Die Glorreichen Sieben (DDR-Filme)

Nach der Lektüre des besagten Martin-Buches „Verdrängte Zeit“ überlegte ich: Welche Filme fehlen mir in seiner Aufzählung. Es sind diese glorreichen Sieben:

1. „Ete und Ali“, die erste Filmrolle für zwei geniale Schauspieler: Jörg Schüttauf und sein Konter-Part Thomas Putensen, der leider hinterher die Schauspielkarriere abbrach, um sehr origineller Musiker sein zu können. (2x live gesehen; solo (90er) und mit der Fischer Band (00er) ; grandios!) Drehbuch top, Requisite ist die wiedererkennbare, graue Alltags-DDR; die kritischen Sequenzen werden mit Humor verabreicht. Seh!-ens!-wert! Bis heute!

2. „Die Entfernung zwischen mir und dir und ihr“; auch so ein Film, der zu kurz vor dem Mauerfall das Licht der Welt erblickte und deshalb nicht nachwirken konnte. Lauter unbekannte Neulinge spielen hier junge Leute, die gerade ins Berufsleben einsteigen und zum Beispiel auf die müden Altgedienten im Großbetrieb treffen. Und es rummst in den Dialogen:

„Du da! Runter da! Wer hat das erlaubt! Ich zieh dir die Hammelbeine lang! Welche Brigade? Wie heißt du!“

Die Gerügte im Blaumann auf dem Stapel Eisenträger, deutet einen Bauchtanz an, windet sich das Arbeitsschutz-Haarnetz vom Skalp, schleudert lasziv die Mähne, grinst und säuselt mit Schlafzimmerblick:

„Raten Se doch mal – Frieda – Hock!Auf!“ und entschwebt.

(Für heutiges Publikum bräuchte die Stelle einen Synchronbalken als Untertitelerklärung:

Frieda Hockauf war zu DDR-Zeiten die bekannteste Aktivistin/Bestarbeiterin, die in den Lehrbüchern stand.)

Die Youngsters sehen nicht so abgewrackt aus, wie die Jungschauspieler der späten 70er, die zwar Talent für die Schauspielschule, aber selten Attraktivität für die Leinwand mitbrachten.

3. „Der Hut des Brigadiers“ (1988 einmalig im TV gesehen); der gab auf einer Baustelle in Marzahn all die Misswirtschaft zu, die überall zu greifen war, aber nie in der Zeitung stand. Ein neuer Brigadeleiter, jung, soll die „Jugendbrigade“ aus lauter Mit-und Enddreißigern mit Plauze zu Aktivisten machen. Der abgesetzte 40jährige Vorgänger schaut ihm beim Abrechnen über die Schulter.

„Machst’n da?“

„Bilanz. Geht nicht auf. Wir sind zu schlecht. Ham nüschd geschafft.“

„Na, wenn de SOOO rechnest, kommste nie of 110%. Rutsch ma, ick zeig dir!“ Szenenwechsel.

Es war sprichwörtlich, dass all die Planübererfüllungen in den Zeitungen Augenauswischerei waren. Der Film hätte großes Renommee einfahren können, wenn das ostdeutsche TV-Publikum noch so drauf gewesen wäre, wie in den 70ern; wo alle diese Gegenwarts-TV-Romane Quote machten und hinterher sogar Thema in den Rotlicht-Sitzungen werden konnten. Aber inzwischen guckte alles einfach nur noch Westen. Der Film lief einmal, als ich ihn zufällig sah. Habe nie jemanden getroffen, der ihn kannte.

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4. „Auf der Suche nach Gatt“ (Wenigstens den 1. Teil!); der 2. ist verunglückt, Dieter Mann und Barbara Dittus in Glanzrolle; 50er Jahre Thematik; Aufbauideale und ihre schleichende Pervertierung; dazu ein Horst Drinda als der gute Exilrückkehrer, der nun in Bonzenrolle den verständigen Papa-Ersatz gibt; (aber im Subtext schwingt mit, dass grade diese jovialtuenden Typen in der Regel keine idealistischen Widerstandskämpfer aus dem Exil , sondern Karrieristen ohne Vorgeschichte und somit hintenrum die größten Anscheißer waren.) Er sät ja auch das Misstrauen zwischen die Partner Mann/Dittus. (Dabei wird deutlich, dass jemand, der sich vor KZ und Tod (GULAG wird verschwiegen) bewahren musste, niemandem vertraut und nun auch nicht runterschalten kann, wenn es um Vertrauensprobleme kleinerer Art geht. (Neutzsch konstruiert hier eine idealisierende, Verständnis erweckende Vorgeschichte für eigentlich oft nur fiese Charakterlosigkeit)

