Elvis’75

„Bring mir morgen einen Cheeseburger mit.“

„Boss, das geht nicht! Der Colonel wird toben! Du sollst wieder in Form kommen.“

„Ach Quatsch. Die lassen mich hier verhungern.“

„Nee Boss. Die Ärzte passen auf.“

„Dann denk dran, wer am Monatsende deinen Scheck unterschreibt.“

Der Cheeseburger kam. Jeden zweiten Tag.

Und es war nicht das einzige, was die Memphis-Mafia da so ins Hospital schmuggelte.

Die Abnehm-Kur diesmal misslang – weitgehend.

Elvis bekam zwar wieder Kinn, aber es war noch viel zu viel Bauch übrig, um auf Postern wieder hot wirken zu können.

CoverJa, was ist mir denn da in die Sammlung gerutscht?

Elvis „Today“ (LP von 1975 als CD in der Legacy-Edition (2015); Doppel-CD-Version)

Spottpreis, weil: Die will keiner haben!

Die ist musikalisch dürftig, aber auf Grund der Entstehungsgeschichte und der Beigaben in der „Legacy“-Ausführung etwas Hochinteressantes für den Langzeitfan, der ich nun mal bin.

Also verbreit‘ ich mal ein bissel Elviskunde.

Eigentlich wollte ich keine weitere Elvis-Tondroge mehr kaufen. Aber mir geht es mit seinen CDs, wie ihm mit den Cheeseburgern. Ich verliebte mich neulich auf juhtub in dieses seltsame Live-Ding, das die zweite CD dieser „Today“-Ausgabe füllt.

Es ist ein Live-Mitschnitt von der 75er-Tour durch die Staaten, auf der er – viel spricht; zwischen den Songs. Also jetzt keine langen Geschichten, wie der Springsteen manchmal oder Tanja Tucker im Alter oft; jedoch zahlreiche Ansagen, kurze Mätzchen mit dem Publikum, Fehlstarts usw.

Das macht Spaß beim ersten Hör und beim zweiten oder dritten Mal setzte die Erinnerung ein, an eine verdienstvolle Sendereihe des NDR2 aus den späten 70ern:

„Let me be your teddybear“ von und mit Wolf-Rüdiger Sommer.

Dort wurde der Werdegang; -nein- der Zeitlupenuntergang des King of Rock&Roll sehr informativ beleuchtet. Von einem Highlight aus der Schlussfolge wird gleich noch zu reden sein.

Kennst du das: beruflich so vollständig ausgebrannt zu sein?

Den Zeitpunkt zu erreichen, an dem du dich fragst: Wen langweilt das jetzt mehr – DIE oder MICH?!

Das kann dir als Comedian, als Rockstar, als Autor, als Pastor oder als Lehrer so gehen.

Irgendwann tritt die naturgemäße Unfähigkeit zur Erneuerung ein. Die dafür notwendigen Synapsen sind „abgeblüht“, verbraucht.

Die bewährten Tricks haben sich abgenutzt. Neue fallen dir nicht mehr ein.

Manche flüchten sich in den Selbstbetrug; andere merken es selbst.

Und es passiert in unterschiedlichen Altersphasen.

Elvis war 1975 so weit. Mit 40 Jahren.

Über der 75er Tour steht in überdimensionalen Lettern unsichtbar geschrieben:

WAS SOLL DER SCHEISS NOCH BRINGEN?!

Seine Stimme „kippelt“ in mancher Songzeile. Es gibt Tonaufnahmen aus den 60ern, da bricht er die Aufnahme ab. Korrigiert sich, setzt neu an; lässt den Pfusch nicht durch. Unvergessen die berühmte Aufnahme von „such a night“ mit gleich 3 Fehlstarts.

1975 scheint ihm das wurschd geworden zu sein.

