On the Prog Path (15)

Wenn deine Adoleszenz-Phase in der zweiten Hälfte der 70er lag, dann gehörst du zu dieser Generation der Zwischendinger, die zum 68er zu jung und für den Punk eigentlich schon zu alt gewesen sind.

„Im Moment kein Trend, es wird reichlich gepennt.“(Lindenberg)

Nun ja. Punk war in England’77 groß, schwappte’78 auf den Kontinent und somit auch in die größte DDR der Welt, wenigstens ein bisschen. Christian, Udo und ich feierten ihn und wurden dadurch zu musikalischen Exoten. Relevant wurde er hier erst in den 80ern in schön-böser, politisierter Art und Weise; aber da war man ja nun leider schon berufstätig, da fräst man sich keinen Iro mehr aufs Haupt.

An Punk-Bands eigener Prägung war 78 noch nicht zu denken. Auch das Westradio versorgte nur äußerst spärlich. Also wurde zusätzlich gefeiert, was da war: Der Dino-Nachlass (Rainbow und Whitesnake, Dickey Betts & the Great Southern, uhu-hihu-huhuhu Stones an gefährlichen Disco-Gestaden mit ganz klein bisschen „rispectäbouhl!“ Punkättitjuhd; außerdem westlich des Harzes der Prog der absteigenden Phase und im Osten der, der zeitlich verspäteten aufsteigenden Phase: LIFT hatten ihren Stil eben erst gefunden und die Stern Combo Meissen war dem ihren zwar schon länger treu, hatte aber eben erst ihr vinylnes Debut erlaubt bekommen.

Die Meißener waren nach Renft die eigentliche große Nummer: Quadrophonie! Lange Adaptionen klassischer Werke, darunter echt klingende Emerson Lake &Palmer Duplikate, und seit neuestem auch 7Minüter mit besseren Texten als zuvor: Kampf um den Südpol, Licht in das Dunkel, Mütter gehn fort ohne Laut…

Richtige Verehrung erfuhren sie für ein Stück namens „Finlandia“. Eine Sibelius-Adaption mit einem kurzen Demmler-Text, gesungen von Reinhard Fißler. Dafür fuhren sie allumfassendes Lob ein, da es sich um eine Eigenbearbeitung handelte, nicht um eine ELP Nachahmung. Als die LP erschien, fehlte ausgerechnet DIESES hochgelobte Stück, was zu allerhand Spekulationen Anlass gab: Die Platte kam anfang’78 stark verspätet heraus, war ganz ordentlich, aber gegen den Erstling von LIFT konnte sie in DER Form nichts mehr reißen. Das erste Live-Album der DDR sollte es sein – und war es auch; aber die Livekulisse erwies sich als äußerst dürftiges Leerrillen-Füllsel. Was war da los? Eine wirkliche Berichterstattung gab es nicht. Die Bands gaben damals keine Interviews und wenn doch, dann klangen die Antworten entweder wie dreifach überprüfte, gestanzte Regierungssprecher-Floskeln voller Nichtigkeiten oder aber einfach nur blöde.

Im Frühsommer’78 hieß es nun plötzlich:

Stern Combo kommt nach N.!

Eröffnung der langen Reihe von Höhepunkten der 950-Jahr-Feier! Die Stadt traute sich!

Natürlich wollten wir da alle hin und Christian und Udo waren auch tatsächlich da, aber Bludgeon – musste Babysitten. Die Eltern, die eh keine Nachtschwärmer waren, hatten ausgerechnet an diesem Samstagabend eine seltene Einladung irgendwohin und da ist man eben der verständnisvolle „Große“, der den „Kleinen“ bewacht, während im „Haus des Volkes“ der „Kampf um den Südpol“ läuft und vermutlich auch schon das kommende Großwerk „Weißes Gold“ wenigstens in Teilen aufgeführt wird. Es war Samstagabend. Auf ARD liefen die „Himmlischen Töchter“, der Klimbim-Ausklang. „Los, wir gucken Fernsehen bis zum Abwinken. Darfst aufbleiben.“

Sonntag kam Udo vorbei und brachte ein A1 großes Poster mit: „Hab an dich gedacht, du arme Sau.“

Ich hefte es an die Kinderzimmertür, während er losschwärmt:

Droggn-Nnäbl, die volle Hütte! S halwe Gonzerd hasde nüscht jesähn, bis der Gwalm naus war! Aber der Sound! Gwadro, volle Ganne! Wennde hindn reingommst ins Gino lings un‘ rechts schone Dörme aus lauter Boxen. Vorne dasselwe…. Awwer die hamm wüddor rei’gelassen wie beim Gindor-Gino. Mir musstn stehn, an dor Seide. Wie de Schbroddn in dor Büchse! Ohm der Rang ooch voll. Und eine Lautstärke! Hast du hier ohm wirklich nüscht jehört? Einglich hättste hier im Wohnzimmer mitsing gönn’müssen. Meine Ohrn ey! Beim Offstehn warch noch taub. Had sei Gutes! Heute früh beim Frühstück habbch nischt jehört vom Gezeter meinor Muddor. Inzwischn gomm de Lähmsgeistor grade wüddor.

„Hamse „Weißes Gold“ gespielt?“

Noa! Komplett. Ä langes Ding! Wer weeß, wann das of Bladde gommt. Gampf um Südbohl hadnse och.

„Finlandia?“

Wees’ch nich. Anjesacht hamse ja fast nüscht. Awwer die Leute hädsde sehn müssen! Voll das Gundn-Treffen: Matten, Bärte, Jeans, die ausänandorfalln … Habch mor jedoachd: Orchendswo is ä Assi-Depot egsblodiert, un’de Üborlämdn sin nu alle in Naumborch. Oabor sovülle Bolezei of ehn Haufm habch och noch nich jesähn. Alsmor raus gahm, nachn Gonzert: De Grochlitzor Strasse: Volle Ganne Tony-Waachen unde Ello. Plane zu. Oboar’s war alles riläxt. Keh Dumuld.

Montagfrüh auf dem Schulhof dann das volle Ausmaß der Katastrophe: In DEM Konzert waren sie nun wirklich alle: Die Kenner und die Möchte-gerns, die Nulpen und die Streber … nur der arme Bludgeon hatte mit seinem Brüderlein fern gesehen…

Ein gutes Jahr später sah er die Stern Combo endlich live. Auf Rügen. Kein Gedränge. Keine Rauch-Show. Keine 4 Quadrotürme mehr. Sie spielten nicht mehr das „Weiße Gold“, sondern bereits „die Reise zum Mittelpunkt des Menschen“ und auf der befand sich in den 40 Minuten sicher ein Großteil der Zuhörer – brav im Kinogestühl des „Standortes“ – in Uniform.

5 Gedanken zu “On the Prog Path (15)

  1. Oh Mann, wenn ich so etwas lese denk ich immer wat ’ne Scheixxe dass der keene Ostrockradiosendung aufm Dachboden jemacht hat, so mit Dialekt un geile Storys, das wär der Hammer gewesen. Hätt ich jede von gehört und dann wahrscheinlich auch einen ganz anderen Zugang bekommen. So hab ich von der Stern Combo bestimmt auch mal was gehört, aber nach 5 Minuten garantiert wieder vergessen.

    Wenn ich nicht wüsste, dass Prog überhaupt nicht meine Baustelle ist, ich würd mir glatt was besorgen von denen. Geht dann aber so aus wie bei Yes, Gänseshis und den anderen.. 🙂

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