Die besten Konzeptalben der Rockgeschichte (VII)

So. Und wer erklimmt nun das Siegertreppchen?

Das Album, dessen Hülle seinerzeit schon genial war – und dann diese perfekten 40 Minuten Wohlklang! Du fängst an zuzuhören; staunst (mit17!) dass du bereits fast alles verstehst – und die Story erwischt dich gnadenlos! Geradezu prophetisch!

Platz 1

Pink Floyd „Wish you were here“

  1. Der wirre Kennlernprozess von 1976ff

Es ist das Progalbum, dessen Tracks ALLE Airplay hatten. Mehrfach. Im Ost- wie im Westradio. Es ist das Album, das arme Ossis ohne Westverwandtschaft also im Radio erbeuten konnten. Stückweise; zufällig erwischt, verteilt auf 3-4-5 Kassetten voller „zeitgenössischer Klänge“. Somit in den seltsamsten Mischungen.

Ich hörte jahrelang eine Kassettenseite, die vorn „Shine on you crazy diamond (II)“, dann Deep Purples „Place in line“ und dann „Shine on…(I)“ hatte. Das fühlte sich an, wie für einander gemacht. Deswegen sind beide Bands in meinem Unterbewusstsein in dieser Form aneinander gekettet.

Die anderen drei Tracks verstreuten sich über drei andere Kassetten. Auch dass „Welcome to the Machine“ auf eine gemeinsame Seite mit Hawkwinds „Silvermachine“ geraten war, hatte was; aber was da noch dazwischen war, hab ich vergessen.

Dann bekam ich eine Mono-Kassettenaufnahme der LP, von einem, der einen kannte, der eine Kassettenaufnahme von der LP hatte machen können.

Zeitchen später, nach der Fahne, als ich selber West-Vinyl besaß und Pendants anbieten konnte, gewährte mir jemand selber die Vinyl-Borgung und ich musste ihm meine „Tubular Bells“ zum selben Zwecke leihen. Somit hatte ich sie auch endlich mal in Stereo auf Spulen-Band.

Dann kam sie als Amiga-Lizenz-Platte raus – und ich konnte Band sparen.

Mitte der 90er schließlich die CD.

Sie war also immer da. Und in jeder Passage des Lebens veränderte sie die Gestalt. Queen droschen sich ab, die Beatles kann ich nicht mehr hören. Bowie verläuft sich nur noch selten in den Player: Die „Wish you…“ blieb essenziell.

  1. Die Klarsicht

Sie erzählt in eigentlich dürren Worten, wie Ruhm seinen Glanz verliert und zu Erfolgsdruck wird.

Du läufst los und willst gefeiert werden. Willkommen im Räderwerk der Industrie. „Wir mögen dich! Wir rädern dich (ganz sanft). Es soll dein Schade nicht sein. Du lässt die Kassen klingeln!“ – Zeitchen später – „Darf’s ne Zigarre sein? Sie werdn doch ne Steigerung schaffen mit der nächsten Platte? Sie wissen doch: Konkurrenz schläft nicht. Yes sollen gerade in Montereux sein! Da kommt bestimmt was Großes!“ – Writers block. Nix geht mehr! Ende der A-Seite! – Einfälle, wo seid ihr! – Aber du hockst zu Hause, „so down and out“. Der Rummel nervt. Du sehnst dich nach dem stillen Glück, mit ein paar Kumpels abzuhängen, ohne Autogramme geben zu müssen. Aber die Schulhoffreundschaften sind längst futsch. Aus unterschiedlichen Gründen. Manche sogar tot. Also mach – verdammt noch mal weiter – komm‘ hoch mit dem Hintern! Das wird schon! Noch ne Runde Griffe kloppen on Stage! Die Meute wird’s freuen. „Shine! On! ….(Atem holen!)…You cray…(Luft!)…zy diamond!“

Und dann kommst du ins Studio und David liest die Texte, die dir da heute früh um drei endlich einfielen, nach 6 Bier und dem vierten Grog; stöpselt die Gitarre ein, 3 Licks, ein Jaul – und es ist das perfekte Thema: Merken! Das nehmen wir! – Mach nochmal und bau‘s aus! Herrlich! Genauso!

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Die Musik zu finden, war überhaupt kein Krampf! Wir hatten noch gar nichts eingeworfen, was uns wie sonst hätte Ideen liefern sollen. Die Jungs waren angetan von „der Wucht meiner Worte“. Wow?! Und ich dachte, das wird denen zu weinerlich sein! – – -Nö. Gar nicht! Es liiiiiief! Einfach so.

