Wir 78er (I)

Saaletal 1978: Lange Schatten warf es – das Stadtjubiläum. Es gibt für Saaletaler meiner Generation nur eine Zeitrechnung: Vor-oder nach der Neunhunnerdfufftschjoahrfeior! Die Einberufung im Jahr darauf kappte zusätzlich die alte Epoche und die neue fand vorwiegend anderswo statt.

Warum hatte diese Stadt nur das EINeMAL diesen Mut, im Sommer soviel gute Musik in so kurzer Zeit in ihre Mauern zu holen? Zusätzlich zu einer erstmaligen Peter-Pauls-Messe mit Bier aus dem Jungfernbrunnen und ersten Flohmarktansätzen; das Kirschfest, welches in den Jahren zuvor zu einer Art zweiter Mai-Demo im Juni mit Politphrasentransparenten verkommen war, wurde wieder ein laaaaanger Umzug in historischen Klamotten. Und das Eintrittsproblem für die diversen Veranstaltungen wurde genial gelöst: Entweder zu zahlst die obligatorischen 3,65 M bei jedem Event oder du kaufst einmal für 8,60 M eine Art Messingorden in der Größe eines Parteiabzeichens, heftest ihn dir ans Reviers und kommst in den besagten 14 Tagen überall für lau rein.

Nach meiner privaten Stern-Combo-Entsagung kam Kerth zum 2. Mal, diesmal in den Ratskeller-Saal, der kleiner als das „Chrose Gino“ war. Ein kluger Schritt, der jedoch auch nicht half. In den Saal passten keine 500, aber ca. 200 auf die vorhandenen Stühle. Wieder waren wir aber nur knappe 100. Diesmal konnte er sich doch nicht verkneifen, zu fragen: „Wo habtern eure Kumpels gelassn?“ Irgendjemand rettete die Situation: „Die wissen nich‘was juhtis! Bisd ehm kee Buhdy!“

Gelächter, schmerzhaftes Augenverleihern auf der Bühne und ab ging die swingende Bluessafari inclusive „Helmut“, „Tanz der Alligatoren“, „YoYo(Instrumentalversion)“ und-und-und-…

Am Ende noch eine Verabschiedung der besonderen Art:

„Tschüß Naumborch, bis zur Tausendjoahrfeier!“

Er meinte das ernst. Er ward nicht mehr gesehen hier, wo die Türen nicht eingedrückt wurden, wenn er kam. Da blieb er lieber in den Gefilden des Vogtlandes und Südthüringens, von ein paar Pflichtterminen in Ostberlin und an der Ostsee zur Urlauberbeschallung abgesehen.

Ein paar Tage später: „Nachmittagskonzert“ von Rengering aus Halle. Keiner kannte die, und keiner hatte eine Ahnung, welcher Musikschock da auf angry young men lauert, wenn sie ahnungslos ein „Nachmittagskonzert“ auf der Bühne am Rande des Rummels aufsuchen. Auf den Bänken davor verteilten sich schon seltsame Altersgruppen, Kindergarten und Tannenzweig, also Enkel und Rentner. Kaum Vertreter der „Rockerjahre“. Taghell, also keine Lightshow zu erwarten. Aber vielleicht reißen die ja trotzdem was und die Rentner fliehen…

Das Konzert begann mit irgendwas durchschnittlich Erwartbarem. Ging so… Dann Steigerung zu „Radar Love“; okay, das spielten damals fast alle, aber die hier bekamen das hin; gerade wollten wir gefallen dran finden, als der Nachfolgesong erklang: „Schnee-Schnee-Schneee-Schuh-Walzer tanzen wir….“ Hä? Zielgruppenbedienung, weil immer noch ein paar Rentner nicht geflohen waren? Buhen hatte keinen Zweck, unterhaltsame Kundenzusammenrottung war keine eingetreten, wir zogen uns in Richtung Schießbude und Bratwurststand zurück und hörten im Gehen noch „Uh la Paloma blanca“. Das also war nur unter Ulk zu verbuchen gewesen. Wie würde es weitergehen? Würden sich die 8,60 M noch amortisieren?

Paar Tage später: „Regenbogen“ aus Berlin! Hey, wenn man sich 1978 „Regenbogen“ nennt, was spielt man dann wohl? Das Risiko des Schneeschuhwalzers war da doch gebannt, oder?! Hin da, zu viert. Paar Klassenkameraden tauchten auf, Parallelklasse auch vertreten – und Kunden-Kunden-Kunden… Die Bühne allerdings war versetzt worden, in den abgesperrten Rummelbereich hinein, der Vorplatz war nun kleiner und Bänke waren keine mehr da. Im Halbrund herum die Buden und außenrum die gefakte Stadtmauer aus Bauzäunen mit bemaltem Leinwandüberwurf zwecks Einlasskontrolle.

