Mehr als nur’n Buch gelesen … (2)

Hammer oder Amboss sein!

Oder eher: Hammer UND Amboss?

Entscheide!

Unfreiwillig komisch, wenn ein Boomer diese Frage stellt. Wir sind die Generation Karriereverzicht. Nennenswert charismatische Politiker, Rocker, Schauspieler zwischen 1957 und 1964 geboren? Fehlanzeige.

DSC02995-002spielhagenSpielhagen stellte die Frage 1868 mit seinem vierten und höchstwahrscheinlich besten Roman, der genauso hieß.

„Hammer und Amboss“; Staackmann Verlag Leipzig; unzählige Auflagen bis 1930. Anfangs chic gebunden; später immer liebloser ediert.

War sein Sensationsroman „Problematische Naturen“ von 1861 praktisch seine Variante von Gustav Freytags „Soll und Haben“ – in BESSER! – so war „Hammer und Amboss“ sein „Hungerpastor“, ebenfalls in BESSER! Schon allein deshalb, weil es nicht um einen Theologenwerdegang „im Winkel“, sondern um eine weitaus zeitgemäßere Karriere in der Metropole geht.

Allerdings durchläuft Georg Hartwig bei Spielhagen relativ ähnliche Etappen orientierungsloser Suche wie Raabes Hans Unwirsch. Erfolgreich – aber weit weg von der Familientradition.

Da die Parallelen auch Wilhelm Raabe auffielen, wurde er ein ähnlicher Spielhagenfeind wie Freytag.

Spielhagen war in den genannten Fällen das eindeutig bessere Erzähltalent. Er gewann stets an der Ladenkasse, was sich in Auflagenanzahl und -höhe niederschlug.

Das Identifizieren des Lesers mit den Haupthelden fällt bedeutend leichter, als mit den allzu tugendhaften beiden Philistern bei Freytag und Raabe.

Georg Hartwig in „Hammer und Amboss“ – wäre der deutsche Film auf seiner Suche nach ernsten Themen nicht so Nazi-fixiert, wäre das längst verfilmt.

Ein besserer Name hätte sich für DIESE Figur in DIESEM Plot nicht finden lassen. Er ist ein Drachentöter im übertragenen Sinne(Georg) und „hart“ und „weich“(Hartwig) in Personalunion.

Er ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, der liebt und hasst, der sich in Fehler verrennt, kämpft und durch Fleißattacken wieder herauswurstelt. Und er ist ein Beobachter mit Scharfblick. Ein Kritiker seiner Zeit. Kein nachmärzlicher Adels-Lakai! Sondern ein Selfmademan, der, da er „von unten auf“ kommt, schließlich auch als Unternehmer soziale Verantwortung übernimmt. Das deutsche Gegenstück zu den Manchesterkapitalisten Englands. Idealistisch überhöht.

Es war mein zweiter Spielhagen. 1982 gekauft und gelesen. NDW-Zeit. Die Fahne ein reichliches Jahr erst her. – Jedoch: Reservisten-Intermezzo Pflicht vor dem zweiten Studienjahr: Nochmal 6 Wochen NVA. Da wurde alles kaum Vernarbte wieder aufgerissen – und der Hader mit der Entscheidung, ob das Studium überhaupt das richtige wäre, ging in die nächste Runde! Raus! Weg! Aber – verreck! – wohin nur?!

Mit 22 Jahren unter die 17jährigen Ungedienten an irgend’ner Berufsschule? Mit 25 dann Lebensende am Schraubstock im VEB Dingsbums? No way!

Und ich schlage diesen Roman auf und lese, wie Georg Hartwig kurz vor dem Abi von der Schule fliegt – und ausbricht! Weg! Fort! Bloß kein Lakai sein!

Booooaaarrrrr! Dieser alte Schmöker da schien mir mein nicht gelebtes Leben erzählen zu wollen!

Auch dass er Zuflucht findet bei Malte von Zehren, dem letzten „tollen“ Landjunker von Rügen, dem „Pascher-König“, der sich an nichts hält, außer an die Vorstellungswelt der Vorfahren, beeindruckt:

Es gibt kein Problem, das sich nicht durch’ne Kugel zur rechten Zeit lösen ließe!

Stärke statt Gewinsel!

Ketten werden knapper! (Renft’73)

Stoß auf die Tür aus Stahl! Die Tür, die in den Frühling führt! (Renft’74; Kult’82)

Ich will leben! Drum steig ich aus – und zwar HIER! (Vera Kaah’81)

Ich möchte ein Eisbär sein, am kalten Polar! … (Grauzone’81)

Ich war Georg Hartwig!

Jedenfalls – solange ich Band I las.

Die Malte-Kapitel gehen runter wie Öl! Spannend. Ein Spirituosen-Robin Hood auf Rügen.

Immense Einnahmen, Aushalten seines Bruders, des Steuer-Rathes Zehren; der sonst mies vom Staat bezahlt ein elendes Dasein würde führen müssen. Weiiit weg vom Lebensstandard derer von Zehren!

Aber dieser Schreiberling ist angefault von „Korrektheit“; und er hat keinen Mumm; will nicht mit hinabgezogen werden, wenn „alles mal rauskommt“ und so verrät der schwache- den starken Bruder. Dem drohen nun Verhaftung und Entehrung, drum liefert er sich einen wirklichen Kampf mit den Gendarmen, bei dem die Zehrenburg in Flammen aufgeht. Als die Jagd endet, fällt ein letzter Schuss, mit dem sich Malte von Zehren die weitere staatliche Entwürdigung erspart. Georg ist zu jung, um den gleichen Weg zu gehen. Komplize/Knecht/Faktotum des Pascherkönigs gewesen zu sein – das bringt 7 Jahre Zuchthaus.

Nun ist der Schulabbrecher ganz unten – jedoch „von unten auf“ erleben wir seinen Aufstieg mit.

Er muss erstmal begreifen, dass er auf einem Ritt in eine Art anarchistisches Märchenland war und nun das gesellschaftliche Korsett begreifen.

Und dann geht es in jahrelanger Plackerei „nach oben“:

Häftling; Industriearbeiter (Kesselschmied); sich isolierender Abendschüler, Ingenieur; Schwiegersohn des Kommerzienrathes Streber, dessen Tochter Hermine eine jener gelungenen Spielhagen-Feen ist; Unternehmerschwiegersohn und Erbe; Witwer; in zweiter Ehe dann Schwiegersohn seines Ziehvaters, des dritten von Zehren; des Zuchthausdirektors.

Dieser hatte erkannt, wie verderblich der Einfluss seines ältesten Bruders hier „an einer jungen Seele“ gewirkt hatte; so sieht er es als Pflicht, ein Zehren-Verschulden wieder gutzumachen: Er erleichtert Georg die Haftbedingungen auf eine pädagogische Art. Schwer Arbeiten einerseits; guter Lesestoff für die Abende als Futter für den Kopp; an den Wochenenden dann eine Art „Freigang bei Knast-Direktors“ – Kaffee-Runde im Familienkreis mit tiefgründigen Gesprächen, die Georg da abholen, wo er steht:

„Nirgendwo wird Jugend so planvoll verbogen wie bei uns.“

Ob mit der Knute oder mit rhetorischen Wattebällchen – der Satz stimmt einfach immer!

In den Hermine-Episoden arbeitet Spielhagen sich ein weiteres Mal an seinem privaten „Hedda-Komplex“ ab; hier gestaltet er sich die leidenschaftliche Beziehung zuende, die er einst abbrechen musste. Voller Zuneigung, Seelenverwandtschaft und Zärtlichkeit. Als sie stirbt und Paula ins Spiel kommt, ist das ein bedeutend „abgetrockneteres“ Verhältnis. Seine Theresa-Ehe. Paula ist die kluge Ratgeberin, nicht die gewitzte, erotische Elfe.

Die drei Zehrenbrüder sind eine gar auffällige Parallele zu den drei Götz-Brüdern bei Raabe im „Hungerpastor“ von 1863.

Bei Raabe, wie bei Spielhagen gilt: ein „Wildling“, ein Schlappschwanz vom Finanzamt, ein selbstloser Förderer.

„Götz“ ist eindimensional deftig gemeint: Götz von Berlichingen. Typen, die die Welt am Arsche lecken kann. Bzw. der Typ in der Mitte kann dir eher selbst den selbigen… Der drastische Raabe.

Spielhagen hat den vieldeutigeren Namen voraus:

Von Zehren.

fs4Ein ehemaliges Raubrittergeschlecht, das sich von den Tränen(Zähren) der Umgebung ernährte; die Mägde missbrauchte, die Bauern schlug, die Händler plünderte… nach Zeiten sitzen sie auf ihren Resten dahinschmelzenden Reichtums und zehren ihn auf… sie zehren von ihrem alten Ruf, der diesem oder jenem einen wohlklingenden Staatsposten bringt, aber sie vollbringen nichts von Dauer. Die Zeit zehrt sie aus und auf. Sie haben abgewirtschaftet. Ihre Zeit ist um!

Spielhagen, der zu spät gekommene 48er, wird hier ganz und gar bildhaft. Er lässt den typischsten Adelsvertreter alten Schlages mannhaft, aber als Verbrecher, untergehen.

Die lange Etappe des Sich-empor -Arbeitens wird real nachvollziehbar erzählt, ist aber nicht ganz frei von Unwahrscheinlichkeiten.

  • Da ist die Zuchthaushaft, die mit jeder Buchseite mehr einem Sanatorienaufenthalt ähnelt – mit vollumfänglicher Chefarztbetreuung. Zuchthausdirektor von Zehren adoptiert Georg nahezu.
  • fs3Da ist die Kesselschmiederei im Lokomotivenwerk; die erste Darstellung von Fabrikarbeit in einem bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts! Der Krach wird geschildert. Aber die Schattenseiten verschwiegen – oder nicht gewusst. Kein Arbeitsschutz; massenhafte Ertaubungen. Georg hämmert hier zwei Jahre mit und seinem Gehör tut das nichts! Nun ja. Es gibt so Lemmy-Kilmister-Typen, Richie Blackmore oder Buzz Dee Baur von Knorkator, die sind Tinnitus gefeit. Georg Hartwig muss so einer gewesen sein!
  • Georg umgeht das Bewohnen einer Mietskaserne im Wedding, indem er im Unland einer Großbaustelle, deren Investor verschwand, unbehelligt in einem halbfertigen Bau „instandbesetzt“ ungestört wohnen und abends studieren kann – um später „etwas sein zu können“.
  • Spielhagen isoliert seinen Georg also ganz bewusst vom verderblichen Einfluss asozialer Mithäftlinge während der Haft, als auch vom Gruppenzwang alkoholkranker Arbeiter in der Stehkneipe.

