MOSAIK Tiefenforschung 2

Für das Folgende passen keine Bee Gees. Leg dir Mittelalterrock auf, denn gleich zücken wir die Schwerter!

Haggard, Opeth, Therion irgendsowas eben, was dir die Zinnen an die Schädeldecke malt.

Weiter geht’s mit literarischer Archäologie.

DSC02903-001mosaikIn der leider unvollständig erzählten Hegen-Biografie „Die drei Leben des Zeichners Hannes Hegen“ wird erzählt, dass die Crew des Mosaiks, vom schieren Erfolg in den 50ern überrannt, angespornt war, besser und besser zu werden. Die Anfeindungen in Sachen „Schund- und Schmutz-Literatur“ taten ein Übriges. So begannen sie also, sich auf Ideensuche zu begeben und antiquarische Bücher zu erwerben. Die waren billig in der Ehemaligen. Das schnell anwachsende Archiv schlug zwei Fliegen mit einer Klappe: Es ist in alten Mären gar wunderviel geseyd…, also konnte man aus alten Romanen „für die reifere Jugend“ der Kaiserzeit, sich ungestraft Anregungen holen, indem man aus 3 oder 4 Erzählungen Partikel entnahm, um sie Runkel und den Digedags in einer Geschichte unterzuschieben, denn es war davon auszugehen, dass wohl niemand in der Lage sein würde, in alten Wälzern auf Digedagspuren zu stoßen. Frakturschriftkenntnis-Inhaber waren eine aussterbende Spezies bereits in den 60ern.

Andererseits waren die alten Kupferstich-Illustrationen aus fernen Ländern ideale Vorlagen für anheimelnde Hintergründe, vor denen Hegens Comic-Helden ihre Bewährungsproben erdulden müssen. Meisterhaft geradezu das mittelalterliche Venedig zu Beginn der Runkel-Serie oder aber auch die Berliner Reichstagsruine im damaligen Ist-Zustand auf dem Stern des Todes (im Heft 26). Nicht zu vergessen die Hafenanlagen des alten Konstantinopel, nach Vorlagen einer alten Völkerkunde, mit Abbildungen Istambuls um 1880.

Somit kann behauptet werden, dass man mit den Digedags erfolgreich durch Raum und Zeit reisen konnte. Ob Bayous am Mississippi oder die Steinhänge am Euphrat – die Landschaft stimmt!

Jugendverderbnis- und Volksverdummungsvorwürfe liefen so ins Leere..

Arno Schmidt hat die interessante Idee entwickelt, dass jeder Autor im Jenseits erst dann Ruhe findet, wenn er auf Erden vollständig vergessen ist. Und wenn er sich nicht an realen historischen Personen vergriff, die ihn ansonsten durchs Paradies jagen, wie z.B. die Gotenkönige den Felix Dahn.

Dieser Theorie entsprechend bin ich der geborene Störenfried. Mein Literaturgeschmack hinkt dem meiner Generation gut 50 Jahre hinterher und somit bin ich vermutlich letzter Liebhaber so einiger Namen, nach denen heute kein Hahn mehr kräht.

Da wird sich so mancher Literaturtitan da oben bereits bequem in die allerletzte Haltung gebracht haben, befriedigt aufseufzen „So! Genug! Es ist vollbracht!“ – wenn Erzengel Gabriel an seine Bettstatt tritt, um grinsend mitzuteilen: „Denkste! Hoch mit dir! Bludgeon liest dich noch!“

So geschehen 2020 mit dem „Guten Kameraden“ Band 28; Schuljahr 1913/14. Die letzte Friedensspanne der „Guten Alten Zeit“.

„Gottfried von Hohenloh.“ ist dort drin ein kurzer Fortsetzungsroman um einen Minnesänger im 13. Jahrhundert. Der Autor kaschiert seinen Namen zu M. Sch.; untypisch für die führende Knabenzeitung jener Tage.

Vorlage 1

Wenn du dich auf diese 5 oder 6 Folgen einlässt, dann kommt dir das Grinsen, denn der Inhalt hat es in sich. Er enthält sowohl ein politisches Wagnis zu Zeiten des Erscheinens, als auch eine Digedagspur für spätere Leser.

Der Haupt-Gag ist der, dass Hohenloh 1233 vom Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen in Sizilien losgeschickt wird, um seinem Kronprinzen Heinrich jenseits der Alpen ein paar Nachrichten zu bringen und als Berater auf die Finger zu sehen. Kaiser Frederico hat per Gerücht erfahren, dass sein volljähriger Bub da oben im Norden nämlich ungeschickt agiert, wichtige Fürsten verprellt und an Putsch gegen den Vater denkt.

Ein Gag ist das deshalb, weil es für wissende Gymnasiasten 1913 – und da hat es sicher nicht wenige gegeben, denn Geschichte war damals „in“! – eine deutliche Parallele gibt zum amtierenden Willy Zwo und seinem verstorbenen Vater Friedrich III.. Dass sich beide nicht „grün“ waren, ist damals allseits bekannt. Dass Willy ein ungeschickter Akteur auf der Weltbühne ist, bekommt ebenfalls jeder mit – und nun, ausgerechnet im Jahr des 25jährigen Thronjubiläums des „Friedenskaisers“ mit den vielen außenpolitischen Krisen, kann die Jugend diese mittelalterliche Parabel auf das „jetzt“ lesen!

Klar, dass da der Autor lieber nicht allzu bekannt werden will!

Das Damoklesschwert der „Majestätsbeleidigung“ schwebt über ihm!

Hatespeech 1913!

