Heute mal drei Fälle, die ich gar nicht besitze. Ich hab mich drum’rum gemogelt, obwohl ich von den betreffenden Herrschaften so einiges mag.
Fall 12
YES – sind geradezu musikalische Säulenheilige für mich. Rein theoretisch wäre es somit normal, ALLES von denen haben zu wollen. Jedoch ich habe so einiges von ihnen nicht – vermisst.
Und vor allem gilt das für „Relayer“(1974)!
Was für ein Kotzbrocken in der Diskografie!
Vornweg die herrlichen „Tales f.t.O.“ und hinterher die „Going for the one“ mit der prägendsten Innencovergestaltung aller Zeiten (Baum im Überschwemmungsgebiet) und dazwischen „Relayer“.
Man fasst es nicht!
„The Gate of Delirium“. Wie wahr! Ich lag mal, als ich ungefähr 30 war, im Krankenhaus in einem 2 Mann Zimmer und mein Raumteiler begann in der Nacht wirr zu reden und beschloss „nach Hause zu gehen“; riss sich die Transfusionsnadel ab und marschierte los. Im Krankenhausnachthemd. Ich hatte versucht – ihn zu besänftigen. Er schaute durch mich durch, redete mit irgendwem völlig wirres Zeug und ging wirklich. Ich verständigte die Nachtschwester. Und ihr abwinkendes Dankeschön war nur: „Jaja. Delirium. Da kannste nüschd machen. Ich gebs weiter.“ Er kam auch wirklich die andern beiden Tage nicht wieder. Ich ging damals wieder zurück ins Bett und dachte prompt an YES.
Ich kenne Leute, die halten „Relayer“ für die Krönung. Ich krieg‘s nicht hin. Eine LP mit 7 Siegeln.
Ich hatte jahrelange Probleme „Close to the edge“ (den Track) zu mögen. Die Kakophonie zu Beginn schlug mich in die Flucht. Dann schnappte ich irgendwo auf, es handle sich um die Vertonung von Hesses „Siddhartha“, das war der Schlüssel: Du bewegst dich aus dem Chaos deiner Pubertät zu dir selbst und suchst die Harmonie, das (Aussteiger)Idyll. Die Musik beruhigt sich. Deine Selbstzweifel werden geringer… das klappt inzwischen.
Aber, dass das Tor des Deliriums auf Dostojewski zurückgehen soll, half mir – null.
Und dann haben die allen Ernstes auf die B Seite einen Track namens „Sound Chaser“ drauf gepackt!
Ich meine: Was haben die geraucht? Oder war’s Koks? Die sind bekanntermaßen Vegetarier. Wenn dir die Proteine fehlen und du kiffst: Ist das dann gefährlicher?
Der „Sound Chaser“ ist bedeutend kürzer als das „Gate of Delirium“, aber trotzdem NOCH schlimmer!
Das machte die LP schon zu Ostzeiten so hoffnungslos. Du bringst das „Gate“ hinter dich und denkst: „Naja, die „Close to the edge“ war dir anfangs auch schwierig, aber die B-Seite kickte von Anfang an.“ Und dann drehst du die Relayer um, erwartest sowas wie Entwarnung und – plxcprf!?%!pfff – geht das so weiter, wie auf der A-Seite! Is‘ der Luten Petrowsky in die gefahren?! Oder was!
Erst, wenn du diesen Schmerz auch noch hinter dir hast, kommt mit dem dritten und letzten Track dann so’ne Art „Schmerzensgeld“, der Beweis, dass das doch noch die Band ist, die „Heart of the sunrise“ oder „Dear Father“ hinbekam. – „To be over“, da dampfen die Ohren dann aus…
Nee, dafür musste ich zu Ostzeiten kein Band verschwenden. Und zu Westzeiten kein Begrüßungsgeld.
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Apropos „Dear father“ – von der „Yesterdays“-LP. Die kam auch 1974, wie so’ne Art Wiedergutmachung der Plattenfirma: Die Nuggets der ersten beiden YES-LPs aus den späten 60ern und die 10 Minuten Coverversion von „America“. Eine LP, so genießbar wie „YES Album“ und „Fragile“.
Uff!
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Fall 13
Ein besonders tragischer Fall
Lou Reed&Metallica „Lulu“(2011).
Ja, da denkste so: Dein Ende naht! (Die Diagnose war bestimmt schon da.) Ein letztes Spätwerk muss her! Inspirieren lässt du dich von deiner letzten Lebensabschnittsgefährtin Laurie Anderson und ihren skizzenhaften Kompositionen, die jeden Abend anders klingen. Und dann ist da noch jene letzte Lese-Entdeckung: The german Writer Wedekind! Dein Vorvater im Geiste! Genauso auf Provokateur gepolt wie du! Genauso verliebt in die Kunst an sich und in das eigene Können wie du! Und den Fokus genauso auf den gestrandeten unfertigen Heroes der Gosse wie du. – Du hast sie alle drauf, die Standartwerke der Dekadenz: Giovannis Room, Man with the golden Arm, on the Road, last exit Brooklyn … und dann kommt da dieser german Writer um die Ecke und erzählt dir diese Geschichte von der Hur‘! Dem wild thing! 1893! 75 Jahre früher als „All tomorrow parties“! 80 Jahre vor „I am the waterboy. Real games not over here…“, deinem „Berlin“-Album, so „ausgekocht schmutzig“, wie sie schrieben und die Caroline da, die ist nichts weiter als eine Urenkelin der Lulu!
