Ersatzreligion

Ohne Musik leben, geht – aber es wäre sinnlos.

Initialzünder waren zwar Slade und Sweet, aber als die uns peinlich wurden, blieben Nazareth übrig.greatest hits

Irgendwie folgerichtig, wenn man sich als Hohepriester einer Ersatzreligion Nazareth nennt.

Please me, squeezze me, Teenage rampage, Tiger feet, Come on everybody to the buuuuump! So Kram halt war es in der ersten Zeit, als der Rekorder neu und die Ahnung noch gering war.

Aber dazwischen waren immer auch Nummern, die länger bleiben durften, die man mit 15 aufnahm und für die man sich mit 16 immer noch nicht schämte: Marsha Hunt „Southern man“, „Pinball Wizzard“, Elton-John-Version, weil im Westen der Film gerade neu war und natürlich „Johnny B.Goode“, Hendrix Style!

McCafferty and the Boys wurden von mir via „My white bicycle“ entdeckt. Das war 1975. Danach gelang mir noch „This flight tonight“ zu erbeuten und erst DA-nach “Love Hurts“, als es zum dritten oder vierten Mal chartete und eine Musikladen-Performance erlebte. Bei der Gelegenheit sahen meine Klassenkameraden und ich die Band auch zum ersten Mal.

„Der Sänger könnte Ecke sein. Der kann‘s oooch nich. Und der Drummer is Bludgy, wächn dor Brille.“

„Love hurts“ war so eine Generationen verbindende Übernummer, die sogar die mochten, die mit Hardrock gar nicht konnten. Uriah Heep ging es mit „Lady in black“ ähnlich.

Natürlich war „love hurts“ schon viel früher durch den Äther gejagt worden, so dass ich es in Blödel-Englisch hätte mitsingen können, seit ich 12 war; aber 1. wusste ich da nicht, dass die Combo Nazareth heißt und 2. hatte ich anno’73 noch keinen Rekorder.

Die besagten drei Hits waren zunächst alles, was man von denen kennen musste, um beim Fachsimpeln mithalten zu können. „Oldies for Youngsters“ (HR3) brachte etwas später an den Tag, dass es da jene mystische Nummer „Morning Dew“ gab.

Herrlich daran war dieses Gitarren-Echo, was uns damals den Begriff der „Rückkopplung“ zu veranschaulichen schien. debutAber wir Blinden schwafelten von der Farbe – sozusagen. Keine Ahnung wie der Effekt wirklich heißt. Geil klingt das bis heute! Der Text hingegen auf den ersten Hör – armselig. Aber das „Rock&Roll Museum“ auf NDR 2 kam zu Hilfe mit einer Themensendung über Joe Meek. Der hatte es mit dem Jenseits und Outa Space. Die Mystik von „Johnny remember me“ übertrug sich einfach auf „Lord I heard a young girl cryin‘ Mama!“ Gespenstisch – gut! Nun siehst du die Moorlandschaft richtig vor dir, aus der die Rufe kommen! Irgendwo da draußen wartet deine Fee auf ihre Rettung!

Als die „Close enough to Rock and Roll“ erschien, gabs die kalte Dusche: Die wurde recht umfangreich im Rundfunk besprochen: „Eine weitere etablierte Band, die an sich selbst scheitert.“ (Zuvor war es Jethro Tulls „Too old to Rock&Roll“ ganz ähnlich ergangen. Bei beiden Verrissen war erwähnt worden, dass „die großen Bands progressiver Rockmusik in der Krise stecken“ würden, da auch „die letzten Veröffentlichungen von Who, Led Zeppelin und Genesis eher laue Geschichten“ seien.

Als Beweis wurde dann „Telegram“ gespielt. 7 quälende Minuten, die nicht zünden. Ein Generationswechsel in der Rockmusik sei dringend nötig. Rätselhafterweise feierten dieselben Moderatoren aber zeitgleich Little Feat und Herbie Mann als große Nummern. Nach Verjüngung sah das nicht aus.

Ein paar Tage später wurde in der ARD per „Info-Show“ der Punk gezündet. Da war er! Der Wechsel! Aber der NDR zickte und zierte sich, spielte ihn nur äußerst dosiert.

Nazareth verschwanden aus meiner Wahrnehmung. Punk-Years. Fahne-Zäsur. Ende der Kindheit.

