Faithless – in memoriam Maxi Jazz (II)

Irgendwann in deiner Jugend geht das los: Da lassen sich die Eltern deiner Spielkameraden scheiden. Du erschrickst, erlebst das kopfschüttelnd mit – als Zaungast und fürchtest dich von Stund an davor, dass das zu Hause auch passieren könnte.

Das ging mir so. Meinem Bruder. Meinen Kindern.

Aber meine Eltern hielten durch. Der Fels in der Brandung im Patchworkmeer. Das Vorbild, das nachhallte.

Alle Langzeitbeziehungen machen was durch. Der familiäre Rückzugsraum gerät in die Blitzableiterfunktion. Wird dadurch überfordert. Der Tagesfrust muss irgendwo hin. Denn tagsüber heißt es „diplomatisch bleiben, wenn’s auch schwer fällt“! Und die Idioten sind immer in der Überzahl. Das schlaucht die Diplomatie-Gene mit den Jahren. Sie verschleißen.

Aber auseinanderrennen, macht es selten besser. Vorallem für die Kinder nicht.

Scheidungen sollte es geben. Für Notfälle. Bevor man sich totschlägt, vergiftet etc. Aber wenn ich mir die Scheidungsgeschichten im Bekanntenkreis so ansehe, dann wurde da auseinandergelaufen, weil man sich nicht einig wurde, ob ins Wohnzimmer nu ne Schrankwand soll oder nicht.

„Du liebst ihn nur, weil er ein Auto hat. Ich habe nur ein klappriges Damenrad…“ (die Ärzte)

Egal. Die Menschheit hat’s halt nicht. Der Tod von Maxi Jazz trieb mich um. Ich erinnerte mich an die Faithless-CDs. Die lehrten mich, dass es auch im Techno und im Rap GEIST geben kann.

2010/11 saß ich beruflich in der Scheiße. Die Familie hatte viel auszuhalten. Aber sie hielt. Es blieb bei nur einem fürchterlichen Jahr. Music was the Healer – letztendlich. Tonale Wund-Creme. Zum Beispiel eben auch die Faithless CD „Sunday 8 p.m.“. Zeitchen verging. Zum Jahresende’22 starb Maxi Jazz. Da kam einiges wieder hoch.

Das hatte Folgen. Hier ist das Ergebnis:

Original: „Bring my family back“ – taken from Faithless (1998) „Sunday 8 p.m.“faithless 2

Deutsche Nachdichtung: Bludgeon (2011 und 2023)

Ich bitte dich, gib erst mal Ruh, hier sind nur ich und du, also hör mir mal zu

Der Grund, der mich scharf macht, ist meine Ohnmacht,

drum bin ich dauernd am zünden,

aber’s lässt sich begründen

Zwischen all den Reglern und Bässen, will ich vergessen.

Ich reim mir ne Welt ganz heil so zusamm‘,

perfekt harmonieren stets Stimme und Drum

Ich komm immer noch von da, wo ich nie gerne war

Hier sitz‘ ich nun im Garten, drum lass uns nicht starten,

den Rückfall in Wut; tut uns beiden nicht gut.

Ich auf der Straße und bin fast 3

Meine jüngere Schwester auch noch mit dabei

Mutter schweigt und macht kein Geschrei

Papa küsst sie und heult alleine für 2

Seine Augen geschwollen

Während wir drei uns trollen

Wir wurden lange getrennt

Jeder Weg hat sein End.

Mutter nahm uns und zog aus – aus dem Haus

In dem wir spielten – unsre Kindheit war aus

Mutter sagt‘ oft zu mir, du wirst’s mal versteh’n

Ich aber glaubs nicht, denn es wär‘ fast zu schön

Begreifen zu könn‘n, woher der Schmerz kam

Und all der Kummer, der uns – die Family nahm.

Ich kann nicht weg von dem Gefühl, auch wenn’s euch peinlich wird

Es ist immer um mich rum, ich hab mich drin verirrt.

Ich fühl‘ mich ständig im Exil oder wie abgetrieben

Familienharmonie hab ich nie abgeschrieben.

Ich sah Mutter nicht mehr lachen. Ein Defekt ihres Gesichts?

Sie sei froh Arbeit zu haben, denn so fehle es an nichts.

Ich spiele für sie „Kaffee kochen“, fälsche mit an ihrem Glück

Doch sieht sie zu mir herunter, sag ich:

Will Papa! – – – Ich will die Family zurück!

Nun steh ich wieder auf der Straße, diesmal 40 und 3.

Ich kapiere momentan: Meine Ehe ist vorbei.

Habe den Termin verpasst, sie schnell abzuservieren

Und nun hat SIE angegriffen und – hat mich auf allen vieren.

Sie nahm mir auch die Kinder, so als wäre nichts dabei

Sie hat’s mit meinem Freund getrieben. Die finale Sauerei!

Wir stritten uns im Alltag über Wetter, Kaffee, Arbeit, Bosse.

Der schlechte Sex, ihre Migräne – alles wurde reinste Posse.

Nun bin ich frei und allein aber 40 und 3

Ich kann nicht glauben, was passiert is‘ – dass das alles sei.

Ich klicke mich durch Fotos und stell meinen Sohn mir grade vor,

die Augen fangen an zu brenn‘n – das kommt bloß vom Monitor.