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…Österreicher auf der Wacht …

Der „Gute Kamerad“ ist ein deutlich süddeutsch geprägtes Werk. Union Verlagsgesellschaft Stuttgart-Berlin-Leipzig-Wien. Die Abstandssuche zu Preußen wird darin deutlich, dass bei militärischen Themen eher über die K&K Armee berichtet wird, bzw. über württembergische Regimenter. Die Willy-Watsche im Jubiläumsjahrgang unterzubringen ist bestimmt klammheimlich in den Redaktionsstuben gefeiert worden!

Der zweite Gag der Erzählung liegt im Detail und hat MOSAIK-Bezug:

Es macht einfach Spaß, beim Lesen auf etwas zu stoßen, was dir sofort bekannt vorkommt:

Spuren der Hohenloh-Geschichte finden sich in mehreren Episoden der Ritter-Runkel-Serie:

– in der 110; „Das Kastell Peripheria“

– in der 145, „Ritter Runkels Heimkehr“

– in der 150; „Der Sturm auf die Kuckucksburg“

Denn:

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Hohenloh und 3 Begleiter fliehen vor Verfolgern, aufmüpfigen Mailändern, die den deutschen Rittern alles andere als freundschaftlich gesinnt sind. Sie jagen auf eine Burg zu, die sie da über einem Wald im Alpenvorland aufragen sehen. Sie erhoffen sich dort Schutz. Die Zugbrücke ist unten, also hinein; ein dösender Räuber am Tor wird überwältigt, das Tor aufgezogen. Im Inneren gibt es eine kurze Überrumpelung der anderen überraschten Räuber, die sich leicht wegschließen lassen. Die Verfolger sind inzwischen vor dem Tor angekommen und wissen nicht weiter, entschließen sich aber zur Belagerung, die sie mangels Masse auf den Torweg beschränken.

Hohenloh lässt Fake-Lanzen an die Zinnen stellen, damit die Burgbelegschaft nach mehr aussieht und von unterschiedlichen Stellen der Mauer auf die Belagerer schießen.

Einer seiner Begleiter hat inzwischen das Hauptgebäude der Burg untersucht – und eine große Falltür gefunden. Als sie geöffnet wird, entdecken die Bedrängten einen Reitweg hinein in den Burgberg. Sie reiten ihn hinab und erreichen am Fuße des Berges und an der Rückseite der Burg das Freie. Entwischt! Zu Pferde!

runkel 2Natürlich ist eine Falltür, so groß, dass Pferde durch die Öffnung passen und eine Reitweg-Serpentine im Gestein ziemlich märchenhaft, jedoch schmilzt die Sache ja im MOSAIK auf einen Burgbrunnen und einen Bach im Berg zusammen.

Damit auch dort die weitere Reise schnell und zu Pferd fortgesetzt werden kann, mussten in dem Fall die Kuckucksberger so blöde sein, Runkels Pferd Türkenschreck, weil zu alt zum Schlachten, einfach wegzujagen und nur den Ritter einzusperren. Haben nun ihrerseits die Digedags Türkenschreck wieder aufgelesen und Runkel per Burgbrunnen befreit, ist das Ensemble ebenfalls wieder vollzählig unterwegs, um die weiteren Pläne des Kuckucksbergers zu durchkreuzen, wie Gottfried von Hohenloh die des fiesen Heinrich.

Die Idee zur flachen Reiter-Treppe könnte aus dem Hradschin stammen. Hegen war Sudete. Sicher kannte er die Prager Burg. Dort gibt es eine, die (allerdings ohne Falltür) hinein in einen Saal führt, um speisenden Gästen Reiterkunststücke vorführen zu können.

Die unterbesetzte Burg (Peripheria und Kuckucksburg), die Mitgliederschwache Räuberbande, die sich vorübergehend eine fremde Burg aneignet wird eingesperrt (Teufelsbrüder), der Fluchtweg durch den Berg und auf der Rückseite raus, das Erstürmen wollen einer Burg, die gar nicht (mehr) verteidigt wird (Kuckucksburg).

Sachen gibt’s!

6 Gedanken zu “MOSAIK Tiefenforschung 2

  1. Spannend, was du da entdeckt hast!
    Ich würde sogar noch eine weitere Parallele ziehen: die an die Zinnen gelehnten Lanzen, die eine zahlenmäßig größere Burgbesatzung vortäuschen sollen, finden sich wieder in Heft 75 „Der Aufstand in den Anden“. Dort werden Gewehrattrappen aus Ästen und auf Flaschenkürbisse gesetzte Hüte hinter Steinwällen aufgestellt, um die spanischen Besatzungstruppen zu Umwegen zu zwingen…

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      • Jetzt wo du das Lateinamerika-Revolutionsthema angeschnitten hast: Für die 74/75 scheint mir ebenfalls „Guter Kamerad (28)“ Pate gestanden zu haben: Einer der beiden langen Fortsetzungsromane ist dort „Die Geißel von Nicaragua“, 2 deutsche Auswanderer a la Old Shatterhand und Sam Hawkins (aber Reserveoffiziere „selbstverständlich“ (Ironie), ein Preuße, ein Sachse) helfen einem rechtmäßigen Präsidenten an der Macht zu bleiben gegen texanische Abenteurer, die einen skrupellosen Latifundista an die Macht bringen wollen. Das sind zwar nicht die Anden, aber dicht daneben.

        Und noch die Zugabe:

        „In Triest verschollen“ verhohnepipelt die gesellschaftliche Atmosphäre der Bogumilen – also der Entdeckungen sind kein Ende.

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