Rückkehr von dort. Mit Veteranengefühlen, als käme man von Verdun zurück. Heiße Studentenjahre standen bevor, aber am Ende drohte lebenslang ein Beruf, von dem ich nicht wusste, ob es der richtige sein würde. Slade röhrten den Ratschlag „I believe in Women my-oh-my“ – mitten in die NDW!

„Hier kommt die Antwort auf deine Gegenfrage! Wo liegt der Sinn denn von dieser Textbeilage? Der liegt im Dunkeln! Das ist der Reiz, den ja wohl jeder kennt!“ (Joachim Witt)

Nazareths McCafferty krächzte die Empfehlung „Dream on“ dazu und aller Rest war Interzones „Blues“: „Dein kleines bisschen Leben! Wird grade abgepackt!“ Ich hielt mich dran und genoss den Rausch.

„Kleine Taschenlampe brenn! Schreib ich lieb dich in den Himmel…“

Im Intershop hing die „Sound elexir“. Vermutlich im Westen ein Flop, deshalb nun die Restexemplare im ganz nahen doppelpackOsten verhökern! Das Cover zeigt vier Whiskyflaschen in so Reklame-wirksamen, goldgelbem Licht. Und wenn du die Platte kennst, dann weißt du, dass die Erstellung des Cover-Shots sicher das teuerste daran war. Irgendeinen Musikinstinkt muss es geben. Während ich um Waggershausens „Tabu“ herumschlich wie der Fuchs um den Hühnerstall, hob mich das Whiskysoundelexir gar nicht erst an. Als ich die LP schließlich von einer Bekannten geborgt bekam, zeigte sich, dass das richtig war: Rums-Rums-Rums…wie beinahe alle alten 70er Heroen in den 80ern: Max Werner-/Phil Collins-Syndrom. Ich brach die Aufnahme ab, hörte mir die B-Seite gar nicht erst an und gab die Platte zurück.

ballads2ballads1So geschahs, dass 1990 ebenfalls erst alles Mögliche andere wichtiger war, als sich um Nazareth zu kümmern. Im Gründerfieber hatten sich in der schönsten Stadt der Welt gleich mehrere Videotheken etabliert und eine in der Wenzelsstraße verlieh auch CDs. So wanderten „The Ballad Album“ und „The Ballad Album Vol.II“ auf Kassetten für den Drivin’ Sound im ersten West-Mobil.

Das war überhaupt so ein Moment für die Ewigkeit. Sommerabend ‘93. Du fährst hinters Buchholz, parkst mit Heimat-Panoramablick, machst die Scheiben runter und „Old days“(Chicago); „Dream on (Aerosmith), „far far away“(Slade),“Moscow“(Wonderland) „Dream on“(Nazareth)…holen dir die 70er zurück! Hier ungefähr stand’ste damals mit’m Mokick und hast -ganz ohne Musik- das LIFT-Konzert von Schkölen sacken lassen!

Da die Nazareth-Balladen reichlich zum Einsatz kamen, kaufte ich mir nun doch die „Greatest Hits“, was sich als suboptimal erwies. Da sind zwischen den Nuggets so einige Graupen drauf, die ich nu auch wieder nicht gebraucht hätte. „Razzamanazz“ und „Shanghaid in Shanghai“ – und so Rumpelzeug halt. Positive Überraschungen gibt’s aber auch, z.B. das Slide-Feuerwerk auf „Early in the Morning“ und der rauschhafte Rausschmeißer „where are you now“. Hach, mehr davon!

(Ausgerechnet letzterer stammt von der „Sound Elexir“! Da kannste mal sehen: Auch Mistplatten sollte man wenigstens einmal zuende hören! Weiter hinten kann doch noch was kommen!)

Da ausgerechnet der „Morning Dew“ auf der „Greatest Hits“ fehlte, war klar, welches der nächste Schritt sein würde: Her mit dem Debut!

Ungehört per Mailorder bestellt, bekommen, aufgelegt:

Mir fällt grad keine Platte ein, von der ich verblüffter war! Diese Vielfalt in der Güte haute mich um!

Das klang wie Black Sabbath+ Rod Stewart x Neil Young : Chicago – Bläsersatz; oder so ähnlich.

Nun hatte ich also Blut geleckt. Im WOM entdeckte ich die „Rampant“. Das geschichtsträchtige Cover lockte heftig. Ich hörte dort am Tresen rein und riss mir schon bald die Hörer vom Kopf: Bootleg oder was? Einen beschisseneren Sound konnte man sich für eine offizielle Platte gar nicht denken! Dumpf, übersteuert kratzende S-Laute – unvermittelbarer Schrott! Hat die in den 70ern auch so geklungen? Zweiter Versuch mit der „Expect no mercy“, genau die gleiche Scheußlichkeit. Ende.

