Bowie Bilanz

Staub gewischt auf alten Platten.

Nichts bleibt wie es war. Alte Vorlieben weichen neuen. Eine Binse. Aber – die alten waren einfach mehr und hielten länger. Kommt heute angestaubt Empfundenes in ein paar Jahren eventuell zurück?

Ich beschrieb bereits, wie mich anno‘75 „Fame“ geradezu umgehauen hat. Das traf einen Nerv. Meinen Nerv. Den Nerv meiner damaligen pubertären Ablehnungshaltung gegenüber – äh – ja eigentlich allem.

Die Ablehnung der anderen gegenüber diesen seltsamen Klängen verstärkte den Effekt.

Das war MEINS!

Bowie wurde ein Langzeitidol für mich. Heutige Playereinsätze seiner Scheiben sind jedoch eher selten.

Mit zunehmender Reife trennst du viel besser Tiefsinn von Scharlatanerie. Und die alten Provokateure haben heftig Haare gelassen.

 „Die Geister der Kindheit verabschieden sich eben hinten am Ende des Korridors am Tor der Zeit“ (Fogelberg)

Bowie war so eine Art Begleiter aus der EOS-Zeit über die Fahne hinweg in’s Studium, und von dort noch in die Erwachsenenphase des Berufslebens. Er war der erfolgreiche Blender mit dem Hang zu karikierter Melancholie, an dessen Sounds du dich durch schwierige Phasen deiner eigenen Entwicklung hangeln konntest. Bis es nicht mehr nötig schien oder besser: Bis die Götter wechselten.

Einst machte er sich rar im Radio. Das „Fame“ überhaupt gespielt wurde, war eher die Ausnahme. In Deutschland war er bis „Heroes“ nicht massenkompatibel. In Amerika Platz 1, aber bei unseren Cousins und Cousinen „drühm“ nicht vermittelbar. „Golden years“ kam noch, „sound and vision“ und eben die halbdeutsche „Heroes“-Nummer und dann war da auch noch dieses kuriose Weihnachtslied mit Bing Crosby. Das war’s dann eigentlich bis zur Fahnezeit.

Keine dolle Ausbeute, aber viel Gerede um den Superstar da in Berlin und seinen Kumpel Iggy Pop, der noch viel weniger Sendezeit erhielt.

Ganz knapp vor der Einberufung gerieten mir ein paar Nummern der „Lodger“ aufs Band. Seltsames Zeug, das nicht zünden wollte und zum „Schönhören“ war keine Zeit mehr. Prora calling.

Die Lodgerstücke ähnelten denen von Iggys „New Value“-LP, aber sie klangen als seien sie die übriggebliebenen Reste. Iggys Platte war zuvor ebenfalls im Rundfunk eingehend besprochen worden, wobei einige Beute-Tracks abfielen und die hatten die Nase deutlich vorn.

Von „Fame“ bis „african nightflight“ waren es also 4 Jahre Fantum.

Und es wäre niemals so lange geworden, wenn ich Wessi gewesen wäre und mir 1975 die „Young americans“ gekauft hätte. Denn auf der Platte fetzt „Fame“ und der Titelsong geht auch noch, aber der Rest – puhhhhhhh, das war eine ziemliche Enttäuschung, als ich sie ende der 90er/anfang der Nullerjahre endlich kennenlernen konnte.

Ja, Old Davy hat so seine Schaffenskrisen. Das Image fing viel auf. So scheint es mir heute.

Ich war high, als ich damals im Fahne-Urlaub vor den drei LPs saß:

mde

Station to station – Low – Heroes – endlich MEINE!

Die Armeezeit hatte mir „meinen Dealer“ beschert. Er, ich, ein angehender Schauspieler und ein Pastorensohn, 4 Abiturienten unter Assis – klar, dass das zusammenschweißt. Rüdiger hatte reichlich Westverwandtschaft und ebenso reichlich Geschäftssinn. Als er hörte, dass ich willens wäre, die üblichen 120 Mark pro LP zu zahlen, sprach er kurz und schmerzlos: „Mach ma Liste.“ Er hatte mir versprochen, wenn die Ware bei ihm angekommen wäre, seine Mutter zu instruieren, an meine Mutter Pakete zu schicken. Bezahlt hab ich mehr oder weniger mit meinem Wehrsold. Herbeigesehnt der Brief von zu Hause: „Rüdigers Paket ist da.“

Ich mit einem Mal – King on the Block! Wenn ich erst wieder draußen wäre, würde nur noch gelten:  Das is‘ der Typ mit den Bowie-Platten!