Das muss was bedeuten!

  1. Die Verkaufe

Die Presse, also irgendein Schreiberling von denen, hatte die Eingebung, das alles auf Syd Barrett zu beziehen. Junge Hörer&Totenkult – das kommt immer gut! Und das schrieben von Stund an alle voneinander ab. (Nur war Barrett ’75 noch gar nicht tot! Es wurde aber in einigen Radio-Features so getan!)

Dann gab die Band eines Tages die Gruselgeschichte preis, dass da ein Glatzkopf desorientiert im Studio stand, als sie gerade mitten in den Aufnahmen waren. Er sah sich um – und ging wieder. Erst im Nachhinein, soll Mason den Verdacht geäußert haben: „Die Augen! Habt ihr die Augen gesehen? Das war doch Syd!“

Barrett war der kreative Kopf der Anfangszeit vor ‘70. Um kreativ zu bleiben, steigerte er seinen LSD Konsum und kam eines Tages geistig nicht mehr heim vom Trip. Wirr, unzuverlässig, seine Parts vergessend, war er nicht mehr verwendbar. Sie kickten ihn aus der Band. – Und nun nach Jahren keimt da sowas wie ein klein-Bissel schlechtes Gewissen, das vllt aus dem Unterbewusstsein Roger Waters Schreibhand führte.

Man kann die LP aus diesen Gründen feiern. In jungen Jahren tut man das. Freundschaft zählt. Der Tod ist weit, geistert nur als „süßes Weh“ dann und wann durch die Phantasie.

  1. Die Tiefenwirkung

Angekommen im Beruf, der Kreativität abfordert, wird das „You“ zum „Ich“. Was du ahntes in den 70ern, wird Gewissheit: Die singen nicht von Syd!

Die meinen DICH!

Dir gelingt was! Du bist beliebt! Wirst gar gefeiert! Ein Dilemma entsteht: Kaum hast du sie, wird sie dir lästig. Die Beliebtheit kann in der Öffentlichkeit schwer nerven: Kein Linien-Bus, kein Wartezimmer, keine Kaufhalle ist sicher vor Fan-Begegnungen, die dich unfreiwillig der ganzen Gegend vorstellen:

„Guck mal, Mutti, da ist Herr Findeisen! Der fetzt! Hallo, Herr Findeisen!“ – „Hammer morng wüddor Geschichte mit Sie?“ – „Herr Findeisen! Ta-haaach! Erzählnse morchen wüddor was vom Kriiiech?“

Junglehrer-Bonus. Das is‘ immerhin besser, als blöde Ableitungen deines Familiennamens erwarten zu müssen oder sonstige Provokationen; aber der ganze Bus weiß nu wer du bist und was du machst – und die Blicke bleiben steinern. Wie Dakotahäuptlinge – in der Niederlausitz. Befremdlich.

Es ist ein schmaler Grat zwischen „geachtet“ und „gefürchtet“. Genauso schmal auf der anderen Seite: „Humorvoll vermittelnd“ oder „ausgelacht“. Watershed über Jahrzehnte! Du willst dich halten; du balancierst auf schmalem Grad. Und mit den Jahren wurden die Winde heftiger.

Du kannst es nicht einfach mitnehmen, dieses Super-Star-Ansehen, wenn du Wohnort und Arbeitsplatz wechselst! Und du wirst älter. Der Jugend-Bonus schwindet.

„Shine on you crazy diamond!“ , nun begreifst du, weshalb das so erschöpft gesungen werden MUSS!

Erfolgsdruck! Noch kreativer werden! Noch mehr riskieren! Wann kommt der Ikarus-Effekt?

Ich mach das! Kann ich das machen? Was, wenn dann…?! Lieber nicht…! Oder doch?!

„Do you think you can tell, blue sky from rain…“

Selbstblockade. Ideenstop. Dann geht’s auf einmal doch…. – …stramm in Richtung:

Ferien! Pause! Aber alle Akkus auf Null.

Und dann zu Hause am Radio drehen. Ein paar Aufnahmen machen wollen… die die Sehnsucht bedienen, wie bei dem da auf der Platte; … nach den Studenten-Disputen…; nach Grillfeten mit der alten Klasse in Nachbars Garten, weit weg, weit weg… Ecke, Jörgi, Lutz, Klaus…  „May I be right, may I be wrong? It’s been so maaaa-ny hundred years!“…. Aber: Du bist noch nicht 92 – sondern 29! Raff dich auf!

Shine….on…you cra….zydiamond!