Ich hörte trotzdem zu, oder gerade deswegen; und erinnerte mich an die bekannte Tragödie:

Elvis kam nach der Scheidung von Priscilla Schritt für Schritt die Lebensmotivation abhanden: Mutter tot, Frau weg, mit der eigentlichen Rockmusikentwicklung nicht mitgehen können, weil an den Colonel gekettet… Was bleibt da noch? Öde Routine. Und Motorradausflüge mit den gekauften „Freunden“ von der Memphis-Mafia. Die springen auf Befehl. Die werden ja dafür bezahlt. Das „Alter Fritz Syndrom“ das Friedrich den Großen am Ende seiner Laufbahn plagte. („Ich bin es leid, über Sklaven zu herrschen.“) Er wird sich des goldenen Käfigs bewusst und schießt abends den Fernseher aus. Einmal brennt deshalb das Wohnzimmer kurz. Egal. Renovieren lassen. Fertig.

Offiziell 40, lebt er das Frührentnerleben eines 60jährigen und mental ist er auch so drauf.

Elvis hatte seit seinen 30ern ein Gewichtsproblem. Das wird in einigen seiner Filme bereits erahnbar und beschert uns 1970 schon ein erschreckendes Coverfoto für die „On Stage“. Musikalisch jedoch war er da noch voll „on fire“!

Jedoch gelang es zunächst, auf Geheiß des Colonels, den Star vor jeder Tour- bzw. Las-Vegas-Saison unter medizinischer Aufsicht in Form zu hungern. Aber am Ende jeder Tour stand ein Belohnungsfressfest und da waren die Pfunde ratzfatz wieder drauf.

Das 74er Live-Album ziert die Hausfassade von Graceland – weil man auf die Schnelle kein brauchbares Coverfoto vom King „zurecht-faken“ konnte.

Als die Hungerkur für die 75er Tour anstand, ging diese im Unterschied zu den vorhergegangenen in der oben angedeuteten Form schief.

Elvis entschied sich … – ?! Besser: Elvis wurde überzeugt, eine „Bauchweg-Bandage“, quasi ein Korsett, zu tragen. Aussehen ging nun mal vor Sangesleistung.

booklet3

Dieses Wegpressen des Bauches schränkte seine Beweglichkeit stark ein. Seine Karate-Routine on Stage verkam zu bedauerswerten „Wollte-und-konnte-nicht-mehr“-Gesten.

Schlimmer war: Er war zur Brustatmung gezwungen; der Resonanzraum wurde blockiert – und das raubte Stimmvolumen beim Singen. Viel Stimmvolumen!

Waren alle um ihn her so doof, das nicht zu merken?

Waren die Poster-und Tassen-Verkäufe wichtiger als die Mugge?

Booklet1Da man allzeit „berühmte“ Studios auswählte, wenn der King herabstieg, um seinem Volk eine Platte zu gewähren, war er auf Grund dieser Praxis auch gezwungen, die Bauchbinde zu tragen, als er nach Hollywood ins RCA-Studio ging. Dort warten die Pressekonferenz und Paparazzi usw. Und „…der angeheuerte Backing Choir darf dich so nicht sehen!“

Bereits die Studioaufnahmen lassen erahnen, was auf der Bühne unüberhörbar werden würde:

Der King klingt „fertig“.

„T-r-o-u-b-l-e“ sollte den Erfolg von „Burning love“(1973) wiederholen. Es wurde „Burning love für Arme“. Zudem taugt der Song nicht als Opener, sondern hätte weiter in der Mitte der LP-Seite platziert werden müssen, damit sich Spannung aufbaut, die sich in der (semi-)schnellen Nummer dann entlädt. „Fairytale“ klingt wie von einem Elvis-Imitator gesungen. „I can help“ von Billy Swan wurde gecovert, abzüglich der Swan-Ironie. Die Elvis-Version klingt gefühllos hingesungen. (Ähnlich der Heino-Coverversion von „Junge“ vor ein paar Jahren.)

Elvis ist im „Einfach weitermachen“-Modus. Er hat sich seit „On Stage“(1970) nicht erneuert. Der Colonel und er ritten einen einmal gefundenen Stiefel zu Tode. Und der Tod ist die „Today“. Die letzte Elvis-LP, für die ein Studio weit weg von Memphis aufgesucht wurde.

In der Folgezeit wurde in Graceland aufgenommen.

Die „From Elvis-Presley-Boulevard“ von 1976 (in Amerika grad’so und schleppend vergoldet) warf keinen Welthit mehr ab.

