Jon Anderson und ein Playmobilboot

What a way to surrender! Surrender!

1982 kennen gelernt, aufgenommen, oft gespielt; back to back mit „Mr.Cairo“ wie neulich bereits geschildert. Um 2000 herum begannen meine Typ 130er Bänder das große Fietschen. Mein Archiv der Mauerjahre war hinüber. Sperrmüll und weg. Das meiste davon hatte ich inzwischen ja nachgekauft. Aber so 4 bis 10 Tondiamanten „von damals“ fehlten und waren nicht auftreibbar.

Und die „Animation“ war nun die Langzeitvermissteste.

Den letzten Post schrieb ich aus Vorfreude. Die CD war bereits im Haus, aber eingeschweißt. Papa sollte sie Ostern erst noch stilecht suchen müssen. Also hatte ich die Booklet-Kenntnisse noch nicht, die nun ein paar Richtigstellungen nötig machen.

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Ostern ist bekanntlich ein paar Tage her – und die CD kam all die Tage kaum mal aus dem Player.

Hach!

Schön!

22 Jahre nicht gehört – und doch gleich aufs Neue jenen Klängen verfallen, die 1982 so arg wenig Fans hatten.

Es war die NDW-Zeit, Punk-Nachwehen, mehr oder weniger.

Da juckte das die Herde äußerst wenig, was der ehemalige Yes-Sänger so macht. Artrock (=Prog) galt als öde und „von gestern“. Die „Tormato“ war 1978 weitgehend unverdient verrissen worden. Die Paris-Sessions fürs Nachfolge-Album verliefen 1979 erfolglos. Die Band brach auseinander. „Drama“ erschien 1980 in einer kurios ungewöhnlichen Yes-Besetzung, da die fehlenden Anderson und Wakeman ausgerechnet durch die New Wave Kasper (The Buggles) ersetzt wurden. Noch war Trevor Horn ein Niemand. Das Album wurde deshalb ebenfalls stark angefeindet, gleichfalls unberechtigt. Die wirklich schlimmen Yes-Alben sollten erst noch kommen.

Anderson hatte in der Zwischenzeit mit Vangelis und der „Mr. Cairo“ Platte mehr Erfolg. Also war geradezu wahrscheinlich, dass er ohne Vangelis, aber mit ähnlichem Schnittmuster einen Mega-Erfolg sicherhaben würde.

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Als die Platte erschien, war ihr Platz 176 in den USA sicher und klebte dort fest. In England war immerhin Platz 43 drin. In (West)Deutschland – nix.

So war das nicht gedacht!

Anderson hatte viel Herzblut in das Projekt gesteckt; sein Produzent erinnert sich an die sehr klaren Vorstellungen, die sein Star hatte, wie alles klingen sollte. Der brauchte keinerlei Hilfe beim Arrangement! Die Band hatte Weltklasse: Clem Clempson, Simon Phillipps, Dave Santious, Stefano Cerri.

Zusätzlich schauten bei den Aufnahmen noch Greenslades Lawson und die alte Bass-Legende Jack Bruce vorbei und spielten mit.

Alles klingt durchgängig warm und gut aufeinander abgestimmt. Hier gibt es keinen 80er Wumms-Plautz, sondern: Melodien!

Aber Anderson ließ das Material nach einer mies besuchten kurzen Amerika-Tour fallen.

Squire hatte ihn besucht, um ihm Songansätze vorzustellen, aus denen die „90125“ werden sollte. Es schien auf einmal doch wieder mit Yes weiterzugehen – und so kam es, dass die „Animation“ buchstäblich „vergessen“ wurde.

Hört man sie heute und gleich danach die „90125“ – dann steht fest, welches die bessere Platte ist!

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Das Booklet ist lobenswert inhaltsreich. Es enthält die ausführliche Entstehungsgeschichte UND die Lyrics. Somit muss ich nun eine Falschbehauptung meines Anderson-Postes von neulich reparieren:

„Boundaries“ ist keine Aktualisierung von „O’er“. Und „O’er“ ist kein Volkslied.