Los ey! Wenn die wüssten, wie du durchhängst! Strahlemann! „Give the people what they want!“

Selbsthypnose one more time: „Ei-jjj-jei! Wanna Rock&Roll all nite!“ – Marsch! Auf Posten! – „Place! In! The! Line! – I wonna think, we gonna make it! I gonna think, we gonna make it! Place in line sometime somewhere somehow!“… „Rights now! Hahahah! Oi am the Anti-Chreista…“ Es kann wieder weiter gehen!

It‘s the Rock&Roll Elexier! Have a Cigar?! … Welcome back – to the Machine!

Die Jahre gingen hin.

Schnitt!

  1. Die Erdung

Kennst du das? Du bist mitte 50 und kommst vom Klassentreffen. Gerade hast du erfahren, dass deine Vision vom Rentnerleben niemals sein wird.

Von den 4 Typen, die es dazu bräuchte, sind nur noch zwei übrig: Udo und du selbst.

Jörg starb mit 52 Jahren. Eckard mit 53.

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Nun musste kein Journalist mehr Tote erfinden. Nun war das real. Das „süße Weh“ des 17jährigen wurde zum bitteren Seufzer 40 Jahre später, denn auch zwischen den verbliebenen beiden schufen die Zeitläufe Unterschiede.

„We’re just two lost souls swimming in a fish bowl – year after year … how I wish, wish you were here!“

  1. Finale literarische Metamorphose

Nahe an 60  -inzwischen liest du nur noch „altes Zeuch“ auf der Flucht vor dieser Gegenwart- merkst du schließlich noch, dass die „Wish you…“ sogar als ein Industrialisierungs-Opus taugt. Eine Vertonung des Aufstiegs eines Tüftlers, eines Eisenbahn-Königs, eines ostelbischen Gutsherren. Die Klänge bekommen mehr und mehr Kaminzimmer-Charme im Gründerzeit-Palais.

Du tauchst immer tiefer ein in die Welt der Heyses, Wolzogens und Zobeltitze…

„„Shine on you crazy diamond“, schien Melitta Oswalt zuzurufen. Dann wendete sie das Pferd und setzte über den Zaun. Versonnen schaute er ihrer schwindenden Silhouette nach…“

Da geht die Tür; ich erwarte eine Magd in weißer Schürze und Hochsteckfrisur…

Aber es ist meine ganz heutige Tochter, die mich zum Essen holt…

Also lege ich den Spielhagen weg und wanke in die Küche…

…You were caught in the crossfire

of childhood and stardom,

blown on the steel – – – breeze.

Come on you target – for faraway laughter,

come on you stranger, you legend, you martyr, and shiiiiiiine!…

Ende.

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10 Gedanken zu “Die besten Konzeptalben der Rockgeschichte (VII)

  1. Zum Glück habe ich nicht gewettet – die Taler wären jetzt weg. Dass es Richtung früher Prog-Rock gehen würde war schon klar. Aber WYWH von PF…

    Ich habe das nie als ein Konzeptalbum gesehen. Zwei Themenbereiche: Künstler vs. Industrie. Andererseits dieser mögliche (wahrscheinliche?) Syd Barrett Kontext. Auch da kenne ich zwei Seiten. Die Journaille und frühe Aussagen von Floyd Musikanten, die durchaus unterschiedlich bei mir angekommen sind. Schaffenskrise, eine imaginäre Persönlichkeit als möglicherweise gespaltet in verschiedenen Musikstücken darzustellen.

    Heute glaube ich – aber was weiss ich schon wirklich darüber? – dass PF vielleicht das journalistische Gerücht um Syd Barrett gut ins damalige Konzept gepasst hat. Unvergessen ist mir allerdings der Auftritt von Roger Waters in Lucca am 12.7.2006, wenige Tage nach dem Tod von Syd Barrett. Waters konnte vor Rührung anfangs garnicht singen. Er sagte Unverständliches, weinte und es dauerte, bis er sich wieder im Griff hatte…

    All das sind Geschichten um dieses Album. Ich hatte just meine Wohnung in Berlin bezogen, als das Album rauskam. Im Plattenladen gegenüber hing es im Schaufenster. Es wurde mein letztes PF Album. Zu weit weg von Echoes oder Atom Heart Mother. Dennoch hörte ich es gerne im Wechsel mit A Trick of the Tail zum runterkommen nach langen Nächten.

    Das Album lief eben während ich deinen Bericht dazu gelesen habe. Am besten von all den bestätigten und unbestätigten Details zu WYWH ist für mich deine Einordnung des Albums in deinen Lebensweg. Diese Darstellungen kann ich gut für wahr nehmen. Es ist die für dich durchgängige Stimmigkeit für die vergangenen Jahrzehnten deines Lebensweges. Das ist doch prima, wenn man so von einem Album sprechen kann.
    Chapeau !