Als ich den Film zum ersten Mal sah, war ich erstaunt, dass da eine umfassende 17. Juni-Sequenz enthalten ist. Das Ereignis wurde ansonsten eher schmal-lippig zum „faschistischen Putsch“ erklärt, oder ganz ausgespart. Buch und Film zeigen, dass Neutzsch nach seiner „Spur der Steine“ Querele von 1965, wo er sich gezwungen sah, sich vom Film zu distanzieren, nun lustlos halb zu Kreuze kroch. „Gatt“ enthält sehr interessante Konfliktansätze, die aber alle „verbogen“ werden, damit Buch und Film die „behördliche Abnahme“ überlebten. Das Zeitzeugenpublikum merkt das und weiß, wie es jeweils eigentlich hätte weitergehen müssen. Nachgeborenem Publikum könnte man dergleichen – bei Interesse – in der Art eines Film-Clubs „für Kenner“ zeigen und erläutern.  Wenn kein Interesse vorliegt, hat es aber auch keinen Sinn. Der 1. Teil ist actionreich und i.O.; der 2. Teil erstickt in Parteitagsphrasenmonologen von Drinda und vom 2. Mann der Dittus. Dass sie nach allem, was sie erlebt hat, linientreu blieb, ist einer dieser zurechtgebogenen, unrealistischen Werdegänge. Sie hätte als intelligente Ärztin allen Grund gehabt, zynisch auf den Proletenstaat herabzublicken oder gar von Ausreise zu phantasieren.

5. „Verwirrung der Liebe“ (1957); Annekatrin Bürger und Angelika Domröse in ihren vermutlich ersten Rollen; Studentenwirrwarr um die Partnerfindung: Ein Kerl, eben jene zwei Damen und hin und her unter anderem auf einem typischen Studentenfasching, wie ich ihn anfang der 80er auch noch erlebte. Als ich diesen Film ein einziges Mal zu sehen bekam, kriegte der mich total, weil er meine eigene Studentenzeit heraufholte und zugleich illustrierte, wie das gewesen sein muss, als die Generation meiner Eltern ihre zweiten Hälften fand. Die kargen Storyfetzen, die diesbezüglich aus Eltern, Onkels, Tanten herauszuholen waren, passen 1:1 und die im Film zu sehenden Sofadecken und Häkelkissen kenn‘ ich alle noch!

6. „Heißer Sommer“(1967); Ja! Muss sein! Der Film ist rappelblöde, was die Story angeht. Die Prügelszene haben wir im Sportunterricht in gespielter Zeitlupe nachgefaked und uns beäumelt vor Lachen: Die Faust bleibt immer erkennbar 10cm vor dem Gegner stehen, aber dieser fällt getroffen um. Man ringt miteinander, berührt sich also, spannt aber keinerlei Muskel an. Wie im Film!

Prügel

Die Musik ist Allerweltsschlager; keine Spur von Flowerpower; obwohl – doch, es gibt da so Kuschelszenen im Heu in der Scheune.

Den Film sah ich kurz vor und kurz nach der Pubertät und starrte auf die Beine der Damen. Wo blieben all die hübschen Jungschauspielerinnen später? Die spät70er DEFA hatte einen eklatanten Mangel an weiblicher Attraktivität. Nach der Wende kehrte er als „Super-Illu-Klassiker“ wieder. Jetzt, im gesetzteren Alter, gingen mir auch ein paar dechiffrierenswerte Sequenzen auf.

Eine Jungsgruppe von Abiturienten (Frank Schöbel und Co) und eine Mädchengruppe (Chris Doerk und Co) trampen an die Ostsee zum Arbeitseinsatz mit Erholungsbestandteilen; Lager für E&A. Dort gibt es dann eine Reihe von Techtelmechteln unter Verwendung aberwitzig angepasster Dialoge.

Pärchen im Bootsschuppen:

Er „…und dann ließen mich meine Eltern eine Woche keinen Jazz mitschneiden.“

Sie: „Brutaaaal!“

Publikum: Blödsinn! So’n unterbelichteter Teenie und Jazz! Aber Beat oder Rock ging ja nicht 1967! Dann hät‘s der Film ooch nich‘ durch die Zensur geschafft!

Und auch noch das: Immermal wieder pfeift der Rudelführer und dann stecken alle Typen reflexhaft die Köpfe zusammen, wie ne Fußballmannschaft vor dem Spiel. Bei den Mädchen klappt das so ähnlich.

Publikum: Ach du Scheiße! Das hätten se wohl gerne, dass alles so läuft, wie es sich FDJ-Bönzchen vorstellen! Dieses dressierte Mannschaftsverhalten. Schenkelklopf! Und so blöde würden wir dabei aussehen! Pruuust! „Beule! Feife ma‘! Ich willdch auslachng!“

7. Das Beste kommt zum Schluss: Die Krönung dieser Liste: Willst du wirklich DDR verstehen? Willst du das wirklich? Was da so alles zusammenging und warum nicht „alle“ abgehauen sind, als Berlin noch offen war? Dann gibt es nur eins:

Kult!