Ich klicke immer weiter, hänge fest an manchem Stück

Ich wische mir die Augen, – will die Family zurück.

Nun leb ich in der Loser-Street 50 und 3

Vernageltes Gelände. Alles ist vorbei.

Hier gibt’s keinen Strom und erst recht kein Licht

und das Dach da über mir ist natürlich auch nicht dicht

Ob ich will oder nicht, kommt des Nachts dann noch Besuch,

aber das ist keine Freude; nein, das ist der reinste Fluch.

Junkies seiern mich voll. Markier‘ verständnisvoll’n Proll.

Alles widert mich an, hab die Schnauze längst voll.

Die Schindeln falln vom Dach, ich bin immerzu halbwach

der Müll liegt überall kniehoch… aber leben tu ich doch.

Es gab mal eine Zeit für mich zwischen sauberen Wänden,

an gedeckten Tischen und mit Kindern an den Händen –

warum musste die Zeit enden?

Die Farben sind verblichen und die Fenster sind kaputt,

niemand ist mehr hier, ich leb alleine hier im Schutt.

Seit der Wirtschaftskrise hab ich keine Aktien mehr;

Nee, nicht erst seit der letzten. Ist schon länger her.

Ich hab mich noch nicht aufgegeben.

Ich versuche mehr zu sein

als ein Langzeit-Loser, als ein sinkender Stein.

Aber hat das wirklich Sinn noch, dieser Kampf ums Glück?

Ob mir irgendjemand mal – die Familie bringt zurück?

5 Gedanken zu “Faithless – in memoriam Maxi Jazz (II)

  1. Wieso Furcht? Was genau ha(tte)st Du denn für Dich befürchtet?

    Ich bin aus verschiedenen Gründen vorsichtig geworden mit pauschalen Urteilen zum Thema Scheidung. Mit allen Fingern auf die Verluste zeigen ist sehr einfach.
    Man kann sich jedoch die Mühe machen, auch die möglichen Gewinne in Betracht zu ziehen. Und zwar die Gewinne für die Partner und auch die Kinder.
    Eine unglückliche Ehe (Partnerschaft) durchzuziehen (sich zu arrangieren) sehe ich schon lange nicht mehr als „Heldentat“ an. Und auf die Kinder färben solche Verhältnisse auch ab. Und die merkt man ihnen später auch an. Ob diese Kinder am Ende besser dran sind als „Scheidungskinder“ bezweifle ich inzwischen in vielen Fällen. Und ich beziehe mich dabei auf mir bekannte Fälle.

    Ich wäre als grosses Kind /Jugendlicher froh gewesen, wenn sich meine Eltern getrennt hätten. Dann hätte ich eine Menge Ängste weniger gehabt und hätte freier atmen können. Ich habe durch das schräge „Familienleben“ einige Jahrzehnte gebraucht bis ich meine Migräne und die dazugehörenden Rückenprobleme endlich losgeworden bin.

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    • Da ist gar kein Dissens. Es kommt halt auf den Scheidungsgrund an.
      Mit Furcht meinte ich: Wenn Freunde bekannt gaben, die Eltern trennen sich, dann kam das für mich IMMER wie aus heiterem Himmel. Als Kind nimmt man ja die Umstände bei den Kumpels als gegeben hin. Die Probleme fremder Erwachsener kriegt man naturgemäß ja nicht mit.
      Also erschien mir das immerzu so, als ob den Erwachsenen nur langweilig miteinander wird.

      Es gibt ja mittlerweile auch das Phänomen, dass, wenn sich ein Paar trennt, der Virus im Freundeskreis Mode wird und gleich zwei weitere Paare implodieren.

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      • Danke für die Erklärung. Ich dachte in diese Richtung, wollte aber sicher gehen 😉

        Herdentrieb – einer machts vor und andere fragen sich, wieso nicht auch ich? oder sie schöpfen plötzlich „Hoffnung“ weil sie vermeintliche Freiheiten bei sich Scheidenden sehen…
        All das kenne ich auch – die Welt ist gross.

        Nb: heute feiert Arno in der Stratosphärenbibliothek

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      • Zu Arnos Geburtstagsfeier:
        Da zählt er bestimmt immernoch die Runden, die Felix Dahn drehen muss, den die Gotenkönige jagen, weil er immernoch gelesen wird.
        Hab gerade Dahns „Völkerwanderung“ geschenkt bekommen. Westauflage von 1977! Staun!

        Nachtrag zum Scheidungsthema:
        Mir ging es diesbezüglich ja noch gut. Meinen Sohn hat das Schicksal da heftiger erwischt: Alle seine Hauptfreunde im Laufe der Schulzeit erlebten plötzlich dieses Scheidungskindschicksal, so dass er da ständig in „Bruchhaushalten“ verkehrte – und seine eigenen Eltern äußerst skeptisch betrachtete, wenn wir mal stritten: Ihr werdet doch nicht etwa auch…

        Scheint auch so eine Spielart von Murphys Law zu sein, dass Scheidungen immer dann passieren, wenn mindstens ein Kind zwischen 12 und 15 ist und sich deshalb im Pubi-Loch befindet und somit überhaupt nicht mehr auskennt…

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