hey! Heyhey!“ Ungarische Kriegstänze und das übliche „LEISERRR!“ von unten aus dem Erdgeschoss. Knallt mehr als Country. Der Überdruck aus Freude und unbefriedigter Rache musste erst raus! Aber das Cash-Cover steht aufrecht auf dem Stuhl daneben, gegenüber meiner Liege: Er sieht halt immer noch aus wie Mat Dillon! Und ne Knarre hat er bestimmt auch zu Hause, so als typischer Ami.
Bloß – so ein typischer Ami ist er gar nicht. Er hat allerhand übrig für Indianer. Das geht dort drüben nicht grade vielen Weißen so. Sein „Ira Hayes“ hatte es mir angetan.
Die Ballade von Ira Hayes – Peter LaFarge & Johnny Cash (Album „Bitter tears“; 1964)
dt. Version: Bludgeon
Lass mich die Geschichte erzählen
Von einem taffen jungen Mann
Der aber ein Indianer war
Und aus der man lernen kann.
Er stammt von den Pima-Indianern
Einem fleißigen stolzen Stamm
Der nicht nur saufen und streiten
Sondern auch arbeiten kann.
Sie pflügten Arizona Valley
Und bauten Melonen an
Bis man ihnen eines Tages
die Wasserrechte nahm
Nun blieben die Felder trocken
Dem Stamm erging es schlecht
Der weiße Mann sah ruhig zu
Er fühlte sich im Recht.
Als dann Weltkrieg Zwo begann
Trat Ira trotzdem an
In der Hoffnung auf Veteranenruhm
Der dem Stamm dann helfen kann.
Sie kämpften auf Südseeinseln
Gegen die gelbe Gefahr
Obwohl doch Ira der Pima
Auch kein Weißer war.
Die Fahne der Freiheit flattert
nun über dem Ozean
das hat für Roosevelt & Truman
auch Ira Hayes getan.
Mit’nem Orden an der Brust
Kehrte er wieder heim
Die Kameraden achten ihn
das sollte nicht von Dauer sein.
Denn kaum von Bord gegangen
da änderte sich der Ton
wieder bloß ein „Redskin“
wie vor dem Kriege schon.
Ira lernte da drüben
Wie Recht aus Blut erblüht
Dass das zu Hause nicht so ist
Das schlug ihm aufs Gemüt.
So begann er das Saufen – hart!
Er kam auch oft in den Knast
Immer wenn er Reservationsverwaltern
Einen Tritt verpasst.
Da hatte er Zeit zum Grübeln,
bis er plötzlich verstand
warum der weiße Mann das Sagen hat
Im Indianerland.
Sie hatten ihn in die Army gelockt
Und Ruhm und Ehre versprochen
Aber sie hatten ihn wie einen Hund entlohnt
Sein Orden war der Knochen.
Jeden Morgen im Saloon
Da schüttet er in sich rein
Den Orden trägt er längst nicht mehr
Man lässt ihn lieber allein.
Nenn ihn Säufer Ira Hayes
Wenn er in seinen Whisky stiert
Heute lässt er sich’s gefallen
Früher hätt’ er dich skalpiert.
Nenn ihn Säufer Ira Hayes
Er antwortet nicht mehr
Denn die Bürde, die er trägt
Drückt seine Schultern schwer.
Im Reservat blieb das Wasser knapp.
Die Not blieb Jahrzehnte bestehen
Der Säufer Ira Hayes jedoch
Wurde plötzlich nicht mehr gesehen.
Sie fanden ihn eines Tages
Erschossen in die Wüste gekarrt
Nah an einer Wasserstelle
In der Hand noch das Purple Heart.
Super geschrieben! Ein Resi grüsst…
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Danke. Grüße zurück.
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Großartige Übersetzung/Interpretation. Es gab mal zwei sehr geniale Bücher mit wirklich guten Übersetzungen (Dylan und Zappa) – mach Dich mal dran und übersetze den Cash. Ich würd’s kaufen 😉
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Ich auch!!!
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Ich gehörte auch zu denen, die den „Musikladen“ hauptsächlich wegen des Oldies geguckt haben. Das war mal sehr deprimierend für mich. 1974 brachte Bachman Turner Overdrive „You Ain’t Seen Nothing Yet“ raus. Thälmannpionier Brauseschenk war damals schwer begeistert. Fünf Jahre später kam der Titel im „Musikladen“ als Oldie. Da wusste FDJler Brauseschenk schlagartig, dass er alt ist.
Nüscht jejen Johnny Cash, aber dass Du durch ihn gehindert wurdest, Snegows „Menschen wie Götter“ zu lesen, verunmöglicht es Dir einstweilen, meine neulich aufgeworfene Frage hinsichtlich der Verwendung des Begriffs „Astronaut“ in der DDR zu beantworten. Siehe Link.
https://brauseschenk.wordpress.com/2019/03/26/astronautik-in-der-ddr/
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Naja, NUR wegen des Oldies hab ich Musikladen nicht geguckt. Ich verdanke ihm immerhin so Erstkontakte mit Meat Loaf, Ramones, Joachim Witt. Aber das mit der Oldie-Werdung, da sachsde wat: Sheila & B.Devotion, waren so eine Hopserei um’78 herum. Und 1982/83 gewannen die die Telefonabstimmung gegen die Who! Das war ein Elend! Und das so ein Dreck den Ehrennamen Oldie (der Rockgeschichte) bekam – bis dahin unvorstellbar!
Das mit den Astronauten kann ich wirklich nicht beantworten: Mir waren Indianer und Ritter always lieber als diese Mars-Trips mit seitenlangen Triebwerkbeschreibungen. Meine Leseliste in Sachen utopischem Zeugs ist deshalb überschaubar.“Gerichtstag auf Epsi“ war ganz hübsch, aber auch keine Weltliteratur.
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Autobiographisch lesenswert geschrieben. Schönen Dank dafür.
Galoppelmusik war allerdings nie meins.
In der vorletzten WG hatte einer die 1969er Cashscheibe At San Quentin. Die lief häufig. In Erinnerung blieb mir einzig die Stelle, an der Cash sang: „San Quentin you’ve been living hell to me“ und die gefangene Zuhörerschaft frenetisch aufheulte.
Interessant auch der Essay hinter der Verlinkung. Notfalls zieht auch der letzte sozial benachteiligte Usamerikaner (ami ist französisch und bedeutet Freund) noch in den Krieg seiner wirklichen Feinde, just to make a fortune. So wie Ira Hayes…
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