Stattdessen besucht Georg einen Jugendfreund, der mit Weib und Kind sauber geblieben, in so einem von Schmutz starrenden, dritten Hinterhof wohnt und sich da heraussparen will. Dermaleinst. Die Schilderung dieser Heloten-Unterbringung Anno 1868 ist ebenfalls ein unerhörtes Novum in der deutschen Literatur.

fs215 Stunden Arbeit und Hungerlohn. Heraussparen? Wie soll das gehen? Nur mit Sparsamkeit? Georg weiß inzwischen, dass eher Bildung dazu gehört um „fortzukommen“. Arbeiterbildungsvereine entstehen gerade. Jedoch sind diese Selbsthilfevereine mit ihren Alphabetisierungsangeboten nichts für den ehemaligen Fast-Abiturienten.

Und es gibt in jener Zeit, so ungeheuerlich das klingt, durchaus Beispiele von Industriearbeitern, die, weil sie durch Zuverlässigkeit und Fleiß auffielen, Förderung erfuhren und Ingenieure wurden; Patente entwickelten konnten auf Grund von Arbeitserfahrung. Allerdings kannst du diese Beispiele suchen, wie die Lotto-Gewinner unter Volksmassen. Georg wird so einer.

Er errettet das bereits halb ruinierte Werk seines verstorbenen Schwiegervaters Streber, indem er die Belegschaft zu Teilhabern macht, die dank Gewinnbeteiligung Ansporn haben, mehr verdienen, in besseren Wohnsiedlungen wohnen können, als für die Zeit typisch ist.

Hier schießt Spielhagen als Schöngeist widersprüchlich übers Ziel hinaus. Sein Idealismus opfert hier den Realismus auf. Er ist eben doch eher bei Goethe und dessen Edelmenschensehnsucht als bei Marx.

Dieses Happyend des menschenfreundlichen Industriellen ist 1869 Wunschdenken pur; irgendwo zwischen Lassalle und Saint-Simon und zum Scheitern verurteilt, führte jedoch 80 Jahre später in eine Sozialpartnerschaft, die „Wohlstand für alle“ propagierte; mehrere Jahrzehnte auch möglich erscheinen ließ und gegenwärtig vor der Auflösung steht. (Das Unternehmertum hatte 1945 in den Abgrund gesehen und ging im Westen vorübergehend auf Nummer Sicher; gönnte seinen Heloten ein kleines Stück vom Kuchen. Ab 1990 jedoch kehrte der Größenwahn zurück.)

Nun simmer wieder beim Georg Hartwig des Anfangs, bei Wohnungsnot und unbezahlten Überstunden. Die soziale Schere klafft. Die Masse säuft, wie die Arbeiter im alten Wedding; und (politische) Bildung fehlt – wie damals. Auch wenn jetzt alle das Smartboard anbeten, wie früher die Madonnen von Tschenstochau oder Lourdes.

Lemminge.

Mr.Betts is gone

Mr. Betts has quitted life.

Richard „Dickey“ Betts, mit 80 gestorben.

Stolzes Alter.

Bild (3)Dickey Betts and The Great Southern; zweites Rockpalast Festival 1977; zwischen den explosiven Mothers Finest und den chaotischen Spirit: Wroommmmm!

Kennst du das Gefühl, wenn da einer von übern-großen-Teich über den Jordan geht und du seine Platte auflegst und in den Spiegel guckst: Mach‘s gut, Alter!?!

Die Allman Brothers, die Great Southern…immer im Mix mit Artverwandtem; 1994-2009 gut 15 Jahre Dauerdroge auf den Heimfahrten von der Kleeche. (Maloche; Arbeit) Dann war’s auch irgendwann genug; es kamen andere zum Zuge. 40 km eine Tour; Brandenburg County; durch Wald und Feld, auf meistens freier Straße; da kommt das gut, dieser dahinfließende Sound.

Du verlässt die Schule. Knallst die Autotüre zu. Schlüssel rein, Musik startet – wohl temperiert und nicht zu müde, nicht zu schnell. Im späten Mittagstief. Auch für dich war gerade 7.te Stunde! Was passt da? Da brauchste keinen Punk oder Metalwumms!

„Farawail a liwin ju Ell Äy!“ – Finger hoch und Gaaaas! – Der „California Blues“ vom Great Southern Debut; der is‘ richtig! So abgefuckt relaxed! Perfect für 14:40 Uhr – zu Hause warten Hunderunde und Schreibtisch. Nun ja. Hasts ja so gewollt. Wollen müssen. Rock dich wieder hoch – für die zweite Schicht!

„Jessica“ und „run gypsy run“; da wächst dir n zerknautschter Stetson! Müllfahrerstyle. „Looooord, I was born a ramblin‘ man!“ Es folgen Rory, Winters Johnny; Skynyrdns; Van Zandt Brothers; Wet Willie…Nazareth passten auch immer gut dazu … „You shot me down!“ und nun is Dickey gone.

Every Body’s got a Mountain to climb!

Auch deine, alter Gitarren-Assi!

Maaaan! Was galt es alles wegzudrücken, was über dich so in den Gazetten stand! Edel is‘ anders!

Du warst der Keith Richards des Southern Rocks, was Suff und Substanzen betraf. Und familiär – Schwamm drüber! Die Mugge macht’s! Niemals ohne Eier! Und da liegen nun so Platten für die Ewigkeit! Die „Kinder des Rock and Roll“, die nun einer nach dem andern „heim gerufen werden“, waren nun mal keine Durchschnittsspießer. Und bevor man sich den Flaschenhals über den Ringfinger zieht, musste ja auch irgendeiner die Buddel leergesoffen haben! Slide it all down!

Ich hab euch Stück für Stück erschlossen! Und da war soviel zu entdecken! Auch an alten Roger Widmark Erinnerungen. Oder bei „Atlanta’s burning down“  – da kommt mir jedesmal „Der Mann vom großen Fluss“ (Shenandoah) ein. James Stewarts Paraderolle. Hatte ja viel Zeit im Auto in den späten 90ern: All diese Langzeitumleitungen zu fahr‘n, als das Straßennetz restauriert wurde. Da hab ich den Landkreis kennen gelernt! Bauampel hier, Löchertour da… Freizeitklau. Fluchen nützt nischt: „Wasted word! Still absurd!“

Aber meine Tochter hätte bald singen können: „I was born on a Greyhound-Bus Peugeot 309“.

„Roll on down the Highway!“ Ja, DIE Nummer is‘ nicht von dir! Aber die passte auch immer gut dazwischen. Genau wie „Long may you run“ mit der fiesen Beach Boy Spitze.

Aber ihr hattet es ja allzeit auch drauf, wie Uncle Neil:

„Like the hopeful dreams of many

He had everything and more

A lovely wife and children

All the things we‘re fighting for

He knows, there was still

Still, something missing

in his life…

Someone pull the trigger…

And there he’s got no place to run…

Temptation is a gun!

Eure „Where it all begins“ hab ich am meisten verheizt, in all den Jahren.

„We are stuck in Convoy rockin‘ trough the night…“

Midlife crisis. Landstraße. Döner-Bude. Landtraße one more time…

(Komm mir jetz‘ nich‘ mit „Blätter fressen“! Die Nerven brauchten Nahrung!)

„Seven turns on the highway, you see the crossroad sign…“

Entscheidungen! Ständig! An 3 Fronten gleichzeitig!

Da half nur allweil, sich „Southbound“ auf die Ferien zu freuen!

„Run gypsy run!“

Und dann „Soulshine!“ Baby. Warren Haynes. Klar. Um so‘n Seelen-Opus zu schreiben, muss man eine haben! Der war dir über, Dick! Kommt immer einer, der dann besser is‘!

Sein Existenzialismus bewahrte euch vor diesen ewigen „My baby left me, and I cry“ Texten.

Ihr bliebt einfach immer relevant, Alter!

Und ihr bliebt Kerle!

Schlaf gut, Rebel!

Mehr als nur’n Buch gelesen…(1)

Es ist Frühling. Und so’ne gewisse Sehnsucht verlässt uns Männer wohl nie. Schön, wenn es einen Autor gibt, der für dich leidet. Dann liest du das – und alles bleibt gut. Ob es mit der anderen eventuell sehr gut geworden wäre, wirst du nie erfahren. Egal. Du machst keine Fehler. Die Ehe hält.

Du hattest Futter für den Kopf. Nicht nur für die hormonelle Seite.

Tom Liwa taucht aus der Erinnerung auf:

Und die Frau, die ihr Leben
mit Dir teilt und Dich liebt –
manchmal ist sie Dir peinlich
und dann denkst Du es gibt
eine bessere Liebe für Dich
und dann fühlst Du Dich schlecht
und du hoffst, dass sie es nicht merken wird
na klar sie merkt es erst recht.

Für die linke Spur zu langsam
Für die rechte Spur zu schnell
Entlang der immergleichen
Leitplanken, Schilder und Zeichen

Spielhagen hat aus dieser Sehnsucht ein Lebenswerk gemacht, das ihn trug, und zu Lebzeiten zum meistgelesenen Autor Deutschlands und zum meistgelesenen deutschen Autor Russlands werden ließ. Also überall da, wo die Schwerenöter wohnen.

Aber Spielhagen machte aus seiner Teenie-Sehnsucht nach den entblößten Nacken unter Hochsteckfrisuren und dem schwebenden Gang jener Elfen in langen weißen Kleidern in Gutshausparks nicht nur Liebesschmöker, sondern ausgefeilte Gesellschaftsromane, die „Zeugnis ablegen“ von einer hochherrschaftlichen Zeit, die rammdösig in Richtung Abgrund fuhr. Er wartete damit nicht, wie ein gewisser Fontane bis zum Spätwerk.

Spielhagen sah scharf hin und legte manchem Protagonisten deutliche Sätze in den Mund. Ob 1862 oder 1890. Vor – oder – nach der Reichsgründung.

„Es wird zu Kriegen kommen, die all das zerstören, wofür Deutschland steht, was über die Jahrhunderte geschaffen wurde.“ (aus „Ein neuer Pharao“; 1890)

EZ6Die Einheit der Nation war ihm wichtig. Nötig. Seit 1815 überfällig. Jedoch –

Die Idee war gut – doch die Ausführung ließ zu wünschen übrig. Die pfuschten da ein Kraftwerk zusammen, das überhitzte; da die Ingenieure das Geruppel im Inneren überhörten, die Hände in den Schoß legten und lediglich hofften, dass es gut gehen möge. Das mag in der Gegenwart geradezu schrecklich aktuell wirken.