Die „Moody Blue“ von 1977 ging durch die Decke, weil er starb. Der King ist tot – es lebe der King! Ohne sein Ableben, wäre es ihr vermutlich ähnlich der „Boulevard“ ergangen. (Obwohl sie deutlich besser konzipiert wurde und mit dem Titelsong und „Way down“ zwei letzte Glanzlichter enthält, wie sie auf der „Boulevard“ völlig fehlen. Außerdem singt er ohne Bauchbinde. Er hört sich also eigentlich wieder kräftiger an.)

Die „Today“ legt also ein Untergangszeugnis ab, weiß aber in der Legacy-Ausführung zu überraschen, denn:

Auf CD1 folgen nach den 10 Albumtracks, 10 undubbed Versionen eben dieser Songs – in anderer und sinnvollerer Reihenfolge. „T-R-O-U-B-L-E“ rutscht nun in die Mitte! „Das macht Sinn“, wie Möchtegern-Amis gerne sagen: Die Undubbed-Dinger klingen kantiger, natürlicher, nicht so klinisch glattgebügelt; was an kleinen Fehlern deutlich wird. Menschlich. Sympathisch! Hier mal der Chor zu weit vorne, da mal ein Klaviereinsatz zu spät dran; die Drums auf „T-r-o-u-b-l-e“ wirken hier flotter; den King hauts mal aus dem Arrangement… Irgendwie fühlst du dich wie im Probenkeller dabei.

Ergo: CD1 IMMER mit Track 11 starten, denn ab da wird’s schön!

booklet2Die CD2 mit dem Liveauftritt stammt von einer Promo-Kassette, die restauriert wurde. (Erstveröffentlicht in der 8fach-Kiste „Elvis in Person“ von 1980.) Klanglich ist das durchwachsen gelungen. Bei den ersten drei Nummern etwas weniger, nach hinten raus mehr. Das viele Reden, Witzeln, Bühnenlicht ausschalten lassen, um mal das Publikum sehen zu können, sind notwendige Pausen nach flotteren Nummern. Luft! Der King muss atmen! Im Fortschreiten des Konzertes fehlt die Luft dann trotzdem. Mein lungenkrankes, jüngeres Ich leidet mit! Die bombastische „American Trilogy“ wird geradeso zuendegebracht. Erbarmungswürdig. In „How great thou art“ bäumt er sich 2x ergreifend auf und brüllt jeweils eine Zeile weit über das Arrangement hinaus: Du fühlst, wie er mit der Beengung ringt! Ach, möge doch die Bandage platzen!

Als er den Leadgitarristen James Burton vorstellt, fügt sich eine Kurzversion von „Johnny B. Goode“ an; eine Minute; japsend, dünne. Das ist der Tiefpunkt. Länger hätte er soviel Text in dem Tempo schwerlich durchgehalten.

Genau DER Vergleich war es auch damals in der NDR-Sendereihe:

„Zwar schafft es Elvis auch in seinen letzten Jahren auf der Bühne noch immer beeindruckend, eine 20-Mann-Band zusammenzuschrei‘n, aber man vergleiche „Johnny B. Goode“ 1970 und 1975. Ein alter Mann. Verbraucht; nach 1000 Konzerten des fast immer gleichen Repertoires.“

Ich hatte das damals auf Kassette; mit 17 oder 18 Jahren. Noch „ungedient“ und frisch. Und ich hatte keine Ahnung, wie man bei soviel Erfolg so enden kann.

Mit 60 war ich soweit wie Elvis mit 40.

Mir gefällt diese Idee zur Legacy-Edition.

Ich höre da den Bludgeon vom Dezember 2019 singen:

„I’ll pack up all my things and walk away
(…)
And nothing will get better if I stay…“

7 Gedanken zu “Elvis’75

  1. Elvis Presley ist für mich ein frühes Beispiel, wie man einen Künstler (LKW Fahrer, Sänger) ausgewrungen hat wie einen nassen Lappen bis zum bitteren Ende.