Für Jahre. Dann irgendwann in einer Wühltonne eines Plattenladens – gebrauchte CDs zum kleinen Preis. Ich fische die snakes„Snakes and Ladders“ heraus: „Helpless“ ist da drauf! Und Janis‘ „Piece of my heart“. Denk an „Love hurts“ und „Ruby Tuesday“! – Covern können die aus dem Handgelenk! Gekauft, gehört, gemocht. Feines Teil! Wiederholt geplündert für diverse Autobahnsoundtracks.

2008 trat ich dem Rockzirkus Bochum bei und ein Mitforist dort machte einen Nazareth-Thread auf. Ergebnis: Ich musste mir die vielgepriesene Live-Aktion von Vancouver kaufen – das Snaz-Album! Dringend! Herrlich, wenn man Track 1 geflissentlich wegskippt. („Telegram“ – siehe oben.) Der Rest ist fein. Besonders der „Java-Blues“: Kaffee-Kaffee-Kaffee-Java-Blues! Und J.J.Cales „Cocaine“. Ja, covern können die mit links! „Morning Dew“ kriegen sie live nicht richtig hin. Wermutstropfen. Dafür gibt es als Entschädigung „Morgentau“ als Bonustrack. Kurios und unfreiwillig komisch.

Den Amazon-Rezis war zu dieser Zeit zu entnehmen, dass sich in Sachen Wiederveröffentlichung der Altwerke etwas getan hat und jetzt auch „Rampant“ und „No Mercy“ in astreiner Qualität zu haben seien. Ich war nun zwar nicht mehr der jüngste und in Sachen musikalischer Futtersuche auch relativ satt, aber die „Expect no mercy“ Wiederveröffentlichung der Nullerjahre lockte mit dem Clou, dass man da zwei ehemalige Platten bekam; nämlich die offizielle aus den 70ern und das eigentliche LP-Konzept, das in letzter Sekunde damals verworfen wurde: 4 Songs no mercyUnterschied und völlig andere Songreihenfolge. Für Musicjunkies wie mich ist das ne Leimspur. Da kann ich nicht anders! Das muss ich hören! Warum wurde das für nötig gehalten? Welche Version würde mir besser gefallen? Her damit!

Klasse!

Welche ist die bessere? Weiß ich bis heute nicht. Bei jedem Hördurchlauf die jeweils andere. Das Booklet verrät, dass der Grund für die Auswechslungen der Song „Moonlight eyes“ gewesen sein soll. Die Band wollte weg vom Image der Love-hurts-Schnulzen-Combo. „Moonlight eyes“ wäre ein sicherer Hit im selben Schema gewesen. Auf der „Ballads“ war er ja dann doch drauf.

Was mir vor allem an der „Expect no mercy“ gefällt, ist zweierlei: Zum einen hör ich beim Title-Track irgendwie immer Aram Chatchaturijan heraus. Die müssen kurz zuvor den Säbeltanz gehört- und dann vermutlich im Vollrausch losgejammt haben.

Und dann ist da noch das witzig vergurkte Coverbild: Nazareth sind Schotten und die haben bekanntlich ein Alkoholproblem wie die Russen, siehe auch „Sound elexir“-Cover. Und wenn du in dem Zustand als Grafikdesigner ans Werk gehst, dann kommt sowas raus, wie der behelmte Hüne da, mit den Armen hinter den Helmhörnern! Wenn der nämlich den Schlag ausführt, zu dem er bereits ausgeholt hat, dann haut er sich den eigenen Helm direkt aufs Nasenbein! Shit happens. Vermutlich hatte er die Ausgangsposition besoffen und unbehelmt schon eingenommen, dann aber unentschlossen herumtaumelnd verharrt, bis ihm ein mitfühlender Kostümbildner den Deckel aufs Haupt gedrückt hat: „Mütze auf, Junge! Wird kalt!“

„Aaaalllll the kings horses“ können da auch nichts mehr retten.

Prost! Mit Kaffee. Wegen Java-Blues!