Wenn du einem Staat angehörst, in dem wichtige Reformen unterbleiben, dann kannst du nur Reißaus nehmen, auswandern; weit genug weg! Oder du musst mit all den Lemmingen um dich her mit nach unten – runter von der Klippe.

Spielhagen wurde mein Begleiter. Niemand hatte ihn empfohlen. Niemand kannte ihn. Und fast niemand wollte ihn kennenlernen, wenn ich ihn empfahl.

Ich hatte ihn 1981 im Antiquariat selbst entdeckt. Die beiden Bände standen hinter der Kasse im Regal und sahen verführerisch aus. Der Roman begann auf den ersten Seiten dramatisch und zog mich an. Der Preis war enorm: 30 Mark. Die drei Folgebände, die mir bis’89 noch ins Netz gingen kosteten zwischen 6 und 12 Mark. Bücher waren sehr preiswert in der Ehemaligen. Das Leseland wollte leben!

bücherwurm2

„Stumme des Himmels“ ist ein seltsamer Titel. Er führt in die Irre. Du glaubst Kitsch zu kaufen. Courths-Mahler lässt grüßen. Aber du lernst beim Lesen, dass der Titel von Jean Paul stammt – und der war im 19.Jahrhundert so eine Art Biermann oder Strittmatter. Ein Spötter, der gegen den gesellschaftlichen Stachel lockte.

Seine Metapher von den „Stummen des Himmels“ ist schwer melancholisch gemeint: Es sind Menschen, die entsagen. Menschen, die eventuell weitergekonnt hätten, als sie gingen; jedoch hätten sie Weggefährten in die Schlucht schubsen müssen, um freie Bahn zu haben …

„…diejenigen, die schweigen, die keine Schuld auf sich laden, um des eigenen Vorteils willen, anderen Leid ersparen, das sind die Stummen des Himmels.“

Jean Paul wurde nicht viel gelesen. Aber diejenigen, die ihn lasen – wurden Schriftsteller. Das ist wie mit dem Bananen-Album von Velvet Underground. Einer der größten Flops der Hippie-Ära – jedoch, „die 700, die in Amerika die Startauflage kauften, gründeten eine Band“, so wird erzählt.

Und so schrieb Spielhagen 1894 am Ende einer Schaffenskrise das Hohelied der Sehnsucht – einen seiner gelungensten Romane.

Es geht um Eleonore Ritter und Baron Ulrich von Randow. Sie lernen sich auf Norderney kennen. Sie sind Bade-Gäste in Zeiten, als Massentourismus noch nicht erfunden war. Es gibt also auch in Kurorten noch einsame Wege und ebensolche Cafés. Man trifft sich und treibt brave, unverbindliche Konversation. e.wolfJedoch hat diese von Beginn an den Touch der kleinen Besonderheiten. Man beginnt sich zu freuen, wenn man sich wiedersieht. Und man beginnt von beiden Seiten dem Zufall nachzuhelfen, damit dies auch ein drittes und viertes Mal gelingt. Es knistert!

Lies das im Frühling! Mitverlieben garantiert! Ich las das 1981 im Herbst – aber es war der Frühling meines Lebens!

Beide kommen sich verbal näher. Geschwister im Geiste. Dann reist man ab – in unterschiedliche Richtung. Eleonore nach Berlin, wo sie eine Stelle als Lehrerin oder Gesellschafterin sucht. Letzteres tritt ein – aber ihr neuer Arbeitsplatz führt sie im Sommer nach Pommern, wo sie somit Nachbarin ihrer Norderney-Bekanntschaft wird.

Das Baron Randow verheiratet ist und Kinder hat, hatte er ihr nicht verschwiegen. Er hat auch seine Familienumstände nicht beklagt, sondern durchaus die Rolle seiner Frau gelobt – nur erweckt Spielhagen beim Leser das Gefühl, dass jene Eleonore Ritter das perfektere Match gewesen wäre.

Es knistert heftiger. Bei Treffs, die nun beide eigentlich vermeiden wollen…

Man muss nicht nach Norderney, um …. Manch einem begegnet seine Eleonore auch am Arbeitsplatz. Die Gespräche lassen den Gleichklang der Seelen erahnen. Das Umfeld wird Nebensache. Hatten die Kollegen schon Wetten laufen, wie die Gutsherren bei Spielhagen: Na? Wann passierts?

Man kennt das. Auch in Werkhallen oder Büros. Es begegnet einem. Aber es muss sich nicht buchstabengetreu so abspielen wie im Roman.

Hertha von Randow oder Eleonore Ritter, Chiffren für Namen aus deiner eigenen Biografie – hundert Jahre später. Gute Bücher bleiben aktuell.  Anfang der 2000er hatte ich das ZVAB für mich entdeckt, mit seinem damaligen Spielhagenüberangebot zu kleinen Preisen: 2000, 2001, 2002 – Leserausch. Parallelwelt. Gott sei Dank. Keine Fehler begangen. Keine Patchwork-Stückelei veranstaltet. Nur die „Stummen des Himmels“ zum zweiten Mal gelesen. Medizin – die half.

In letzter Zeit las ich mehr Heyse. Aber der Thron gebührt Spielhagen. Unstrittig.

Staub gewischt auf alten Platten (3)

Fall 7:

Jane „At home“ (1977)

jane76Ach, was schielten wir nach Westen! Und in Sachen Deutschrock kam da nix mit Botschaft. Immermal wieder ein toller Track von „einer deutschen Band“, aber erstens auf Englisch und zweitens folgte dann nix nach. „Moscow“ von Wonderland ist unausrottbar KULT! Aber wenn das’ne Single war: Was war auf der B-Seite? Gibt’s von denen ein zweites halbwegs memorables Lied? Als Bear Family Records vor Jahrzehnten das Wonderland-Erbe per CD auf den Markt schmiss, war das mein letzter Reinfall in Sachen (West)Deutschrock. Das war einfach nix – und reiht sich ein in Randy Pie-, Snowball-, Kraftwerk-, Can-, Grobschnitt-, Frumpy-Erfahrungen. Überall ne gelungene Nummer oder auch zwei – und der Rest klappert vor sich hin.

„Jane“ waren neben „Eloy“ die wohltuende Ausnahme. Zu Ostzeiten ging das „At home“ Album herum und gefiel. Zu Westzeiten wurde es somit dringender Nachholkauf auf CD und lief und lief und läuft auch weiterhin.

Textlich ist einiges zum Fremdschämen. Gottlob englisch – also leicht verdrängbar. Geradezu albern die englischen Zwischen-Ansagen „The next song is called….“ – deutsche Band vor deutschem Publikum! Das erfährt seine kuriose Unterstreichung am Ende, wenn gut vernehmbar nach „Zu!Ga!Be! Zu! Ga!Be!“ gerufen wird. Aber egal: Man schwelgt ja noch im musikalischen Rausch!

Es ist eben die unschlagbar beste Kreuzung aus Deep Purple Härte und Pink Floyd Elegie!

„One of these days“ und „Echos“ meets „Fools“ oder „wring that neck“.

Das nimmt dich mit! Das malt Bilder an die Wand! Das holt Erinnerungen hoch – dass es sich nur so hat! Feines Album. Immer gewesen!

„Fire, Water, Earth and Air come together in my soul“

Yeahr. Trifft zu!

Fall 8:

Silly – die Tamara-Danz-Zeit

Ich lieb(t)e die ersten 4 Silly Alben sehr. Album 5 und 6 mit Einschränkungen. Stammleser werden sich erinnern. But time goes by.

Die Danz-LPs von Silly enthalten hochintelligente Texte, passend ummantelt von Klängen. Dann starb Tamara und die Bandgeschichte ging ohne sie weiter. Leider, wie sich zeigen sollte; denn das Bandniveau stand nur auf ihren zwei Augen. Nur sie hatte das Gespür für – den richtigen Texter zur richtigen Zeit.

Es gibt inzwischen reichlich Doku-Material über Silly und Interviewschnipsel mit den überlebenden Bandmitgliedern in Sendungen a la „Hits des Ostens“. Und ich vermute mal, ich habe davon fast alles gesehen. Aber das Bild wird mit den Jahren schal und schaler.

Silly a

Die 3 Silly-Veteranen geben sich immernoch wie ergraute Thälmannpioniere, die Bodo Freudl (Moderator von „Rund“) streicheln soll, wenn sie fehlerfrei ihre eingelernten Stanzen vor der Kamera von sich geben. „Ich bin lieb, ich bin immer lieb.“(Pankow) – klingt mir heute wie ein Spottlied auf die Silly-Mannen. Tamara ist nun fast 30 Jahre tot; aber keiner ihrer Boys ist nachgereift. Kein mutiger Satz in irgendeiner Talkshow. Brave erblondete Roy Blacks.

Denken die ab und an mal selber? Warum mauern die so über diverse Silly-Mysterien zu Ostzeiten? Halten die das alles für „inzwischen unwichtig“ oder haben sie’s gar nicht mitbekommen, wie „anders“ Silly gehändelt wurden vor 89?! Wie erklären sie sich das? Mal bissel Selbstreflexion? Bei Barton gibt es da immer mal so Ansätze, – immerhin! – aber warum kommt er nicht drüber hinaus?

Klaus Renft war alles andere als ein Intellektueller – jedoch brachte er einen lesenswerten Memoirenband zustande. Und Silly – quasi die Renft der 80er? Still ruht der See! Das einzige Problem war Haarspliss, oder was?!

Lege ich heute eine der Tamara-CDs ein, dann zupfen da diese Fassade-Boys an ihren Instrumenten, während sich die Mutti vorn am Mikro mutig auf „unbefahr’nen Gleisen“ das Maul verbrennt.

Ächz.

Fall 9:

Folkländers Bierfiedler (Debut 1991)

Bierfiedler 91Die CD ist vermutlich mittlerweile Rarität. Sie enthält einen Kultsong, aber sie stammt von einer Undergroundband, die außerhalb der 80er Jahre Studentenschaft von Leipzig und den Vogtland-Folkies unbekannt blieb.

Die Truppe war ursprünglich eine abgespeckte Pausenfüller-Version der Folkländer; einer in den 80ern erfolgreichen Leipziger Volkstanztruppe, die überall in den Universitäts-Städten der Ehemaligen die Klubhäuser vollbekam. In den Tanzpausen blieben ein paar Mitglieder auf der Bühne und klampften „Hörmusik“ vor studentischem Publikum, bevor es mit den Ländlern, Schiebern, Polka und Pogo weiterging.

