Keine Zeit für Arschlöcher

Klar: Zu spät – zu spät – zu spät….

Das Ereignis, um das es hier gehen soll, fand letzten Sonntag 20:15 Uhr auf ZDF statt.

Wenn ich schon hier reihenweise miese deutsche Filme verreiße, ganz einfach, weil der Branche einfach nichts mehr gelingt, wenn nicht Netflix als großer Geldgeber dahintersteht, so wollte ich doch DIE EINE Ausnahme von der Regel mal deutlich lobend erwähnen, die dann eben doch passierte.

Zuvor muss ein Outing sein:

Ich mag Horst Lichter!

Am Sonntag lief die Verfilmung seines Bestsellers „Keine Zeit für Arschlöcher“ – und diese Verfilmung muss man einfach als gelungen bezeichnen.

Horst Lichter wird medial hin und wieder bespöttelt. An „Bares für Rares“ wird reichlich herumgemäkelt. Thomas Gottschalk hat sich da wiederholt verständnislos geäußert, wie dieser Trödelquatsch so erfolgreich sein kann. Tja, er hat verlernt in den Spiegel zu gucken. Warum gönnt er andern nicht, was ihn selber ereilte?

Lichter hat eine beispiellose Biografie. Arm geboren und aufgewachsen, halbtotgeschuftet, bevor er 30 war, erlitt er mit 26 und 28 Schlaganfälle und dazwischen einen Herzinfarkt – alle Zeichen standen auf Untergang; da fing Restaurant Nr. 2 plötzlich doch an zu prosperieren, die extravagante Gestaltung des Biergartens mit den Mopeds in den Bäumen sprach sich rum; die Outfit-Macke des Betreibers ebenfalls – und so geriet er ins Fernsehen.

Ich habe „Lafer, Lichter, Lecker“ nie gesehen, aber Lichter live in Talkshows als unterhaltsam wahrgenommen. Dann kamen zu Weihnachten jene Motorradausflüge – Lichter & Jenke gemeinsam durch Norwegen – die waren richtig gut gedreht und dann kam „Bares für Rares“ – die spannendere Variante von „Kunst oder Krempel“, die der BR ursprünglich erfand.

„Keine Zeit für Arschlöcher“ erschien 2018.

Es enthält seine Reflexionen über seine Kindheit und sein kompliziertes Verhältnis zu Mutter und Verwandtschaft, durchgrübelt im letzten Lebensjahr seiner Mutter, deren Krebstod er am Krankenbett begleitete, was nun erst Mutter und Kind zusammenbrachte.

Lichter ist 1962 geboren, also meine Generation.

Sein Lebensweg stellt ein westdeutsches Jin zu meinem ostdeutschen Jang dar.

Siehste: So scheiße hätt‘ es dir gehen können, wenn es deine Eltern nicht in die Ostzone verschlagen hätte, damals 45/46; als alles verloren war, worauf sie hätten aufbauen können. Im Osten konnten auch Vertriebenenkinder studieren und zu den gut bezahlten Berufen vordringen. Sie mussten nicht ins Bergwerk. Im Westen wären sie ewig „unten“ geblieben und hätten all den Einheimischen bei der Wohlstandsmehrung zugesehen.

Der Film musste logischerweise kürzen, dramatisieren, was im Buch steht.

Leider geriet dabei unter die Räder zu erklären, weshalb die Mutter so war, wie sie im Film gezeigt wird: Sie heiratete einen netten Typen, von dem sie sich ihr Lebensglück versprach. Es stellte sich jedoch heraus, dass er der Einzige verlässliche Nichtsäufer aus einer Schrutz-Sippe war – und dieser Packen Schicksal war quasi seine Morgengabe, da er nie konsequent mit denen brach. Da wurde immer geholfen, wenn die sich wieder in Not manövriert hatten und so war immer Geld knapp, trotz Fleiß und Reihenhaushälfte.

Der Film zeigt den letzten Besuch bei der scheinbar gesunden Mutter, die nur nichts mehr isst. Dann erfolgt der Arztbesuch und die Diagnose, dass der Krebs schon weit fortgeschritten sei und dass OPs keinerlei Sinn mehr machen. Mutter Lichter solle doch „quality time“ leben, soweit es noch geht.