Die wirkliche Story zum Song erklärt Anderson so:

„Ich schrieb 1982 „Boundaries“ und 1998 „O’ver“ für mein Folkalbum „The Promise Ring“; die Melodien sind gleich. Das fiel mir erst viel später auf. Wenn man an die 500 Songs geschrieben hat, dann erinnert man sich nicht an jede schon benutzte Tonfolge. Das ist so ein Unterbewusstseinsding. Dir kommt da diese Melodie ein. Du denkst, du machst was völlig Neues. Aber du benutzt nur ein Bruchstück deiner Vergangenheit. Das passiert mir manchmal, dass ich glaube, eine neue Melodie zu pfeifen, bis meine Frau mich erdet: Klingt nach altem Yes-Track.“

Kennste das? Du erzählst jemandem eine Geschichte und der fängt an, mitzusprechen?! Da merkste dann, dass das Alter zuschlägt!

Aber da gab es noch mehr:

1982 habe ich in diesen Sounds gebadet, ohne viel auf den Text zu achten.

Bissel gewundert hab ich mich schon, dass der Eröffnungstrack „Olympia“ heißt. Den obersten Yes-Romantiker mit der Engelsstimme bringt man nun eher nicht mit Stabhochsprung und Umkleidekabinenschweiß in Verbindung. Auch war 1982 kein Olympia-Jahr.

Des Rätsels Lösung steht im Booklet:

„Nachdem ich mit Vangelis gearbeitet hatte, besuchte ich eine Multimedia-Verkaufs-Ausstellung in der Olympia-Halle in London. Videowände; Instrumente, Mischpulte und so. Dort wurde die neue Generation von Keyboards und Synthesizern vorgestellt und ich war geflashed von den vielen neuen Möglichkeiten für Klänge. Mir kamen dort schon so viele Ideen, dass das „Animation“-Album die logische Konsequenz dieses Besuches war.“

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„Animation of life“; meint den Antrieb zum Leben. Ich war junger Vater. Meine Tochter Jade lernte laufen. Alle diese Fortschritte, die da so von alleine kommen – das war der Punkt zur Inspiration. Die Olympia-Halle, meine Anfänge im neuen Home-Studio, „selber laufen lernen“ und diese tapsigen ersten Schritte von ihr. Neue Klänge, neues Leben.“

Der alte Anderson erinnert sich an seine erste Vaterschaft. Ich les‘ das und grabe im Garten ein Rasenstück um. Dort, wo vor Jaaaaahren die Sandkiste stand, hab ich plötzlich ein Playmobil-Boot auf der Schaufel. Aus der Zeit, als MEINE Tochter gerade laufen konnte.

Animation of Life.

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Die Jahre vergingen, die Musik kehrte zurück. Und sie klingt heute so frisch wie damals.

Music is the best!

6 Gedanken zu “Jon Anderson und ein Playmobilboot

  1. „I’ll find my way home“ war eines meiner ganz ganz ganz frühen im Radio aufgenommenen Musikstücke. DIE Mutter der Nostalgie in meinem Musikkosmos. Neben der Musik, die „man damals eben hörte“, hat mich dieses Stück schon in jungen Jahren begeistert (ich bin dir ein paar Jahre hinterher). Und wie es sich dann ergibt, bin ich vor wenigen Wochen über eine gebrauchte Vinyl „The Friends of Mr. Cairo“ gestolpert. Und somit schließt sich nach 40 Jahren auch dieser Kreis. Es ist einfach herrlich.
    Btw: die 90125, ich mag sie einfach. Aber klar, es ist eine andere Platte, fast eine andere Band, eben nicht so plump wie UH und Konsorten und nicht der Prog wie Yes in den Anfangszeiten. Songs wie „Leave it“ sind eben auf den Punkt gebracht, das ist schon auch mal gut.
    Play it loud.

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    • Hach. Danke. Endlich mal wieder ein Kommentar. Der Brauch scheint in der Bloggerwelt regelrecht auszusterben. Jammerschade.
      Und über Yes-Platten lassen sich doch ganztägige Palaver abhalten. In dem Punkt werde ich nie erwachsen.
      Dass du die 90125 feierst, kann ich gut verstehen. Weil jeder das einschreint, was ihm auf seiner Wegfindungsphase begegnet ist.
      Ärmel schimpfte mal vor Zeiten über Floyds „Wish you were here“ als Ankunft im Mainstream und so.
      Er feiert die „Ummagumma“.
      Er ist die paar Jahre älter, die es braucht, um diesen Unterschied zu machen.
      Bei „Ummagumma“ war er Pi mal Daumen 16 und bei „Wish you…“ ich.
      Für mich ist die „Wish you were here“ die Krönung, erst danach ging es langsam aber sicher bergab.
      Von „Ummagumma“ reicht mir die erste Hälfte, das Solo-Gepiepe der zweiten Platte bräuchte ich nicht.