Die Hörmusik hatte es allweil in sich. Volksliedpflege, aber auch manch listig untergebrachte Gesellschaftskritik. Siehe hier „In jetzig Zeiten“; uralt aber zeitlos. Unter anderem geriet der eine oder andere Renftsong ins Repertoire – hier die Bierfiedlerversion von „Nach der Schlacht“ in voller Schönheit.

Die Bierfiedler landeten Mitte der 80er einen echten Underground-Hit, ohne den sie nicht mehr von der Bühne kamen. „Löhrstraße“. Sie hatten keine Platte draußen und auch keine Chance auf eine, denn als Pausenband hatten sie nie eine Einstufung über sich ergehen lassen. Immerhin gab es eine Rundfunkproduktion des Liedes – und die wurde ein Wunschsendungsfavorit auf DT 64.

„Löhrstraße“ handelt von einem Typen, der in abendlicher Dunkelheit bei Nieselregen versucht in der Großstadt seinen Schwarm wiederzufinden, um ihn endlich anzusprechen. Nur weiß er absolut nichts von ihr. Immerhin nennt er sie der Einfachheit halber „Maria“. Sehr schöne, treffsichere Verse, für eine sattsam bekannte Situation aller Schwerenöter. – Nur taucht da eben unter anderem und so ganz nebenbei der Halbvers „die Mädels in der Löhr…“ und im Refrain „deine schrägen Schwestern“ auf. Und die Löhr ist die Löhrstraße von Leipzig. Die Straße hinter dem Hotel „Merkur“. (Heute das Gil Ofarim Hotel) Zu Messezeiten war das der Strich für die Westgäste. Polizeilich geduldet und von der Stasi „abgeschöpft“. Das offene Geheimnis der Devisenbeschaffung. „Die Schrägen Schwestern“ und die „Löhr“ zusammen ergeben also den Nebeneffekt, dass der Suchende da entweder nicht sicher ist, ob jene „Maria“ auch „so eine“ ist, oder aber noch heftiger: Ein westdeutscher Messestammgast als Freier, der seine „Bekanntschaft vom letzten Mal“ wiederfinden will.

Der Song rotierte 86-89 auf DT 64.

1990 endete die Zensur. Die Bierfiedler wagten den Sprung in die Marktwirtschaft. Leider ohne Beziehungen in „jetzig Zeiten“ und ohne Ahnung von Vermarktung. Es wurde eine stilistische Stoppelhopserei.

Bierfiedler 91 b

Ich kaufte die CD. Hörte sie einmal durch. Und dann nie wieder. Für lange Jahrzehnte reichten mir 3 Songs, immer wieder herausgesampelt und auf Auto-Kompilations untergebracht.

Jedoch: Bei allerlei Entrümplungsaktionen hab‘ ich sie immer wieder in letzter Sekunde aus dem aussortierten Türmchen geborgen – und behalten.

Dieser Tage zum zweiten Mal ganz gespielt, entpuppte sie sich als bedeutend besser als 1991. Kann natürlich nicht an der Wandlung der CD liegen, sondern wird wohl eher meiner Alterung geschuldet sein. Sie darf also weiter bleiben.

Nun gefallen 7 von 16 Tracks. Aber es bleibt dazwischen eben auch noch immer viel zu viel „fohkige“ Klimperei übrig.

Zum Folkie werd‘ ich nie!

Scherbenkunde

oder: Aus – der Traum!

oder eben einfach: Rio & Ich

Ach, ist das ein Graus, sich diesem Thema zu stellen. Mit 64 Jahren. Aber ich wills mal bewältigen. Ich muss sortieren. Und dies hier ist der gefühlt 54te Versuch. Könnte lang werden. Da gilt es soooo viel abzuwägen!

Ich habe jede Woche eine andere Meinung dazu. Es ist verhext. Je nach dem, welche Songs mir gerade in den Sinn kommen. Vieles hält dem Test der Zeit nicht stand. Aber da sind auch all die anderen Lieder – die richtige Nuggets sind.

Die waren wichtig. Soooo wichtig! Damals in den 80ern in der Ehemaligen. Unvergessen das Konzert von Rio Reiser -noch vor dem Mauerfall- in Ostberlin und der Massen-Chor beim Refrain von „Der Traum ist aus“:

Tausend Ossis grölen beseelt: DIESES LAND IST ES NICHT! (Klick und genieß es ab 2:50 Minute)

Geschrieben war das einst gegen ein ganz anderes System, jetzt war es eine Unmutshymne gegen das Regime „der alten Männer“ von Wandlitz.

Er war so wohltuend provokant in einer bleiernen Zeit.

„Leute, lasst das Glotzen sein! Kommt herüber! Reiht euch ein!“ war DIE Demo-Losung im Oktober 89 als noch alles auf der Kippe stand; und sie klang, wie von Rio formuliert: Könnte glatt aus „Keine Macht für niemand!“ stammen.

Das ist zwar NICHT der Fall; aber die Wendemacher gaben allzeit zu erkennen, wer sie sozialisierte: Ton Steine Scherben und die Fehlfarben.

TSS fuhren so ab ’83 verspäteten Ruhm ein und endlich auch ein bisschen Geld, als Rio seine Solokarriere startete und begann, den Schuldenberg abzutragen. Zuvor hatten sie sich unter völliger Verkennung aller wirtschaftlichen Zusammenhänge ja existenziell komplett in die Scheiße geritten.

Ihre revolutionäre Phase vom Anfang der 70er war da bei der Band schon lange „durch“. In den 70ern herrschte ja striktes Scherben-Embargo auf allen Sendern von drühm. Und das Ost-Radio sah auch keine Veranlassung, puren Anarchie-Gesängen Airplay zu gewähren.

Reiser war ein Poet des Unmuts, des Aufstandes. Ganz und gar unblumig mittenrein in die Zeit des Tangerine Dream Wach-Komas und der Pril-Blumen. Und wie alle „Macher“, wusste er nicht, wohin es hätte hinterher gehen sollen, „wenn die Waffen schweigen“.  

Zehn Jahre später brachten seine frühen Songs den Stagnationsfrust und den unklaren Rebellenwust in unseren Köpfen in treffenden Versen zum Ausdruck. Das saß sofort. Konnte ständig zitiert werden. Wir inhalierten die „Auswahl I“, „Scherben“ und eben die beiden Solo-Alben. Was man halt so greifen konnte, dank ahnungsloser Omas, die da von der Westreise Konterbande mitbrachten, ohne kontrolliert worden zu sein. „Stiller Raum! Stille Nacht! Alles schläft! Nur WIR sind wach!“

Wir hielten uns dafür! Yeahr!

Aber wie wach war ER? Er träumte, wie in „Steig ein“ besungen, von einem Land ohne Geld. Er wollte „Keine Macht für niemand.“ Und streiken bis zum Sieg „und UNS gehört die Fabriiiiik!“ – und dann? Planwirtschaft kann er nicht gemeint haben! Je älter du wirst, umso mehr werden dir all die Leerstellen peinlich bewusst.

Eigentlich hätte ich ihn schon damals als guten Kumpel in die Arme nehmen wollen, wegen:

„Ich bin nicht frei, ich kann nur wählen, welche Mörder mich regiern, welche Räuber mich bestehln!“

Geil Alta! Voll auf die 12! – „In jeder Stadt, in jedem Land! Mach’ne Faust aus deiner Hand!“ 1988!

(Die Zeit der aufkeimenden „Revolutionären Situation“. Aber eben nicht, wie im Lehrbuch stand, im bösen „Mopol-Kannibalismus“ drühm, sondern hier bei uns; den „Siegern der Geschichte“, die laut Gorbatschow in einer Art „Agonie eines reaktionären Sozialismus‘“ lebten.)

Aber zugleich hätt‘ ich auch mit ihm drüber streiten wollen:

Keine Macht für niemand! Is aber och Kokolores! – Soll’n dann wer’n? Wenn keenor mehr sachd, wo’s langgeht? Hammvwer uns alle lieb, weil wir ja so gleich sind und so fair und selbstlos, oder was? Höre off!

Hättsd ma in Prora dienen soll’n! Die Parade von Schlagschlüsselschnauzen da hätte dir -eins fix drei- klar jemachd, was jeworden wär!

Wenn DIE kapiern, dasse keenor mehr einsammelt, wenn se Scheiße baun, dann hastes erläbd!

Bleib mir vom Halse mit Anarchie! Bakunin, Bakunin?! Höhöhö! Hör mir of! Das war ä Russe! Gucke dir Russland an! Dort wird lauter so ä Quark jeborn!

Anarchie-Gelüste haben mich nie gestreift.

„Ich bin der Antichrist! Ich bin ein Anarchist! Weiß nicht, was ich will, aber weiß was ich kriege! Ich will zerstörn – und dann mach ich die Fliege. Dennn iiiiiich bin diiiiiie Anarchiiiiiie!“ (Sex Pistols)

Punk mochte ich, weil er frech alle Phrasen durch den Wolf drehte, auch nicht weiterwusste, jedoch in der Übertreibung auch sich selbst auf die Schippe nahm: Wir meinen das nicht so ernst – aber wir kotzen uns frei! Selbstironie jedoch können die alternativen Kreise des Westens ja bis heute nicht.

Dieses bierernste Links-Sprech, dessen Ohrenzeugen wir manchmal via Westfernsehen oder -radio wurden, ließ uns im Osten kopfschüttelnd kalt. Wir warteten auf die Musik nach dem „Wortbeitrag“, vom „Zerstören der Strukturen in der Musik“ und ähnlichen Wolkigkeiten. Und wie ernst und weise die sich gaben, wenn die so’n Blech erzählten! Wenn man richtig Pech hatte, dann spielten die nach solchen Salbadereien auch noch die Düüls oder Franz K – und da brach man die Aufnahme nach spätestens 90 Sekunden ab und spulte zurück. Wie konnte sich so eine Käse-Combo ausgerechnet nach Franz Kafka benennen! (Naja, heute gibt es so’n Wimmer-Duo, das Glasperlenspiel heißt. Hermann H! Guck nicht runter! Hör weg!)

Die Polit-Songs der Scherben erinnern daran – und auch an ihren dauerwiederholten einzigen TV Talk-Auftritt aus den frühen 70ern: „…und deshalb werde ich mal jetzt diesen Tisch zerstören!“ (Sprachs und drosch dann mit der Axt auf ner Tischplatte herum. Und dann ging der Tisch nicht kaputt! Peiiiinlich! Ein Werbespot von damals weiß: „Akryl ist klar wie Glasss! Aber viiiiel härter“. Der Reklame-Onkel da im Spot war klüger als der Sponti. Symptomatisch. Der Aufruhr schon im Ansatz Murks.