„BERLIN – Ecke Schönhauser“ (1957) ab 1965 ebenfalls im Giftschrank und erst ab 1990 wieder zu haben. Jugendgang in Ostberlin; glaubhaft ruppig; Eckehard Schall (Brechtschwiegersohn) in Paraderolle als eine Art von Jim Stark/James Dean (Ost) keine gestanzten Floskeln; der Volkspolizist, der den verständnisvollen Papa Ersatz geben will, wird rüde ausgebremst… kommt den James Dean Filmen erstaunlich – und völlig unpeinlich – nahe.

Das XI. Plenum der SED, das berühmte „Kahlschlagsplenum“, das die komplette DEFA-Produktion aller 26 Spielfilme des Produktionszeitraumes 64/65 verbot, Schriftsteller maßregelte, und „mit dem Je-jeh-jeh und wie das alles heißt, schlussmachte“ – verhunzte die Kulturentwicklung der Republik nachhaltig.

Indianerfilme ab’66 gelangen und wurden „wie durch ein Wunder“ erlaubt. Ernstnehmbare Gegenwartsfilme waren unmöglich geworden. Für lange Zeit.

„Die gewöhnungsbedürftige Parabelhaftigkeit des DDR-Films bleibt manchem ein Graus.“ (M. Martin)

Recht hat er!

Mir.

8 Gedanken zu “Die Glorreichen Sieben (DDR-Filme)

  1. Es hat mich gefreut, dass Du Heißer Sommer feierst.

    Für mich ist Solo Sunny der beste Film schlechthin.

    Aber gleich danach kommt Die Alleinseglerin. Ein wunderbarer poesievoller Film. Eine junge Doktorandin mit Kind, schlechtbezahlte Mitarbeiterin eines Literaturinstitutes (mit einem widerlichen Chef) erbt ein wunderschönes Segelboot… Die viele Arbeit, die nötig ist, um es über den Winter zu bringen und später für einen guten Preis zu verkaufen… Die Menschen, denen sie dabei begegnet. Erinnerungen an ihren Vater… Tolle Verfilmung eines zu geschwätzigen (und beim späteren Lesen enttäuschenden) Romans.

    Schauspieler werden überbewertet, hier spielte die Schlagzeugerin von Mona Lise und später Gundermann die Hauptrolle.

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    • Tja, bei den Filmen liegen wir weit auseinander. „Solo Sunny“ und „Alleinseglerin“ rangieren bei mir ganz weit hinten. Vielleicht mach ich mal einen Post draus, woran das liegt, dass mir viiiele, und vor allem die gepriesenen, DEFA Gegenwartsfilmversuche nicht gefallen haben.

      Vielleicht treffen wir uns ja geschmäklerisch bei den Koproduktionen:

      -Die Heiden von Kummerow;
      -Mephisto

      da klappte es dann auch mit dem Spannungsbogen.

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    • Yep. ich hab noch rechtzeitig bemerkt, dass ich in „Verwirrung der Liebe“ erst Dittus und Domröse stehen hatte, es in Wirklichkeit aber Bürger und Domröse waren. Nun – da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Ich mag die Dittus in einigen ihrer Rollen, die Bürger war mir eher egal.

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  2. Ich bedanke mich jedenfalls für die Anregung. Die irre Ausstattung! Wenn die FDJler Rokokokleider getragen hätten, könnte es nicht surrealer sein! Das Kleid, das Hanka in der Abschiedsszene trägt!

    In Solo Sunny steckt vielleicht mehr von „Margot“ bzw. Krößner als von der immer genannten Sanije Torka. „Wieviel verdient ein Professor“ (zweimal im Film) antizipiert das berühmte Taxifahrerzitat aus Solo Sunny: „Bei der Knete die ich verdiene, kann ich doch nicht blöd sein.“ Und dass der 150prozentige Karrierist am Ende mit Margot verheiratet ist… Und dann die Moral: Der zweite (d.h. bessere) Held geht zurück in seinen alten Beruf: Es muss im Sozialismus auch Frisöre geben!

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    • Tja, die Blütenträume reiften nicht.
      Alle führen anfangs ne Aufbauphrase im Mund, die schnell zum schalen Alibi für ganz familiäre Gründe wird, die die eigentlichen sind fürs „Große Ganze“. Und die Jungstalinisten verbürgerlichten auf einem abstrus spießigen Weg.
      Dazu Rolf Ludwig als verbitterten Bauern, der zusehen muss, wie sein Hof absäuft…
      ich fands packend.

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  3. Pingback: Mensch, Gorbi! | toka-ihto-tales

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