Joe Walsh’s sanfter Kumpel

Neulich tauchte bei der Kraulquappe ganz beiläufig die Formulierung vom Soundtrack des Lebens auf und schon hatte ich meine nächste Inspiration. Im Auto laufen gerade diverse erlesene 80er Klänge (Soundtrack des Lebens) und da darf bei Bludgeon einer nicht fehlen:

Der fast unbekannt gebliebene, sanfte Kumpel von Joe Walsh

bst

Es war 77/78 in der Turnhalle in der 11. Klasse. Unser Sportlehrer holte mit der A irgendeine Leistungskontrolle nach und die B hatte die Aufgabe, Judomäßig bissl Fallschule zu proben, als Bludgy mit Christian am Rand stand, um sich gegenseitig die Aufnahmen vom Abend zuvor herunterzubeten: Devo rauschfrei, weil guter Empfang war: Mongoloid (So’n Song wär heute auch nicht mehr denkbar), Jacko Homo (ooch nich‘ mehr), Satisfaction. Christian kontert mit Nick Lowe, den Residents und den Recillos. (Der kriegt den RIAS rein! Neid-Neid-Neid!) Sperber-Thomas gesellt sich dazu und lässt beiläufig fallen:

„Kennt ihr Dan Fogelberg? As the Raven flies?“ Seine Beute von HR 3.

davManchmal gibt es Zufälle, die gibt es einfach nicht. Ich las gerade Reinwaldts „Walter von der Vogelweide“; einen spannenden antiquarischen Roman, voller Burgenromantik und dank „Sängerkrieg auf der Wartburg“ auch voller Parallelen zur Gegenwart von 1978: Punks vs. Boring old Furts. Der Vogelweidrich als die abgerissene Rockstar-Variante (kurze Songs), die sich mit dem gediegenen Herrn Wolfram von Eschenbach (Parzival/Konzeptalbum/ also Progritter) messen muss.

Außerdem hatte ich dank „Gutem Kameraden“ herausgefunden, dass Vogelweidrichs Wiege wohl doch nicht in Südtirol, sondern im Sudetenland gesucht werden muss, weil es im Dreiländereck von Franken/Thüringen/Böhmen einen Edelhof dieses Namens gab. Das würde auch die Häufigkeit der Besuche auf der Wartburg und die finale Ansiedlung des arrivierten Barden bei Würzburg erklären. Südtirol ist für einen Fuß-Pilger einfach zu weit ab.

Nun kennt Sperber-Thomas einen Ami, der fast genauso heißt und obendrein mit seinem Song auch noch einen Barbarossa-Beitrag leistet, der da sprach:

„So gehe hin oh Zwerg, und sieh ob noch die Raben fliegen um den Berg!“

Also auf zu Tommy und aufnehmen. Die Beute besteht aus eben jenem Song und „There‘s no place in the world for a gambler“. Noch’n Vogelweide-Bezug, denn auch der konnte lange seinen Platz nicht finden.

Fogelberg-Musik ist weit ab von Punk zu verorten. Aber ’78! Das war auch die Zeit von „Year of the cat“, von „Bakerstreet“, von „a Spaceman came travelling“ und nicht zuletzt von Novalis „Wer Schmetterlinge lachen hört“. Letzteres hatten wir alle, dank meiner, auf Band. Unvollständig. 4 von 7 Minuten. Der Ausschnitt aus Gottschalks „Szene‘78“ eben, so wie er dort gelaufen war. Wir schafften es problemlos gleichzeitig Punk und Romantiker zu sein. Ich löschte ja schließlich auch die „Tormato“ nicht, bloß weil da irgendein punkiger Engländer mit Grundschulbildung herausrotzte, das wäre nix.

Schwerenöterisch im Whirlpool unserer feelings mit 17/18 fühlten wir uns – eben noch schüchtern und resignierend, morgen schon Eagle-mäßig on Top von  „one of these-one of these – one of these crazy ol‘ nights…“

„Time passages! Buy me a Ticket on last train home tonight.“ Und schwups sind wir im Jahr 1983; dem Jahr, in dem einige Kommilitoninnen Mutter wurden, andere bereits „Ja“-sagten und man selbst immerhin -stolz wie tausend Spanier- ‘nen Verlobungsring trug. Der Feten-Taumel der ersten beiden Studienjahre hatte sich totgelaufen. Die Luft war raus. 1984 würden wir nur noch vereinzelt im Wohnheim aufschlagen und unsere Diplom-Seminare absitzen. Der Soundtrack „unserer Jahre“, die NDW, starb ebenfalls aus. Ideal behaupteten, nie dazu gehört zu haben. Nualas wunderbares zweites Album „Energie“ floppte. Keks wurden verboten. Den Deutschland-Deutschland-hörst-du-mich-Markus hörte man noch kurze Zeit auf Englisch als TxT, dann nie wieder. DAF und Palais Schaumburg lösten sich auf…

Es schien allerhand untergehen zu wollen, kurz vor dem Orwelljahr.