Das Album musst du noch machen! Wer, wenn nicht du! „Lulu“ passt zu dir! Du wirst Wedekinds Kurt Weill!
Schnitt!
Boah! Die Vorfreude war so gigantisch!
Aber – warum verreck – mit Metallica?! Da weiß man doch, dass das nichts wird!
„Gehet hin und führet mit ä Bunch of Schlosserjacken und Friseusen Faust Zwei auf, so dassbeim Publikum alle Rührungsdämme brechen!“
Ein Ding der Unmöglichkeit!
Kompositionen hat es vermutlich nicht gegeben, bestenfalls die Häppchenaufteilung, in der der Werdegang der Lulu -aus der Gosse in die bessere Gesellschaft und wieder hinab- aufgeteilt werden sollte. Und dann ging man ins Studio und laborierte herum.
Gut; so ähnlich erschufen Yes einige Großwerke. Aber Metallica?
Ratlos stand ich dann irgendwann 2012 im Mediamarkt in Berlin unter Kopfhörern und „hörte da rein“. Vor und zurück. Wegstellen; Ehrenrunde laufen, dies und das begrabbeln; dann nochmal mit der „Lulu“ zum Lausch-Tresen: Boom-boom-Blopp…quengel quengel…boom-boom-ditsch…
Oaaaach! Ich wollte so sehr, dass das was is‘!
Entsetzlich.
Kein Zugang nirgends. Also sparte ich Geld.
Schnitt.
Bleibst für mich Mr. Blue Mask…
… in dessen „House“ Delmore Schwartz spukt und zum Schluss auch der Wedekind; wie bei mir der Spielhagen und der Heyse.
Tschirio Boy! My game’s not over here.
Fall 14
Das Beste kommt zum Schluss:
„Deja vu“ – Crosby Stills Nash & Young.
Ein Coverfoto der „harten Hunde“. Braunstichig, alt, Knarren, wilde Mähnen … a bunch of Pferdediebe. Könnte man denken.
Und dann legst du sie auf und losgeht:
„One Morning I woke up… Caaaa-haaaarry o-hooooon! Loooo-hoooove is coming!…. to us all!“
Aua!
Größer könnte der Kontrast nicht sein!
Du erwartest Kerle und kriegst – Eunuchen!
Natürlich kannte ich die Songs lange bevor ich die Platte mal in Händen hielt: Aber dieser Cover-Gau ließ mich schon damals in den frühen 80ern grinsen. Ich war Punk; meine Raumteiler Hippies und nu dieses Bild zu diesen Gesängen! Und der Gipfel in DIESER Verpackung is‘ ja dann Neil Youngs schönes, aber wehleidiges „Helpless“. Knarre drauf!
(Ich bin aba heute och wieda in einer Stimmung! Das müssen die ESC Nachwehen sein!)
Aber zurück – auf Anfang: 70er; DDR, „Duett“-Sendung: Als ich dort das Album zum ersten Mal aufnahm, ohne das Cover zu kennen, ließ es mich schon reichlich ratlos zurück. Ich wusste zuvor, dass „Helpless“ und „Woodstock“ zu erwarten sein würden. Okay. „Country Girl“ und „allmost cut my hair“ wurden auch als schön empfunden.
Aber was sollten diese Tralala-Nummern „Our House“ und „Teach your children“ da mitten drin?
Und das Titelstück – das sollte vermutlich so’ne Art Jazzversuch werden. Ächz!
Alles um mich her faselte von „Meilenstein“ und „Hauptwerk“ und sowas.
Ich blieb ratlos zurück. Etwas Uneinheitlicheres, Zerisseneres hatte ich bis dato nicht gehört.
Und je mehr die Lebenserfahrung zunahm und das Textverständnis wuchs – umso schlimmer wurde es. Das Ding begegnet einem ja auch immerwieder!
„Teach your children well!“ – hat ja super jeklappt, wa?! Schön wär’s jewesen!
„Woodstock“ – so ein richtiger Blumenkinder-Text von Joni Mitchell, „Raketen werden Butterflies“ und so … und ausgerechnet diese lyrisch-zerbrechliche Vision knallen die Herren hier mit ihren Gitarren in den Orkus.
„We are Stardust! We are golden!“ plärrt dich da die Milchstrasse an! Herrlich! Genausogut könnte auch irgend ein Death-Metaller losgrowlen: „Veilchen pflücken! Frau beglücken! Gwarrrr!“ Voll die Romantik, ey!
Ich mag CS&N und die „Daylight again“. Ich mag von Uncle Neil 7 oder 8 Alben, die hier stehen.
Aber „geh mir weg du!“ – mit der „Deja vu“!
konjetz dlja sewodnja.
🙂