Das war sowas wie ein Ritterschlag! Lindenberg-, Genesis- oder Beatlesplatten konnt’ste überall mal kriegen, aber Bowie — den gab’s nur bei MIR!

Gott sei Dank wusste ich den LP-Titel der „Fame“-Platte nicht, nur deswegen hatte ich die nicht bestellt.

Auf die „Low“ war ich am neugierigsten gewesen, weil mir „sound and vision“ ursprünglich am besten gefiel.

Die A-Seite der Platte hielt auch, was der Song versprach: Es rumst ordentlich und in todesschwangerem Bariton grummelt Bowie üble Botschaften a la „always crashing in the same car“ und ähnliche Idyllen herunter. Ab und an bricht die Stimme in zickiges Gemecker aus, um gleich wieder tiiiief abzustürzen. Nina, heute die Großmutter des Punks, sang so ähnlich.

Aber dann drehst du die Platte um und – verstehst die Welt nicht mehr. Rausch-dudeldudel-schweeeeb – ab und an quäkt ein Saxophon; scheint sich zu beschweren, dass ihm gerade Gewalt angetan wird, denn der Spieler kann’s nicht.

Nirgends Text. Keine Melodie. Und was will er denn in „Warzawa“? Jeans kaufen wie ein Ossi?

Würde ich mir das schönhören können? 120 Mark für ne Platte, von der nur die A-Seite fetzt! Anschiss, verdammt!

Ich griff zur „Heroes“. A-Seite startet okay. Ich dringe bis zum Titelsong vor und beiße die Zähne zusammen. Verdammt! Die deutschen Strophen gibt es also nur auf der Singlefassung.

Nix mit „ICH! Ich bin dein Könnik! Und Duhe! Du Könnigin! Waaaahnsinn! Wird uns heilen! Dann sind wir Helden für alle Zeiteeeeen!“

Dann – B-Seite. Und fast wie bei der „Low“ fast alles instrumental. Aber – Erleichterung macht sich breit – deutlich schöner. Und dann noch dieses Hundebellen hinten im Mix, ungefähr in der Mitte:

Gerade vor dem Urlaub mussten wir Glatten eines Sonntags das Wegesystem auf einem der Schießplätze neu abstechen. Wir waren unter uns. Die Kapos waren ebenfalls Anfänger und hatten noch mehr Tage vor sich als wir. Ein gemütlicher Arbeitseinsatz mit Frühlingswetter und Pausen. Und in einer davon hörte ich Kirchenglocken aus der Ferne und ein Weilchen später einen Dorfhund schimpfen. Es war ein Idyll. Wir hatten es im Unterbewusstsein: Die große Härte war nach den ersten 6 Monaten vorbei. In ein-zwei Wochen kommen neue Glatte. Die Zwischenhunde werden EK‘s und wir rücken auf als Zwio’s. Von nun an werden die Neuen die Kotze wischen müssen…

Die Bowieplatte zuhause hält diesen Moment fest. Bis heute.

Bliebe noch die „Station to Station“. Die entpuppte sich als die geschlossenste von den dreien. Auf beiden LP-Seiten wird gesungen. Der Titelsong und „TVC15“ sind gleichwertige Brecher, die die LP-Seiten eröffnen. „Golden Years“ ist eh klar: Klasse! Und auf beiden LP-Seiten bekommt er es hin, abschließend in ganz ruhigen Songs ganz „gefährlich“ zu wirken. Die Minuspunkte sind die fast 5minütige Graupe „Stay“ und die ohnehin Elvismäßige Kürze der Platte.

Der Zwio-Sommer 1980 kam, ich wurde versetzt und Spießschreiber, alle 4 waren wir nun in unterschiedlichen Einheiten. Immerhin: an den Wochenenden jagte einen nun keiner mehr zum Küchendienst oder zum Schießplatz umgraben. Wir lagen also FKK am Landser-Strand vor der Kaserne, badeten, lasen und schlossen neue Geschäfte ab.

mde

Nach der Fahne sah ich dann zum ersten Mal das „Ashes to ashes“-Video mit dem Clochard in der Brandung und mich traf der Schlag: Major Tom als Clown im seichten Wellengang – der Ostsee vor Prora! Das drängte sich einfach so auf und war so verdammt nah, dass ich die LP damals nicht wollte. Denn Prora – das war in übler Weise deutlich mehr als FKK und Platten dealen! Da stellten sich sofort auch all die anderen Bilder ein, an die man nicht erinnert werden wollte!

„Ashes to Ashes, Punk to Punkie, we know Major Tom’s a Junkie strung out in heaven’s high hitting an alltime low“

geradezu beängstigend exakt der Punkt an dem ich mich 1981 befand.