Die Rio-Solo Sachen, wie „Wer, wenn nicht wir“, „Alles Lüge“, und vor allem „Blinder Passagier“ wirken weiser. Vermeiden die perspektivischen Sackgassen der Anfangsjahre. Man reift halt, macht Kohle mit Niveau und brennt schließlich aus. Rio in noch jungen Jahren.

Nach dem „Blinden Passagier“ gierte ich nach der „Rio III“. Als ich sie hatte, war ich verblüfft, wie ausgelaugt mein Wende-Herold da wirkte: Das war textlich UND musikalisch „nüschd“.

In einem Silly-Interview hatte kurz zuvor Tamara Danz erzählt, dass Rio hätte ihre „Februar“-LP betexten sollen. Aber was er so anbot, sei nüschd gewesen, deshalb habe man entschieden, Gundermann zu fragen.

Freunde feierten dann später Rios „Durch die Wand“. Mich störte seine PDS-Mitgliedschaft und seine peinlich-ärmliche Wendekritik mit der Neuversion des „Königs von Deutschland“. Mitte der 90er hatte auch ich die Kohl-Kamarilla mehr als satt. Aber der Song war einfach nicht gut; Sillys „Traumpaar“ um Längen besser.

Als Rio starb, fiel mir deshalb Nik Cohn ein und sein großartiger Elvis-Nachruf von anno‘77:

„Er starb gerade noch rechtzeitig, bevor er sein eigenes Denkmal völlig ruinierte.“

Wo wäre Rio heute?

Würde man ihn „einfangen“ wie Lindenberg? Rio barfuß im Schloß Bellevue – die Steinmeierpranke schüttelnd – mit Verdienstkreuz am Sakko? Oder zu später Stunde Walzer tanzend mit Iris Berben oder Claudia Roth auf der Berlinale?

Würden die ihn überhaupt noch kennen wollen, wenn er weiterhin „Der Traum ist aus“ live zu Gehör brächte und die Masse freudig einstimmt: Dieses Land ist es nicht! -?!

Bliebe er bei DER Version? Wie plump misslänge dann die eventuelle Neuversion?

Oder zöge er ergraut und fast kahl, den umgetexteten „Rauchhaussong“ schmetternd und Müllcontainer abfackelnd mit dem Connewitzer Underground durch die Rosa-Luxemburg-Straße von Leipzig?

Fragen über Fragen…

Ich hätte mir gewünscht, dass er all diesen West-Puhdys (Gröni, Campino, Lindi, Peter…) hätte zeigen können, wie man in Würde altern kann: Mit einem feinen, melancholischen, selbstreflexiven Werk ala Robbie Robertson, Ian Hunter oder Bob Weir auf deutsch.

„Die Barrikaden sind leer…“, „So wie wir waren…“, „Sie johlen und sie jammern…“, „Dr. Sommer, wann kommst du wieder…“, „Auf und davon…“, „Kohl ist fort, nun sind sie alle so…“, „Komm großer schwarzer Vogel“ (Hirsch-Tribute) und „Stiller Raum (revisited)“.

Ein jeder malt sein Rio-Bild.

 „Auf dieser Insel ist nichts los. Hier wächst auf allen Steinen Moos. Hier sind die Zwerge riesengroß! Hau mit mir ab, mach die Leinen los.“

Für mich immernoch sein bester Song!

Er empfahl seinerzeit das Auswandern aus Westberlin. Und zog nach Schleswig-Holstein. Damals Stoltenberg-County. Der war der Friesen-Dregger! Das (damals) konservativste Bundesland abseits von Bayern! Brat mir einen Storch!

Nun: „Abhauen“ musste ich nie. Ich blieb im Osten und veränderte mich mit ihm. „Bundi“ zwoter Klasse. Im „Anders-Land“; das dem Westen ein Buch mit 7 Siegeln blieb: So uninteressant wie die Mongolei.

Alta! Was is‘ das jetzt geworden! Nun ist mir doch mehr Lobenswertes eingefallen, als ich anfangs dachte.

Aber hören muss ich ihn irgendwie doch nicht mehr. „Dated“ eben.

Schlaf gut, Rio! Bleibst ein guter! Denn du hattest keine Chance – ein Joschka zu werden! Prost!

Die alten Männer und der Frühling

„Quisisana“ von Friedrich Spielhagen – ein Leseerlebnis.

Draußen lenzt es gewaltig. Die Tauben brüten schon. Frühlingsgefühle. Turtelgelüste…

Alt und gesetzt greift man zum Buch. Nach meiner Bruchlandung mit Courths-Mahler neulich geh ich auf Nummer Sicher: Spielhagen! Der Übervater! Er soll mir den Lenz retten!

Also: Greif dir den Band, den du am gründlichsten vergessen hast – er wird dir wie neu sein!

Yepp! „Quisisana“ (1880). Erstlektüre um 2000 herum. Das ist lange genug her. Es ist der Band, der „nur so mitgelesen“ wurde, weil einige andere damals besser, ausgefeilter, größer angelegt wirkten, in meinem Spielhagensommer, in dem ich das ZVAB abräumte.

Damals war ich 40; und diesmal folglich nicht. Das macht in Sachen Eindruck einen gewaltigen Unterschied!

Inzwischen bin ich nicht mehr nur der Mitträumer, sondern mehr und mehr zum „Profiler“ geworden.

Warum schüttet da ein 50jähriger dem Leser dermaßen detailliert sein Herz aus? Der ist doch verheiratet; Familienvater; wohlhabend und respektiert! Und schielt mit seiner Hauptfigur hier nach der „verbotenen Frucht“? Ein Vorzeit-Nabokow? Das Objekt der Begierde ist hier zwar keine Lolita, jedoch der Altersunterschied – immens.

Für die anderen Romane mag gelten: Niemals Fiktion und Autor gleichsetzen – jedoch hier sind der Übereinstimmungen gar zuviele!

„Dies ist ein Hilfeschrei! Es gibt mich immer noch! Es ist noch nicht vorbei! Dies ist ein Hilfeschrei!“ (Tocotronic)

Spielhagen hat schließlich auch nicht vorhersehen können, wieviele Jahre er noch hat. Zu seiner Zeit wäre ein Ableben -um die 55- normal gewesen.

Es ist einer der sogenannten „Kleinen Romane“; andere sagen auch „Novelle“, aber das ist wurschd. Den Unterschied machen eh nur wir und niemand sonst auf der Welt.

Ein Gutshaus in Thüringen, ein Sommer, ein rekonvaleszenter Gast von 50 Jahren und 215 Seiten Liebes-Verwicklungen.

Spielhagen verlegt seine Romane normalerweise nach Pommern oder Berlin, in seine beiden Heimaten. Jedoch auch Thüringen kann er. Besser als Heyse, weil bei dem immer das Münchner Umland um die Ecke guckt und keinerlei Thüringen-Anmutung entsteht, wenn er Konflikte dort hin verlegt. Spielhagen selbst jedoch hat reichlich eigenen biografischen Thüringenhintergrund und er ist in der Lage, tief zu empfinden. So gelingt ihm auch, in wenigen Sätzen oder der Namenswahl von Örtlichkeiten und Personen das typische Zeitkolorit zu skizzieren, so dass es sitzt: Dort, wo immer 3 Städte und 12 Dörfer ein „Fürstentum“ sind, da ist „der Hof“ allgegenwärtig. Thüringen 1880. Das zerhackte Land der Zaunkönige.

„Quisisana“ wiederum ist ein Hotel auf Capri, dort „wo die Wunden heilen“, und wo die Hauptfigur Dr. Bertram eigentlich hinwill, um da den Winter zu verbringen. Thüringen war nur als Zwischenstopp gedacht, weil da ein sehr wohlhabender Studienfreund wohnt. Dessen Angetraute, eine geborene Hildegard von Unkenrode (herrlicher Name!), ist von thüringischem verarmtem Adel und leidet unter der Mesalliance. Sie führt „ein großes Haus“, um „Hof zu halten“ und den Makel ihrer Verbürgerlichung zu kompensieren. Ohne es zu ahnen oder wissen zu wollen, ruiniert sie damit ihren eigentlich schwer reichen Mann.

Die beiden haben eine Tochter. Erna. Das einzige Kind. Man hat sich lange nicht gesehen. Jahre gingen ins Land. Nun ist das Kind 18 und „erblüht“ und so fangen die Verwicklungen an. Onkel Bertrams Onkel-Gefühle haben sich verflüchtigt. Es „lenzt“ in ihm. Er kämpft mit sich und dem Altersunterschied.

Vor 20 Jahren hätte er fast Lydie von Aschhof, die Pensionatsfreundin Hildegards, heiraten wollen, wenn er da schon wer gewesen wär. Mangels beruflicher Erfolge unterblieb das. Die Braut wollte nicht „ewig“ warten, um nicht am Ende als alte Jungfer zu versauern; verlobte sich prompt mit einem alten Grafen, der jedoch noch vor der Hochzeit starb, sodass das Schicksal der „alten Jungfer“ nun erst recht drohte.

Bertram selbst hat angeblich jene Schwärmerei von damals nie überwunden; ja wäre sogar fast daran zugrunde gegangen, dass jene Fee sich gar so schnell mit jenem alten Hippedildrich trösten konnte. So blieb er lebenslang unliiert. Nun steht er zwischen verblühtem Schwarm von einst und erblühtem Patenkind und muss sich irgendwie beherrschen.

Das Buch ist hochinteressant, wenn man bissel biografischen Hintergrund zum Autor hat; bzw. wenn so dies und das aus der eigenen Biografie dazu passt.

Spielhagen verzahnt hier 5 Schicksale aufs feinste. Von allen erfährt man Vergangenheit und Zukunftspläne. Alle haben miteinander zu tun, wollen niemandem schaden, schaden aber doch (beinahe)…Schicksale; sehr gut miteinander verzahnt.

Diese Verzahnung erinnert an Wishbone Ash. Ihre Double Leads galten als einzigartig. Call and response – einander steigernd. Detailversessener als selbst die Allman Brothers! Zwei Hauptfiguren paritätisch mit Vorgeschichte auszustatten und 3 Nebenfiguren ebenfalls fast gleichwertig, das ist literarisches Phönix‘en, Pilgrimage‘n, F.U.B.B.en, wenn du dich auskennst … 1880 hatten sie ja noch keine Plattenspieler. Die Ärmsten!

Heyse-Lese-Erinnerungen stellen sich ein.