Da geschah Fogelberg zum zweiten Mal: Gleich zwei Moderatoren des NDR lobpriesen tagelang ausführlich die Zeitgleichheit des Erscheinens von „Blue Mask“ und „Innocent age“. Lou Reed contra Dan Fogelberg. New Yorker-Westberliner Drogenstrichsurvival-Image gegen kalifornischen Einsiedler, für den Joe Walsh die Klinken putzte, damit die Welt von ihm erfahre. Beide annähernd gleichalt und nun am Scheitelpunkt in einen neuen Lebensabschnitt.

Während Onkel Lou noch mächtig an den Sielen reißt, die er sich doch eigentlich selbst per Eheschließung angelegt hat, reflektiert der weise, ruhige Dan anlässlich eines erlebten Klassentreffens seinen Werdegang und die Gefühlslawine bei Heimkehr nach jahrelanger Abwesenheit. Alles wird zu Songs gerinnen, wenn er wieder fährt:

– Erinnerungen an den Vater und dessen Musikalität; denn wer in einer Hobby-Band musiziert, verstößt den Sohn nicht, wenn er versucht, ein Musiker zu sein;

– an die 1. Liebe, die unglücklich verheiratet zu sein scheint,

– die Klassenkameraden, die pransen, wer nun den größeren Erfolg über die Jahre einfuhr,

– das alte Kinderzimmer und das Weben der Geister der Kinderzeit, die sich ganz hinten am Korridor verabschieden wollen….

Eine eigentlich tonlose Stimme. Austauschbar: Crosby, Nash, McGuinn oder Glenn Frey… Aber Texte aus der Meisterklasse: Dylan, Hunter, Lightfoot , Robertson… Ein Meilensteinalbum der 80er. Ganz im musikalischen Geist der 70er. Irgendwo zwischen Eagles und Chris de Burgh. Und ganz ohne Elektro-Drum-Kit! Zeitlos schön. Wie eben das „INNOCENT AGE“ auch gewesen war.

dav

Das Band mit den Rundfunkbruchstücken hörte ich damals schon durchsichtig. Ich ahnte, dass es so kommen würde. Dem momentanen Überdruss der Gesichter im Wohnheim würde die Sehnsucht nach Seminargruppentreffs folgen, kaum dass wir raus sind. Und genauso kams:

Nach all den Jahrn/ Same ol’lang syne

(Dan Fogelberg / dt.: Bludgeon)

(Der Song hats mir ganz besonders angetan. Ich hab mich nun schon zum zweiten Mal geplagt, ihn zu übersetzen. Hm. Besser als die erste Fassung, aber: Eine 3. Variante dermaleinst nicht ausgeschlossen.)

 

Ich sah sie wieder dort im Edeka

Zu Hause, Schneefall im Advent

Stieß sie von hinten bei den Kühltruhn an

Frag einfach, ob sie mich noch kennt.

 

S ging nicht sofort, wir waren älter nun

Gesicht gereift in all den Jahrn

Sie rätselt, dann erkennt sie und umarmte mich

Als wärn wir die, die wir mal waren.

 

Wir schoben ihren Wagen an die Kasse ran

Bezahlen, packen und dann raus

Dann standen wir am Parkplatz rum

Begafft, doch machten uns nichts draus.

 

Wir suchten nach nem Café; hatte alles zu

Nur an der Tanke vier „to go“

Dann saßen wir zusammen dort in ihrem Car

Und laberten drauf los, ganz einfach so.

 

Wir wollten diese Lücke fülln

Die nach dem Bruch da war

Doch keiner von uns beiden wusste wie

Das wurd uns leider klar.

 

Sie war liiert. Ihr Mann ist Architekt.

Der sehr durch Vornehmheit besticht

Dem sie zum Dank dafür das Tischlein deckt

Von Liebe sprach sie nicht.

 

Ich sagte, dass die Jahre freundlich warn

Sie sei so schön wie eh und je

Sie blieb ernst, ich spürte: Oh das passt jetzt nicht

Ich glaub, es tat ihr weh.

 

Meine Platten kennt sie aus den Läden hier

Doch keinen Song in all den Jahrn.

Ich lob wie immer halt das Publikum

Und fluch wie immer auf das Fahr’n

 

Wir tranken auf die Zeit von einst

Und tranken dann auch auf das „Nun“

Unsre Partner warn im Geist dabei

Drum blieben wir immun.

 

Wir küssten nicht, wir tranken nur den Kaffee aus

Dann schwiegen wir betreten, wie vor Jahrn

Doch fehlt der rote Kopf, die Gänsehaut

Sie wollte schließlich fahrn

 

Für nen Moment nur war ich wieder Teen

Doch wusste ich, ich muss jetzt gehen

Drum stieg ich aus und ließ sie wieder ziehn

Und blieb am Parkplatz stehn.

 

Der sah dann plötzlich wie mein Schulhof aus

Ich fühlte mich wie einst vor vielen Jahrn

Als ich sie schon mal gehen ließ

The way we were – so wie wir warn.

 

Ich sah mich wieder in dem Streit von einst

Und konnt’s wie damals nicht ertragen.