Dafür ist sie zu stur. „Was krank ist, muss raus!“ Sie begibt sich in den ausweglosen Kreislauf des OP-Marathons, der sie schnell elender und elender werden lässt. Horst macht TV-Pause, mietet erst ein Hotelzimmer, schließlich eine Zweitwohnung in Krankenhausnähe und sitzt Tag für Tag am Bett.

Der Film arbeite viel mit Rückblenden zum 9jährigen Horst und seinem missratenen Geburtstag zum Beispiel, oder zum überforderten ca. 20jährigen Familienvater in Ehe Nr.1, in der sein erstes Kind den plötzlichen Kindstod stirbt und der Kuckuck Kleber ansteht, was beides dann auch die Ehe scheitern lässt.

Ein kleinwenig missglückt wirken jene Motorradfahrsequenzen im Film, bei denen er grübelnd seine Erlebnisse „verdaut“. Sie wirken teilweise wie Fremdkörper hinein geschnitten in den Erzählstrang, weil anfangs nicht erklärt wird, wie im Teenie-Alter seine Fahrmacke entstand, die ihn ein Leben lang begleitete. Der Motor-Maniac, der einer Mopedtour mit den Kumpels sogar das intime Tête-à-Tête mit der Freundin opfert. Eine Schmunzel-Szene im Buch, die man im Film leider nicht verwendete.

Dafür seeeeehr gelungen: der versteckte Stolz der Mutter (brillant gespielt von Barbara Nüsse) auf den berühmten Sohn und schließlich der versöhnende Händedruck auf der Bettdecke mit der Transfusionskanüle im Handrücken.

Toll auch die emotionale Nachhilfe durch ihre Schwester, die dem 50jährigen erbosten Horsti erklären muss, warum seine Mutter nie Mutterliebe zeigte.

Diese Szene besonders ist deshalb so ein Highlight, weil sie den Zuschauer emotional packt und zugleich ein Zitat aus „Wunder von Bern“ ist. Denn Johanna Gastdorf, die Mutter jenes Balljungen dort, spielt hier die verständnisvolle jüngere Schwester der Lichter-Mutter. Im „Wunder von Bern“ erklärt sie ihrem 11jährigen Filmkind, warum Papa, der Spätheimkehrer, sich so roh verhält. Liebevoll und mit den richtigen Worten. Hier nun erklärt sie dem Schnauzbart-Lichter, wie sie früher ihre Schwester bedauert hat. Im selben Tonfall. Und den 9jährigen Horsti hat der Zuschauer dabei ja immerzu vor Augen. Großartig!

Auch stimmen die jeweiligen zeittypischen Zutaten. Ganz besonders perfekt bei jenem gestellten Kindergeburtstagsfoto 1971. Ich jedenfalls fand diesmal nichts zu mäkeln.

Wieviele missratene DDR-Filme wurden seit den 90ern in den Äther geballert: Stasi rauf und Mauerfall runter und immer ohne Verständnis für zeittypisches Lebensgefühl oder Mode im Osten. Nirgends fand ich mich wieder.

Aber jenes Geburtstagsfoto da vom Rhein: Genauso sah das aus, wenn Vaters abgehauene Klassenkameraden Fotos schickten!

Oder jene Portemonnaie-Vergesser-Szene: Der 9jährige wird mit dem Fahrrad losgeschickt, alleine die Schuhe vom Schuster zu holen. Ich ging seit „große Gruppe Kindergarten“ Milch holen. Das mute mal einem 9jährigen heute zu! Die finden sich kaum selber in die Schule! (Andererseits liegen ja auch die Läden mittlerweile nicht mehr fußläufig „um die Ecke“. Wir verlernen nicht nur Filmemachen, sondern auch Städtebau.)

Hach! Es war ne richtig gelungene Zeitkapsel, letzten Sonntag. Wessi-Regisseure und Drehbuchschreiberlinge schrieben über Wessi-Vergangenheit und alles stimmte. (Aber der nächste DDR-Murks wird kommen.)

Horst Lichter soll bei der privaten Premiere der Rohfassung geweint haben.

Er kann stolz drauf sein, dass auch dieses Puzzleteil seiner Projekte die Lichterkette nicht reißen ließ.