„Hallo Naumbuuuuuuuuurg! Wir sind Regenbogen aus Berrliiiiiin!“

Drums, Gitarre und „Long live Rock and Roll!“ Yoahhhh, Erwartungen schon erfüllt! Aber was hatten die für einen klaren Sound! Die Anlage musste noch besser gewesen sein, als die von Lift in Schkölen! Basser und Gitarrist sahen aus wie die kleinen Brüder von Keith Richard und Bill Wyman. So ausgemergelte TBC-Gesichter jedenfalls. Der Sänger eher Pausbackig, aber – yeah! Die erste Band, die sich auf der Bühne bewegte! Und wie! Der Gitarrist machte den Gallagher(remember Rockpalast), der Sänger schleifte das Mikro am Ständer über die Bühne, trat ins Publikum, schleuderte den Ständer Freddy Mercury mäßig, der Tastenmann war der leibhaftige Wotan Wahnwitz, ließ die Hände sturzflugen, warf den Kopf zurück, schleuderte die Matte, imitierte aber auch die Jerry Lee Lewis Akrobatik – arbeitete also mit vollem Körpereinsatz …. Der unauffälligste war kurioserweise der Mann an den Trommeln. Aber die waren – L.A.U.T!

Vor der Bühne ging die Luzie ab. Neben der Bühne war ein großes Festzelt, aus dem heraus traten bald einige Gesichter der FDJ-Kreisleitung und überblickten besorgt und zunehmend böse den neuzeitlichen Veitstanz: Born to be wild, Place in Line, Davis on the road again, 3 eigene Titel auf Deutsch, dann wieder Deep Purple, Rainbow, Queen „we will rock you“ und die Ansage:

 „In den nächsten 10 Minuten erklärn wir euch!…“

Irgendjemand brüllte „Led Zeppelin!“

„…wie der Zigeuner geboren wurde!!!!!“

Orgeleinsatz Wotan Wahnwitz und im Laufe des Stückes dann seine völlige Flippernummer … Frumpy at it‘s best! Scheinbar hatten die Roadies auch noch mal am Regler geschoben – und die Band bekam das hin! Auf den I-Punkt!

Vor der Bühne alle happy. Begeisterung in jeder Pupille! Es war inzwischen kurz vor 22:00 Uhr. Zeit Schluss zu machen. Die Band trat ab. Das Publikum blieb. Zu-Ga-Be! Zu-Ga-Be! Eine gefühlte Viertelstunde lang. Im Festzelt nebenan wurde anscheinend hektisch verhandelt. Dann kam die Band zurück.

„Zugabe!“ wandelte sich sofort in den Sprech-Chor

„Led! Zepp!Ä!Lin!Led!Zepp!Ä!Lin!“

„Okay! Wir spieln nochein‘!“

„Led! Zepp!Ä!Lin!Led!Zepp!Ä!Lin!“

„Wir spieln ein Medley von…“

„Led! Zepp!Ä!Lin!Led!Zepp!Ä!Lin!“

„…einer Band die viele Hits hatte…“

„Led! Zepp!Ä!Lin!Led!Zepp!Ä!Lin!“

„und die wir heute noch gar nicht gespielt haben….“

„Led! Zepp!Ä!Lin!Led!Zepp!Ä!Lin!“

„…ein Medley von…“

„Led! Zepp!Ä!Lin!Led!Zepp!Ä!Lin!“

„…den Rolling Stones!!!!!“ Guitarrrrrr!

„Jaaaaaaaaaaaaaaa!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“

Das Medley dauerte eine satte halbe Stunde, 22:00 Uhr wurde gnadenlos überschritten, die FDJniks mit verschränkten Armen, kotzten innerlich vermutlich gerade über ihre momentane Machtlosigkeit, und lauerten, wie wohl die Band diesen Orkan da vor der Bühne wieder zum Stoppen bringt! Aber Regenbogen schienen kampferprobt: Zum Ende hin wurden die Songs ruhiger „Tears go by“ oder „Heart of stone“ und symbolisch stichelnd „Tei-heihei-heim is on my side“ Sie beruhigten die Meute also geschickt, die sich danach friedlich auflöste und schnatternd-schwärmend nach Hause ging. Beim Abmarsch kam man auch noch erstaunlich perfekt organisiert an einem Stand vorbei, der Regenbogen-Poster feilbot.

Eigentlich schien diese Truppe doch alles richtigzumachen! Aber es wurde nichts aus ihr. Ein paar Monate später kam eine an diesem Konzert gemessene erbärmliche erste und einzige Rundfunkproduktion in den Äther und bald darauf konnte man die Wyman-und Richards-Doppelgänger als Mitglieder von Berluc im Fernsehen wiedersehen. Der Sänger machte eine ganz eigene Karriere – zunächst noch ganz als harter Showman – bei PRINZIP und schließlich als seltsam erfolgreiches Teen-Idol-Abziehbild der späten DDR: Bummi Bursy.