Der Schnee verwandelt sich in Regen – nun;

So stieg ich ein und startete den Wagen.

11 Gedanken zu “Joe Walsh’s sanfter Kumpel

  1. Souvenirs, Nether Lands und Phoenix – haben alle nicht so den bleibenden Eindruck hinterlassen. Höchstwahrscheinlich aber auch nur, weil ich sie viel später erst kennengelernt habe, deswegen höre ich mir gerade die Innocent Age an. Nicht zuletzt inspiriert durch Deine Übersetzung.

    Nach den ersten Songs muss ich sagen, hätte ich den während meiner Eagles/Poco/CSN/etc-Phase entdeckt wären möglicherweise mehr Alben zusammengekommen. Heute haut’s mich nicht mehr so um, aber gegen Jugenderinnerungen kann man eh nicht anstinken 😉

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    • Passt schon. Ich mag die Innocent Age (Platz1) und die Souvenirs (Platz3), dazwischen drängelt sich ein sehr guter Fusionjazz-Versuch von Fogelberg/Weisberg „twin sons of different mothers“ mit wenig Gesang und sehr filigraner kammermusikalischer Klampferei.(erinnert mich an den guten mittleren Benson) An allen 3en hängen Erinnerungen vielerlei Art.

      Von der „Twin Sons…“ kannte ich zu Ostzeiten nur ein Stück „the Power of Gold“; aber es war halt zur rechten Zeit auf Band und es passt zu Renft „Hört das Lied hört das Lied vom chilenischen Metall! Fremde Herren wolln es haben; heute so wie dazumal!“ Als hätte der gute Dan 1977 einen DDR-Oldie von 73 gecovert! Wow!

      Die Phönix auf Platz 4 (erst in den Nullerjahren kennen gelernt; keine Jugenderinnerungen) und mit der Netherlands und der eigentlich richtigen Indianerplatte (Titel vergessen) von ihm wurde ich gar nicht warm (nur mal im WOM in den 90ern angetestet). Es muss alles schon zur eigenen Geschichte passen. Sonst fehlt der Aufhänger fürs Gemüt.

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  2. Sehr schöner Bericht, und mit Dan Fogelberg haben wir eine gemeinsame Schnittplatte…äh, meine Menge 🙂 Wobei ich zu deiner Lieblingsscheibe auch noch die : Windows and Walls Platte dazuzählen möchte, die läuft bei mir noch öfter….
    Grüsse von Jürgen

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  3. Ich mag seine Musik, ist irgendwie so anders als das was man hier vorgesetzt bekommt, so herrlich melancholisch und ich kriege immer Fernweh 🙂 Und die Texte sind auch gut, leider sind die Platten /CD nur sehr teuer zu bekommen, von der : Windows and Walls hat mein Plattenspieler schon 2 Exemplare geschrottet…By the way , gerade höre ich Peter Green, eine grüne Vinyl Platte halbdurchsichtig : In the skys …voll oldschool 🙂
    Grüsse von Jürgen

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    • Versteh ich gut. Hab echt überlegt, ob ich die Windows und Wände bestelle/runterlade, aber die „Phoenix“ hab ich auch kaum gehört – und wenn Fogelberg, dann wirds bei mir eh die „innocent age“ oder die „Twins of…“. Um mich in Amerikafernwehträume zu verlieren, da griff ich früher zu den Allmanns und seit mehreren Jahren einige Nummern ruhiger greif ich zu Guy Clark (6 Alben hier): In der ärmlichen Bretterbude hocken, dicht daneben rostet ein Pickup und klampfender Weise Geschichten erzählen von Vaters Taschenmesser(das man als Pubi halbgeschrottet hat und nach Vaters Tod ehrfürchtig bewahrt), vom kleinen Pfennig (und wo der überall schon war), von Texas 1947 – (was kann da gewesen sein? Krieg? Mord? Banküberfall? Der kleine Guy sah seine erste E-Lok am Kaff vorbeirasen und hatte schnell zuvor nen Nickel auf die Schiene gelegt, nun hat er ne „Gedenkmünze“ größer als’n Dollar, natürlich auch massenhaft gesungene Erfahrungsbilanzen mit schwierigen Wei…Mädels.
      Und alles gesungen von dieser Marlboro-Mann-Stimme zu 12saitigem Gitarrenrupf. Hach!

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  4. Vom Dan Fogelberg gibt’s für mich einen magic touch, und das war „Netherlands“.
    Vielleicht schulde ich ihm was am langsamen hin driften an die Klassik.

    Und da war dann noch „Part of the plan“ ….

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    • Hm, ausgerechnet die „Netherlands“? Die hatte bei mir gar keine Wirkung (beim Reinhör-Check im WOM). Eventuell war es der falsche Zeitpunkt meinerseits. Ich kaufte mir damals Gallagher und die Allmanns.
      In die Klassik, oder besser an den Rand der Klassik, bin ich per Philly-Sound, John Miles, ELO, Nice-LP und Wakemann geraten. Bissl Exseption auch.

      „Part of the plan“ – Yoah! Die „Souvenirs“ mag ich auch.

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