Überhaupt scheint mir „Quisisana“ Spielhagens heyseschste Novelle zu sein. Die Capri-Anspielung; die Figurenkonstellation der 5 nahezu gleichberechtigten Handlungsträger. Die kluge 18jährige Fee… Die überbordende Sinnlichkeit an sich… (Natürlich verliebt man sich mit. Noch dazu – im Frühjahr!) Eine von den 5en ist eine russische Fürstin. Noch junge Witwe. Emanzipiert. Reise- und abenteuerlustig. Sie erinnert an Heyses „Glück von Rothenburg“. Leider ist „Quisisana“ das ältere Werk! Andersrum hätte es soooo gut gepasst:

Jene Fürstin aus Heyses Novelle wäscht ihrem kleinbürgerlichen Verehrer aus Rothenburg den Kopf und lässt ihn bei Weib und Kind zurück – dann fährt sie ein paar Stationen weiter nach Thüringen, um hier im Spielhagenschloss eine Ehe zu stiften…

Tja. Aber die heysesche Fürstin erblickte das Licht der Welt erst ein Jahr NACH „Quisisana“. Sapperlot!

Leider schleichen sich auch heysesche Schlampereien ein, für die Spielhagen normalerweise nicht steht:

Erna: – Es verwundert, dass Spielhagen diesen proletarischen Namen wählte. Die Mutter eine ehemalige „Beinahe Hof-Dame“ und die Tochter eine Erna? Spielhagen liebt „sprechende Namen“. Schon klar. Erna kommt von Ernst. Und ernst ist sie durchaus. Trotzdem klingt der Name eher nach „drittem Hinterhof und 12 Kindern im Rinnstein“ als nach „Schloss und Herkunft“.

Schlimmer noch Dr. Bertram: Auch er hat einen Namensmakel. Denn er heißt einfach „Herr Dr. Bertram“ bzw. für Erna „Onkel Bertram“. Da fehlt was! Er hat entweder keinen Vor- oder keinen Nachnamen. Oder aber einen sehr schrulligen Vater, der den Vornamen gleich dem Familiennamen wählte: Dr. Bertram Bertram.

Außerdem ist Dr. Bertram herzkrank und braucht einen Hausarzt, auf den er hört. Mediziner also ist er nicht! Welchen Beruf er hat, erfährt man nicht, nur dass eine Buchveröffentlichung ihm einst Ruhm und Wohlstand eintrug. Ergänzt durch ein überraschendes Erbe. Ein bissel erinnert das sogar an die mysteriöse Sammlung im „Drama von Glossow“. Dort blieb auch zuviel im Ungefähren, was „Butter bei die Fische“ gewesen wäre, wenn es dastünde.

Andererseits war dieses Buch für Spielhagen sicher ein schwieriges. Er ist 50, als er es schreibt. Genau wie Onkel Bertram. Mit 50 sticht im Allgemeinen nochmal der Hafer; vor der Gruft. Finales Aufbäumen. Ich kann bestätigen, dass es mir ganz ähnlich ging.

Heute hört man dann Deep Purples „Perpenticular“ und sieht bei „Rosi‘s Cantina“ Marty Robbins „Feleena“ auf dem Tisch tanzen und dann geht es wieder. Bissel Phantasie muss man schon haben. Das erspart, sich zum Goethe in Marienbad zu machen. Ian Gillan sei Dank!

Eine Chance, die Spielhagen nicht zu Gebote stand. Sein Biograph und seine eigenen Erinnerungen geben Schlüsselmomente preis: Er hatte mal so einen schönen Sommer als Gast in einem thüringischen Landschloss, als er „noch nichts war“. Er lernte dort eine Hedda kennen; Pensionatsgefährtin der Gastgeberin; es „matchte“; alle bekamen das mit. Die Gastgeberin aber nahm ihn bei Seite und bat ihn freundlich: „…das tunlichst zu unterlassen. Wer wollen Sie Hedda sein? Sie hat besseres verdient, als ein Leben in Armut und Unsicherheit.“ Spielhagen sah das seufzend ein. Sein großer Erstlingserfolg als Romanautor geschah Jahre später. Er heiratete – aber keine Hedda. Eine junge Witwe mit zwei Kindern. Und adoptierte. Dann kam Kind Nr. 3 und wurde Hedda getauft. Da wob ein unerfülltes Kapitel fort… Wie glücklich war die Ehe Spielhagen?

„Es muss in Ihrer Seele ein verborgenes Etwas sein, das an Ihrem Leben nagt, ein tiefer, dunkler Unterstrom von Gram und Leid. Habe ich recht?…“ (fragt der Hausarzt Bertram/Spielhagen am Ende)

Die Hedda-Ähnlichkeiten sind in seinen Romanen Legion. Nur wer eine tiefe unerfüllte Leidenschaft mit sich herumträgt, kann solche Frauenfiguren erschaffen, wie all diese Ediths, Eleonores, Paulas… und wo die erste Kontaktaufnahme passiert, ist auch nahezu immer ein herrschaftlicher Park nicht weit. Dass einmal ein Romanheld eine Frau mit Kindern ehelicht, oder es wenigstens erwägt – passiert hingegen nicht.

Er setzt also mit der Eröffnung des Romans hier seinem Hedda-Sommer ein Denkmal. Aber in welcher Form?! Die große Lydie-Liebe, das lange Leiden danach, werden ausführlich reflektiert. Dann aber sitzt Bertram „seiner“ Lydie 20 Jahre später gegenüber an der großen Tafel der Gastgeber und erkennt in der „affektierten, grell geschminkten, dürren Ruine“ die Fee von einst nicht wieder. Unvermählt geblieben wurde sie die „komische Alte“ bei Hofe in der Residenz. Ein paar Buchseiten später erfahren wir, dass sie 38 ist!

Wenn seine echte Hedda dieses Buch einst in die Finger bekam – – – oh Gott, die Arme!

Der Fuchs und die Trauben? Spielhagen so kleinlich? Oder hart berichtend über reale Wandlungen? Wo bleibt die Selbstkritik?

Will sich Spielhagen hier von einem Trauma befreien? Passiert ihm das nur aus Laxheit? Hat es zuvor ein spätes Wiedersehen gegeben, das alte Narben aufriss? Oder will er einfach seine Ehe retten, weil ihm seine Frau auf eine heimliche Korrespondenz mit der Namensgeberin der Tochter kam und eine Szene machte?

quisisana 1880

Spielhagen lässt auf „Quisisana“ den umfangreicheren Roman „Angela“ folgen: In erster Linie der Roman einer Ehekrise.

Lydie jedenfalls hat allen Magnetismus ihrer jungen Jahre eingebüßt. Nur fehlt, wenn sie nun als so kurioses Hascherl bloßgestellt wird, der selbstkritische Satz Bertrams:

Welch ein Depp muss ICH vor 20 Jahren gewesen sein, all diese Defizite nicht kommen zu sehen! Wie hätt‘ ich mich mit der gelangweilt oder pausenlos fremdgeschämt!

Auf der Erna-Seite hingegen läuft es anders: Die wird zur interessanten Schönheit verklärt. Was auch wieder an Unwahrscheinlichkeit grenzt. Es gibt schöne Frauen und interessante Frauen. Beides in einer? Hm. Bertram wird wieder Teen.

„Verliebte Jungs sind irgendwie wie Kinder. Je verliebter – je blinder.“ (Purple Schulz)

Jedoch kämpft er mit sich und weiß, die Notbremse zu ziehen. Spielhagen war lange Jahre Goetheverehrer und kennt die peinliche Vorgeschichte der „Marienbader Elegien“ genauestens! Und so lässt sein Alter Ego Bertram der Jugend ihren Lauf. Die schöne Erna wird heiraten, jedoch nicht ihn. Ihre Freundin Agathe – „die wie sie ebenfalls zur Jungfrau herangewachsen war, obwohl man von ihr nicht sagen konnte, dass sie durch diese Metamorphose gewonnen hätte“ – freut sich für sie.

Heyse hebt bisweilen auch kluge Frauen auf den Thron, die nicht das „Potential“ zur Titelbildschönheit haben. Spielhagen erschafft für sie lediglich die Rolle „des Mädchens, das die Taschen hält“ (Demmler). Er lässt sie kameradschaftlich bemitleiden.

Was noch zu sagen wär: Das lange Gespräch zwischen Bertram und dem Medizinalrat am Ende des Buches enthält viele versteckte Botschaften über die Befindlichkeit des alternden Bestseller-Autors Spielhagen. Es ist eine Art Bestandsaufnahme, Zwischenbilanz oder Lebensbeichte. – „Vermutlich passiert es bald.“, scheinen diese Seiten sagen zu wollen. Er will aufräumen. – Aber er hat noch 32 Jahre.

Alles in allem schreibt hier ein kluger Mann mit unerfülltem Herzen.

Aber vielleicht war ja auch nur Frühling.

„In Rosis Cantina tanzt heute Feleena

So barfuß und braun auf dem Tisch

Mond und Sterne sie lauschen

Wie die Pulse drin rauschen

Doch Feleena bleibt lange noch frisch.“

So the Music is the healer.

Brechtology

aus gegebenem Anlass:

„Hinter der Trommel marschieren die Kälber.

Das Fell für die Trommel liefern sie selber.“ (B. Brecht)

Da kommen einem so Assoziationen ein:

„Scheiß auf den Ruf! Sie schachert nun!

Noch leben ihre Kinder.

Der Glaub‘ an Sieg ist opportun,

doch glauben ihn die Rinder.“ (von mir; frei nach Brecht)

Das eigentliche Lied der Mutter Courage ist auch nicht übel.

Nur veränderts die Welt nicht. Leider.

Pegasus‘ Sturzflug

Wenn’s nicht funzt…

…so ist das manchmal tragisch.

Da liest man von‘ner Grundidee für ein Konzeptalbum, die begeistert; allein die Ausführung – spart dann dem Käufer Geld, denn er will das Werk nicht haben.

Vier besonders schmerzhafte Fälle sind diese hier – für mich:

  1. Steve Hacketts Album „The Circus and the Nightwhale“ (2024) ist der momentan aktuellste Fall. konzept perdu 1Eine musikalische Autobiografie in biblischer Verkleidung. Schöne Idee. Schon die Überschriften erzählen eine Geschichte. Jonas im Waal. Der sollte ursprünglich der Stadt Ninive ihren Untergang verkünden und kniff. Ein gewitztes Bild: Hackett der welterfahrene, intelligente, seriös lebende Musiker im rüstigen Rentenalter kneift – – – drückt sich vor dem Verkünden letzter Weisheiten. Er fängt sehr gut und kritisch an: Erste Kindheitserinnerung: The London Fog. Jener mystische Vorweihnachtsnebel von 1952 in der Hauptstadt des alterssiechen Empire. „Leute im Rauch“. Dann kommen schon die Selbstzweifel, die ihn ein Leben lang vorantreiben werden. Die Auswegsuche, die „Magic-Mountain-Band“. Aber sie entpuppt sich als ein Karussell, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Ausbruch/Ausstieg. Neue Sinnsuche. Alles allein hinkriegen wollen. Nicht mehr die Ideen anderer Leute gniedeln! Jedoch: Neue Tretmühle, die schnell wieder öde wird … aber da ist die Liebe! Die endlich gefundene treue Kameradin!