Was haben wir zu EOS-Zeiten die Pistols gefeiert! Und Clash…und nicht zu vergessen Blondie!

Aber nun? Nach der Fahne?  Was würde die Zeit bringen?

Zum Schritthalten mit der Musikentwicklung waren die sechs Urläube von der Fahne zu kurz gewesen. Die Standortradios hatten mit Pflastern gekennzeichnete Senderskalen, damit keiner Westen hört. In Prora eh ein Witzvorhaben. Da kriegste eher Dänemark!

So blieb sommers nur diese dämliche Ostseewelle-Rostock mit Abba und Goombay Danceband in Dauerschleife und in der dunklen Jahreszeit die „üblichen“ Sender der Ehemaligen.

Du kamst wie „auf null gestellt“ nach den 18 Monaten zurück. Und da war vor allem die NDW, als Ventil zur Linderung deines Prora-Klapses: „Ich gehe nicht mehr! Nach Cuxhaven! Nein! Neineinein!“

Im Radio liefen die Singles „Fashion“ und „Scary monsters“ zwischen Ideal-, Interzone- und Spliff-Stoff, und hatten keine Chance dagegen anzustinken. Obwohl gerade der Text von „Fashion“ einer von Bowies besseren ist, aber das entging mir. Wenn Klartext zu haben ist, brauchst du keine Fremdsprachen-Messages in verblümter Form. Einer von jenseits des Atlantik schaffte es doch in unsere Lauscher: Neil Young donnerte zeitgleich seine „shots!“ ab, auf einer Platte, die passenderweise Re-ac-tor hieß! Das brachte die Rache-Amok-Gelüste von Fahnerückkehrern besser auf den Punkt!

Dagegen Bowie am Strand von Prora und diese melancholisch-ruhige Keyboardmelodai? Passte nicht! Noch nicht. Die Zeit war noch nicht bewältigt! 6 Jahre später hatte ich die Platte dann doch. Und sie wurde zum all time fav! Das Ganze klingt mir heute wie eine gutkonzipierte, dekadente Militärverarsche-Party – it got nothing to do with you if one can grasp it – und die vielfüßigen Trappelgeräusche zu Beginn der A- und der B-Seite erinnern an die Ratten in der Bataillonsküche, wenn früh um 5e dort das Licht eingeschaltet wurde.

„So where’s the moral
When people have their fingers broken
To be insulted by these fascists
It’s so degrading
And it’s no game

Shut up!
Shut up!“

Ich werd‘ auch das Gefühl nicht los, dass die „Scary Monsters“ klingt, wie die „Lodger“ zuvor hätte klingen sollen.

Bowie schloss mit „Scary monsters“ 1980 seine relevante Phase sauber ab und begann anschließend zu schwächeln. „Cat people“ kam raus. Im Giorgio Moroder Mix. Ächz! „This is not America“ mit Pat Metheny… nun ja, die Moderatoren priesen es… ich brauchte eine Weile um mir dieses stromlinienförmige Gelalle schönzuhören. Aber im Endeffekt kam es doch auf der positiven „Haben-Seite“ an.

Seine Kreativitätsreste verstreute „der schöne Dave“ bis auf Weiteres auf Nebenprodukte: Absolute Beginners, Dancing in the streets, under pressure… Er war nun Schnösel geworden. Der Schicki-Micki-Dancer. Einer der seltsam schlecht in seine eigenen Videos passte. Und was jetzt erst auffiel: Der keine Botschaften hatte!

Zum Fremdschämen – das „Let‘s dance“ Filmchen mit den Aborigines! Wie er da frischgefönt und onduliert in der Arme-Leute-Disco steht und das Elend der Welt in diese billig-Phrase: „put on the red shoes and dance the blues“ eindampft –  … da verstehste dann die Welt nicht mehr! Mit solch einem Mist zu kommen, nach „Scary Monsters“!

Zu meiner Schande sei’s gestanden: Ja, ich habe die „Let’s Dance“ seinerzeit komplett aufgenommen und das Band auch immerhin häufiger angehört als Tull’s „Stormwatch“ oder Barclay James Harvests „Turn of the tide“; aber nach der Wende blieb sie ungekauft und wurde auch bis heute nicht vermisst.