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    • Danke.
      Halber Widerspruch: Zu weit weg von „Echoes“? Nö. In Pompeji passten „Echoes“ und „Shine on“ sehr perfekt zusammen.

      Aber spannend, das mit der Wette: Auf welches frühe Progwerk hätteste denn getippt?

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      • Pompeji? Stimmt für shine on in der Tat.

        Ich kann dir kein konkretes Album nennen, weil mir bei deiner Serie aufgefallen ist, wie wenige Konzeptalben ich eigentlich kenne. Es gab natürlich spontane Ausschlüsse: King Crimson, Van der Graaf Generator, Zappa, Gentle Giant, Emerson, Nice, Gong, Jethro Tull (Anderson), Magma, Canterbury usw usf …
        Ich hätte vorgestern noch auf etwas „Sanftes“ getippt, aber nach Dan Fogelberg war eine stilistische Fortsetzung unwahrscheinlich.

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    • Der weinende Roger W.: Da liegt der Verdacht nahe, dass da der Jackson Browne Effekt vorliegt. Der gab sich (mit Recht) die Schuld am Tod seiner Frau, die sich selber den goldenen Schuss versetzte.(Er hatte ihr zuvor die Drogennehmerei beigebracht)

      Syd B.nach der arte-Doku von neulich kam aus Künstlerfamilie, war vielseitig begabt, aber sehr schüchtern. Man könnte auch von Komplexen sprechen. Der geriet nu unter die drogenkundigen „Straßenköter“, wollte kompensieren, was er sich zuvor alles nicht getraut hatte und geriet so an jenes Pensum, das sich als zuviel erwies. Waters also scheint zu wissen, WER Syd damals in den Drogensumpf zog, durch auslachen-trauste dich-Probierpäckel spendieren…

      (Kenn‘ ich auch so aus dem eigenen Miterleben müssen. Es sind immer die schüchternen, gehemmten, sensiblen Kompensierer, die dabei draufgehen.)

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  2. Interessant…, damit hätte ich nicht gerechnet… aber ja. Eine der möglichen Varianten. Klasse beschrieben in deinem Lebenskontext. Übrigens hatte ich ein ähnliches Kassettendrama, gewohnte Musikabfolgen, die dem Aufnahmezufall geschuldet waren. Obwohl Wessi, waren LPs bzw. die dazugehörige Anlage lange nicht leistbar. Und blieben hinter den Schaufenstern mit meinem Nasenabdruck.
    Wenn man so will, ist – altersgeschuldet – deine WYWH meine Dire Straits „Love over Gold“ – mit Telegraph Road.
    Grüße!

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  3. Wunderbarer Text. Hätte ich nie gedacht, daß eine meiner absoluten Lieblingsplatten bei Dir die Nr. 1 wird, ist so, als würde mir ein alter Freund die Hand reichen…

    Ein gutes Projekt ist Dir da gelungen!

    Viele liebe Grüße

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  4. Irgendwann so um 1979/80 herum wurde das Album auf einem DDR-Sender in der Reihe „Das Album“ vorgestellt. Erst Kommentar, dann Seite eins vollständig gespielt, dann Kommentar, dann Seite zwei vollständig gespielt. Ich habe die Musik auf einer Seite einer 90er-Kassette von ORWO aufgenommen, noch nicht wissend, dass die Qualität der Kassettenmechanik bei den damaligen 90ern unter aller Sau war. Das Resultat: Bandsalat bis zur Unbrauchbarkeit. Ich bekam dann im Laden meine 27 Mark für die Kassette zurück, nachdem man dort nach einem Test festgestellt hatte, dass es nicht an meinem Rekorder lag. Die 27 Mark hatte ich also wieder, aber die Fantastilliarden, die mir die Aufnahmen wert waren, waren perdu. Ein paar Jahre später kam sie dann bei Amiga raus. Da musste man aber auch erstmal rankommen. Heute würde mich noch einmal der Inhalt des damaligen Kommentars interessieren. An die Musik kommt man ja nun problemlos ran.

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    • Ja! Auch ne tolle Geschichte. Ich erinneremich an diese Sendereihe, die in sehr unregelmäßigen Abständen kam. So 79 herum las ich in der FF dabei: Das Album „Bettlers Gastmahl“. Also Jupiter startklar und: Es waren die Stones! Zum ersten Mal im Ostradio und dann gleich als LP!

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