Irgendwann in den 80ern sah ich ihn mit dem Karat-Gitarristen im Fernsehen – lahm und sitzend – sein „Eh die Liebe stirbt“ performen. Da zerdrückte ich symbolisch eine Träne im Knopfloch, denn im Hinterkopf hatte ich den Micro-Ständer-Schwinger von der Neunhunnerdfuffschjoahrfeior….

 „So he took some earth and put it in a form,

and the oven was right hot enough

so the gipsy was born!“

7 Gedanken zu “Wir 78er (I)

      • Ich erinnere mich an…ich hab mich verliebt…damals lief ich durch’s Oederaner Stadtbad, braun und zufrieden und träumte von der ersten Liebe.
        Bummy würde sie garantiert nicht sein…

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      • Nu.“Du machst mich verliebt“ war so ein versprengtes Liedchen, wie „Und ich sehn mich nach dir wie im Fieber“ von Metropol, da kam ja auch nichts Brauchbares hinterher. Das hätte mir vielleicht gefallen, wenn ich dieses Konzert mit all den Härte-Nummern zuvor nicht erlebt hätte. Dann wäre „Regenbogen“ eben eine von diesen „Neuen Bands“ gewesen, von denen man nichts weiß, die ja fast alle untergingen, weil sich die Alt-Bands verjüngen wollten und ein paar talentierte Youngsters klauten: FORUM, Setzei, Metropol, Gaukler Rockband…
        Als Sänger von Prinzip fand ich Bummy noch mordsgeil. Mindestens 4 oder 5x live gesehen. Da ging in Leipzig nochmehr die Post ab, als bei Regenbogen. Als diese Sologeschichte losging, …. boah! Nä!Da war er sowas, wie der zweite IC!

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  1. Wieder mal ein herzliches Dankeschön für diese stimmungsvolle Hommage an jenes Erlebnis… das wohl zur Kategorie „When I was young“ (vom unvergessenen Eric Burdon) gehört. Wieder mal so lebendig geschrieben, dass man sich fast einbilden könnte, dabei gewesen zu sein … was natürlich Quatsch ist.

    1978 hatte ich gerade mein Studium derSozialpädagogik beendet und wartete ein wenig verdrossen auf den Beginn meines Zivildienstes, der damals noch deutlich länger dauerte, als der Dienst an der Waffe. … war mir dennoch lieber, als mich beim Barras durch den Dreck zu robben und vonbescheuerten Ausbildern schikanieren zu lassen.

    Dein Beitrag passt übrigens irgendwie ganz gut zu dem letzten Buch, das ich hier im Urlaub gelesen habe und dass ich dringend allen empfehlen kann,die Sinn für durchgeknallte Satire haben: Das Buch heißt „Pop essen Mauer auf“ und ist von dem von mir mittlerweile sehr geschätzten Autor Stefan Maelck (dessen zwei „Ossi-Krimi“ mit dem Privatdetektiven Hank Meyer ebenfalls eine Empfehlung wert sind):

    Und darum geht´s in diesem Buch:

    „Die Popgeschichte muss komplett umgeschrieben werden. Der von den Rolling Stones besungene «Street Fighting Man» stammt aus der DDR; Andy Warhol wurde auf Geheimdienstkosten aus einem obskuren slowakischen Dörfchen nach New York geschleust; der Punk wurzelt tief in Wandlitz und der Gothic Rock in Schwedt an der Oder. Selbst Elvis Presley konnte es sich aus gutem Grund nicht immer verkneifen, Deutsch zu singen …
    In Wahrheit ist Pop eine perfide Ausgeburt des Kommunismus, als vielstimmige Wunderwaffe im Kalten Krieg sollte er die dekadente westliche Jugend dauerberieseln und so das kapitalistische System entscheidend schwächen. Wer hätte geahnt, dass diese Waffe eines Tages wie ein Bumerang zurückkehren und die Mauer zum Einsturz bringen würde? Erstmals die wahre Geschichte des Pop, laut und heftig, für Einsteiger ebenso wie für Spezialisten!“ (Verlagsankündigung).

    Eine durchgeknallte Posse, die nur jemand schreiben kann, der nicht nur über den gewissen Mutterwitz sondern auch über eine gehörige Portion Sachwissen hinsichtlich Pop-und Rockmusik verfügt. Und der Berluc spielt in dieser Satire auch eine Rolle …

    Sizilianische Grüße aus Palermo (das soll jetzt keine Drohung sein *ggg*) … Ist aber durchaus angenehm bei sommerlichen Temperaturen auf der Terasse mit laptop zu sitzen … und endlich mal überfällige Antworten etc.zu schreiben …

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    • Danke-danke. Mal sehen, ob ich das Büchlein in der Bibliothek erwische. Dein Appetizer liest sich interessant, aber zum Geldausgeben lockt es dann doch nicht. Apropos Ferienlektüre – was issn aus deinen Spielhagenversuchen geworden?

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  2. Pingback: Ralf Bursy | toka-ihto-tales

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