Schulnote: 2+, wegen der fehlenden Vorgeschichten des mütterlichen Elends und des Motorfimmels.

9 Gedanken zu “Keine Zeit für Arschlöcher

      • Was mir vor allem fehlt, ist das Zeigen all der kleingeistigen Gängelei im Alltag. Das funktionierte weitgehend ohne Stasi. Das erledigten Schuldirektoren, SED-Kreisleitungsbonzen, die FDJ-Kreisleitung … immerwieder anberaumte „Rotlichtbeschallungen“ (= Politschulung) dröge wie nur was; das Zerkritteln jeder neuen Regung, wenn Youngsters mal auf eigene Ideen kamen: Das könnter doch nicht machen! Wo bleibt denn da der Klassenstandpunkt! usw.
        Dann die „Kundenszene“, die durchs Erzgebirg trampten hinter ihren Geheimtipp-Bands her, die nie ne Platte hatten, nie nen Song im Radio … da könnte man dann sogar wieder bissel auf Stasi kommen, die da verständnislos „Langhaarige überwachte“.
        „Sonnenallee“ damals war ein ganz guter Anfang. Leider machte der Haussmann auf dieser Strecke nur noch „NVA“ (auch genial gelungen; hätte ich so einen Tagesack im Bekanntenkreis, würde ich dem aus purer Bosheit zu allen Anlässen immer diese eine DVD schenken) und dann war Schluss.

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  1. Wie es geht im Leben – man lernt nie aus: Den Lichter und Dich hätte ich nicht zusammengedacht. Andererseits haben wir alle so unsere xxyxx Seiten 😉

    Der Film ist in der Mediathek. Ich gebe ihm fünf Minuten.
    Weil:
    Der Lichter, das ist so einer, der auf allen Hochzeiten tanzen will und am Liebsten dort, wo es sich kohlemäßig rentiert. Und die einfachen Leute mit Applaus nicht geizen. Nur keine Kritik. Inhalte sind ihm egal. Umso wirklichkeitsfremder, desto lieber (Bares für Rares – es soll immer noch Menschen geben, die das für ein reales Geschehen halten).

    Ich habe mir aufgrund Deiner Sympathiebekundung für den Mann seinen WikiEintrag durchgelesen. Hat er wahrscheinlich selbst geschrieben (von mir als Deutschlehrer eine 4- dafür). Eine fast rheinische Frohnatur, der auf Tiefgang mimt mit Nahtoderlebnissen. Und mit Laberlafer unterwegs ist. Der streift immer knapp an der Pleite entlang. Weil er statt zu kochen für seine Gäste, süchtig nach dem Applaus im Fernsehen ist. Und für irgendwelche überflüssigen Küchengeräte (Lafer Zauberstab [lat.: penis miraculis] den Vertreter macht. Brüder im Geiste. Zugegeben, es gibt noch schlimmere.

    Lichter. Kochlehre, mit Anfang 20 Schicht im Schacht und ne Kneipe – das hat er wohl geträumt. Die ging dann ja auch Pleite.
    Ich kenne einige Kneipiers, bei denen es einfache, solide gekochte Speisen gibt. Keine Extravaganzen. Und ich kenne deren Zeitabläufe. Da steht schon mal ein Motorrad oder ein Sportwagen im Ställchen: aber wann haben die wirklich Freizeit? Und dann noch alles mögliche sammeln – wann denn, würden die mich zurückfragen?

    Aber gut, seine fünf Minuten hat er nun.

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    • Kleiner Nachtrag: der erste (west)deutsche Fernsehkoch war Clemens Wilmenrod. der hatte seine Sendung „Es liegt mir auf der Zunge“. Der Wilmenrod war auf seine Weise auch eine tragische Figur.
      Sein Leben wurde 2008(?) unter ebenjenem Titel verfilmt. Mit J.J. Liefers als Wilmenrod. Ein kurzweiliges Vergnügen.

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      • Ich kenne noch Fernsehkoch Kurt Drummer. DDR. Irgendwann vor oder nach dem Sandmann. Laaaaangweilig!

        Über den Wilmenrodfilm hab ich glaub ich mal irgendwo gelesen. Aber der Liefers – und ich – wir werden keine Freunde mehr.

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