9 Gedanken zu “Ersatzreligion

  1. Nazareth haben 1971 im Vorprogramm von Gallagher völlig verkackt, angeblich weil sie auf Rorys Anlage spielen mussten wegen irgendwelcher Zollprobleme, aber das war schlicht unterirdisch was die abgeliefert haben. Dabei war ich sehr gespannt auf eine Liveversion von Morning Dew, bestes Stück überhaupt von Nazareth. Die ultimative Version hat Jeff Beck dann ein paar Jahre später gespielt, als Medley mit Ravels Bolero. Leider nie auf irgendeiner Platte erschienen und Bootlegs aus diesen Jahren sind nicht hörbar.
    Wider besseres Wissen habe ich es vor ein paar Jahren mal mit der Best of versucht (bei meiner ist Morning Dew mit drauf) aber die Stimme von McCafferty ist weiterhin nicht kompatibel mit meinen Ohren. Morning Dew geht aber immer noch.:)

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    • Live fetzt „Morning Dew“ nie, weil sie da auf dieses Echo verzichten. Sogar im Beatclub seinerzeit wirkte das wie „nur die Hälfte“.
      Dass miese Konzerterlebnisse verärgern und eine Truppe unmöglich machen – wem sagste das?!
      Immerhin waren sie in deinem Fall nur Vorgruppe und hinterher kam noch Rory, also was Gutes.
      Ich kenne da einen, der hat 90 Euro für ne Karte gelöhnt, ist 300 km nach Leipzig gefahren , um den Boss der Stadionrocker live zu erleben, als Hauptact ohne Vorgruppe 2013.
      Das „Erlebnis“ war akustisch dermaßen unter aller Sau, das völlige Boss-Abstinenz seit dem und 2020 Entsorgung der 4 vorhandenen CDs beim Trödler für 1 Euro das Stück die Folge waren.
      Also: Ich kann verstehen, wenn Nazareth bei dir „durch“ sind.

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  2. Slade ging wirklich gar nicht 🙂 Aber Uriah Heep und Nazareth waren schon ok, vor allem wenn man die Mathe Klausur verkackte hatte, es zu Hause deshalb Stress gab und die Freundin einem anderen schöne Augen machte…. Grüsse von Jürgen

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  3. Es gab um 1970 einige „Trennbands“. Da trennten sich Geschmäcker und Schulzugehörigkeiten. Nazareth waren eher Realschule. Also nicht „ernstzunehmen“ für Gymnasiasten. Wobei „Love hurts“ – aber dabei liess man sich eher nicht sehen und verzichtete auf den Drehschieber mit einer Angebeteten.
    Nazareth als gute Coverband zu bezeichnen ist ein klarer Fall von Geschmackssache. „This Flight tonight“ im Original von Joni Mitchell wird imho durch Nazareth in Grund und Boden gerammt. Das bereits mehrfach erwähnte „Morning Dew“ gefällt mir von Jeff Beck und dem Gesang von Rod Stewart dem Text näher. Allenfalls getoppt noch von der Version von den Einstürzenden Neubauten.

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    • „Trennbands“ hatten wir nur im Ansatz: Uria Heep galten bissel als Assi-Mugge, zumal sich rumsprach, dass „Lady in black“ so eine Art Knasthymne sein soll, da das Lied bei jeder Wunschsendung aus der JVH dabei war. Und dann noch das tausendfach wiedergekäute „schlechteste Rockband der Welt“ – naja, trotzdem hatte eigentlich jeder „Lady in black“ auf Band und sehr viele auch noch „Free me“ und „easy livin'“ – aber auf LPs von denen war man in meinen Kreisen doch nicht scharf.
      Und dann halt das Gefrotzel: „Naja für Deep Purple reichts bei ihm gerade so. Yes kapierde nich'“
      Oder auch „Udou, Udou! Weitor hadde musikmäßsch keene Bedörfnisse!“ Ganz so flächendeckend total, wie die Medien uns heute weißmachen wollen, war die Lindenbergverehrung dann doch nicht.

      Das „this flight tonight“ ein Coversong ist, erfuhr ich/wir erst ziemlich spät. Weil wir auch Joni Michell erst kurz vor der Wende richtig kennenlernten. Vorher nur Song „Circle game“(aus dem Film „Blutige Erdbeeren“) und das Wissen, dass die CSN&Ys „Woodstock“ geschrieben haben soll.
      Richtig warm geworden bin ich mit der Musik der Dame aber trotzdem nie. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Hejira“ und „Don Juans reckless daughter“ – ja, die hab ich sogar mal gefeiert; aber die Begeisterung ließ nach.

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