Eine andere Hausnummer ist da die „tonight“. Die kaufte ich im Intershop im Cottbusser Bahnhof ganz zu Beginn meines Berufslebens und die wurde somit Soundtrack des ersten Dienstjahres ganz dahinten im Sorbenwald. Abgeschnitten vom Westfernsehen, sah ich dazu keine dämlichen Videos. Somit blieb die Platte für mich, was sie vorgab zu sein: Ein Gruß aus den Metropolen der Welt! Mit ganz viel Trost:

mde

„Don’t know who else came to kneel
On this empty battlefield
But when I hear that crazy sound, I don’t look down
From Central Park to shanty town…“

Ja und dann guckste wie er auf die Einschusslöcher in deinen Blütenträumen, die sich einfach nicht realisieren lassen.

Heute purer Erinnerungssound an all die Fahrten nach Plauen zum Flohmarkt und die lange Reihe von Schätzen, die ich dort heben konnte. Gib mir Musiiiiik-Musik-musik…..

Zwei alte Großtaten von Bowie waren auch dabei: „Diamond Dogs“ und „Aladin Sane“. Aber die kriegen später mal einen Post.

Nach „Tonight“ war für mich Schluss mit Bowie. Für die Nachfolge-LP schämte er sich schon kurz nach Erscheinen selber, weshalb die Tour seinerzeit auch nicht nach der Platte, sondern nach dem einzig verwertbaren Song darauf „Glass-Spider-Tour“ hieß. Ein verdienter Flop.

Schweigen wir sie tot. Die Tin Machine Phase ist besser als ihr Ruf, ging aber seinerzeitnicht nur bei mir völlig unter. Bowie den Popper hatte eben nicht nur ich satt. Mit „Hours“ und „Heathen“ hätte er mich dann fast wieder gehabt, aber wenn du Bowie hören willst, welche legst du dann auf? Hat da „heathen“ wirklich eine Chance, wenn die „Hunky Dory“ oder die „Heroes“ gleich danebensteht?

Und vor allem: wie oft hast du noch Lust auf Bowie im 21. Jahrhundert?

Im Player rotieren eher

Onkel Neil und Onkel Lou, Sister Ann W. kommt noch dazu,

Dan, Barry und Waylon sind oft dabei,

YES und Eagles einwandfrei!

Und klingt ein Sampler gar so schön,

dann liegts an : „Faaaaaaaaaame! Whats your name?! Whats your name?!“

9 Gedanken zu “Bowie Bilanz

  1. Es muss genau um diese Zeit gewesen sein, als ich westlich des eisernen Vorhangs meinen Wehrdienst als Panzeraufklärer im Fulda GAP in Sontra ableisten musste. Ja die NdW hatte mich gepackt, Bowie kam aber erst später. Ich habe damals 99 Luftballons aufgeblasen , Spliff, ideal und Judas Priest gehört.

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    • Ja, die 99 Luftballons. Ein Geniestreich. Und ein Jammer, wie die Band dann so zum Teenie Pop Ding verkam. Mir konnte es damals gar nicht bös’genug sein: Einstürzende Neubauten und Interzone, die richtig Bösen aus der Berliner Szene! Und Fehlfarben und DAF … die würden heute in der cancel culture keinen Blumentopf mehr gewinnen.

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      • Du triffst den Nagel auf den Kopf, hab damals Nena geliebt und genauso Ina Deter und Anette Humpe, Rio Reiser. Heute gibt es aber schon auch gute Musik, KIZ, Alligatoah. Die Zeiten des surrealen Fatalismus mit der Gefahr des atomaren Totalschlags sind dem realen Fatalismus gewischen mit realen Kriegen vor der Tür betrachtet aus der Plüsch Lounge.

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      • Bei KIZ scheiden sich die Geister. Ein Song so, der andre so. Zuviel plumper Holzhammer für meine späten Tage. Mit 21 hätte ich vermutlich für sowas geschwärmt.
        Alligatoa dagegen is ne Wucht!
        Wäre den Medien an wirklicher Volksaufklärung gelegen, stünde er dort, wo all die Gangsta Blindpeesen stehen – ganz oben!

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    • Jau. Auch mit wunderbar aussagekräftigem Video. Aber leider ist die CD so ungenießbar wie Lou Reeds LULU-Album. Da treffen sich praktisch zwei Ex-Kumpels an der Himmelstür: Hast du n Vermächtnisalbum hingekriegt?
      Nö. Du?
      Och nich.

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  2. Es ist schon erstaunlich, welch starken Einfluss die äussere Veränderung von David Bowie auf seine Musik ausgeübt hat. Von dem britischen „ziggy“-affektierten Gehabe über das modisch oberflächliche „Young Americans“ bis zu „Station To Station“ ist eine grundlegende Veränderung. Am deutlichsten zeigt sich das für mich in Bowies Gesang, der auf „Station To Station“ fliessend und weich klingt.

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