      Naturgesetz: Was dich in der Begeisterungsphase beeindruckt hat, das bleibt. Höre ich Yes, bin ich automatisch in den 70ern.

      Bei YES und der 90125 ist das für mich so, wie es ein Radiomoderator damals’83/84 mal formulierte: Die Yes-Mannen spielen Frankie goes to Hollywood-Stücke. (Naja, vielleicht auch nicht ganz. Bissel hart war der Spruch schon.)
      Mir isse zu technokratisch/kalt. Da fehlt sowas wie „circus of heaven“, „Wonderous stories“, „the clap“ – so die „Kampfpausen“, die Feen-Tanz-Plätze.
      Ich hatte sie damals auf Band. „Owner of the lonely Heart“ mag ich bis heute. „Leave it“ ist das andere gute Stück. Aber den Rest habe ich -seit 2000 meine Bänder weg sind- regelrecht vergessen – und auch seither keinen Phantomschmerz.

      Als sie aktuell war, da legte ich damals schon lieber das Mr.Cairo/Animation-Band auf, wenn ich in der Stimmung war. Und auf den Studentenfeten, da wollten wir damals „Eisbär sein“, die „kleine Taschenlampe“ brennen lassen, „keine Atempause – Geschichte wird gemacht! Es geht voran!“ grölen.
      Heute kostet Benzin mehr als 2 Mark 10. Scheißegal, es wird schon gehn. Markus – der Seher!
      Hach. Schmacht irgendwie – nach diesen Zeiten damals.
      Aber neeeee. Jetz‘ hab ich all diese Musik-Drogen selber – und nicht nur aufgenommen.
      Das war’s schon wert, diese Jahre zu durchschreiten.

      (Da kannste mal sehen, was so’n kleiner Kommentar auslöst.) 🙂

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  2. Das mit dem Alter, in dem man einer Musik erstmals begegnet… das hat was. Andererseits „entwickeln“ sich Musikanten weiter. Die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt.
    Rückblickend könnte ich bei vielen Solisten und/oder Bands den Zenith beschreiben. Das ist dann aber mein individuell gesehener Zenith. Danach sinkt mein Interesse an den danach folgenden Werken in aller Regel rapide. Zu viele Wiederholungen, natürlich Erschöpfung der Kreativität.
    Obwohl ich bei manchen jüngeren Zeitgenossen Übereinstimmungen erlebe, so sie sich die Zeit nehmen auch die älteren Werke eines Solisten oder einer Band intimer kennenzulernen.

    Klar stimmt es noch immer, dass ich die erste LP der Umma Gumma wegweisend finde. Und bei Yes finde ich den Abstieg nach der Relayer. Und dennoch gibts auch später noch Nummern, die bei mir ziehen.

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    • Während man bei Genesis und Pink Floyd so ne richtig überschaubare Fieberkurve malen könnte…
      Für mich ist das Schöne bei Yes, dass sie bis vor wenigen Jahren immer mal wieder für Überraschungen gesorgt haben. So richtig kann ich bei denen keinen Zenit festlegen. Vllt nach Tormato? Habe jahrzehntelang die „Drama“ ignoriert, weil sich alle Welt um mich her einig war, die wäre nichts.
      Wronggggg!
      Vor 2 Jahren nun erst „the Ladder“ für mich entdeckt.
      Die „Heaven and Earth“ als Autobahnmusike lieben gelernt.
      Ich musste schon grinsend Kopf schütteln, als ich hier und da las, die „Quest“ sei nun wieder besser, als die fööööörchterliche „Heaven and earth“.
      Für mich klingt die „the Quest“ scheintot. Und nun ist wohl auch das Alter erreicht, wo nichts mehr kommt.

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      • Tormato, das wäre auch für mich so etwas wie der Zenith. Wobei ich zustimme, dass der bei Yes für mich nicht so eindeutig bestimmbar ist. The Ladder beispielsweise war nochmals ein richtig gutes Werk. Ein letztes Aufbäumen vielleicht? Die Klangartisten müssen ja auch sehen, woher die Rente kommen soll, wenns im Süden Englands durch das reetgedeckte Cottagedach regnet…

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