Bis dahin geh‘ ich mit. Ich erkenne SEINEN Klartext. Und meiner passt dazu.

Du glaubst dich retten zu müssen und landest da, wo du gar nicht hinwolltest. – Es geht ne Weile gut. Aber die Öde wächst. „Was mach’ich hier?“ – Es ergibt sich ein Neustart, du wähnst dich einen Moment lang so befreit (wie ich ab 1990 zunächst); aber plötzlich sind die alten Zwänge wieder da und du stehst einsamer da, als zuvor.

Roberto schrieb in seinem Blog neulich: „…dass wir doch eigentlich alle das Gleiche erleben.“ Das stimmt zwar nicht ganz, denn mancher scheitert dramatisch früh; oder bleibt dauerhaft „unten“, aber für die, die sich, Münchhausen gleich, am eigenen Zopf aus der Scheiße ziehen, passt es zumindest oft.

Und wenn ein Musiker, den du sehr magst, dieses Thema antippt, dann meinst du, das könnte auch dein Lebenssoundtrack sein.

Aber stattdessen wäre es die eine Hackett CD zuviel gewesen! Musikalisch: Alles irgendwie bekannt und stellenweise inspirationslos zergniedelt. Wenn du DIE HIER kennst und magst, dann hebt dich auf der Waal-Platte nichts wirklich an. Und nach hinten raus wird’s auch messagemäßig seierig.

Die Platte bleibt beim Händler!

  1. Steven Wilson „Hand. Cannot. Erase.“ (2015)

Es gibt viele Gründe, Steven Wilson zu verehren: das Porcupine Tree gründen; das intelligente Texten; die erstaunliche Freundschaft mit Michael Akerfeldt von Opeth, die beiden Bands neue Impulse gab; das Restaurieren alter Art-Rock-Meisterwerke durch feinfühliges Remastern… nur eben nicht das Singen. Und er ist hauptberuflich ausgerechnet das. Das heißt: Seine Stimme geht so. Nervt nicht. In den elegischen Momenten von Porcupine Tree wird sie gut eingebettet. Wird es jedoch textlastiger – wird es schnell öde. Und leider betrifft das vor allem seine textlich brillianten Solowerke. Und „Hand.Cannot.Erase“ hätte ich nun wirklich SEEEEHR gern mögen wollen!

Er hatte einen Dokumentarfilm gesehen.

Konzept perdu 2Es ging um eine Frau mittleren Alters, die tot in ihrer Wohnung gefunden wurde. Umgeben von fertig verpackten Weihnachtsgeschenken an allerhand Freunde und Verwandte. – – – Drei Jahre nach ihrem Dahinscheiden.

Wie kommt ein Mensch in die Lage – Menschen beschenken zu wollen, die sich einen Dreck für einen interessieren? Was ist mit der Hausgemeinschaft? Ha‘m die nichts gerochen? Was mit dem Vermieter? Ist der Briefkasten nicht „geplatzt“?

Nu hab dich mal nicht so moralinsauer! Frag dich mal, weshalb dich das so kriegt! Auch du hast schon „verraten“; hängen gelassen; Freundschaften einfach nicht mehr gepflegt. Tatsächliche Gründe oder Ausreden gibt es zu Hauf. Aber es geht mir jedes Mal nahe, wenn man durch Zeitungsmeldungen dieser Art, Wohnungsräumungs-Dokus oder eben Rock-Alben an diesem wunden Punkt rührt.

Freunden von einst war nicht beschieden, 60 zu werden. Als sie gingen und ich davon erfuhr, hatte ich nicht einmal ne Adresse für ne Kondolenz. (Zwar lag keiner von ihnen tagelang unentdeckt in seiner Wohnung. Aber – wo war ich?)

Das Album erzählt den Werdegang der Frau in die völlige Isolation. Es hätte mir gefallen sollen. Aber dieses tonlose „Singen“. Eigentlich eher Rezitieren mit minimalistischen Sangesschlenkern dann und wann – zerstört mir die Message. Da kommt keine Ergriffenheit rüber; – und bei mir Wut auf: Warum hast du dir keinen Sänger gemietet!!! Du verhunzt die Idee!

Musikalisch hat es obendrein Längen. Auch da wäre nützlich gewesen, ein paar Band-Kumpels mitsprechen zu lassen, wo ne Prise Rock fehlt. So leider also nix.

Die Platte blieb beim Händler.

  1. Marienbad „Werk I -Nachtfall“(2011)

konzept perdu 3Da erzählt einer die Geschichten seiner Großmutter zuende, die sie ihm eingepflanzt hat, damals in seiner Kindheit. Und die Großmutter stammt aus dem Sudetenland? – Ja, das ist ja meine Geschichte! – Dachte ich zunächst.

Inhaltlich hätte das Wucht: Ein Dorf in Nordböhmen, das zufällig auch Marienbad heißt, wie die berühmte Kurstadt. Aber „das Böse“ scheint dort „von alters her“ zuhause zu sein! Menschen morden, verschwinden. Satan geht um und verdirbt sie! Schließlich soll ein Staudamm dem Tal ein Ende machen. Sieben Einwohner aber bleiben stur – und gehen mit ihrem Dorf unter. Tragik. Wut. Spuk. Metal-Drone.

Soweit die Rezensionen.

Und dann hörst du hin – auf juuhtup – und lässt es bleiben.

Opeth hätten das hinbekommen! Aber diese mutigen Thüringer hier haben sich schwer verhoben. Musikalisch zu überraschungsarm, reimtechnisch neben der Spur. Jammerschade, dass DAS nichts ist! Es blieb auch bis heute bei „Werk I“.

  1. EIS „Wetterkreuz“ (2012)

konzept perdu 4Es gab mal anfang der 2000er eine Black Metal Combo GEIST. Der gingen nach Querelen und Erfolglosigkeit zwei Mitglieder verloren. Außerdem gab es Knatsch mit ner anderen Band gleichen Namens. Der Rest strich deshalb zwei Buchstaben aus dem Band-Namen und machte als EIS weiter. Beharrungsvermögen! Beeindruckend! Und EIS bekamen irgendwie, irgendwoher Originalaufnahmen von „Kinski liest Nietzsche“. Gespenstisch, dräuend, abgefahren! Sie machten ein Album aus Kinski Zitaten und Todesgitarre! – Leider auch mit eigenen Textversuchen, die mit Nietzsche nicht mithalten. Die Stimme des Sängers jedoch passt, das große Wollen ist erkennbar. Über die Versmaß-Holper tobt der satanische Wind der dräuenden Gitarrenwolke hinweg.

Das Hauptübel der Platte sehe ich woanders: Furchtbar dürre Produktion. Musikalisches Gekratze. Die Drums verlieren sich im Mix viel zu weit hinten. Kein Wumms.

Bedauerlich. Das wär‘ fast was geworden – in einem richtigen Studio mit einer Art Dieter Dierks an den Reglern. Ächz.

Tipp: Crowdfounding. Neuer Anlauf. Remastern lassen! Wenn viel zusammen kommt – am besten von Steven Wilson. 😊

9jähriges!

Neunter Geburtstag meines Blogs; – und eigentlich könnte ich den Text vom achten hier einfügen.

Ob der 10. nächstes Jahr noch in „Friedenszeiten“ fallen wird – weiß man nicht.

Hätte nie gedacht, dass ich mal was FÜR Scholz empfinde. Wird er der nächste Otto Wels? Im unsäglichen Taurus-Gezerre ist er die letzte Chance der Rest-Vernunft und das macht Angst vor der nächsten Wahl.

Man wird noch Schulen nach ihm benennen und Alleen. In der nächsten Wiederaufbauphase. Wenn wir wieder Steine klopfen und Kartoffelschalen kochen wie unsere Eltern. Wenn’s dann wiedermal schiefging; das galoppierende Napoleon-Syndrom der Flintenweiber und Maulhelden.

Also reichlich Schlafwandler am Werk! Logo. (Ich könnt‘ so kotzen!)

Sie machen Druck. Ihre Auftraggeber haben sie gebrieft mit lauter Unsinn.

„Es soll ihr Schade nicht sein. Hier eine kleine Aufwandsentschädigung. Gewissermaßen Schmerzensgeld für das, was sich auf Insta über Sie ergießen wird, wenn Sie unsere Anliegen lancieren. Machen Sie bitte nicht den Köhler! Sie wissen schon. Ehrlichkeit hat sich noch nie rentiert. Sie schaffen das schon.“

Hinterher wird es heißen: „Wir konnten doch nicht wissen, dass…“

Was hab ich in letzter Zeit an „Ritter Runkel in Byzanz“ denken müssen!  Hannes Hegen & Lothar Dräger! So aktuell!

Staub gewischt auf alten Platten (2)

Weiter gehts mit Ton-Drogen von einst mit eingeschränkter Wirksamkeit:

Fall 4: Kennst du noch ANGEL (Die Band)?

Alle paar Jahre einmal überkommt es mich, dann lege ich sie auf. Die eine CD, die ich von ihnen habe. Aber bereits in Track 1 oder 2 skippe ich mich durch bis zu ihrem halben Radio-Hit von Anno Dunnemals. Den Sänger halte ich nur noch schmal dosiert aus. Das war einst anders. Sehr viel anders sogar!

So um’78 herum geriet ihr „Wintersong“ ins Radio. Nach damaligem Zeitgeschmack der 17-18jährigen – Rausch pur. High on Hormonpegel! Dauerverliebt. Und dann noch ANGEL auf die Ohren!