    Als Spätgeborener habe ich nur den kurzen Rock´n´Roll Wiederbelebungsversuch Mitte der 70er Jahre miterlebt. Da war Elvis schon beinahe eine Randfigur inmitten der alten Stars, die je nach Kondition und Unterstützung nochmal kräftig aufgetreten sind. Elvis ist bereits 1977 gestorben. Ich habe kurz danach Chuck Berry hier auf der Bühne gesehen. Er präsentierte schnelle, harte Musik. Dazu wäre Elvis garnicht mehr in der Lage gewesen. Wobei Elvis mit Sicherheit die versierteren Begleitmusiker hatte.

    Wo die Liebe hinfällt. Zu Elvis nie sehr intensiv. Dennoch stehen hier einige Scheiben von ihm.

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    • Agree überwiegend. Nur: Der späte Chuck Berry mag noch hart und schnell gewesen sein. Aber er reiste allein, spielte via geborgte Anlage und kriegte das Originalfeeling auch nicht mehr wach.

      AMIGA brachte anfang der 80er eine wüst kompilierte Berry Scheibe heraus. Überwiegend 70er Vatianten der alten 50er Standarts. Rumplig. Ohne Piano dabei…

      War ne elende Angelegenheit. Bis auf ein Instrumental „feelin‘ it“. Das war beinahe Fusion. Davon hätte es mehr sein dürfen.

      Tja. War nich‘.

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      • Davon weiss ich nichts. „Unser“ Konzert war jedenfalls noch – wie sagt man heute ? – old school. Die richtig alten Stücke. Schnelles Klavier. Junge Leute verlangten natürlich Dingeling. Ich finde die Stückliste nicht, erinnere mich allerdings, dass er seine 50er Kracher beinahe alle gespielt hat.
        Einige „alte Knacker“ im schwarzen Schlabberleder und mit Entenschwanzpomadenfrisuren haben im Anschluss an das Konzert noch das Gestühl zerlegt.

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      • Is‘ ja zum Fremdschämen, das mit den Stühlen! 🙂

        Das mit dem Klavier als Qualitätsmerkmal hab ich von Werner Voss. Der exerzierte mal vor, wie Chuck Berry 1958 im Vergleich zur Neueinspielung 19paarn60 klingt. Sein Pianist ging; er spielte ohne weiter und immer die gleichen Hits wieder und wieder ein, weil alle Versuche, „weiterzugehen“ irgendwie nicht auf Nachfrage stießen. Es gibt ne Platte live im Filmore; da versucht er sich als Blueservor Hippies (begleitet von der Steve Miller Band) – naja; so mittelgut – würde ich sagen.

        Is eigentlich ne Tragödie, dass viele dieser alten Herren mit Pomadenente auf dem Nischel nicht liebten, wenn ihre Heroes weitergingen. „Verlauste Hippies wurden“. Das wäre auch im Falle Elvis schief gegangen. Man mag ihn für Las Vegas schelten, aber irgendwie war das auch wie „Trooping the Color“ auf amerikanisch. Ein royales Ritual. Denkmalpflege. Elvis mit Bart und Teppichweste an der Seite von Cocker oder Jimi in Woodstock? Nee. Das wäre nicht gegangen.

        Kenne inzwischen eine ganze Reihe Flopalben von Little Richard, Rick Nelson, Gene Vincent aus den späten 60ern/frühen 70ern – und die sind toll! Besonders die „A million shades of blue“ von Gene Vincent ist Klasse.

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  2. Ich kenne kaum Spätwerke von Rock´n´Rollern. Zu der Zeit war ich musikalisch ganz anders unterwegs.
    Tja, die Leute (Fans?), die nicht zulassen wollen, dass sich Zeiten ändern. Andererseits sollte man nicht vergessen, dass Kreative in der Regel über ein gewisses Portefeuille an Kreativität verfügen. Darüber hinaus geht meistens nicht mehr viel.
    Und zu guter Letzt ist es der Apparat hinter den Musikern, das Management, die Plattenfirmen und die Medien, die einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Musiker ausüben.

    Die Sendungen des legendären Werner Voss habe ich in 70ern nicht hören können – zu weit weg vom NDR. Hast du eine Ahnung, ob man heute noch irgendwo seine Sendungen nachhören kann? Beim NDR war meine Anfrage vergeblich, ähnlich wie beim BR wegen der Sendungen des Zündfunks…

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