Den Song hatte damals jeder, den ich kannte, auf Band oder Kassette. Und alle schwärmten! In der Radio-Soße der Zeit, abseits des Punk, waren ANGEL das Sahnehäubchen: Supertramp, Alan Parsons Project, Gerry Rafferty… ANGEL! Einen zweiten Song kannte niemand. Aber Gerüchte kamen auf: Der Manager von denen ist Gene Simmonds! (Nach heutigem Stand eher der Entdecker und Produzent) Dass sie die himmlische Variante der höllischen KISS sein sollten, galt als fakt. Jedoch wollte dieser Marketing-Gag nie so richtig zünden. Leidlich erfolgreich wohl in den Metropolen in Ami-Land, blieben sie in Deutschland was für „Kenner“. Irgendwann in den frühen 80ern lernte ich „Don’t take your love away from me“ kennen. Song Nr.2 nach rund 5 Jahren! Wow! Damals war ich bereits Platten-Hai und hatte Glück, denn:

ANGEL-LPs verirrten sich keine auf die Flohmärkte der Ehemaligen! Und das war gut so. Musiksüchtig und Geheimtipp-affin (pruust!) wie ich nun mal war, hätt’ ich die 120 Märker sicher springen lassen, wenn mir einer so’ne Angel-Scheibe unter die Nase gehalten hätte.staub gewischt1

Nach dem Mauerfall waren sie ein heißer Anwärter auf „Nachholkauf“, aber egal wohin ich auch kam: „Ob im Osten oder Westen – sei zufrieden mit den Resten!“ ANGEL gabs nicht – 1990, 91, 92, …1993 dann im Malibu-Mailorderversand Hamburg die Entdeckung: „Angel Anthology“! Her damit.

Die CD kam an, wurde aufgelegt – startete mit „Tower“ brachial-pompös; geil! Aber dann flaute die Begeisterung doch recht schnell ab in Richtung Mittelmaß. Zu spät! Man war halt nicht mehr siebzehn. Immerhin gab es den „Wintersong“ zweimal, denn der „Christmas-Song“ am Ende ist derselbe mit zwei Vokabeln Textunterschied. Nun ja. Die große Kenner-Bombe im CD-Regal war das nicht. Wenn der Sänger den „Ian Gillan Quiek“ versucht um die Band zu überschreien, geht das regelmäßig schief -und leider versucht er das oft: Da erklärt dir praktisch ein Chihuahua, dass du grade seine Kekse essen willst! Mit den Jahren potenziert sich dieser Effekt.

Übrig bleiben also nach rund 50 Jahren 4 Songs für Auto-Kompilations. Gut eingebettet in richtige Sänger von KISS bis Nazareth klingt dann der „Wintersong“ wieder fast so rauschhaft, wie damals.

Fall Nr.5: Apropos nerviger ANGEL-Sänger. Das Problem haben eigentlich alle namhaften amerikanischen AOR Bands der späten 70er. Toto, Journey, Boston, Chicago… Auch Kansas zum Beispiel. Kompositorisch in den 70ern eine sehr feine Band. Bei denen teilten sich zwei Band-Members die Singerei: Ein plärrender Spargel-Tarzan und so ne Art vernünftig klingender Mittel-Toner. Das glich sich über eine LP Länge eigentlich ganz gut aus. Leider, leider behielten sie dieses Gleichgewicht nicht bei. Der Schrille gewann die Oberhand. Das lief ähnlich wie bei Chicago. Der nervende Peter Cetera blieb übrig. Ab da war es dann aus mit „gut“.

staub gewischt2Ich hatte in den 70ern nur 3 Kansas Songs auf Band: „Carry on my Wayward son“, „the wall“ und „Point of no return“. Wenn du 17-18 bist, dann stört es dich noch nicht, wenn einer so singt, wie Steve Walsh. Du bist ja irgendwie selber so drauf. Aber mit den Jahren wird das Gehör anspruchsvoller und die eigene Reife nimmt zu. Und wenn du die alten Bekannten dann wiederhörst, dann klingt der Gesang eben immernoch, als hätten die da einen spindeldürren Gymnasiasten ohne Stimmbruch ans Mikro gestellt, der mit seinen Ärmchen wedelt, die Mähne wirft und glaubt – er sei Conan der Barbar. Entwöhnungseffekt. Es fiept: „Hallo! To the point! Of no Retö-hörn! No Retö-hörn!“ Muss wirklich nicht mehr sein. Außerdem nähert man sich dem Punkt ohne Wiederkehr mit über 60 ja eh von allein. Abwink.

„Wheel in the Sky keep on törnäääääng!“ fällt mir dann prompt ein. Journey. Da hab ich inzwischen Angst, dass mir die Brillengläser platzen! Noch viiiiiel schlimmer isses ja mit Toto: „Waydown in Äääääää-frik-aaa!“ Da nehm‘ ich Reißaus! Aber die hab ich nie gemocht, weil sie einem allzeit inflationär ins Ohr gedrückt wurden. Kansas hingegen machten sich rar: Musikalisch ist das durchaus interessanter Ami-Prog. Textlich haben sie es auch drauf. „Dust in the wind“, „No one together“, „Song for America“ usw. Feine Tracks.

Ach, wäre doch da’ne Stimme wie Iggy Pop am Werke! John Cafferty- oder Noddy Holder! Einer mit Eiern halt – oder gleich ne amerikanische Inga Rumpf, Jutta Weinhold, Joy Flemming usw. Ich wär‘ Kansas-Fan auf ewig! So hat es nach der Wende lediglich zum Erwerb einer einzigen CD gereicht.

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Es war irgendein Jahreswechsel in den 90ern. Richtiger Winter. Schnee. Da beschlossen Udo und ich am Neujahrsmorgen mal der Rudelsburg einen Besuch abzustatten. Jetzt, wo die Welt ihren Kater ausschläft, würde da kein Schwein stören und der Ausblick ins Winterpanorama müsste doch herrlich sein!

Gesagt, getan. Rein in den Jetta und los. Die fegten gerade den Silvesterdreck zusammen, als wir ankamen. Hatten aber schon auf. Ein paar unentwegte Gäste schlürften den „Kaffee danach“. Udo und ich zunächst ebenfalls. Dann bummelten wir über den Burghof, erstiegen die Brüstung: Eisschollen auf der Saale – das gibt’s auch nicht alle Tage! Und das Panorama natürlich toll und menschenleer! „Alles schläft – nur wir sind wach!“ Es fühlte sich an, wie der perfekte Moment. Sonnig, kalt und weiß verschneit. Wir fuhren zu Udo nach Hause zurück. Er legte seine Neuerwerbung auf: Kansas (1/Debut) und der Bombast mit Orgel und Geige passte zum eben erlebten Moment auf der Burg – aber auch zu Udos Junggesellen-Bude; einer kleinen Mietwohnung in einer großen-, noch immer DDRgrauen Villa mit verstrüpptem, verschneiten Garten. Während er noch am Gin mit Tee laborierte, stand ich am Fenster mit dem Kansas-Cover in der Hand und sah hinaus. „Lonely winds“ & „Journey from Mariabronn“. Herrliche Titel! Das trägt dich fort in ferne Zeiten. Der YES-lastige Sound in Phantasie anregender Ruppigkeit bedient die Erwartungshaltung. Der Garten unten verändert sich; liegt wieder so gepflegt da, wie er wohl 1905 gedacht war. Menschen im Kaiserzeitlook bevölkern die Szenerie; bauen Schneemänner; versuchen sich geräuschvoll einzuseifen. Gekreisch. Oder war das auf der Platte? – Dann reißt der Film: Udo nimmt mir das Cover ab und drückt mir eine heiße Tasse in die Hand. „Halte ma‘, obor verbrenn dor nich‘ de Griffel!“ Wir trinken Tee mit Schuss und reden. Kansas untermalen unsere Sandkasten- und Pubertätsgeschichten aus einem Land, das es gar nicht mehr gab. Die Geige erinnert nun auch noch an Gogow von City… Der zweite perfekte Moment dieses Neujahrsmorgens.

Der nächste Tag war ein Sonntag. Die Arbeit rief mich in den Norden zurück. Der Montag nach der abgedienten Schicht sah mich im Plattenladen, die „Kansas (1)“ kaufen. Ich wollte dem Augenblick Dauer verleihen. – Und es gelingt immer mal wieder. Jedoch nicht oft.

Ich leg sie auf, und prompt liegt Schnee – egal, welcher Monat gerade ist -; und ich steh wieder im Raubritter-Horst über der Saale, oder an Udos Fenster – 300 km weit weg.

Fall 6, in Sachen „Lauschgift von damals“, liegt etwas anders: Die Stimme des Sängers hat den Umfang von dreieinhalb Tönen. Sagen wir a-g-f hinundher; immer wieder. Sehr „abgetrockneter“, stets unaufgeregter Vortrag; sozusagen. Sie nervt nicht, aber sie kann natürlich auch keine Emotionen transportieren. So isses ganz gut, wenn immerhin die Mugge kompakt abrockt.

staub gewischt3Steve Miller Band. Schwer „In“ gewesen so 76/77 – dann aber gnadenlos aus meinem musikalischen Dunstkreis wegge-punk-t. „Jet Airliner“ (natürlich nur echt mit Vorspiel „Treshold“) und „Rockin‘ me“ waren die beiden Überfliegernummern. „Fly like an Eagle“ konnte hingegen nicht punkten, zündete erst Jahrzehnte später. „Go on, take the money and run“ wurde so’ne Art Running Gag. Viel mehr von ihm fand im Radio ja nicht statt. War mit Roxy Music, Ufo und Bad Company ganz ähnlich. Je 3 halbwegs interessante Nummern im Radio. Und dann kamen die Pistols und stießen all diese lau verkifften Pullerwackelrocker beiseite. „No fee-a-lin‘ for anybody else!“ Aber Steve Miller kam wieder: „Abracadabra“ – Anfang der 80er legte er einen der langweiligsten Rockpalast-Festival-Gigs im Fernsehen hin und damit schien das Thema durch.

Eine Live-LP hing im Shop. Aber siehe Rockpalast! Kein Begehr! Steve Miller Abstinenz jahrzehntelang. Mit 60 schließlich überkam es mich: Plötzlich hatte ich wieder Sehnsucht nach dem „Jet Airliner“. Ich hatte die Allmans im Auto überstrapaziert, also die Kursaal Flyers mit „little does she know“ wiederentdeckt, desgleichen ELO und 4 Seasons, also den Vor-Punk-Radio-Stuff. – Und so schien es mir, dass Steve Miller mit seinem Zeug von 76/77 doch‘ne gute Ergänzung sein müsste. Ich wählte sicherheitshalber aber „nur“ die „Ultimate Hits“ aus. Doppeldecker! 40 Tracks! Liest sich toll – aber wie im Falle ANGEL bleibt die Ernte mager: Maximal 10 Songs für mein ewiges 70er Revival im Auto. Das Steve Miller Kapitel bleibt somit ein kurzes.

„Time keeps on slippin‘ slippin‘ slippin‘ into the futureeeeee…“